Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Fünfundzwanzigstes Kapitel. Die Gefangenen

Unter jenen alten Schlössern, die wir von Jahr zu Jahr mit Bedauern aus Frankreich schwinden sehen wie Blumenzierat aus seiner Krone, war ein düster und wild aussehendes auf dem linken Ufer der Saone. Es schien eine furchtbare, vor eines der Tore von Lyon gestellte Wache und hatte seinen Namen von dem ungeheuren Felsen von Pierre-Encise, der sich senkrecht wie eine Art natürlicher Pyramide erhebt und dessen Gipfel, nach der Straße zu umgebogen und gegen den Fluß sich herabsenkend, wie es heißt, sich vormals mit anderen Felsen verband, die man am gegenüberliegenden Ufer sieht, und so gleichsam den natürlichen Bogen einer Brücke bildete; allein Zeit, Wasser und Menschenhände haben nur noch die alten Granitblöcke stehen lassen, die der heutzutage zerstörten Festung als Unterlage dienten.

Als weltliche Herren der Stadt hatten die Erzbischöfe von Lyon sie einst erbaut und ihre Residenz daraus gemacht; seither ward sie ein Kriegsplatz und unter Ludwig XIII. ein Staatsgefängnis.

Ein einziger kolossaler Turm, in den das Tageslicht nur durch drei lange Schießscharten dringen konnte, beherrschte das Bauwerk, und einige unregelmäßige Gebäulichkeiten umgaben es mit ihren dicken Mauern, deren Linien und Winkel den Formen des ungeheuren und senkrechten Felsens folgten.

Hier beabsichtigte der seine Beute gierig hütende Kardinal von Richelieu seine jungen Feinde einzukerkern. Er wollte sie selbst hinführen und ließ Ludwig ihm nach Paris voranreisen. Dann brach er mit seinen Gefangenen von Narbonne auf, schleppte sie als letzten Siegesschmuck nach, schiffte sich auf der Rhone bei Tarascon, beinahe an ihrer Mündung, ein, um gleichsam jenes Vergnügen der Rache, welches die Menschen das der Götter zu nennen wagten, länger zu genießen. Sie fuhren langsam auf Barken, die in des Kardinals Wappen prangten, von den vergoldeten Rudern getrieben, stromaufwärts; Richelieu befand sich in der ersteren, und in der zweiten, die durch eine lange Kette nachgezogen wurde, seine beiden Gefangenen.

Wenn die Hitze vorbei war, sah man abends oft die beiden Nachen ihrer Zelte entledigt, in dem einen, blaß und mager, Richelieu auf dem Hinterteil sitzen und in dem nachfolgenden die beiden jungen Gefangenen, mit ruhiger Stirn einer an den anderen gelehnt, stehen und den schnell unter ihnen wegeilenden Wogen des Stromes nachschauen.

Ehemals hätten die Soldaten Cäsars, die an diesen nämlichen Ufern lagerten, den unbeugsamen Fährmann der Unterwelt zu sehen geglaubt, wie er die befreundeten Schatten Kastor und Pollux mit sich führte; Christen hätten nicht solche Kühnheit, darüber nachzudenken und hierin einen Priester zu erblicken, der seine beiden Feinde dem Henker zuführt; der Premierminister war es, der vorbeifuhr.

Er fuhr in der Tat vorbei und ließ sie unter der Obhut eben jener Stadt, wo die Verschworenen ihn hinrichten zu lassen vorgeschlagen hatten. Er liebte es, mit dem Schicksal ein solches Spiel zu treiben und eine Trophäe aufzupflanzen, wo es sein Grab hatte öffnen wollen.

»Er ließ sich«, sagt ein Manuskript jenes Jahres, »in einem Schiffe, worin man ein hölzernes, mit karmesinroten Samtblättern auf goldenem Grunde tapeziertes Zimmer hergerichtet hatte, die Rhone hinaufziehen. In dem nämlichen Schiffe war ein Vorzimmer ähnlicher Art; am Vorderteile und hinten im Schiffe befanden sich eine Menge Soldaten seiner Garde im scharlachroten, mit Gold, Silber und Seide gestickten Reiserock, sowie viele Herren von Stande. Se. Eminenz lag in einem mit purpurroten Taft ausgeschmückten Bette. Der Herr Kardinal Vigni und die Herren Bischöfe von Nantes und Chartres befanden sich mit einer Menge Abbés und Edelleuten in anderen Schiffen. Dem seinen voran öffnete eine Fregatte den Zug und säuberte den Weg, und nach ihr folgte ein Schiff mit Büchsenschützen und den sie befehligenden Offizieren. Kam man in die Nähe einer Insel, so lud man Soldaten aus, die nachsehen mußten, ob keine verdächtigen Leute vorhanden seien, und trafen sie deren keine, so bewachten sie die Ufer, bis zwei nachfolgende Schiffe, mit Adel und wohlbewaffneten Soldaten besetzt, vorbei waren.

Dann kam das Schiff Sr. Eminenz, an dessen Hinterteil eine kleine Barke angebunden war, in der sich auch, von Gefreiten der königlichen Garde und zwölf Garden Sr. Eminenz bewacht, die Herren von Thou und von Cinq-Mars befanden. Nach den Schiffen kamen drei Barken, in denen die Kleider und das Silbergeschirr Sr. Eminenz aufbewahrt und von mehreren Edelleuten und Soldaten gehütet waren.

An dem Ufer der Rhone, im Dauphiné, marschierten zwei Kompagnien Chevaulegers und ebensoviel am Ufer auf der Seite von Languedoc und Vivarais; ein sehr schönes Regiment Fußvolk zog in die Städte ein, wo Se. Eminenz aussteigen oder übernachten wollte. Es war eine Freude, die Trompeten, die im Dauphiné bliesen, und die, welche ihnen in Vivarais antworteten, sowie die Wiederholung der Echos unserer Felsen zu hören; es war, als spiele alles um die Wette.« –

In der Mitte einer Septembernacht, während alles in dem unüberwindlichen Turme der Gefangenen zu schlafen schien, drehte sich die Tür seines ersten Gemaches geräuschlos in den Angeln und auf der Schwelle erschien ein in ein braunes, mit einem Strick umgürtetes Gewand gekleideter Mann, der Sandalen an den Füßen und ein großes Schlüsselbund in der Hand trug; es war Joseph.

Ohne vorwärts zu schreiten, schaute er sich behutsam um und betrachtete schweigend das Zimmer des Großstallmeisters; dichte Teppiche lagen auf dem Boden, glänzende Tapeten bekleideten die Mauern des Gefängnisses; ein Bett von rotem Damast war zubereitet, allein der Gefangene befand sich nicht darin; neben einem hohen Kamin in einem großen Lehnstuhl sitzend und in einem langen, grauen Kleide, gleich einem Priestergewande, saß er beim schwankenden Schein einer Lampe gesenkten Hauptes da, die Augen auf ein kleines goldenes Kreuz geheftet; er war in so tiefes Nachdenken versunken, daß der Kapuziner Muße hatte, bis zu ihm hinzugehen und sich dem Gefangenen gegenüber zu stellen, bevor dieser es gewahr ward. Endlich hob er plötzlich den Kopf auf und rief:

»Was willst du hier, Elender?«

»Junger Mann, Ihr seid aufbrausend«, antwortete mit sehr leiser Stimme der geheimnisvolle Besuch; »zwei Monate Gefängnis hätten Sie ruhiger machen sollen. Ich komme, Ihnen wichtige Dinge mitzuteilen; hören Sie mich an; ich habe viel an Sie gedacht und hasse Sie nicht so stark, wie Sie etwa glauben mögen. Die Augenblicke sind kostbar; ich werde Ihnen alles in wenigen Worten sagen. In zwei Stunden kommt man, Sie zu verhören, zu verurteilen und samt Ihrem Freunde hinzurichten; das kann nicht fehlen, denn es soll alles an einem Tage abgetan werden.«

»Das weiß ich«, entgegnete Cinq-Mars, »und ich zähle darauf.«

»Wohlan, ich kann Sie noch aus der Sache ziehen, denn, wie schon gesagt, ich habe viel über Ihre Lage nachgedacht und komme nun, Ihnen Dinge vorzuschlagen, die Ihnen angenehm sein werden. Der Kardinal kann keine sechs Monate mehr leben; wir wollen gegeneinander nicht geheim tun, und Offenherzigkeit gegeneinander täte not; Sie sehen, wohin ich Sie um seinetwillen gebracht habe und können hiernach urteilen, wohin ich ihn führen würde, wenn Sie wollten; wir können ihm die sechs Monate, die ihm bleiben, noch beschneiden. Der König liebt Sie und wird Sie mit Entzücken in seine Nähe zurückrufen, wenn er erfährt, daß Sie noch leben; Sie sind jung, Sie werden lange glücklich und mächtig sein; Sie werden mich beschützen und mich zum Kardinal machen.«

