Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Dreizehntes Kapitel. Der Spanier

Indes ging eine Szene anderer Art in Cinq-Mars' Zelte vor sich; den Worten des Königs, die der erste Balsam auf seine Wunden waren, folgten die eifrigen Bemühungen der Hofchirurgen; eine schwache Kugel, die leicht ausgezogen wurde, hatte allein seine Verwundung verursacht; die Reise ward ihm gestattet und alles dazu in Bereitschaft gesetzt. Der Kranke hatte bis um Mitternacht teilnehmende Besuche von Freunden erhalten; unter den ersten befanden sich der kleine Gondi und Fontrailles, welche sich ebenfalls anschickten, Perpignan zu verlassen und nach Paris zu gehen; der ehemalige Page Olivier d'Entraigues hatte sich ihnen angeschlossen, um dem glücklichen Freiwilligen, den der König ausgezeichnet zu haben schien, sein Kompliment zu machen; da bei der gewöhnlichen Kälte des Monarchen gegen seine ganze Umgebung die wenigen Worte, die er gesagt, von allen als sichere Zeichen einer hohen Gunst angesehen wurden, waren alle gekommen, ihn zu beglückwünschen.

Endlich befand er sich allein, auf seinem Feldbett ausgestreckt; von Thou saß neben ihm und hielt seine Hand, und Grandchamp machte seinem Ärger über die vielen Besuche, die seinen verwundeten Herrn, der noch dazu im Begriff wäre, eine lange Reise anzutreten, ermüden müßten, am Fuße des Bettes durch lautes Murren Luft. Cinq-Mars aber genoß endlich jener Augenblicke von Ruhe und Hoffnung, die einigermaßen die Seele und zu gleicher Zeit auch das Blut erfrischen; die Hand, die sein Freund nicht hielt, drückte insgeheim das goldene, auf seinem Herzen ruhende Kreuz statt der angebeteten Hand, die ihm dasselbe gegeben hatte und welche er bald selbst drücken sollte. Er horchte nur mit Blick und Lächeln den Ratschlägen des jungen Beamten und dachte dem Zweck seiner Reise nach, welcher auch der Zweck seines Lebens war, während der ernste von Thou mit ruhiger und sanfter Stimme zu ihm sagte:

»Ich werde Ihnen bald nach Paris folgen. Es freut mich mehr, als Sie selbst, daß der König Sie mitnehmen will; es ist dies ein Anfang von Freundschaft, den man schätzen muß, da haben Sie recht. Ich habe die geheime Ursache Ihres Ehrgeizes reiflich überdacht und glaube, Ihr Herz erraten zu haben. Ja, Ihre Liebe zu Frankreich, für die es in Ihrer ersten Jugend schlug, mußte an Kraft zunehmen; Sie wollen sich dem König nähern, um Ihrem Lande zu dienen, um jene goldenen Träume unserer früheren Jahre zu verwirklichen. Gewiß, der Gedanke ist groß und Ihrer würdig. Ich bewundere Sie und beuge mich vor Ihnen! Dem Monarchen mit der ritterlichen Hingebung unserer Ahnen, mit einem zu allen Opfern bereiten Herzen voller Redlichkeit sich nahen, die vertraulichen Mitteilungen seiner Seele empfangen und diese mit der Mitteilung des Vertrauens laben, die seine Untertanen in ihn setzen, auf solche Weise den königlichen Kummer mildern, die Wunden des Volkes heilen, indem Sie dieselben seinem Herrn entdecken, und so durch Vermittlung Ihrer Gunst jenes liebevolle Verhältnis des Vaters zu den Kindern wiederherstellen, das seit achtzehn Jahren durch einen Mann mit einem Herzen von Stein unterbrochen wurde; sich für dieses edle Unternehmen allen Schrecken seiner Rache auszusetzen und mehr noch, den niederträchtigen Verleumdungen trotzen, welche den Günstling bis zu den Stufen des Thrones verfolgen; dieser Traum war Ihrer würdig. Verfolgen Sie ihn, mein Freund, lassen Sie sich nie entmutigen; sprechen Sie dem König kühn von dem Verdienst und dem Unglück seiner erlauchten Freunde, die man dem Untergang weiht; sagen Sie ihm furchtlos, daß sein alter Adel sich nie gegen ihn verschworen habe und daß, von dem jungen Montmorency an bis zu dem liebenswürdigen Grafen von Soisson alle nur gegen den Minister, nicht aber gegen den Monarchen gekämpft haben; sagen Sie ihm, daß die alten Familien Frankreichs und seine Familie die nämliche Wiege hatten, daß er die ganze Nation aufrege, wenn er dieselben so fürchterlich heimsuche, und wenn er sie vertilgen würde, seiner Familie Schaden brächte, da diese dem Hauch der Zeit und allen Ereignissen allein ausgesetzt bleibe und einer alten Eiche gleich wäre, die bei jedem Wind erzittert und wankt, wenn der sie umringende und schützende Wald niedergehauen ist . . .«

