Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Neunzehntes Kapitel. Die Jagdpartie

Die Krankheit des Königs versetzte Frankreich indes in eine Bestürzung, wie sie die schlecht befestigten Staaten bei der Annäherung des Todes ihrer Herrscher stets empfinden.

Richelieu war der Mittelpunkt der Monarchie, er regierte nur im Namen Ludwigs XIII. und gleichsam eingehüllt in den Glanz dieses Namens, den er groß gemacht hatte. So unabhängig er von seinem Gebieter war, so fürchtete er ihn nichtsdestoweniger, und diese Furcht beruhigte die Nation hinsichtlich seiner ehrgeizigen Wünsche, deren unerschütterliche Schranke der König selbst war. Aber war der König einmal tot, was würde der herrschsüchtige Minister beginnen? Wo würde dieser Mann, der so viel gewagt, aufhören. Gewöhnt, das Zepter zu handhaben, wer würde ihn verhindern, es immer zu tragen und seinen Namen allein unter die von ihm vorgezeichneten Gesetze zu schreiben?

Diese Furcht regte alle Gemüter auf, das Volk suchte vergeblich auf der Oberfläche des Königreichs jene Kolosse des Adels, zu deren Füßen es sich in politischen Stürmen zu flüchten pflegte, es sah nur noch ihre frischen Gräber; die Parlamente waren stumm, und man fühlte, daß nichts sich dem ungeheueren Anwachsen der Macht dieses Usurpators widersetzen würde. Niemand ließ sich durch die erdichteten Leiden des Ministers wirklich hintergehen. Keiner ließ sich durch den erheuchelten Todeskampf rühren, der nur zu oft die Hoffnung des Volkes getäuscht hatte, und die Entfernung hinderte nicht, auf allem den Finger des schrecklichen Emporkömmlings lasten zu fühlen.

Die Liebe des Volkes erwachte auch für den Sohn Heinrichs IV.; man lief in die Kirchen, man betete und weinte sogar viel. Die unglücklichen Könige sind stets geliebt. Ludwigs Schwermut und sein geheimer Schmerz erregte die Teilnahme von ganz Frankreich; und noch lebend, beklagte man sein Hinscheiden schon, als hätte ein jeder gewünscht, er möchte ihm seine Leiden noch anvertrauen, bevor er das große Geheimnis, was so hochgestellte Männer leiden, die in ihrer Zukunft nur ihr Grab sehen, mit sich nehme.

In der Absicht, die ganze Nation zu beruhigen, ließ der König die momentane Wiederherstellung seiner Gesundheit bekannt machen und wollte, der Hof möchte sich zu einer Jagdpartie in Chambord, einer königlichen Domäne, wohin ihn sein Bruder, der Herzog von Orleans, zurückzukehren bat, bereithalten.

Dieser schöne Aufenthaltsort war die Lieblingsstätte des Königs, ohne Zweifel weil er, in Übereinstimmung mit seiner Person, wie dieser Erhabenheit mit Düsterheit verband. Er brachte oft ganze Monate hier zu, ohne irgend jemand vor sich zu lassen, indem er unablässig geheimnisvolle Papiere las und wieder las und unbekannte Sachen schrieb, die er in einen eisernen Koffer verschloß, zu dem er allein den Schlüssel besaß. Er gefiel sich zuweilen, nur durch einen einzigen Diener bedient zu werden und sich so bei der Abwesenheit seines Gefolges selbst zu vergessen, mehrere Tage lang gleich einem armen Manne oder einem verbannten Bürger zu leben, indem er sich gern Elend oder Verfolgung dazu dachte, um freier als bei dem Gedanken an sein Königreich zu atmen. Seine Idee plötzlich ändernd, wollte er dann zu anderer Zeit in völliger Einsamkeit leben, und hatte er jedem menschlichen Wesen die Annäherung versagt, so eilte er, sich in Mönchskleidung in die gewölbte Kapelle einzuschließen, las dort das Leben Karls V. wieder, glaubte sich in Saint-Just und sang auf sich selbst jene Totenmesse, die ehemals den Tod auf das Haupt des spanischen Kaisers herabschweben ließ.