Das Erstaunen machte den jungen Gefangenen stumm, der eine solche Sprache nicht begreifen konnte und Mühe zu haben schien, von der Höhe seiner Betrachtungen zu denselben herabzusteigen. Alles was er sagen konnte war:

»Ihren Wohltäter Richelieu?«

Der Kapuziner lächelte und fuhr leise, näher zu ihm hintretend. fort:

»In der Politik gibt es keine Wohltat; es gibt Interessen, das ist alles. Ein durch einen Minister verwendeter Mann muß nicht erkenntlicher sein als ein von einem Stallmeister gerittenes Pferd es ist, das anderen vorgezogen wurde. Mein Gang war ihm anständig, das ist mir lieb. Jetzt ist es mir anständig, ihn abzuwerfen. Ja, dieser Mann liebt nur sich selbst; er hat mich betrogen, ich sehe es wohl, indem er meine Erhöhung immer und immer verschob; doch noch einmal: ich habe sichere Mittel, Sie geräuschlos entwischen zu lassen; ich vermag hier alles. Ich lasse an die Stelle der Männer, auf deren Tod er zählt, andere Männer bringen, die er ebenfalls zum Tode bestimmt hat und die hier in der Nähe, im nördlichen Turme, dem Turme der Oubliettes sind, der über das Wasser hinragt. Seine Kreaturen sollen meine Leute ersetzen. Ich sende einen Arzt, einen Quacksalber, der mir angehört, zu dem glorreichen Kardinal, den die geschicktesten Ärzte von Paris aufgegeben haben; wenn Sie sich mit mir verständigen, so soll ihm der ein Universal- und auf ewig heilendes Mittel bringen.«

»Entferne dich«, sagte Cinq-Mars, »entferne dich, höllischer Mönch! Kein Mensch ist dir ähnlich; du bist kein Mensch! Du gehst mit verstohlenem und leisem Schritte im Dunkeln, dringst durch Mauern, um bei geheimen Verbrechen den Vorsitz zu führen, du stellst dich zwischen die Herzen der Liebenden, um sie auf ewig zu trennen. Wer bist du? Du gleichst der gequälten Seele eines Verdammten.«

»Romantisches Kind!« entgegnete Joseph; »Sie hätten ohne Ihre falschen Ideen große Eigenschaften gehabt. Es gibt vielleicht weder Verdammung noch Seele. Wenn die der Abgestorbenen zurückkämen, um sich zu beklagen, so würden mich deren tausend umwinseln, und nie habe ich ihrer eine, selbst nicht im Traume gesehen.«

»Ungeheuer!« sagte Cinq-Mars halblaut.

»Das ist wieder so ein Wort«, entgegnete Joseph; »es gibt weder ein Ungeheuer noch einen tugendhaften Menschen, Sie und von Thou, die sich etwas darauf zugute tun, unter die zu gehören, die man tugendhaft nennt, Sie standen im Begriff, um nichts schuld an dem Tode von vielleicht hunderttausend Menschen, von Massen Menschen, und zwar am hellen Tage, zu sein, während Richelieu und ich deren viel weniger, nur je einzeln und nächtlicherweise umbringen ließen, um eine große Macht zu gründen. Wenn man rein bleiben will, muß man sich nicht darein mischen, auf die Menschen zu wirken, oder das Vernünftigste vielmehr ist, zu sehen, was eigentlich vorhanden ist, und sich zu sagen, wie ich mir sage: Es ist möglich, daß es keine Seele gibt; wir sind Söhne des Zufalls, aber in bezug auf andere Menschen haben wir Leidenschaften, die wir befriedigen müssen.«

»Ich atme auf«, rief Cinq-Mars; »er glaubt nicht an Gott!«

Joseph fuhr fort:

»Nun sind aber Richelieu, Sie und ich ehrgeizig geboren; dieser Idee mußte daher alles geopfert werden.«

»Unglücklicher! Stellen Sie mich nicht in eine Reihe mit Ihnen!«

»Und doch ist es reine Wahrheit«, fuhr der Kapuziner fort; »nur sehen Sie jetzt, daß unser System mehr wert war, als das Ihre.«

»Elender! Es geschah aus Liebe . . .«

»Nein! nein! nein! nein! . . . Das ist es nicht. Das sind wieder so Worte; Sie haben es vielleicht selbst geglaubt, es geschah aber um Ihretwillen; ich hörte Sie mit jenem jungen Mädchen sprechen, ihr dachtet nur an euch beide; ihr liebtet einander nicht; sie dachte nur an ihren Rang und Sie selbst an Ihren Ehrgeiz. Man will geliebt sein, um sagen zu hören, daß man vollkommen sei; mein Gott! das ist wieder und immer wieder der heilige Egoismus.«

»Grausame Schlange!« sagte Cinq-Mars, »war es nicht genug, uns sterben zu lassen? Weshalb kommst du, noch Gift auf das Leben zu werfen, das du uns nimmst? Welcher Teufel hat dich diese fürchterliche Analyse der Herzen gelehrt?«

»Der Haß alles dessen, was mir überlegen ist«, antwortete Joseph mit gemeinem und falschem Lachen; »und das Verlangen, alle, die ich hasse, mit Füßen zu treten, hat mich ehrgeizig und erfinderisch im Auffinden der schwachen Seite eurer Träume gemacht. Im Herzen aller dieser schönen Früchte kriecht ein Wurm.«

»Großer Gott! Hörst du's?« rief Cinq-Mars aufstehend und die Arme zum Himmel emporstreckend.

Die Einsamkeit seines Gefängnisses, die frommen Unterhaltungen mit seinem Freunde und besonders die Annäherung des Todes, der gleich dem Lichte eines unbekannten Gestirns allen Gegenständen, an die unsere Blicke gewöhnt sind, andere Farben verleiht, die Betrachtungen der Ewigkeit und (sollen wir es sagen!) große Anstrengungen, seine herzzerreißende Reue in unsterbliche Hoffnungen zu verwandeln und jene ganze Liebeskraft, die ihn auf Erden irre geleitet hatte, Gott zuzuwenden, alles hatte in ihm eine seltsame Umgestaltung bewirkt und seine Seele hatte, ähnlich jenen Gewürzen, welche ein einziger Sonnenstrahl plötzlich reift, hellere Einsichten, gesteigert durch den geheimnisvollen Einfluß des Todes, erworben.

»Großer Gott!« wiederholte er, »wenn dieser hier und sein Gebieter Menschen sind, bin ich dann auch ein Mensch? Betrachte, o betrachte zweierlei Ehrgeiz nebeneinander, der eine selbstsüchtig und blutig, der andere ergeben und fleckenlos, den ihren, eingehaucht durch Haß, den unseren, eingeflößt durch Liebe. Betrachte, Herr, betrachte, richte und verzeihe! Verzeihe, denn wir waren recht strafbar, einen einzigen Tag auf dem Wege zu wandeln, dem man nur einen Namen auf Erden gibt, welches auch das Ziel sei, wohin er führe.«

Joseph unterbrach ihn durch rohes Stampfen und sagte:

»Wenn Sie Ihr Gebet beendigt haben werden, so lassen Sie mich wissen, ob Sie mir helfen wollen, und ich rette Sie auf der Stelle.«

»Nie, unreiner Bösewicht, nie«, erwiderte Henri d'Effiat, »ich werde mich nicht mit dir zu einem Morde verbinden. Ich schlug solche Anträge aus, als ich mächtig war, und zwar Anträge hinsichtlich deiner.«

»Da hatten Sie unrecht; Sie wären jetzt Herr.«

»Und welch ein Glück gäbe mir meine Macht, geteilt mit einem Weibe, das mich nicht verstände, nur schwach liebte und mich einer Krone vorzog? Nachdem sie mich aufgegeben, wollte ich die Macht nicht dem Siege verdanken; urteile, ob ich sie vom Verbrechen annehmen würde!«

»Unbegreifliche Torheit!« sagte der Kapuziner lachend.

»Alles mit ihr, nichts ohne sie; an diesem Wahlspruche hing meine ganze Seele.«

»Sie beharren auf Ihrer Weigerung aus Halsstarrigkeit und Eitelkeit, und dies ist für die Dauer unmöglich!« entgegnete Joseph; »es ist gegen die Natur.«

»Du, der du alle Hingebung leugnen willst«, begann Cinq-Mars wieder, »verstehst du wenigstens die meines Freundes?«

»Sie ist ebensowenig vorhanden; er wollte Ihnen folgen, weil . . .«

Hier wurde der Kapuziner etwas verlegen und suchte einen Augenblick nach einem Grunde.

»Weil . . . weil . . . er Sie gebildet hat, weil Sie sein Werk sind . . . Er ist Ihnen aus Eigenliebe anhänglich, wie ein Verfasser seinem Werke . . . Er war gewöhnt, an Ihnen herumzupredigen, und fühlt, daß er keinen Zögling mehr finden würde . . . Beständige Gewohnheit hat ihn zu der Überzeugung gebracht, daß sein Leben an dem Ihrigen hänge . . . so etwas ist's . . . Er begleitet Sie, um nicht von seinem alten Schlendrian zu lassen . . . Überdies ist die Sache nicht zu Ende . . . er leugnet gewiß, daß er um die Verschwörung gewußt habe.«

»Er wird es nicht leugnen!« rief Cinq-Mars ungestüm.