»Ja«, rief von Thou mit immer feurigerer Beredsamkeit, »der Zweck ist edel und schön, wandeln Sie unerschütterlich Ihren Weg, verscheuchen Sie sogar jene geheime Scham, jene Scheu, die eine edle Seele empfindet, bevor sie sich zum Schmeicheln entschließt, um, wie es die Welt nennt, ihm den Hof zu machen. Ach! die Könige sind leider an jene beständigen Worte einer falschen Bewunderung ihrer Person gewöhnt, betrachten Sie dieselben als eine neue Sprache, die Sie lernen müssen als eine Ihren Lippen bisher völlig fremde Sprache, die man aber edel sprechen kann, glauben Sie mir, und die schöne und hochherzige Gedanken auszudrücken versteht.«

Während der begeisterten Rede seines Freundes konnte sich Cinq-Mars eines flüchtigen Errötens nicht erwehren und drückte sein Gesicht in das Kissen nach der Seite der Zeltleinwand hin, so daß er nicht gesehen werden konnte. Von Thou hielt inne:

»Was haben Sie, Henri? Sie antworten nicht; sollte ich mich in Ihnen getäuscht haben?«

Cinq-Mars seufzte tief und schwieg noch immer.

»Ist Ihr Herz nicht von den Ideen bewegt, für die ich es begeistern zu müssen glaubte?«

Der Verwundete schaute seinen Freund minder verwirrt an und entgegnete:

»Ich glaubte, lieber von Thou, Sie würden mich nicht mehr mit Fragen behelligen wollen und ein blindes Vertrauen in mich setzen. Welch ein böser Geist treibt Sie denn, meine Seele erforschen zu wollen? Die Ideen, welche Sie haben, sind mir nicht fremd. Wer sagt Ihnen, daß ich mich nicht wirklich mit solchen trage? Wer sagt Ihnen, daß ich nicht den festen Entschluß gefaßt habe, denselben in der Ausführung eine größere Ausdehnung zu geben, als Sie es in bloßen Worten wagen. Die Liebe zu Frankreich, der tugendhafte Haß gegen den Ehrgeizigen, der unser Vaterland bedrückt und seine alte Sitte mit dem Beil des Henkers zerstört, der feste Glauben, daß die Tugend so geschickt sein kann wie das Laster, das sind meine Götter, sind die nämlichen, denen auch Sie huldigen. Wenn Sie aber in einer Kirche einen Menschen knien sehen, fragen Sie ihn denn, welch ein Heiliger oder welcher Engel sein Gebet beschützt und empfange? Was liegt Ihnen daran, wenn er nur zu Füßen des Altars betet, wo auch Sie beten, wenn er nur nötigenfalls als Märtyrer zu fallen weiß? Ei, fragte man unsere Ahnen nach dem geheimen Gelübde, das sie ins gelobte Land führte, als sie mit bloßen Füßen und den Pilgerstab in der Hand zum heiligen Grab wallfahrteten? Sie kämpften, sie starben und die Menschen, vielleicht Gott sogar verlangte nicht mehr; ihr frommer Anführer ließ ihren Körper nicht untersuchen, um zu sehen, ob unter dem roten Kreuz und dem härenen Bußhemd nicht vielleicht ein anderes geheimnisvolles Zeichen verborgen läge; und im Himmel wurden sie ohne Zweifel nicht strenger gerichtet, wenn eine dem Christen erlaubte Hoffnung und ein dem sterblichen Herzen näher liegender Gedanke die Kraft ihrer Entschlüsse auf Erden stählte.«

Von Thou lächelte und schlug unter leichtem Erröten die Augen nieder.