Aber mitten in diesen Gesängen und Betrachtungen sogar ward sein schwacher Geist durch eine Menge entgegengesetzter Bilder verfolgt und zerstreut. Nie waren ihm Welt und Leben schöner erschienen als in der Einsamkeit und nahe dem Grabe. Zwischen seinen Augen und den Seiten, die er zu lesen sich bemühte, zogen glänzende Gefolge, siegreiche Armeen, von Liebe begeisterte Völker; er sah sich mächtig, kämpfend, siegreich, angebetet, und stahl sich ein Sonnenstrahl von den Fensterscheiben bis zu ihm, so erhob er sich schnell vom Fuße des Altars, denn er fühlte sich von einer Sehnsucht nach dem Tageslicht und der freien Luft hingerissen, die ihn solchen dunkeln, dumpfigen Orten entriß: doch kaum zum Leben zurückgekehrt, stellte sich auch Überdruß und Langeweile wieder bei ihm ein, weil die ersten Menschen, denen er begegnete, ihn durch ihre Ehrfurchtsbezeugungen an seine Macht erinnerten.

In solch einer Gemütsstimmung glaubte er dann an die Freundschaft und rief sie an seine Seite; allein kaum war er ihres wirklichen Besitzes gewiß, so bemächtigte sich seiner Seele plötzlich eine starke Bedenklichkeit, dem Geschöpfe, das ihn von der Anbetung Gottes einigermaßen abzog, eine allzugroße Anhänglichkeit zu weihen oder noch öfter der geheime Vorwurf, sich von den Staatsgeschäften allzu entfernt zu halten; der Gegenstand seiner momentanen Zuneigungen schien ihm dann ein despotisches Wesen, dessen Macht ihn seinen Pflichten entriß, – er schuf sich eine eingebildete Fessel und beklagte sich innerlich, unterdrückt zu werden; allein zum Unglück seiner Günstlinge besaß er nicht die Kraft, seine Gefühle durch einen Zorn, der sie gewarnt hätte, zu beurkunden und indem er fortfuhr, ihnen Liebe zu bezeigen, schürte er durch diesen Zwang das geheime Feuer seines Herzens und trieb es bis zum Haß; ja. es gab Augenblicke, wo er zu allem gegen sie fähig war.

Cinq-Mars kannte die Schwächen dieses Geistes, der sich auf keiner Bahn festhalten, und die Schwäche dieses Herzens, das weder vollständig lieben noch hassen konnte, durch und durch; die Stellung des von ganz Frankreich beneideten Günstlings und der Gegenstand der Eifersucht des großen Ministers sogar war daher auch eine so schwankende und so schmerzhafte, daß er ohne seine Liebe zu Marie seine goldene Kette mit größerer Freude gebrochen hatte, als ein Sträfling in seinem Herzen empfindet, wenn er den letzten Ring fallen sieht, den er zwei Jahre lang mit einer in seinem Munde verborgenen Feder von Stahl durchgefeilt hat.

Diese Ungeduld, mit dem Lose, das er so nahe sah, ins reine zu kommen, beschleunigte den Ausbruch dieser geduldig gegrabenen Mine, wie er es seinem Freunde gestanden hatte: allein seine Lage war damals die eines Mannes, der, an der Seite des Lebensbuches stehend, den ganzen Tag die Hand, die seine Verdammung oder seine Wohlfahrt schreiben sollte, darüber hinfahren sieht. Entschlossen, die erste günstige Gelegenheit zu seinem Vorhaben zu wählen, reiste er mit Ludwig XIII. nach Chambord. Diese bot sich dar.

Am Morgen des zur Jagd bestimmten Tages ließ ihm der König sagen, er erwarte ihn auf der Lys-Treppe. Es dürfte nicht unnötig sein, dieses staunenswerten Bauwerkes etwas umständlicher zu erwähnen.