»Er wußte also darum; Sie gestehen es«, sagte Joseph triumphierend; »Sie hatten das vor kurzem noch nicht gesagt.«

»O Himmel! was hab' ich getan!« seufzte Cinq-Mars, den Kopf in seine Hände verbergend.

»Beruhigen Sie sich; er ist trotz dieses Geständnisses gerettet, wenn Sie mein Anerbieten annehmen.«

D'Effiat blieb einige Zeit ohne zu antworten . . . Der Kapuziner fuhr fort:

»Retten Sie Ihren Freund . . . die Gunst des Königs, vielleicht die auf einen Augenblick irregeleitete Liebe erwartet Sie . . .«

»Mensch, oder wer du bist, wenn du etwas in dir hast, das einem Herzen ähnlich ist, so rette ihn«, antwortete der Gefangene; »er ist das reinste der erschaffenen Wesen. Doch laß ihn während seines Schlafes weit von hier bringen, denn wenn er aufwacht, vermagst du's nicht mehr.«

»Zu was sollte mir der nützen!« sagte lachend der Kapuziner; »Ihrer und Ihrer Gunst bedarf ich.«

Wieder erhob sich Cinq-Mars mit Ungestüm und packte Joseph beim Arme, indem er ihn mit fürchterlicher Miene anblickte, dann sagte er:

»Ich erniedrigte ihn, indem ich bei dir für ihn bat; . . . komm', Bösewicht«, fügte er hinzu, indem er einen Vorhang aufhob, der das Zimmer seines Freundes von dem seinigen trennte; »komm' und zweifle dann länger an der Hingebung und der Unsterblichkeit der Seele . . . Vergleiche die Unruhe deines Triumphes mit der Ruhe unserer Niederlage, die Gemeinheit deiner Regierung mit der Erhabenheit unserer Gefangenschaft und deine blutige Nachtwache mit dem Schlafe des Gerechten.«

Der Schein einer einzigen Lampe fiel auf von Thou. Der junge Mann lag noch auf den Knien in einem Betstuhl, über dem ein großes Kruzifix von Ebenholz angebracht war; er schien während des Betens eingeschlafen zu sein; sein rückwärts gebogener Kopf war noch gegen das Kreuz emporgerichtet, seine blassen Lippen umspielte ein ruhiges und göttliches Lächeln, und sein eingesunkener Körper ruhte auf dem Teppich und dem Kissen des Stuhles.

»Jesus! wie er schläft!« sagte der Kapuziner betroffen, indem er den himmlischen Namen, den er täglich gewohnheitshalber aussprach, aus Vergessenheit auch in seine schrecklichen Reden mischte. Dann zog er sich plötzlich barsch zurück und hielt, als wäre er durch ein himmlisches Gesicht geblendet, die Hand vor die Augen.

»Brr . . . brr . . . brr . . .«, sagte er kopfschüttelnd und sich mit der Hand übers Gesicht fahrend . . . »Alles das ist Kinderei; es könnte sich meiner bemeistern, wenn ich daran dächte . . . Diese Ideen da können, gleich dem Opium, zum Beruhigen gut sein . . . Doch darum handelt es sich nicht; sagen Sie ja oder nein.«

»Nein! . . .« rief Cinq-Mars, ihn bei der Schulter packend und gegen die Tür schleudernd, »ich will vom Leben nichts hören und bereue nicht, von Thou zum zweitenmal in Lebensgefahr gebracht zu haben; denn mit einem Morde hätte er es nicht erkaufen wollen, und als er sich in Narbonne überlieferte, geschah es nicht, um in Lyon zurückzutreten.«

»So wecken Sie ihn denn, hier sind die Richter«, sagte bitter lachend der wütende Kapuziner.

In das geräumige Zimmer des Gefangenen trat in diesem Augenblick bei Fackelschein ein Detachement schottischer Wachen ein, dem vierzehn mit langen Röcken bekleidete Richter folgten, deren Züge sich nicht deutlich erkennen ließen.

Sie setzten sich schweigend rechts und links von der Tür in Reihen; es waren die von dem Kardinal-Herzog zu diesem düsteren und feierlichen Geschäfte abgeordneten Kommissäre, alles sichere und dem Kardinal von Richelieu vertraute Männer, der sie in Tarascon gewählt und unterrichtet hatte. Er wollte, der Kanzler Séguier solle nach Lyon selbst kommen, um, sagte er in den Instruktionen oder Befehlen, die er durch Chavigny König Ludwig XIII. schickte, um jeden Aufenthalt zu vermeiden, der vorkommen möchte, wenn er nicht da wäre. »Herr von Marillac«, fügte er hinzu, »war beim Prozesse Chalais in Nantes; Herr von Chateauneuf in Toulouse beim Tode des Herrn von Montmorency; und Herr von Bellièvre in Paris beim Prozesse des Herrn von Biron. Die Macht und die Kenntnisse, die diese Herren beim Gerichtsverfahren haben, ist durchaus notwendig.«

Der Kanzler Séguier verfügte sich daher schleunigst dahin, erhielt aber kurz vor dem Verhöre noch den Befehl, nicht dabei zu erscheinen, aus Furcht, es möchte die Erinnerung an die alte Freundschaft zu dem Gefangenen, wenn er ihn unter vier Augen sähe, Einfluß auf ihn üben.

Die Kommissare und er hatten vorher noch schnell die niederträchtigen Aussagen des Herzogs von Orleans in Villefranche, in Beaujolais und dann in ViveyEin Haus, das einem Abt von Esmy, dem Bruder des Herrn von Villeroy, genannt Montrésor, gehörte., zwei Stunden von Lyon, empfangen, wohin sich zu begeben dieser traurige Prinz Befehl hatte, der in der Mitte seiner Leute, die man ihm aus Mitleid ließ, immer flehte und zitterte, von der französischen und Schweizergarde aber gut bewacht war. Der Kardinal hatte ihm seine Rolle und seine Antworten Wort für Wort vorschreiben lassen, und vermöge dieser Willfährigkeit hatte man ihn der allzu peinlichen Konfrontation mit den Herren von Cinq-Mars und von Thou enthoben. Nachher hatten der Kanzler und die Kommissäre den Herrn von Bouillon bearbeitet und fielen nun, gestärkt durch ihre Vorarbeiten, mit ihrem ganzen Gewicht über die beiden jungen Schuldigen her, die man nicht retten wollte.

Die Geschichte hat uns nur die Namen der Staatsräte aufbewahrt, die Pierre Séguier begleiteten, nicht aber die der übrigen Kommissionäre, von denen nur gesagt ist, daß es ihrer sechs vom Parlamente von Grenoble und zwei Präsidenten waren. Der Berichterstatter, Staatsrat Laubardemont, der sie in allem geleitet hatte, stand an ihrer Spitze. Joseph sagte ihnen oft unter vielen höflichen Verbeugungen etwas ins Ohr, während er dabei mit wildem Hohne auf Laubardemont herabsah.

Man kam überein, der Lehnstuhl solle zum Armesünderbänkchen dienen; dann schwieg man, um auf die Antworten des Gefangenen zu hören.

Cinq-Mars sprach mit sanfter, ruhiger Stimme:

»Sagen Sie dem Herrn Kanzler, daß ich das Recht hätte, mich auf das Parlament von Paris zu berufen und meine Richter zu verwerfen, weil sich unter ihnen zwei meiner Feinde befinden und an ihrer Spitze einer meiner Freunde, Herr Séguier selbst, den ich in seinem Amte erhalten habe. – Doch ich will Ihnen viele Mühe ersparen, meine Herren, indem ich mich der ganzen Verschwörung schuldig bekenne, die von mir allein ausgegangen und geleitet worden ist. Es ist mein Wille, zu sterben. Ich habe also für mich nichts beizufügen; wenn Sie aber gerecht sein wollen, so lassen Sie dem, den der König selbst den redlichsten Mann in Frankreich genannt hat, und der nur um meinetwillen stirbt, das Leben.«

»Man führe ihn ein«, befahl Laubardemont.

Zwei Wachen begaben sich in von Thous Zimmer und holten ihn herbei.