»Mein Freund«, hob er wieder an, »diese Aufregung könnte Ihnen schaden, lassen wir diesen Gegenstand beiseite; ziehen wir nicht Gott und den Himmel in unsere Gespräche, weil sich das nicht gehört, und nehmen Sie Ihr Leintuch über Ihre Schulter, denn es ist kühl heute nacht. Ich verspreche Ihnen«, fügte er, seinen jungen Kranken mit mütterlicher Sorgfalt zudeckend, hinzu, »ich verspreche Ihnen, Sie durch meine Ratschläge nicht mehr zu erzürnen.«

»Ach!« rief Cinq-Mars ungeachtet des Verbotes zu sprechen, »ich, ich schwöre Ihnen bei dem goldenen Kreuze, das Sie da sehen, und bei der heiligen Maria, lieber zu sterben, als auf eben den Plan, den Sie mir vorgezeichnet haben, zu verzichten; Sie werden sich vielleicht einst genötigt sehen, mich zu bitten innezuhalten; doch es wird dann nicht mehr Zeit dazu sein.«

»Gut, gut, schlafen Sie«, wiederholte der Parlamentsrat; »halten Sie dann nicht inne, so helfe ich Ihnen handeln, wohin es mich auch führen mag.«

Und ein Meßbuch aus der Tasche ziehend, begann er aufmerksam darin zu lesen; nach einer Weile schaute er sich nach Cinq-Mars um, der noch nicht schlief; er machte Grandchamp ein Zeichen, um der Augen des Kranken willen die Lampe anders zu stellen, doch auch diese neue Sorgfalt hatte nicht besseren Erfolg; mit offenen Augen wälzte sich dieser unruhig auf seinem schmalen Lager.

»Ei, ei, Sie sind nicht sehr ruhig«, sagte von Thou lächelnd; »ich will Ihnen aus diesem Andachtsbuch vorlesen, damit Friede sich auf Ihren Geist senke. Ach, mein Freund, hier ist die wahre Ruhe, hier in diesem Trost- und Erbauungsbuche, denn öffnen Sie es wo Sie wollen, so werden Sie stets auf der einen Seite den Menschen in dem einzigen Zustande, der für seine Schwäche paßt, finden: im Gebet und in Ungewißheit seines Schicksals; und auf der anderen Seite Gott selbst zu ihm redend und seiner Gebrechlichkeit sich erbarmend. Welch ein prachtvolles und himmlisches Schauspiel! Welch erhabenes Band zwischen dem Himmel und der Erde! Leben, Tod und Ewigkeit stehen vor unseren Augen da; öffnen Sie's aufs Geratewohl.«

»Ach ja!« antwortete Cinq-Mars, sich wieder mit einer Lebhaftigkeit aufrichtend, die etwas Kindisches an sich hatte, »ja, das will ich, lassen Sie mich's öffnen: Sie kennen ja den alten Aberglauben unseres Landes? Wenn man ein Meßbuch mit dem Degen öffne, so soll die aufgeschlagene Seite links eine Prophezeiung des Schicksals dessen enthalten, der sie liest, und der erste Eintretende, nachdem er mit dem Lesen zu Ende ist, einen mächtigen Einfluß auf die Zukunft des Lesers ausüben.«

»Welche Kinderei! Doch meinetwegen. Da ist Ihr Degen; nehmen Sie die Spitze . . . wir wollen sehen . . .«

»Lassen Sie mich selbst lesen«, sagte Cinq-Mars, das Buch vom Rand seines Bettes nehmend.