Vier Stunden von Blois, eine Stunde vom Ufer der Loire entfernt, trifft man in einem sehr tiefen kleinen Tale, zwischen schlammigen Sümpfen und einem Wäldchen von großen Eichen, weit von allen gebahnten Straßen, plötzlich ein königliches oder vielmehr ein zauberisches Schloß an. Man möchte sagen, ein Genius des Orients habe es, gezwungen durch irgend eine Wunderlampe, während einer der tausend Nächte dem Lande der Sonne entwendet und hierher getragen, um es mit den Liebschaften eines schönen Prinzen in dem des Nebels zu verbergen.

Dieser Palast liegt gleich einem Schatze vergraben, allein an seinen blauen Kuppeln, seinen eleganten, auf breiten Mauern abgerundeten oder hoch in die Luft strebenden Minaretts, an seinen langen Terrassen, welche die Wälder überragen, an seinen leichten Turmspitzen, mit denen der Wind spielt, von den in den Säulengängen eingeflochtenen Halbmonden an, möchte man sich in den Königreichen von Bagdad oder Kaschmir glauben, wenn die geschwärzten Mauern, ihr Moos- und Efeuteppich und die blasse, trübe Farbe des Himmels nicht ein regnerisches Klima ankündeten.

Der dieses Gebäude aufführte, mußte jedenfalls ein Genie sein; er kam aus Italien und hieß Primarticcio; der seine Liebschaften darin verbarg, war ein schöner Prinz, ja ein König und hieß Franz I. Sein Salamander sprüht seine Flammen überallhin, er funkelt tausendfach an den Gewölben wider und seine Flammen glänzen zahllos daran wie die Sterne des Himmels; er trägt mit seiner glühenden Krone die Pfeiler, vergoldet mit seinem Feuer die Fensterscheiben, schlängelt sich durch die Geheimtreppen und scheint überall mit seinen flammenden Blicken den dreifachen Halbmond einer mysteriösen Diana, jener Diana von Poitiers zu verzehren, die zweimal in diesen wollüstigen Wäldern Göttin und zweimal angebetet war.

Allein auch die Grundlage dieses seltsamen Monumentes ist gleich ihm voller Eleganz und Heimlichkeit! Es ist eine Doppeltreppe, die sich in zwei ineinander verschlungenen Schneckenlinien von den äußersten Fundamenten des Gebäudes bis über die höchsten Glockentürme hinaufwindet und in eine Laterne oder ein durchbrochenes Kabinett ausläuft, das mit kolossalen, von weitem sichtbaren Lilienblumen gekrönt ist; zwei Männer können zu gleicher Zeit hinaufsteigen, ohne sich zu sehen.

Schon diese Treppe allein erscheint als ein kleiner einsamstehender Tempel; gleich unseren Kirchen wird er durch die Arkaden seiner dünnen, durchsichtigen und sozusagen durchbrochenen brodierten Flügel getragen und geschützt. Man sollte meinen, der lenksame Stein hätte sich unter den Fingern des Baumeisters gebogen; er scheint, wenn man so sagen darf, je nach der Laune seiner Phantasie geknetet. Man begreift kaum, wie die Plane dazu entworfen werden konnten und in welchen Ausdrücken die Anordnungen den Arbeitern erklärt wurden; das Ganze scheint ein flüchtiger Gedanke, eine glänzende Träumerei, die plötzlich einen dauerhaften Körper angenommen haben; es ist ein verwirklichter Traum.

Cinq-Mars stieg langsam die breiten Stufen hinan, die ihn zu dem König führen sollten und hielt, je näher er kam, desto länger auf jeder Stufe an, sei es nun aus Abneigung, sich zu dem Monarchen zu begeben, dessen neue Klagen er täglich anzuhören hatte, sei es, um seinem Vorhaben nachzusinnen, als plötzlich der Ton einer Gitarre an sein Ohr schlug. Er erkannte das Lieblingsinstrument Ludwigs und seine klagende, schwache und zitternde Stimme, die in den Wölbungen nachklang; er schien eine der selbst komponierten Romanzen zu probieren und wiederholte mehrmals mit zitternder Hand einen unvollkommenen Schlußreim, die Worte vernahm man nicht deutlich, nur einige derselben, wie: verlassen, satt der Welt und schöne Flamme drangen vernehmbar ins Ohr.

