Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Fünftes Kapitel. Der Märtyrer

Die nicht unterbrochene Teilnahme an diesem Halb-Prozesse, das Gepränge und die Unterbrechungen desselben, alles hatte die allgemeine Aufmerksamkeit so wach erhalten, daß sich keine einzelne Unterhaltung anknüpfen ließ. Einige gleichzeitige Rufe waren ausgestoßen worden, ohne daß indes irgend einer der Zuschauer sich um den Eindruck, den dies alles auf seinen Nachbar hervorbrachte, bekümmerte. Sobald jedoch das Publikum sich selbst überlassen war, entstand gleichsam eine Explosion des lärmenden Geschwätzes. Man unterschied in diesem Chaos mehrere Stimmen, die das allgemeine Getöse übertönten, wie ein Trompetergeschmetter den anhaltenden Baß eines Orchesters.

Zu jener Zeit lag in den Leuten vom Volke noch kindliche Einfalt genug, um sich durch die mysteriösen Fabeln der dieselben fabrizierenden Agenten so überzeugen zu lassen, daß sie auch über Augenscheinliches kein Urteil wagten, und so erwartete denn die Mehrzahl die Zurückkunft der Richter mit Schrecken, indem sie sich halblaut und mit einer gewissen Miene, die gewöhnlich der Stempel furchtsamer Dummheit ist, vernehmen ließ:

»Man weiß nicht, was man davon denken soll, mein Herr!«

»Wahrlich, Madame, es gehen außerordentliche Dinge vor!«

»Wir leben in einer sonderbaren Zeit!«

»Ich habe wohl etwas Derartiges geahnt, aber, meiner Treu, ich mochte nichts verlauten lassen und tue es auch jetzt noch nicht!«

»Die Zeit wird lehren!«

Dieses und noch mehr dergleichen einfältiges Zeug, welches beweist, daß die Menge sich dem ersten besten zuneigt, der sie stark zu ergreifen weiß, bildete den anhaltenden Baß, während man auf der Seite der schwarzgekleideten Gruppe ganz andere Dinge hören konnte.

»Wir sollten so mit uns verfahren lassen? Wie, die Kühnheit so weit treiben, unseren Brief an den König zu verbrennen! Wenn der König das wüßte! –«

»Die Barbaren! Die Betrüger! Wie geschickt ihr Komplott geschmiedet ist! Soll der Mord vor unseren Augen begangen werden? Sollten wir uns vor diesen Häschern fürchten?«

»Nein, nein, nein.«

Das waren die Trompeten und der Diskant dieses lärmenden Orchesters.

Man bemerkte den jungen Advokaten, der, auf eine Bank steigend, ein Heft in tausend Stücke zu zerreißen begann, dann die Stimme erhob und rief:

»Ja, ich zerreiße das Plädoyer, das ich zugunsten des Angeklagten aufgesetzt hatte, und gebe es den Winden preis; die Debatten sind weggelassen worden und es wird mir nicht gestattet, für ihn zu reden; ich kann nur zu dir reden, Volk, und ich wünsche mir Glück dazu. Du hast sie gesehen, die niederträchtigen Richter; welcher von ihnen kann noch die Wahrheit hören? Welcher von ihnen ist noch würdig, einen rechtschaffenen Mann anzuhören? Welcher von ihnen wird seinen Blick auszuhalten wagen? Was sag' ich! Sie kennen sie vollständig, die Wahrheit, sie tragen sie in ihrer strafbaren Brust, sie nagt gleich einer Schlange an ihrem Herzen; sie zittern in ihrem Schlupfwinkel, wo sie ohne Zweifel ihr Opfer vernichten; sie zittern, weil sie den Wehruf dreier mißbrauchter Frauen gehört haben. Ach, was gedachte ich zu tun? Ich wollte für Urbain Grandier sprechen! Welche Beredsamkeit wäre der dieser Unglücklichen gleichgekommen? Welche Worte hätten seine Unschuld klarer erkennen lassen? Der Himmel hat sich für ihn bewaffnet, indem er die Nonnen zu Reue und Hingebung trieb, der Himmel wird sein Werk vollenden . . .«

»Vade retro, Satanas!« ließen sich durch ein offenstehendes Fenster in ziemlicher Höhe mehrere Stimmen vernehmen.

Fournier hielt einen Augenblick inne.