Er trat ein, verneigte sich ernst, umschlang Cinq-Mars mit einem engelgleichen Lächeln auf den Lippen und sagte zu ihm:

»So ist er denn endlich da, der Tag unseres Ruhmes, der Tag, wo wir den Himmel und die ewige Seligkeit erwerben werden.«

»Wir vernehmen, mein Herr«, sagte Laubardemont, »wir vernehmen aus dem Munde des Herrn von Cinq-Mars selbst, daß Sie um die Verschwörung gewußt haben.«

Von Thou antwortete sogleich ohne die mindeste Bestürzung und immer mit halbem Lächeln und gesenkten Augen:

»Meine Herren! Ich habe mein Leben mit dem Studium der menschlichen Gesetze zugebracht und weiß, daß das Zeugnis eines Angeklagten den anderen nicht verdammen kann. Ich könnte auch wiederholen, was ich schon gesagt habe, daß man mir nicht geglaubt hätte, wenn ich den Bruder des Königs ohne Beweise denunziert haben würde. Sie sehen daher, daß mein Leben und mein Tod in meinen Händen sind. Als ich aber das eine und den anderen recht ins Auge faßte, erkannte ich deutlich, daß, welches Leben ich auch genießen möchte, es nach dem Tode des Herrn von Cinq-Mars nur ein unglückliches sein könnte; daher gestehe und bekenne ich, daß ich um seine Verschwörung gewußt, aber auch alles getan habe, um ihn davon abstehen zu lassen. Er hat mich für seinen einzigen und treuen Freund gehalten und ich wollte ihn nicht verraten; deshalb verurteilte ich mich selbst kraft der Gesetze, die mein Vater, der mir hoffentlich verzeiht, gesammelt hat.«

Bei diesen Worten warfen sich die beiden Freunde einander in die Arme.

Cinq-Mars rief:

»Freund! Freund! Wie bedaure ich, Ursache deines Todes zu sein! Ich habe dich zweimal verraten, doch du sollst wissen, wie es geschah.«

Von Thou aber umarmte und tröstete ihn und antwortete dann mit nach oben gerichteten Augen:

»Ach, wie glücklich sind wir, auf solche Weise zu enden! Menschlich gesprochen, könnte ich mich über Sie beklagen; allein Gott weiß, wie sehr ich Sie liebe! Was haben wir getan, daß wir die Gnade des Märtyrertums und das Glück, miteinander zu sterben, verdienen?«

Die Richter waren auf solche Milde nicht gefaßt und schauten sich überrascht an.

»Ach! gäbe man mir nur einen Speer«, sagte eine heisere Stimme (es war der alte Grandchamp, der sich in das Zimmer geschlichen hatte und dessen Augen rot vor Wut waren), »ich würde den gnädigen Herrn gewiß von diesen Schwarzröcken befreien.«

Zwei Hellebardiere stellten sich schweigend neben ihn hin; er schwieg und begab sich, um sich zu trösten, an ein Fenster der Flußseite, wo sich die Sonne noch nicht zeigte, und schien auf das, was im Zimmer vorging, nicht mehr acht zu geben.

Laubardemont, der indes fürchtete, die Richter möchten sich erweichen lassen, sagte mit lauter Stimme:

»Nach dem Befehl des Herrn Kardinals wird man jetzt die beiden Herren auf die Folter bringen, das heißt, die ordentliche und außerordentliche Frage bei ihnen anwenden.«

Cinq-Mars fiel aus Entrüstung in seinen heftigen Charakter zurück, kreuzte die Arme und tat ein paar Schritte auf Laubardemont und Joseph zu, welche diese in Schrecken setzten. Der erstere fuhr unwillkürlich mit seiner Hand an die Stirn.

»Sind wir hier in Loudun?« rief der Gefangene.

Allein da von Thou zu ihm herantrat, seine Hand ergriff und sie drückte, schwieg er und fuhr dann, die Richter anblickend, in ruhigem Tone fort:

»Das scheint mir sehr hart; ein Mann meines Alters und meines Standes sollte nicht solchen Formalitäten unterworfen werden. Ich habe alles gesagt und werde noch alles sagen. Der Tod ist mir lieb, ich wünsche ihn von ganzem Herzen; die Folter ist daher nicht nötig. Seelen wie die unseren lassen sich durch Körperleiden keine Geheimnisse entreißen. Wir sind aus freiem Willen und zu der von uns selbst bestimmten Stunde Gefangene geworden; wir haben nur gesagt, was Sie zu hören brauchten, um uns zum Tode zu verurteilen; weiter werden Sie nichts erfahren; wir haben gesagt, was wir sagen wollten . . .«

»Was tun Sie, Freund?« unterbrach ihn von Thou . . . »Er irrt sich, meine Herren; wir schlagen das Märtyrertum, das Gott uns anbietet, nicht aus; wir verlangen es vielmehr.«

»Was bedürfen Sie aber dieser heillosen Martern, um den Himmel zu erwerben?« sagte Cinq-Mars; »Sie, der Sie schon ein Märtyrer, der freiwillige Märtyrer der Freundschaft sind! Meine Herren, ich allein kann wichtige Geheimnisse besitzen, die nur das Haupt einer Verschwörung kennt; legen Sie mich allein auf die Folter, wenn wir doch hier wie die gemeinsten Missetäter behandelt werden müssen.«

»Aus Mitleid«, hob von Thou wieder an, »berauben Sie mich der nämlichen Schmerzen, die ihm auferlegt werden, nicht; ich bin ihm nicht so weit gefolgt, um ihn in dieser kostbaren Stunde zu verlassen und nicht alle Anstrengungen zu machen, um ihn in den Himmel zu begleiten.«

Während dieses edlen Wettstreites hatte sich ein minder edler Streit zwischen Laubardemont und Joseph entsponnen; in der Besorgnis, der Schmerz möchte dem Gefangenen die Erzählung seiner Unterhaltung mit ihm entlocken, war der Pater nicht der Meinung, die Folter anzuwenden; der andere aber, der seinen Triumph durch die Hinrichtung noch nicht vervollständigt fand, drang ungestüm darauf.

Die Richter umringten diese beiden Geheimminister des großen Ministers und hörten zu; da aber mehrere Tatsachen sie vermuten ließen, daß der Kredit des Kapuziners mächtiger als der des Richters sei, neigten sie sich auf des ersteren Seite und entschlossen sich zur Menschlichkeit, als er mit folgenden leise gesprochenen Worten geendigt hatte:

»Ich kenne ihre Geheimnisse, wir brauchen sie nicht zu wissen, weil sie unnütz sind und zu weit hinaufreichen. Herr le Grand kann nur den König und der andere die Königin denunzieren, und es ist besser, hiervon nichts zu wissen. Überdies würden sie nicht sprechen; ich kenne sie, sie würden schweigen, der eine aus Stolz, der andere aus Mitleid. Lassen wir sie damit ungeschoren, die Tortur würde sie verletzen, sie würden entstellt und könnten nicht mehr gehen; das verdürbe die ganze Zeremonie; man muß sie in gutem Zustande erhalten, wenn sie öffentlich erscheinen sollen.«

Diese letztere Betrachtung überwog; die Richter entfernten sich, um sich zu dem Kanzler zu begeben und mit ihm Beratung zu pflegen. Im Hinausgehen sagte Joseph zu Laubardemont:

»Ich habe Ihnen hier Ihr Vergnügen gelassen; jetzt haben Sie noch das der Abstimmung, und dann können Sie drei Angeklagte im nördlichen Turme verhören.«

Es waren die drei Richter Urbain Grandiers.

Dies sagend, schlug er ein helles Gelächter auf, stieß den verdutzten Maître des Requêtes voraus und verließ das Zimmer zuletzt.

Kaum war das unheimliche Tribunal abgezogen, stürzte Grandchamp, von seinen beiden Wachen befreit, auf seinen Gebieter zu, ergriff dessen Hand und sagte:

»Ums Himmels willen, kommen Sie auf die Terrasse, gnädiger Herr, ich will Ihnen etwas zeigen; im Namen Ihrer Mutter, kommen Sie . . .«

Allein fast im nämlichen Augenblick öffnete sich die Tür dem alten Abbé Guillet.

»Meine Kinder! meine armen Kinder!« schrie der Greis weinend; »ach, warum hat man mir erst heute erlaubt, zu euch zu kommen? Lieber Henri, Ihre Mutter, Ihr Bruder, Ihre Schwester sind hier verborgen . . .«

»Schweigen Sie, Herr Abbé«, sagte Grandchamp; »kommen Sie auf die Terrasse, gnädiger Herr.«

Allein der alte Priester hielt seinen Zögling zurück, indem er ihn herzlich umarmte und zu ihm sagte:

»Wir hoffen, wir haben große Hoffnung auf Begnadigung.«

»Ich würde sie ablehnen«, entgegnete Cinq-Mars.

»Wir hoffen nur auf die Gnade Gottes«, versetzte von Thou.

»Schweigen Sie«, unterbrach sie Grandchamp wieder, »die Richter kommen zurück.«

Wirklich öffnete sich auch die Tür der unheilverkündenden Prozession wieder, in welcher aber Joseph und Laubardemont fehlten.

»Meine Herren«, rief der gute Abbé, an die Kommissäre gewandt, »ich bin glücklich, Ihnen sagen zu können, daß ich von Paris komme, und daß dort niemand an der Begnadigung aller Verschworenen zweifelt. Ich habe bei Sr. Majestät sogar Monsieur getroffen, und was den Herzog von Bouillon betrifft, so lautet sein Verhör nicht ungün. . .«

»Stille!« rief Herr von Ceton, Leutnant der schottischen Garde; die vierzehn Kommissäre traten vollends ein und nahmen ihre Sitze längs der Wände wieder in Beschlag.