Der alte Grandchamp streckte ernst sein sonnverbranntes Gesicht und seine grauen Haare über den unteren Rand des Bettes, um aufzuhorchen. Sein Gebieter las . . ., unterbrach sich beim ersten Satze, fuhr aber mit einem, vielleicht etwas erzwungenem Lächeln bis zum Ende der Seite fort.

  1. Sie kamen aber in der Stadt Mediolanum an.
  2. Und der Hohepriester sprach zu ihnen: Neigt euch und betet die Götter an.
  3. Und das Volk schwieg und schaute auf ihr Antlitz, die wie die Angesichter der Engel erschienen.
  4. Gervasius aber ergriff Protasius' Hand und rief mit gen Himmel gehobenen Augen und voll des heiligen Geistes:
  5. O mein Bruder! Ich sehe des Menschen Lohn, der uns zulächelt; laß mich der erste sterben.
  6. Denn sähe ich dein Blut, so würde ich fürchten, Tränen zu vergießen, welche des Herrn, unseres Gottes, unwürdig sind.
  7. Protasius aber antwortete ihm und sprach:
  8. Mein Bruder, es ist gerecht, daß ich nach dir sterbe, denn ich bin dir an Jahren überlegen und so auch an Kraft, dich leiden zu sehen.
  9. Die Senatoren aber und das Volk knirschten mit den Zähnen.
  10. Und nachdem die Soldaten sie gegeißelt hatten, fielen ihre Häupter miteinander auf dem nämlichen Stein.
  11. Und es geschah, daß der heilige Ambrosius auf dieser Stätte die Asche der beiden Märtyrer fand, diese aber verlieh einem Blinden das Gesicht wieder.

»Wohlan«, sagte jetzt Cinq-Mars, seinen Freund anblickend, »was antworten Sie mir auf das?«

»Gottes Wille geschehe; wir sollen ihn aber nicht erforschen wollen.«

»Noch um eines Kinderspiels willen in unseren Entschlüssen wankend werden«, versetzte d'Effiat mit Ungeduld und sich in einen über ihn geworfenen Mantel hüllend. »Erinnern Sie sich der Verse, die wir ehemals hersagten: Justum et tenacem propositi virum . . . diese gewichtigen Worte haben sich meinem Kopfe eingeprägt. Ja und stürzte das Weltall um mich ein, so werde ich unerschütterlich auf seinen Trümmern stehen.«

»Stellen wir menschliche Pläne nicht den Plänen des Himmels zur Seite und unterwerfen wir uns seinem heiligen Willen«, entgegnete von Thou ernst.

»Amen«, sagte der alte Grandchamp, dessen Augen sich mit Tränen gefüllt hatten, die er schnell abwischte.

»In was mischest du dich, alter Soldat: du weinst?« sagte sein Gebieter.

»Amen«, ließ sich am Eingange des Zeltes eine näselnde Stimme vernehmen.

»Parbleu, mein Herr, tun Sie diese Frage lieber an die graue Eminenz, die hier zu Ihnen kommt«, antwortete der treue Diener, auf Joseph deutend, der sich mit gekreuzten Armen näherte und mit einschmeichelnder Miene verbeugte.

»So, also der wird es sein!« murmelte Cinq-Mars.

»Ich komme vielleicht ungelegen«, begann Joseph sanft.

»Sehr gelegen vielleicht«, sagte Henri d'Effiat, von Thou einen lächelnden Blick zuwerfend. »Was kann Sie um ein Uhr morgens hierherführen, mein Vater? Wohl ein gutes Werk?«

Joseph bemerkte, daß ihm ein schlechter Empfang zuteil wurde, und da er nie etwas unternahm, ohne fünf bis sechs Einwendungen für die Leute, an die er sich machte, und ebensoviel Hilfsquellen, um sich aus der Sache zu ziehen, in Bereitschaft zu halten, so glaubte er hier den Zweck seines Besuches entdeckt und fühlte, daß er nicht den Augenblick übler Laune ergreifen müsse, um ein freundschaftliches Verhältnis einzuleiten. Indem er sich daher ziemlich kalt an das Bett des Verwundeten setzte, fuhr er fort:

»Mein Herr, ich komme im Auftrag des Kardinal-Generalissimus, mit Ihnen wegen der zwei spanischen Gefangenen zu sprechen, die Sie gemacht haben; er wünscht möglichst schnelle Mitteilungen über sie; ich soll sie sehen und verhören. Ich dachte aber nicht, Sie selbst noch wach zu finden, und wollte nur Ihre Leute bitten, mir dieselben vorzuführen.«

Nach einem Austausch erzwungener Höflichkeiten hieß man die beiden Gefangenen, die Cinq-Mars beinahe vergessen hatte, in das Zelt treten. Sie erschienen; der eine ein junger Mann, der eine lebhafte und etwas wilde Physiognomie zeigte, war der Soldat; der andere, der seine Gestalt unter einem braunen Mantel und seine düsteren, in ihrem Ausdruck aber zweideutigen Züge unter dem Schatten seines breitkrämpigen Hutes, den er nicht abzog, verbarg, war der Offizier; er redete allein und zuerst:

»Warum heißt Ihr mich mein Stroh verlassen und meinen Schlaf unterbrechen? Beabsichtigt Ihr mir die Freiheit zu geben oder mich zu hängen?«

»Keines von beiden«, entgegnete Joseph.

»Was hab' ich mit dir zu schaffen, du langbärtiger Kerl? Ich sah dich nicht bei der Erstürmung der Bastei.«

Es bedurfte nach diesem liebenswürdigen Eingang einiger Zeit, dem Fremden begreiflich zu machen, daß ein Kapuziner das Recht habe, ihn zu verhören.

»Wohlan«, sagte er, »was willst du denn?«

»Ich will Euren Namen und Euer Vaterland wissen.«

»Meinen Namen sage ich nicht, und was mein Vaterland betrifft, so sehe ich einem Spanier gleich, bin aber vielleicht keiner, denn ein Spanier ist es nie.«

Pater Joseph wandte sich gegen die beiden Freunde und sagte: »Ich müßte mich sehr irren, wenn ich den Ton dieser Stimme nicht schon irgendwo gehört hätte; dieser Mann sprach Französisch ohne allen fremdartigen Akzent, doch scheint mir's, er wolle nach der Sitte des Orients in Rätseln zu uns sprechen.«

»Des Orients? Richtig«, entgegnete der Gefangene, »ein Spanier ist ein Mann aus dem Orient, ist ein katholischer Türke; sein Blut schleicht entweder träg durch die Adern oder siedet, er ist faul oder unermüdlich; die Gleichgültigkeit macht ihn zum Sklaven, die Hitze grausam; verstockt in seiner Unwissenheit, sinnig in seinem Aberglauben, verlangt er nur ein religiöses Buch, nur einen tyrannischen Herrn; er gehorcht dem Gesetz des Scheiterhaufens, er befiehlt durch das des Dolches und schläft abends in seinem blutigen Elend ein, vom Fanatismus berauscht und von Verbrechen träumend. Wer ist das, mein Herr? ist es der Spanier oder der Türke? Raten Sie. Hahaha, Sie scheinen mich witzig zu finden, weil ich hier eine Verwandtschaft treffe. Wahrlich, meine Herren, Sie erweisen mir viel Ehre und doch könnte sich die Idee, wenn man wollte, weiterspinnen lassen; würde ich zum Beispiel aufs Physische übergehen, könnte ich da nicht sagen: dieser Mann hat ernste Züge, ein längliches Gesicht, ein schwarzes, mandelförmig geschlitztes Auge, harte Augenbrauen, einen düsteren und beweglichen Mund, sonnverbrannte, magere und gerunzelte Wangen, den geschorenen Kopf bedeckt er mit einem turbanartig geknüpften Sacktuch; er bringt den ganzen Tag, ohne eine Bewegung zu machen, ohne ein Wort zu reden, liegend oder stehend unter einer brennenden Sonne zu und raucht nur einen berauschenden Tabak. Ist das ein Türke oder ein Spanier? Sind Sie zufrieden, meine Herren? Wahrlich, das scheinen Sie mir, Sie lachen und worüber lachen Sie? Ich, der ich Ihnen nur diese Idee vorgeführt habe, ich habe nicht gelacht: sehen Sie, mein Gesicht ist traurig. Ach! Sie lachen vielleicht, weil der düstere Gefangene plötzlich geschwätzig geworden ist und schnell spricht? Ha! das tut nichts; ich könnte Ihnen noch ganz anderes sagen und Ihnen einige Dienste erweisen, meine wackeren Freunde. Würde ich zum Beispiel in Anekdoten hineingeraten, so könnte ich Ihnen sagen, daß ich einen Priester kenne, der vor dem Messelesen den Tod einiger Ketzer angeordnet hatte, und dann wütend, während des heiligen Opfers am Altare unterbrochen zu werden, denen, die seine Befehle einholten, zurief: Tötet alle, tötet alle! Würden Sie wohl alle lachen, meine Herren? Nein, nicht alle. Der Herr da zum Beispiel würde sich in die Lippe und den Bart beißen. O! es ist wahr, er könnte antworten, daß er nur klug gehandelt habe und daß man unrecht tat, sein reines Gebet zu unterbrechen. Wenn ich aber hinzufügen würde, daß er sich eine Stunde lang hinter der Leinwand Ihres Zeltes verborgen hatte, um Ihre Gespräche zu belauschen, Herr von Cinq-Mars, und daß er nicht meinetwegen gekommen ist, sondern um eine Schurkerei an Ihnen auszuüben, was würde er dazu sagen? Sind Sie jetzt zufrieden, meine Herren? Kann ich mich nach diesem Possenspiel entfernen?«