»Hört ihr«, hob er dann wieder an, »diese Stimmen, welche die göttliche Sprache heuchlerisch nachahmen? Ich müßte mich sehr irren, wenn durch solch einen Gesang diese Werkzeuge einer höllischen Macht nicht einen neuen Spuk vorbereiteten.«

»Aber«, riefen die Umstehenden alle, »so leiten Sie uns an; was sollen wir tun? Was haben sie mit ihm angefangen?«

»Bleibt hier, verhaltet euch unbeweglich, still«, antwortete der junge Advokat, »die Untätigkeit eines Volkes ist allmächtig, sie ist seine Weisheit, ist seine Stärke. Seid schweigende Zuschauer und ihr macht zittern.«

»Sie wagen gewiß nicht, wieder zu erscheinen«, sagte der Graf du Lude.

»Ich möchte nur jenen roten Erzspitzbuben noch einmal sehen«, sagte Grand-Ferré, dem nichts entgangen war.

»Und den guten Herrn Pfarrer«, murmelte der alte Vater Guillaume Leroux, seine aufgebrachten Söhne und Neffen anschauend, welche untereinander flüsterten, die Häscher mit stolzen Blicken maßen und zählten. Ja, sie machten sich sogar über deren Anzug lustig und begannen mit Fingern auf sie zu deuten.

Beständig an den Pfeiler gelehnt, hinter den er sich gleich von Anfang an gestellt, und immer in seinen schwarzen Mantel gehüllt, wandte Cinq-Mars kein Auge von den Vorgängen ab, verlor kein Wort von dem, was geredet wurde, und füllte sein Herz mit Bitterkeit und Galle an; ein brennendes Verlangen nach Mord und Rache, eine unbestimmte Lust, dreinzuschlagen, ergriffen ihn wider Willen; es ist dies der erste Eindruck, den das Böse auf die Seele eines Jünglings macht; später tritt Traurigkeit und noch später Gleichgültigkeit und Verachtung an die Stelle des Zornes; zuletzt zeigt sich sogar eine berechnete Bewunderung der großen Bösewichter und ihres Gelingens, aber dann hat von den beiden Elementen des Menschen die Niederträchtigkeit den Sieg über die Seele davongetragen.

Indes schien sich auf der rechten Seite des Saales nahe an der für die Richter angebrachten Erhöhung, eine Gruppe Weiber mit einem ungefähr achtjährigen Kinde besonders zu beschäftigen. Der Kleine hatte den Einfall gehabt, mit Hilfe der Arme seiner Schwester Martine, mit der wir den jungen Soldaten Grand-Ferré so plumpen Scherz treiben hörten, ein Fenstergesimse zu ersteigen. Als es nach der Entfernung der Richter nichts mehr für ihn zu sehen gab, hatte er sich mit Händen und Füßen zu einer kleinen Luke emporgearbeitet, durch die nur ein ganz schwaches Licht fiel und wo er ein Schwalbennest oder irgend einen anderen Schatz für sein Alter zu finden hoffte. Als er jedoch mit beiden Füßen fest auf einem Mauerkranze stand und sich mit den Händen an der Gitterstange eines ehemaligen Reliquienkastens des heiligen Hieronymus hielt, hätte er sich weit von dort weggewünscht und schrie:

»O, Schwester, Schwester, gib mir die Hand, daß ich herabsteigen kann.«

»Was siehst du denn?« rief Martine.

»O, ich darf es nicht sagen; aber ich will herab.«

Und er fing an zu weinen.

»Bleib', bleib'«, sagten die Weiber alle, »bleib' und fürchte dich nicht, Kind, und sag' uns alles, was du siehst.«

»Nun denn! Man hat den Pfarrer zwischen zwei große Bretter gelegt, die ihm die Beine zusammenpressen, und um die Bretter herum sind Stricke befestigt.«

»Ach, das ist die peinliche Frage«, sagte ein Bewohner der Stadt. »Schau' recht, mein Freund, was siehst du weiter?«

Das beruhigte Kind stellte sich jetzt mit mehr Zuversicht an die Lücke und fuhr dann, den Kopf zurückziehend, fort:

»Ich sehe den Pfarrer nicht mehr, weil alle Richter um ihn herumstehen und ihn anschauen, und so verhindern mich ihre großen Röcke, ihn zu sehen. Es bücken sich auch Kapuziner zu ihm herab und reden leise mit ihm.«

Die Neugier versammelte noch mehr Leute zu den Füßen des Knaben und jeder winkte Stille zu, während man mit einer Angst auf des Knaben erstes Wort harrte, als hätte eines jeden Leben davon abgehangen.