Als Herr von Thou hörte, daß man den Kriminalgerichtsschreiber des Landgerichts Lyon aufforderte, das Urteil vorzulesen, brach er unwillkürlich in eine jener religiösen, freudigen Verzückungen aus, wie man sie stets nur bei Märtyrern und Heiligen bei Annäherung ihres Todes sah, und rief, vor diesen Mann hintretend:

»Quam speciosi pedes evangelizantium pacem, evangelizantium bona

Dann ergriff er Cinq-Mars' Hand und fiel, laut Verordnung, entblößten Hauptes auf die Knie, um das Urteil anzuhören. D'Effiat blieb stehen und man wagte nicht, ihn ebenfalls zum Niederknien zu zwingen.

Das Urteil lautete folgendermaßen:

»Zwischen dem königlichen Generalprokurator, Kläger bei Verbrechen der Majestätsbeleidigung einerseits.

Und Messire Henri d'Effiat de Cinq-Mars, Großstallmeister Frankreichs, zweiundzwanzig Jahre alt; und François August de Thou, fünfunddreißig Jahre alt, Geheimrat des Königs, Gefangener im Schlosse Pierre-Encise in Lyon, Verteidiger und Beklagter andererseits:

In Betracht, daß der Prozeß wirklich vor den Stuhl des besagten königlichen Generalprokurators gehört und infolge der Erkundigungen, Verhöre und Konfrontationen, welche man über und mit den besagten d'Effiat und von Thou angestellt hat, ihres Leugnens und ihrer Bekenntnisse, sowie der beglaubigten Abschriften von dem mit Spanien gemachten Vertrage, hat die abgeordnete Kammer in Betracht:

1. Daß der, welcher einen Angriff auf die Person der Minister der Könige macht, nach den alten Gesetzen und Konstitutionen der Kaiser als der Majestätsbeleidigung schuldig betrachtet wird;

2. daß die dritte Verordnung König Ludwigs XI. Todesstrafe über jeden verhängt, der eine Verschwörung gegen den Staat nicht entdeckt.

Haben die durch Se. Majestät abgeordneten Kommissäre die besagten d'Effiat und von Thou als des Verbrechens der Majestätsbeleidigung schuldig und erwiesen befunden, nämlich:

Besagten d'Effiat de Cinq-Mars wegen der von ihm gemachten Verschwörungen und Unternehmungen und der gegen den Staat mit dem Ausland geschlossenen Bündnisse und Verträge;

Und besagten von Thou, von besagten Unternehmungen Kenntnis gehabt zu haben.

Als Strafe für diese Verbrechen haben sie die Angeklagten aller Ehren und Würden beraubt und verdammt und verurteilen sie, auf einem Schafott, das zu diesem Endzweck auf dem Platz des Terreaux dieser Stadt soll aufgerichtet werden, vom Leben zum Tode gebracht zu werden.

Haben erklärt und erklären alle und jede ihrer Güter, bewegliche und unbewegliche, als konfisziert und dem König zufallend und die von ihnen unmittelbar von der Krone empfangenen dieser Domäne wieder zurückzustellen, und sollen vorläufig auf diese die Summe von 60 000 Livres genommen und zu frommen Zwecken verwendet werden.«

Nach der Verlesung des Urteils sagte von Thou mit lauter Stimme:

»Gott sei gelobt; Gott sei gepriesen!«

»Ich habe mich nie vor dem Tode gefürchtet«, versetzte Cinq-Mars kalt.

Jetzt erklärte der Form gemäß Herr von Ceton, Leutnant der französischen Garde, ein Greis von sechsundsechzig Jahren, mit sichtlicher Bewegung, daß er die Gefangenen den Händen des Herrn Thomé, Stadtschultheißen von Lyon, übergebe; dann nahm er und nach ihm alle Gardisten schweigend und mit Tränen in den Augen Abschied von ihnen.

»Weint nicht«, sagte Cinq-Mars zu ihnen; »Tränen sind da unnütz, betet lieber zu Gott für uns und versichert euch, daß ich den Tod nicht fürchte.«

Er drückte ihnen die Hand, und von Thou umarmte sie. Dann entfernten sie sich mit tränenschweren Augen und das Gesicht mit ihren Mänteln bedeckend.

»Die Grausamen!« sagte der Abbé Guillet, »um Waffen gegen sie zu finden, mußte man so ein Arsenal der Tyrannen aufstöbern. Wozu ließ man mich in diesem Augenblick eintreten?« . . .

»Als Beichtvater, mein Herr«, sagte leise ein Kommissär; »denn seit zwei Monaten hat kein Fremder Erlaubnis gehabt, hier einzutreten . . .«

* * *

Sobald sich die Tür wieder hinter den Richtern geschlossen hatte, rief Grandchamp nochmals:

»Auf die Terrasse, ums Himmels willen!«

Und er zog seinen Gebieter und von Thou hin. Der alte Hofmeister folgte ihnen wankend.

»Was hast du in einem solchen Augenblick mit uns vor?« sagte Cinq-Mars ernst, aber voll freundlicher Nachsicht.

»Sehen Sie die Kette der Stadt«, entgegnete der treue Diener.

Die aufgehende Sonne färbte den Himmel erst seit einem Augenblick. Am Horizont erschien ein blendender gelber Streifen, auf dem sich die Formen der dunkelblauen Berge scharf abzeichneten; die Wellen der Saone waren noch durch einen leichten Dunst verschleiert. Die ersten Strahlen des Morgenlichts färbten bis jetzt nur die höchsten Punkte der prachtvollen Landschaft. In der Stadt waren die Türme des Rathauses und von Saint-Nizier, auf den umliegenden Hügeln das Karmeliter- und St. Marienkloster und die ganze Festung von Pierre-Encise vom vollen Feuer des Morgenrotes vergoldet. Man hörte die Glockenspiele der Kirchen und die friedlichen Frühmetten der Kloster- und Dorfglocken. Nur die Mauern des Gefängnisses blieben stumm.

»Wohlan!« sagte Cinq-Mars, »was sollen wir denn sehen? Die Schönheit der Ebenen oder den Reichtum der Städte? Oder etwa den Frieden dieser Dörfer? Ach, meine Freunde, auch hier wohnen überall die nämlichen Leidenschaften und Schmerzen, die uns hierher gebracht haben.«

Der alte Abbé und Grandchamp lehnten sich über die Brüstung der Terrasse, um nach der Seite des Flusses zu schauen.

»Der Nebel ist zu dicht; man sieht noch nichts«, sagte der Abbé.

»Wie lange will unsere letzte Sonne nicht erscheinen!« äußerte sich von Thou.

»Bemerken Sie nicht dort unten, am Fuße der Felsen des anderen Ufers, ein kleines weißes Haus zwischen dem Tore von Halincourt und dem Boulevard Saint-Jean?« sagte der Abbé.

»Ich sehe nichts«, antwortete Cinq-Mars, »als einen Haufen grauer Mauern.«

»Daß der Nebel so dicht sein muß!« hob Grandchamp wieder an, der immer vorwärts gebeugt stand wie ein Seemann, der sich auf das letzte Brett eines Dammes lehnt, um ein Segel am Horizont zu erblicken.

»St!« machte der Abbé, »man spricht in unserer Nähe.«

Wirklich ließ sich auch in einem kleinen, an die Plattform der Terrasse gelehnten Turm ein verworrenes, dumpfes und unerklärliches Gemurmel vernehmen. Da das Türmchen kaum größer als ein Taubenschlag war, hatten die Gefangenen es bis jetzt kaum bemerkt.

»Will man uns schon abholen?« sagte Cinq-Mars.

»Pah, pah!« antwortete Grandchamp, »bekümmern Sie sich nicht um das; es ist der Turm der Oubliettes. Seit zwei Monaten streiche ich um die Festung herum und habe wenigstens einmal wöchentlich Leute von hier herab ins Wasser fallen sehen. Denken wir an unsere Angelegenheit; ich sehe ein Licht am Fenster da unten.«

Trotz ihrer schrecklichen Lage verleitete eine unbezwingliche Neugier die beiden Gefangenen dennoch, einen Blick auf das Türmchen zu werfen. Es ragte wirklich von einem senkrechten Felsen über einem Schlunde vor, worin sich ein grüner Wasserstrudel, eine Art unnützer Quelle von entsetzlicher Tiefe bildete, da sich ein Arm der Saone zwischen diese Felsen hinein verirrt hatte. Man sah, wie das Rad einer längst eingegangenen Mühle sich rasch darin drehte. Dreimal hörte man ein Knarren, ähnlich dem einer herabgelassenen und plötzlich wieder aufgezogenen Zugbrücke, die an die Steine der Mauer prallt, und dreimal sah man etwas Schwarzes ins Wasser fallen, wodurch sein Schaum hoch aufspritzte.

»Barmherzigkeit! Sind das wohl Menschen?« rief der Abbé, sich bekreuzend.