Der Gefangene hatte alles dieses mit der Geläufigkeit eines Marktschreiers und mit so lauter Stimme vorgetragen, daß Joseph ganz davon betäubt ward. Er stand endlich entrüstet auf und sagte, zu Cinq-Mars gewandt:

»Wie können Sie dulden, mein Herr, daß ein Gefangener, der gehängt werden sollte, sich eine solche Sprache gegen Sie erlaubt?«

Der Spanier aber würdigte ihn keines weiteren Wortes, sondern beugte sich zu d'Effiat hinab und flüsterte ihm ins Ohr:

»Es kann Ihnen nichts an mir gelegen sein, schenken Sie mir die Freiheit; ich hätte sie mir schon verschaffen können, wollte es aber nicht ohne Ihre Einwilligung tun; schenken Sie mir dieselbe oder lassen Sie mich töten.«

»Entfliehen Sie, wenn Sie können«, antwortete ihm Cinq-Mars, »ich schwöre Ihnen, das wäre mir sehr lieb.«

Und er befahl seinen Leuten, sich mit dem Soldaten, den er in seinem Dienst behalten wollte, zu entfernen.

Es war die Sache eines Augenblicks, und jetzt befand sich niemand mehr in dem Zelte als die beiden Freunde, der aus der Fassung gekommene Joseph und der Spanier; dieser letztere aber zeigte, seinen Hut abnehmend, ein französisches, jedoch wildes Gesicht; er lachte und seine breite Brust schien sich gewaltiger zu heben.

»Ja, ich bin ein Franzose«, redete er Joseph an; »allein ich hasse Frankreich, weil es meinem Vater, der ein Ungeheuer ist, und mir, der ich eines geworden bin, indem ich einst Hand an ihn legte, das Leben gegeben hat; ich hasse seine Bewohner, weil sie mir mein ganzes Vermögen im Spiel abgestohlen haben, und ich seither auch sie bestohlen und getötet habe; ich war zwei Jahre lang Spanier, um mehr Franzosen hinzuwürgen; doch jetzt hasse ich Spanien noch mehr, man soll aber nie erfahren, warum. Lebt wohl, ich will fortan keiner Nation mehr angehören; alle Menschen sind meine Feinde. Fahre fort, Joseph, und du wirst bald sein, was ich bin. Ja, du hast mich früher schon gesehen«, fuhr er fort, ihn heftig bei der Brust packend und umwerfend . . . »ich bin Jacques von Laubardemont, der Sohn deines würdigen Freundes.«