»Ich sehe«, begann er wieder, »den Henker, der vier Holzblöcke zwischen die Stricke stemmt und jetzt die Hämmer und Nägel nimmt, welche die Kapuziner soeben gesegnet haben . . . Ach, mein Gott! Schwester, wie sie ergrimmt auf ihn scheinen, weil er nicht redet . . . Mutter, Mutter, gib mir die Hand, ich will herunter.«

Als sich das Kind umwandte, sah es statt seiner Mutter nur männliche Gesichter, die traurig und mit gespannter Neugier zu ihm aufblickten und ihm fortzufahren winkten. Er wagte nicht, herabzusteigen, und stellte sich zitternd wieder vor die Luke.

»O, ich sehe den Pater Lactance und den Pater Barré, die ebenfalls noch andere Stücke Holz einstemmen, um seine Beine recht zu pressen. O, wie bleich er ist! Er scheint zu beten; jetzt fällt sein Kopf zurück, wie wenn er sterben wollte. Ach, helft mir da weg . . .«

Und er fiel dem jungen Advokaten, Herrn du Lude und Cinq-Mars in die Arme, die sich genähert hatten, um ihn aufzufangen.

»Deus stetit in synagoga deorum: in medio autem Deus dijudicat . . .« sangen starke und näselnde Stimmen, die durch das kleine Fensterchen drangen; eine geraume Zeitlang setzten sie einen Choral von Psalmen fort, zwischen dem hie und da Hammerschläge ertönten, so daß die höllische Arbeit gleichsam den Takt zu den himmlischen Gesängen bildete. Man hätte sich in der Nähe einer Schmiede wähnen können, allein die Schläge waren dumpf und ließen deutlich vernehmen, daß ein Menschenkörper der Amboß war.

»Still!« sagte Fournier, »er redet; die Gesänge und die Schläge schweigen.«

Wirklich hörte man auch eine schwache Stimme langsam sagen:

»O meine Väter, mildert die Härte eurer Qualen, denn ihr brächtet meine Seele zur Verzweiflung und ich würde suchen, mir mit eigener Hand den Tod zu geben.«

Bei diesen Worten bricht das Volk in ein fürchterliches Geschrei aus, das schauerlich an der Wölbung widerhallte; wütend werfen sich die Männer auf die Estrade und nehmen sie den erstaunten und zaudernden Häschern im Sturm weg; die wehrlose Menge stößt, quetscht diese, drückt sie an die Mauern und hält ihnen die Arme, um jede Bewegung zu verhindern; scharenweise stürzt man sich nun auf die Türen, die in die Folterkammer führen, und während diese unter der Wucht der gegen sie geführten Schläge brachen, droht man, sie zu sprengen: die Schmähungen, die von tausend furchtbaren Stimmen erschallen, erfüllen die Richter innerhalb derselben mit Entsetzen.

»Sie sind fort, sie haben ihn mitgenommen«, ruft einer.

Sogleich hält alles inne und, die Richtung ändernd, entflieht die Menge diesem abscheulichen Ort und verbreitet sich schleunig durch die Straßen. Eine merkwürdige Verwirrung herrschte.

Während der langen Sitzung war die Nacht hereingebrochen und der Himmel entsandte Ströme von Regen. Ringsum grause Dunkelheit, das Geschrei der auf dem Pflaster ausgleitenden oder von den Pferden der Garden niedergetretenen Weiber, das dumpfe und gleichzeitige Geschrei der wieder versammelten wütenden Männer, das fortwährende Geklingel der Glocken, die mit dem wiederholten Anschlagen der Sterbeglocke die Hinrichtung ankündigten, das Rollen fernen Donners, alles trug zur Vermehrung der Unordnung bei.