»Ich glaubte braune Kutten zu sehen, die in der Luft wirbelten«, entgegnete Grandchamp; »es sind Freunde des Kardinals.«

Ein fürchterlicher Schrei erschallte mit einem gräßlichen Fluch aus dem Turm.

Die schwere Falltür knarrte ein viertes Mal. Das grüne Wasser empfing zischend eine Bürde, bei der das ungeheure Mühlenrad ächzte; eine seiner breiten Speichen brach, und ein in die wurmstichigen Balken verwickelter Mann erschien außerhalb des Schaumes, den er mit schwarzem Blute färbte, machte zweimal mit dem Rad die Runde und sank dann unter. Es war Laubardemont.

Von tiefem Schauder durchdrungen trat Cinq-Mars zurück.

»Es gibt eine Vorsehung«, sagte Grandchamp; »Urbain Grandier hatte ihn innerhalb drei Jahren vor Gottes Gericht geladen. Macht, macht, die Zeit ist kostbar; meine Herren bleiben Sie nicht so unbeweglich da; sei er es nun oder nicht, ich wäre nicht darüber erstaunt, denn diese Schurken fressen sich selbst auf wie die Ratten. Doch suchen wir ihnen den besten Bissen zu entziehen! Vive Dieu! Ich sehe das Signal! Wir sind gerettet; alles ist bereit; eilen Sie auf jene Seite dort, Herr Abbé. Das weiße Sacktuch ist am Fenster; unsere Freunde haben alles in Bereitschaft.«

Der Abbé faßte jeden der beiden Freunde an der einen Hand und zog sie nach der Seite der Terrasse, von wo aus sie zuerst ihre Blicke auf die Landschaft geheftet hatten.

»Hört mich beide an«, sagte er zu ihnen; »ihr müßt wissen, daß keiner der Verschworenen von dem Zufluchtsort, den ihr ihnen sichertet, Gebrauch machen wollte; sie sind alle, und die Mehrzahl von ihnen verkleidet, nach Lyon geeilt, haben in der Stadt hinlänglich Gold ausgeteilt, um nicht verraten zu werden, und wollen einen Handstreich wagen, um euch zu befreien. Der hierzu gewählte Augenblick ist der, wo man euch zur Hinrichtung führen wird; das Signal zum Beginn soll euer Hut sein, den ihr im entscheidenden Moment aufsetzen müßt.«

Jetzt erzählte der gute Abbé halb weinend, halb lächelnd vor Hoffnung, daß er bei der Verhaftung seines Zöglings nach Paris geeilt sei, daß alle Handlungen des Kardinals in ein solches Geheimnis gehüllt seien, daß niemand daselbst den Ort der Gefangenschaft des Großstallmeisters kenne; viele behaupteten, er lebe in der Verbannung, und man habe, als die Versöhnung Monsieurs und des Herzogs von Bouillon mit dem König bekannt geworden sei, nicht mehr gezweifelt, daß auch das Leben der übrigen gesichert sei. Man verbreitete sogar das Gerücht in der Stadt, daß der Kardinal Cinq-Mars und von Thou habe entwischen lassen und sich, nachdem er sie mitten im Lager von Perpignan mutvoll habe verhaften lassen, nun großmütig mit ihrem Los in fremdem Lande beschäftige.

Bei dieser Stelle der Erzählung konnte Cinq-Mars nicht umhin, seinen Gleichmut aufzugeben; er drückte die Hand seines Freundes und rief:

»Verhaften! Müssen wir sogar auf die Ehre verzichten, uns freiwillig überliefert zu haben! Muß man denn alles opfern, sogar die Meinung der Nachwelt?«

»Das war wieder eine Eitelkeit«, entgegnete von Thou, den Finger auf seinen Mund legend; »doch hören wir den Abbé vollends an.«

Letzterer, der nicht zweifelte, die Ruhe dieser beiden jungen Leute entspringe aus der Freude, ihre Flucht gesichert zu sehen, und der bemerkte, daß die Sonne die Morgennebel noch kaum zerstreut hatte, überließ sich zwanglos dem unwillkürlichen Vergnügen, welches alte Leute beim Erzählen neuer Ereignisse, selbst solcher, die betrüben müssen, empfinden. Er schilderte ihnen alle seine vergeblichen Mühen, den Aufenthalt seines Zöglings zu entdecken, welcher dem Hofe und der Stadt, wo man auch in den geheimsten Kreisen seinen Namen nicht auszusprechen wagte, unbekannt war. Er hätte die Einkerkerung in Pierre-Encise nur durch die Königin erfahren, welche geruht habe ihn zu sich zu bescheiden, um ihm den Auftrag zu geben, die Marschallin d'Effiat und alle Verschworenen davon zu benachrichtigen, damit sie einen verzweifelten Versuch wagten, ihren jungen Anführer zu befreien; Anna von Österreich hätte sogar gewagt, erzählte er, viel Edelleute der Auvergne und der Touraine nach Lyon zu schicken, um bei diesem letzten Schlage behilflich zu sein.

»Die gute Königin!« sagte er, »sie weinte sehr, als ich sie sah und sagte, sie würde alles geben, was sie besitze, um Sie zu retten; sie machte sich große Vorwürfe über einen Brief, ich weiß nicht, was für einen. Sie sprach vom Wohle Frankreichs, erklärte sich aber nicht. Sie sagte mir, daß sie Sie bewundere und Sie beschwöre, die Rettung anzunehmen und wäre es nur aus Mitleid für sie, die Königin, der Sie ewige Gewissensbisse aufbürden würden . . .«

»Hat sie weiter nichts gesagt?« unterbrach ihn von Thou, der den erbleichenden Cinq-Mars unterstützte.

»Weiter nichts!« antwortete der Greis . . .

»Und niemand hat Ihnen von mir gesprochen?« fragte der Großstallmeister.

»Niemand«, entgegnete der Abbé.

»Wenn sie mir nur wenigstens noch geschrieben hätte!« sagte Cinq-Mars halblaut.

»So erinnern Sie sich jetzt, mein Vater, daß sie als Beichtvater hierhergeschickt sind«, begann von Thou wieder.

Der alte Grandchamp indes lag vor Cinq-Mars auf den Knien, dann zog er ihn bei seinen Kleidern auf die andere Seite der Terrasse und rief mit vor Schluchzen erstickter Stimme:

»Gnädiger Herr . . ., mein Gebieter . . . mein guter Gebieter . . . sehen Sie sie? Dort sind sie . . ., sie sind es . . ., sie sind es . . ., sie alle.«

»Ei, wer denn, mein alter Freund?« fragte sein Gebieter.

»Wer? Großer Gott! Sehen Sie nach jenem Fenster, erkennen Sie sie nicht? . . . Ihre Mutter, Ihre Schwester, Ihren Bruder.«

Wirklich ließ ihn die jetzt völlig eingetretene Helle in der Entfernung Frauen sehen, die weiße Sacktücher schwenkten; eine von ihnen, eine schwarzgekleidete Dame, breitete die Arme nach dem Gefängnisse aus, zog sich vom Fenster zurück, um gleichsam neue Kräfte zu sammeln, erschien dann, unterstützt von den anderen, wieder und öffnete die Arme oder legte die Hand auf ihr Herz.

Cinq-Mars erkannte seine Mutter und seine Familie, und seine Kräfte verließen ihn für einen Augenblick; er lehnte den Kopf auf die Brust seines Freundes und weinte.

»Wie vielmal muß ich denn sterben?« sagte er.

Dann antwortete er von der Höhe seines Turmes herab durch eine Handbewegung den Winken seiner Familie und sagte darauf zu dem alten Abbé:

»Jetzt schnell hinab, mein Vater, Sie werden mir vor dem Richterstuhl der Buße und vor Gott sagen, ob der Rest meines Lebens noch wert sei, daß ich um seiner Erhaltung willen Blut vergießen lasse.«

Jetzt bekannte Cinq-Mars in der heiligen Beichte, was Gott, er und Marie von Mantua allein von ihrer geheimen und unglücklichen Liebe wußten. »Er übergab«, sagt Pater Daniel, »seinem Beichtvater das mit Diamanten eingefaßte Bildnis einer großen Dame mit der Bestimmung, die Diamanten zu verkaufen und das Geld davon zu frommen Zwecken zu verwenden.«

Herr von Thou aber schrieb, nachdem er ebenfalls gebeichtet hatte, einen Brief an die Prinzessin von Guémenée. »Darauf (erzählt sein Beichtvater) sagte er zu mir: Das ist der letzte Gedanke, den ich in dieser Welt haben will; machen wir uns jetzt auf den Weg nach dem Paradiese; und indem er mit großen Schritten im Zimmer auf und ab ging, rezitierte er mit lauter Stimme, mit einem unglaublichen Feuer der Seele und einem so gewaltsamen Leben seines Körpers, daß es war als berühre er die Erde nicht und wolle jetzt schon zu einer höheren Region entschweben, den Psalm: Miserere mei Deus usf. Die Wachen wurden stumm bei diesem Schauspiel, und ein Schauer von Ehrerbietung und Entsetzen ergriff sie.«

* * *

In der Stadt Lyon war indessen alles ruhig, als zum großen Erstaunen ihrer Bewohner durch alle Tore Infanterie- und Kavallerietruppen ankamen, von denen man wußte, daß sie sehr weit von da kantoniert waren. Die französische und Schweizergarde, die Regimenter Pompadour, die Gardereiter Maureverts und die Karabiniere La Roques, alle zogen schweigend durch die Straßen; die Kavallerie, mit der Muskete am Sattelknopfe, stellte sich still um das Schloß Pierre-Encise auf: die Infanterie bildete Spalier an den Ufern der Saone vom Tor der Festung bis zum Platz des Terreaux, welches der gewöhnliche Ort der Hinrichtungen war.