Mit diesen Worten verließ er rasch das Zelt und verschwand gleich einer in Nebel zerfließenden Erscheinung. Von Thou und die Lakaien, die an den Eingang gerannt waren, sahen ihn mit zwei Sprüngen einen staunenden Soldaten überrennen, entwaffnen und trotz einiger ihm nutzlos nachgesandter Musketenschüsse mit der Schnelligkeit eines Hirsches dem Gebirge zueilen. Joseph machte sich die Unordnung zunutze, um, einige höfliche Worte stammelnd, zu entwischen; die beiden Freunde aber lachten über sein Abenteuer und sein kleinlautes Benehmen am Ende, wie zwei Schüler lachen, wenn sie die Brille ihres Pädagogen von dessen Nase fallen sehen, und schickten sich endlich an, den Schlaf zu suchen, dessen sie beide bedurften und den sie, der Verwundete in seinem Bett und der junge Parlamentsrat im Lehnstuhl, auch bald fanden.

Der Kapuziner dagegen schlug den Weg nach seinem Zelte ein und überlegte, wie er sich für dieses alles am besten rächen könnte, als er Laubardemont antraf, der die junge Wahnsinnige an ihren geknebelten Händen nach sich schleppte. Sie erzählten sich gegenseitig ihre fürchterlichen Begegnisse.

Es machte Joseph kein geringes Vergnügen, den Dolch in der Wunde des Vaterherzens umzuwenden, indem er Laubardemont das Schicksal seines Sohnes mitteilte.

»Sie sind gerade nicht glücklich in Ihrem Innern«, fügte er hinzu, »ich rate Ihnen, Ihre Nichte einsperren und Ihren Erben hängen zu lassen, wenn Sie das Glück haben sollten, ihn wiederzufinden.«

Laubardemont lachte satanisch.

»Was diese kleine Närrin da betrifft«, sagte er, »so will ich die einem ehemaligen Geheimrichter, der jetzt Schmuggler in Oleron in den Pyrenäen ist, übergeben; er kann dann mit ihr anfangen was er will, sie zum Beispiel zur Magd in seiner posada machen, das kümmert mich wenig, wenn nur der gnädige Herr nichts mehr von ihr erfährt.«

Johanna de Belfiel stand währenddes mit gesenktem Haupte da und gab kein Zeichen, daß sie etwas von dem, was geredet wurde, verstehe; jeder Strahl von Vernunft war in ihr erloschen und nur ein einziges Wort auf ihren Lippen geblieben, das sie fortwährend wiederholte.

»Der Richter! der Richter! der Richter!« sagte sie fortwährend leise.

Endlich schwieg sie. Ihr Oheim und Joseph luden sie fast wie einen Sack Getreide auf eines der Pferde, die zwei Bediente heranbrachten; Laubardemont bestieg das andere und schickte sich an, das Lager zu verlassen, indem er vor Tagesanbruch im Gebirge sein wollte.

»Glückliche Reise!« sagte er zu Joseph, »machen Sie gute Geschäfte in Paris und lassen Sie sich Orestes und Pylades bestens empfohlen sein.«

»Glückliche Reise!« antwortete dieser, »und Sie lassen sich Kassandra und Ödypus empfohlen sein.«

»O! er hat weder seinen Vater getötet noch seine Mutter geheiratet . . .«

»Ist aber auf gutem Wege zu solchen artigen Späßen.«

»Lebt wohl, ehrwürdiger Vater!«

»Lebt wohl, mein verehrungswürdiger Freund!«

Sagten sie laut; – leise aber für sich:

»Leb' wohl, Mörder in der grauen Kutte; ich werde während deiner Abwesenheit das Ohr des Kardinals wieder erreichen.«

»Leb' wohl, Bösewicht im roten Rock; geh' und zerstöre eigenhändig deine verfluchte Familie; vergieße dein Blut in den anderen vollends: was davon in dir selbst übrig bleibt, will ich schon über mich nehmen . . . Ich reise jetzt. Das ist eine gut ausgefüllte Nacht!«

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