War das Ohr erstaunt, so waren es die Augen nicht weniger. Einige düster brennende Fackeln an den Straßenecken warfen ein wunderliches Licht von sich und zeigten berittene Bewaffnete, die im Galopp über die Menge wegsetzten und manche unter den Hufen ihrer Pferde zertraten; sie eilten dem Sankt Petersplatze, als ihrem Versammlungsorte zu, und mancher Ziegelstein, der ihnen nachgeschleudert wurde, den sich entfernenden Schuldigen jedoch nicht erreichen konnte, fiel auf den unschuldigen Zunächststehenden. Die ohnedies arge Verwirrung wurde noch größer, als, von allen Straßen her auf den St. Petersmarktplatz strömend, das Volk denselben von allen Seiten verbarrikadiert und mit berittenen Wachen und Häschern besetzt fand. Aneinander gebundene Karren an den Straßenenden verschlossen alle Zugänge, und mit Büchsen bewaffnete Schildwachen standen daneben. In der Mitte des Platzes erhob sich ein Scheiterhaufen, dessen ungeheure Balken, immer einer über den anderen gelegt, ein vollkommenes Viereck bildeten; ein weißeres und leichteres Holzwerk war über dasselbe hingebreitet, und ein ungeheurer Pfahl ragte vom Mittelpunkt dieses Schafotts in die Höhe. Neben dieser Art Mastbaum, den man von weitem sehen konnte, stand ein rotgekleideter Mann mit einer Fackel in der Hand, die er zur Erde senkte. Eine ungeheure, des Regens wegen mit Eisenblech bedeckte Kohlenpfanne befand sich zu seinen Füßen.

Bei diesem Anblick stellte das Entsetzen überall wieder die tiefste Stille her; einen Augenblick lang hörte man nur noch das Geplätscher des in Strömen fallenden Regens und das Rollen des nahenden Donners.

In Begleitung der Herrn du Lude und Fournier und der übrigen wichtigsten Personen hatte Cinq-Mars indessen unter der Säulenhalle der Kirche von Sainte-Croix, zu der zwanzig steinerne Stufen hinanführten, vor dem Gewitter Schutz gesucht. Der Scheiterhaufen befand sich gegenüber, und von dieser Höhe herab konnte man den Platz in seinem ganzen Umfang überblicken. Er war gänzlich leer und nur von breiten Wasserbächen durchschnitten; allein die Fenster der umliegenden Häuser erhellten sich allmählich und ließen in dunkeln Umrissen Männer und Frauen erkennen, die sich den Ballons zudrängten.

Der junge d'Effiat schaute traurig auf diese drohenden Zurüstungen hin; in ehrenwerten Gesinnungen auferzogen und weit entfernt von allen jenen schwarzen Gedanken, die Haß und Ehrgeiz in dem Herzen des Menschen entstehen lassen können, begriff er nicht, daß man ohne irgend einen mächtigen und geheimen Beweggrund imstande sein solle, so viel Böses zu tun; die Kühnheit einer solchen Verurteilung erschien ihm so unglaublich, daß ihre Grausamkeit sogar sie in seinen Augen zu rechtfertigen begann; ein geheimer Schauer, der nämliche, der dem Volke Schweigen auferlegte, glitt in seine Seele; er vergaß beinahe, welche Teilnahme ihm der unglückliche Urbain eingeflößt hatte, um sich zu fragen, ob möglicherweise nicht irgend ein geheimes Einverständnis mit der Hölle gerade diese so ausnehmende Strenge hervorgerufen haben könnte; und die öffentlichen Erklärungen der Nonnen sowohl als die Erzählungen seines ehrenwerten Erziehers traten in seinem Gedächtnis in den Hintergrund. So mächtig wirkt der Erfolg selbst in den Augen der Gebildeten, so sehr imponiert die Kraft dem Menschen ungeachtet der Stimme seines Gewissens!