»Vier Kompagnien Bürger von Lyon, die man Pennonage nennt und ungefähr elf- bis zwölfhundert an der Zahl waren, wurden«, sagt das Tagebuch Montrésors, »mitten auf dem Platz des Terreaux aufgestellt, so daß sie von jeder Seite einen Raum von etwa zwanzig Fuß einschlossen, in den man niemanden einließ, außer diejenigen, die dazu berechtigt waren.

In der Mitte dieses Raumes ward ein Schafott von ungefähr sieben Fuß in der Höhe und neun Fuß im Geviert aufgerichtet, in dessen Mitte sich ein Pfosten von etwa drei Fuß Höhe erhob, vor welchen man einen Block von der Höhe eines halben Fußes anbrachte, so daß die Hauptseite oder das Vorderteil des Schafotts nach dem Schlachthaus des Terreaux gegen die Saone zu gerichtet war; auf der Seite der Dames de Saint-Pierre wurde eine kleine Leiter von acht Sprossen angelegt, die den Zugang zum Schafott bildete.«

Über die Namen der Gefangenen war in der Stadt nie etwas verlautet; die unzugänglichen Mauern der Festung ließen nichts hinaus und nichts hinein als nur bei Nacht, und die tiefen Kerker hatten zuweilen jahrelang Vater und Sohn nur vier Fuß voneinander eingeschlossen, ohne daß sie es ahnten. Das Erstaunen über diese auffallenden Zurüstungen war außerordentlich, und die Menge eilte herbei, nicht wissend, ob es sich um ein Fest oder eine Hinrichtung handle.

Dieses nämliche Geheimnis, das die Agenten des Ministers gehütet hatten, war auch von den Verschworenen sorgfältig bewahrt worden, denn sie hafteten mit ihrem Kopfe dafür.

Montrésor, Fontrailles, der Baron von Beauvau, Olivier d'Entraigues, Gondi, der Graf du Lude und der Advokat Fournier, in Soldaten, Handwerker oder umherziehende Komödianten verkleidet und mit Dolchen unter ihren Kleidern bewaffnet, hatten über fünfhundert, gleich ihnen verkleidete Edelleute und Bedienten hergebracht und unter der Menge verteilt; an der Straße nach Italien standen allenthalben Pferde bereit, und Barken auf der Rhone waren im voraus bestellt worden.

Der junge Marquis d'Effiat, der ältere Bruder Cinq-Mars', durchzog, als Karthäuser verkleidet, die Menge, kam und ging unaufhörlich von dem Platze des Terreaux zu dem kleinen Häuschen, wo sich seine Mutter, seine Schwester und die Präsidentin von Pontac, die Schwester des unglücklichen von Thou, aufhielten; er beruhigte sie immer, machte ihnen einige Hoffnung und begab sich dann stets wieder zu den Verschworenen, um sich zu versichern, daß jeder von ihnen zum Handeln bereit sei.

Jeder das Spalier bildende Soldat hatte an seiner Seite einen Mann, bereit, ihn zu erdolchen.

Die zahllose hinter der Linie der Garden sich drängende Menge stieß diese vorwärts, durchbrach ihre Reihen und gewann ihnen Boden ab. Ambrosio, der spanische Bediente, den Cinq-Mars behalten hatte, nahm den Hauptmann der Pikeniere auf sich und hatte, als katalonischer Musikant verkleidet, Streit mit ihm angefangen, indem er tat, als wolle er nicht aufhören, die Leier zu spielen. Jeder befand sich auf seinem Posten.

Der Abbé von Gondi, Olivier d'Entraigues und der Marquis d'Effiat befanden sich in der Mitte einer Gruppe von zankenden Fischverkäuferinnen und Austernhändlerinnen, die ein großes Geschrei verführten und eine von ihnen, die jüngste, die schüchterner war als ihre robusteren Genossinnen, mit Schimpfnamen überhäuften. Cinq-Mars' Bruder näherte sich, um ihren Streit anzuhören.

»Ei«, sagte sie zu den anderen, »weshalb sollte Jean de Roux, der ein ehrbarer Mann ist, zwei Christen den Kopf abhauen, da er seines Gewerbes ein Metzger ist? So lange ich seine Frau bin, werde ich das nicht dulden; lieber wollt' ich . . .«

»Aber du hast unrecht!« antworteten ihre Gefährtinnen: »was tut dir das, ob man das Fleisch, das er abschneidet, ißt oder nicht ißt? Es ist nichtsdestoweniger wahr, daß du hundert Taler dafür bekommst; kannst deine drei Kinder neu davon kleiden lassen. Bist zu glücklich, die Gemahlin eines Metzgers zu sein. Benutze daher, Schätzchen, was Gott dir durch die Gnade Sr. Eminenz zusendet.«

»Laßt mich in Ruhe«, entgegnete die erstere, »ich will es nicht annehmen. Ich habe die schönen jungen Leute am Fenster gesehen, sie sehen so sanft aus wie Lämmer.«

»Nun ja, tötet man denn nicht Lämmer und Kälber?« versetzte die Frau le Bon. »Soll doch einem so kleinen Ding da so ein Glück zustoßen! 's ist Jammer und Schande! Will's nicht einmal annehmen und kommt es doch zudem von seiten des ehrwürdigen Pater Kapuziners!«

»Wie fürchterlich doch die Heiterkeit des Pöbels ist!« rief unbesonnen Olivier d'Entraigues.

Die Frauen alle hörten ihn und begannen gegen ihn zu murren.

»Des Pöbels!« sagten sie, »und woher ist denn dieser kleine Maurerjunge mit seinen verpflasterten Kleidern?«

»Ach!« fiel eine andere ein, »siehst du denn nicht, 's ist ein verkleideter Edelmann? Schau mal seine weißen Hände an; das hat nie gearbeitet.«

»Ja, ja, 's ist so ein kleines süßes Herrchen von den Verschwörern: ich hätte große Lust, den Herrn Ritter der Scharwache zu holen, um ihn verhaften zu lassen.«

Der Abbé von Gondi, der die ganze Gefahr dieser Lage fühlte, warf sich mit zorniger Miene und allen Manieren eines Tischlers, dessen Kostüm und Schürze er trug, auf Olivier und rief, ihn beim Kragen fassend:

»Ihr habt recht, 's ist so ein kleiner Schlingel, der nie arbeitet; seit den zwei Jahren, daß mein Vater ihn in die Lehre getan hat, hat er nichts anderes geschafft als daß er seine blonden Haare kämmte, um den jungen Mädchen zu gefallen. Marsch, geh' nach Hause.«

Und nun trieb er ihn mit Püffen durch die Menge, stellte sich an einem anderen Punkte des Spaliers auf und verlangte, nachdem er den unbesonnenen Pagen tüchtig ausgescholten hatte, den Brief von ihm, den er Herrn von Cinq-Mars, wenn dieser entwischt wäre, zustellen zu müssen behauptete. Olivier trug ihn schon zwei Monate in der Tasche herum und gab ihn an den Abbé von Gondi ab.

»Er ist von einem Gefangenen an den anderen«, sagte er, »denn der Ritter von Jars hat ihn mir, als er aus der Bastille entlassen wurde, von seiten eines seiner Gefährten der Gefangenschaft versandt.«

»Meiner Treu«, versetzte Gondi, »er könnte ein wichtiges Geheimnis für unseren Freund enthalten; ich öffne ihn; daran hätten Sie früher denken sollen.«

»Ah pah, er ist vom alten Bassompierre. Wir wollen ihn lesen.«

»Mein liebes Kind!

Ich vernehme in der Bastille, wo ich mich immer noch befinde, daß Sie sich gegen diesen Tyrannen von Richelieu, der nicht müde wird, unseren guten alten Adel und die Parlamente zu erniedrigen und das Gebäude, auf welchem der Staat ruht, zu untergraben, verschwören wollen. Ich vernehme, daß die Adeligen beschnitten und gegen die Privilegien ihres Standes durch geringe und unbedeutende Leute, die zu ihren Richtern bestellt sind, beurteilt und gegen die alten Bräuche zum Arrière-Bann gezwungen werden . . .«

»Ah! der alte Schwätzer!« unterbrach ihn der Page hellauflachend.