Der junge Reisende fragte sich schon, ob vielleicht die Folter dem Angeklagten nicht irgend ein abscheuliches Geständnis entlockt habe, als die Dunkelheit, in der sich die Kirche befand, plötzlich wich, die beiden Kirchentüren geöffnet wurden und beim Schein einer zahllosen Menge von Fackeln alle Richter und Geistlichen, von Wachen umgeben, erschienen; in ihrer Mitte befand sich Urbain, von sechs schwarzen Büßern unterstützt oder vielmehr getragen, denn seine schlaff herabhängenden und mit blutigen Binden umwickelten Beine schienen gebrochen und unfähig, ihn zu tragen. Cinq-Mars hatte ihn seit höchstens zwei Stunden nicht mehr gesehen, und doch konnte er nur mit Mühe das Gesicht wiedererkennen, das er im Gerichtssaale so teilnehmend angeblickt hatte: alle Farbe, alle Fülle war daraus verschwunden, Totenblässe überzog eine gelbe und wie Elfenbein glänzende Haut; das Blut schien aus allen seinen Adern zurückgetreten zu sein; nur in seinen schwarzen Augen, die zweimal größer geworden schienen und rings umherschweiften, war noch Leben geblieben; seine braunen Haare fielen wirr auf seinen Hals und auf ein weißes Hemd, das ihm vom Kopf bis zu den Füßen reichte; diese Art Rock mit weiten Ärmeln hatte eine gelbliche Farbe und einen Schwefelgeruch; ein langer und starker Strick umschloß seinen Hals und fiel ihm auf die Brust hinab. Er glich einem Gespenst, aber dem Gespenst eines Märtyrers.

Urbain stand still oder man hielt vielmehr unter der Säulenhalle der Kirche mit ihm an; der Kapuziner Lactance legte ihm eine brennende Fackel in die rechte Hand, half sie ihm halten und sagte mit unbeugsamer Härte:

»Tue Kirchenbuße und bitte Gott um Verzeihung für dein Verbrechen der Zauberei.«

Der Unglückliche erhob mühsam die Stimme und sagte mit zum Himmel gerichteten Augen:

»Im Namen des lebendigen Gottes fordere ich dich, Laubardemont, pflichtvergessener Richter, innerhalb drei Jahren vor Gottes Gericht! Man hat meinen Beichtvater entfernt und ich war gezwungen, das Bekenntnis meiner Fehler in Gottes Schoß selbst zu ergießen, denn nur Feinde umringen mich. Ich rufe daher den barmherzigen Gott zum Zeugen an, daß ich mich nie der Zauberei schuldig gemacht und keine anderen Mysterien gekannt habe, als die der katholischen, apostolischen, römischen Kirche, in welcher ich sterbe; ich habe viel gesündigt gegen mich, aber nie gegen Gott und unseren Herrn und Heiland . . .«

»Vollende nicht!« rief der Kapuziner, indem er sich stellte, als wollte er ihm den Mund schließen, bevor er den Namen des Erlösers ausspräche; »hartgesottener Sünder, kehre zu dem Teufel zurück, der dich gesandt hat.«

Er winkte vier Priestern, die, mit Weihwedeln herantretend, die Luft, die der Zauberer atmete, den Boden, den er berührte, und das Holz, auf dem er verbrennen sollte, mit Weihwasser besprengten, um sie vor dem Einfluß böser Dämonen zu bewahren. Während dieser Zeremonie las der Kriminalrichter in Eile das Urteil, das sich heutigestags noch unter den Akten dieses Prozesses vorfindet, vom 18. August 1639 datiert ist und Urbain Grandier als des Verbrechens der Zauberei, des Schadens durch dieselbe, des Behexens der Ursulinerinnen von Loudun und anderer Weltlichen usf. schuldig und überwiesen erklärt.

Geblendet durch einen Blitzstrahl, hielt der Vorleser einen Augenblick inne und wandte sich an Herrn von Laubardemont mit der Frage, ob man in Anbetracht des Unwetters nicht gut täte, die Hinrichtung auf den folgenden Tag zu verschieben, worauf dieser antwortete:

»Das Urteil lautet auf Vollziehung innerhalb vierundzwanzig Stunden; fürchten Sie dieses ungläubige Volk nicht: es soll sich überzeugen . . .«

Die angesehensten Personen alle und viele Fremden, die sich unter der Säulenhalle befanden, traten jetzt vor, Cinq-Mars mit ihnen.

». . . Der Zauberer hat den Namen des Erlösers nie auszusprechen vermocht und sein Bild stets von sich gewiesen.«

In diesem Augenblick trat Lactance aus der Mitte der Büßermönche, in der Hand ein ungeheures eisernes Kruzifix, das er behutsam und voll Ehrfurcht zu halten schien; er brachte es an die Lippen des armen Sünders, der sich auch wirklich zurückwarf und, alle seine Kräfte zusammenraffend, mit dem Arm eine Bewegung machte, durch die es den Händen des Kapuziners entfiel.

»Ihr seht es«, schrie dieser, »er hat das Kruzifix zu Boden geworfen.«

Es entstand ein zweideutiges Gemurmel.

»Gotteslästerung!« schrien die Priester.

Man näherte sich dem Scheiterhaufen.

Hinter einen Pfeiler schlüpfend, hatte Cinq-Mars alles mit gespannter Aufmerksamkeit beobachtet; zu seinem Erstaunen sah er nun, daß das Kruzifix, das, auf die steinernen Stufen fallend, dem Regen jetzt mehr ausgesetzt war als auf der Terrasse, rauchte und das Zischen glühenden Eisens, das in Wasser getaucht ward, vernehmen ließ. Während die öffentliche Aufmerksamkeit sich anderswohin richtete, trat er vor und berührte es mit der Hand, an der er sogleich ein schmerzendes Brandmal empfing. Von Entrüstung ergriffen und mit der ganzen Wut eines redlichen Herzens faßt er das Kruzifix mit den Falten seines Mantels an, eilt auf Laubardemont zu und ruft, ihm einen Schlag auf die Stirn damit versetzend:

»Bösewicht, trage das Mal dieses glühenden Eisens!«

Die Menge hörte dies Wort und stürzte ebenfalls auf ihn zu.

»Verhaftet diesen Wahnsinnigen«, befahl vergeblich die unwürdige Magistratsperson.

Er selbst fühlte sich von Männern gepackt, die schrien:

»Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, im Namen des Königs!«

»Wir sind verloren«, sagte Lactance; »zum Scheiterhaufen! zum Scheiterhaufen!«

Die Büßermönche schleppten Urbain auf den Platz, während die Richter und Häscher, sich gegen die wütenden Bürger zur Wehr setzend, in die Kirche zurückflüchteten: ohne Zeit zu haben, sein Opfer anzubinden, beeilte sich der Henker, dasselbe auf das Holz zu legen und den Scheiterhaufen anzuzünden. Allein der Regen fiel stromweise, und kaum entflammt, erlosch rauchend jeder Ballen wieder. Vergeblich schürten Lactance und die anderen Mönche das Feuer eigenhändig, nichts vermochte den Sieg über das vom Himmel strömende Wasser davonzutragen.

Der Tumult, der unter der Säulenhalle der Kirche stattfand, hatte sich indes rings um den Platz verbreitet. Der Ruf Gerechtigkeit wiederholte sich von Mund zu Mund und machte mit der Erzählung dessen, was entdeckt worden war, die Runde; zwei Barrikaden waren übersprungen und die Häscher trotz drei Flintenschüssen allmählich gegen den Mittelpunkt des Platzes gedrängt worden. Vergeblich sprengten sie mit ihren Pferden auf die Menge ein, sie wurden von ihren wachsenden Wogen beinahe erdrückt. In solchem Kampfe verging eine halbe Stunde, während welcher die Wache immer gegen den Scheiterhaufen zurückwich, der durch ihre geschlossenen Reihen verdeckt ward.

»Vorwärts, vorwärts!« rief einer aus der Menge, »wir befreien ihn noch; keine Gewalttätigkeiten gegen die Soldaten, sie sollen nur Platz geben; seht ihr, Gott will nicht, daß er sterbe. Der Holzstoß erlischt; Freunde, noch eine Kraftanstrengung. – Gut. – Nieder mit diesem Pferde. – Stoßt, dringt vorwärts!«

Die Wache war durchbrochen und von allen Seiten niedergeworfen, das Volk stürzt heulend dem Scheiterhaufen zu; allein dieser ist in Dunkelheit begraben; die Fackeln, alles, selbst der Henker ist verschwunden. Man reißt die Bretter weg, zerstreut sie, eines derselben brannte noch, und beim Schein dieser Flamme ließ sich unter einem Haufen Asche und blutigen Kotes eine geschwärzte Hand wahrnehmen, die durch eine Kette und einen ungeheuren eisernen Armring vor dem Feuer beschützt geblieben war. Eine Frau hatte den Mut, sie zu öffnen: die Finger hielten noch ein kleines, elfenbeinernes Kreuz und ein Bild der heiligen Magdalena fest.

»Das sind seine Überreste!« sagte sie weinend.

»Sagt, die Reliquien des Märtyrers«, verbesserte ein Mann.



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