»Er ist nicht so dumm wie Sie meinen; nur hinsichtlich unserer Angelegenheit ein bißchen im Rückstand . . .«

»Ich kann diesen edelmütigen Vorsatz nur billigen und bitte Sie, mir von allem Benachrichtigung zu übermachen . . .«

»Ach, die alte Sprache des letzten Jahrhunderts!« sagte Olivier, »er kann nicht schreiben: mir alles melden zu lassen, so sagt man jetzt.«

»Um Gott, lassen Sie mich doch lesen«, entgegnete der Abbé, »in hundert Jahren wird man sich auch über unsere Schreibart lustig machen.«

Er fuhr fort.

»Ich kann Ihnen, meines hohen Alters ungeachtet, ja dennoch meinen Rat erteilen, indem ich Ihnen erzähle, was mir im Jahre 1560 begegnete.«

»Ach, meiner Treu, ich habe nicht Zeit, mich so zu langweilen, indem ich das alles lese. Sehen wir, was er am Ende sagt . . .«

»Wenn ich des Mittagessens bei der Frau Marschallin d'Effiat, Ihrer Mutter, gedenke und mich frage, was aus den Tischgenossen allen geworden ist, so werde ich wahrhaftig betrübt; mein armer Puy-Laurens ist vor Kummer, von Monsieur im Gefängnis vergessen zu werden, in Vincennes gestorben; de Launay im Duell gefallen, und das betrübt mich; denn wenn ich auch über meine Verhaftung nicht gerade zufrieden war, so benahm er sich doch höflich dabei und hab' ich ihn immer für einen Mann von guter Lebensart gehalten. Was mich betrifft, so bin ich für die ganze Lebenszeit des Herrn Kardinals hinter Schloß und Riegel gesetzt; wir waren aber auch dreizehn bei Tische, liebes Kind, und man muß einen alten Glauben nicht verlachen. Danken Sie Gott, daß Sie der einzige sind, dem nichts Unglückliches zugestoßen ist . . .«

»Fragt sich sehr!« sagte Olivier herzlich lachend, und diesmal konnte auch der Abbé von Gondi, ungeachtet seiner Anstrengungen, seinen Ernst nicht beibehalten.

Sie zerrissen den unnützen Brief, um, im Falle er gefunden werden sollte, die Gefangenschaft des armen Marschalls nicht zu verlängern, und näherten sich dem Platze des Terreaux und dem Spalier der Garden, die sie angreifen sollten, wenn der junge Gefangene das Signal mit dem Hut geben würde.

Zu ihrer Befriedigung sahen sie alle ihre Freunde auf ihren Posten, und, nach ihrem eigenen Ausdrucke, bereit, die Messer spielen zu lassen. Das Volk, das sich um sie herumdrängte, begünstigte sie, ohne es zu wollen.

In der Nähe des Abbés kam ein Trupp weißgekleideter und verschleierter Jungfrauen vorbei, die in die Kirche zur Kommunion wollten. Da die Nonnen, die sie anführten, wie das ganze Volk im Wahne standen, dieses glänzende Gefolge sei zu Ehren einer großen Person bestimmt, erlaubten sie ihnen, sich auf breite, hinter den Soldaten aufgehäufte Steine zu stellen. Hier gruppierten sie sich dann mit der Anmut ihres Alters gleich zwanzig schönen Statuen auf einem einzigen Fußgestell. Man hätte sie für jene Vestalinnen halten können, die im Altertum zu den blutigen Schauspielen der Gladiatoren eingeladen wurden. Sie flüsterten einander ins Ohr, schauten sich um, lachten miteinander und erröteten, wie Kinder tun.

Der Abbé von Gondi sah zu seinem Verdrusse, daß Olivier schon wieder aus seiner Verschwörerrolle herausfallen und sein Maurerkostüm vergessen wolle, um leuchtende Blicke auf die Mädchen zu werfen und eine für den Stand, als dessen Angehörigen man ihn ansehen mußte, zu elegante Haltung und zu zivilisierte Gebärden anzunehmen; er näherte sich ihnen schon, indem er mit seinen Fingern seine Locken ringelte, als Fontrailles und Montrésor in der Kleidung von Schweizersoldaten glücklicherweise dazu kamen; eine Gruppe als Seeleute verkleideter Edelleute folgte ihnen mit eisenbeschlagenen Stöcken in der Hand; ihr Gesicht zeigte eine Blässe, die nichts Gutes verkündete. Man hörte Trompeten einen Marsch blasen.

»Bleiben wir hier«, sagte einer von ihnen zu seinem Gefolge, »hier gilt's.«

Die düstere Miene und das Schweigen dieser Zuschauer stachen seltsam gegen die heiteren und neugierigen Blicke der jungen Mädchen und ihr kindisches Geplauder ab.

»Ach, das schöne Gefolge!« riefen sie, »da sind wenigstens fünfhundert Männer mit Kürassen und roten Kleidern auf schönen Pferden, sie haben gelbe Federn auf ihren großen Hüten.«

»Das sind Fremde, sind Katalonier«, sagte ein französischer Gardist.

»Wen führen sie denn?«

»Ah! da kommt eine schöne vergoldete Kutsche! Es ist aber niemand drin.«

»Ach, ich sehe drei Männer zu Fuß; wohin gehen die?«

»Zum Tode«, sagte Fontrailles mit düsterer Stimme, die alle anderen Stimmen zum Schweigen brachte.

Man hörte nur noch die langsamen Tritte der Pferde, die infolge einer jener Stockungen, die bei jedem Zuge vorkommen, stillstanden.

Jetzt zeigte sich ein schmerzliches und seltsames Schauspiel. Ein Greis mit der Tonsur schritt mühsam, schluchzend und von zwei jungen Leuten mit anmutigen und interessanten Gesichtern unterstützt, einher; diese reichten sich hinter seinen gekrümmten Schultern die eine Hand, während jeder von ihnen mit der anderen den einen seiner Arme hielt. Der, welcher ihm zur Linken ging, war schwarz gekleidet; er war ernst und schlug die Augen nieder. Der andere, weit jüngere, trug einen glänzenden Anzug.Das Bildnis in Lebensgröße des Herrn von Cinq-Mars ist im Museum von Versailles aufbewahrt. Ein Wams von holländischem Tuche mit breiten, goldenen Spitzen besetzt und bauschigen, gestickten Ärmeln bedeckte ihn vom Hals bis an den Gürtel, ein Kleidungsstück, das dem Schnürleib der Frauen ziemlich ähnlich war, der übrige Teil seiner Kleidung war aus schwarzem, mit silbernen Palmen gesticktem Samt, dazu graue Stiefel mit roten Absätzen, an denen goldene Sporen angeschnallt waren, ein scharlachfarbener Mantel mit goldenen Knöpfen, alles dieses hob die Anmut seiner eleganten und geschmeidigen Gestalt. Er grüßte rechts und links vom Spalier mit trübem Lächeln.

Ein alter Bedienter mit weißem Barte folgte gesenkten Hauptes und hielt die Zügel zweier mit Decken belegter Pferde.

Die jungen Mädchen schwiegen, konnten aber bei diesem Anblick ihr Schluchzen nicht zurückhalten.

»Also diesen armen Greis führt man zum Tode?« riefen sie, »seine Kinder unterstützen ihn.«

»Auf die Knie, meine Damen!« befahl eine Nonne.

»Auf die Knie!« rief Gondi, »und beten wir, daß Gott sie errette.«

Alle Verschworenen wiederholten:

»Auf die Knie! Auf die Knie!« Und gaben dem Volke, das ihnen schweigend nachahmte, das Beispiel dazu.

»Wir können jetzt seine Bewegungen besser sehen«, sagte Gondi leise zu Montrésor, »stehen Sie auf; was tut er?«

»Er wird aufgehalten und spricht, der Seite, wo wir uns befinden, zugewandt; ich glaube, er erkennt uns.«

Alle Häuser, Fenster, Mauern, Dächer, die Stufen zu dem Schafott, kurz, alles, was die Aussicht auf den Platz bot, war mit Personen jeden Standes und jeden Alters angefüllt.

Das tiefste Schweigen herrschte in der unermeßlichen Menge: die Luft war ruhig, die Sonne glänzend, der Himmel blau. Das ganze Volk horchte in gespannter Erwartung. Man war dem Platze des Terreaux nahe; jetzt ließen sich Hammerschläge auf den Brettern vernehmen, dann die Stimme Cinq-Mars'.

Ein junger Karthäuser streckte seinen blassen Kopf zwischen zwei Garden hindurch; alle Verschworenen standen auf, so daß sie über das immer noch kniende Volk emporragten, jeder von ihnen legte die Hand an seinen Gürtel oder in sein Brusttuch, und stellte sich dicht neben den Soldaten hin, den er erdolchen sollte.

»Was tut er?« fragte der Karthäuser, »hat er seinen Hut auf dem Kopfe?«

»Er wirft seinen Hut weit von sich auf den Boden«, antwortete ruhig der befragte Büchsenschütze.



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