Horchend zuckte der junge Günstling die Achseln.

»Welch ein Kummer überwältigt dich?« summte er vor sich hin; »laß sehen, ob ich noch einmal in diesem eiskalten Herzen lesen kann, das etwas zu wünschen glaubt.«

Er trat in das enge Kabinett.

Schwarz gekleidet, halb liegend auf einer Chaiselongue und die Ellbogen auf Kissen gestützt, rührte der König schmachtend die Saiten seiner Gitarre; als er den Großstallmeister gewahr ward, hörte er auf zu trillern, hob seine großen Augen mit vorwurfsvollem Blick auf ihn, wiegte eine geraume Weile mit seinem Kopf, bevor er sprach und begann dann mit weinerlichem und ziemlich nachdrücklichem Tone:

»Was mußte ich vernehmen, Cinq-Mars; was habe ich über Ihr Betragen erfahren! Wie weh tun Sie mir, indem Sie alle meine Ratschläge vergessen? Sie haben eine sträfliche Intrige angeknüpft; durfte ich solche von Ihnen erwarten, von Ihnen, dessen Frömmigkeit und Tugend mich so ansprachen!«

Voll des Gedankens an seine politischen Pläne sah sich Cinq-Mars entdeckt und konnte sich einer augenblicklichen Verwirrung nicht erwehren, antwortete dann aber, vollkommen Herr seiner selbst, ohne Zögern:

»Ja, Sire, und das wollte ich Ihnen soeben erklären; ich bin gewöhnt, Ihnen meine Seele ganz zu öffnen.«

»Mir erklären!« rief Ludwig XIII., wie unter Fieberschauern rot und blaß werdend, »wie, Sie hätten gewagt, meine Ohren mit solch abscheulichen vertraulichen Mitteilungen zu besudeln, mein Herr? Und Sie sind noch so ruhig, indem Sie von Ihren Verirrungen reden! Gehen Sie, Sie würden verdienen wie ein Rondin zu den Galeeren verurteilt zu werden; Sie haben durch Ihren Mangel an Aufrichtigkeit mir gegenüber eine Majestätsbeleidigung begangen. Lieber wollte ich, Sie wären Falschmünzer, wie der Marquis von Coucy oder an der Spitze der Croquants, als zu tun, was Sie getan haben; Sie entehren Ihre Familie und das Andenken des Marschalls, Ihres Vaters.«

Cinq-Mars, der sich verloren sah, nahm die bestmöglichste Haltung und sagte mit ergebener Miene:

»Wohlan, Sire, so lassen Sie mich denn verurteilen und zum Tode verdammen, allein ersparen Sie mir Ihre Vorwürfe.«

»Sie spotten meiner, kleiner Strohjunker aus der Provinz?« entgegnete Ludwig; »ich weiß ganz wohl, daß Sie in den Augen der Menschen keine Todesstrafe verdient haben, allein vor Gottes Richterstuhl werden Sie gerichtet werden, mein Herr.«

»Ei, Sire«, entgegnete der aufbrausende junge Mann, der sich durch die Beleidigung verletzt fühlte, »warum ließen Sie mich nicht, wie ich schon hundertmal in Versuchung kam, in die Provinz zurückkehren, die Sie so sehr verachten! Ich gehe, ich kann das Leben, das ich bei Ihnen führe, nicht länger ertragen; ein Engel würde es hier nicht aushalten. Noch einmal, lassen Sie mich verurteilen, wenn ich strafbar bin oder gestatten Sie mir, in der Touraine verborgen zu leben. Sie selbst haben mich zugrunde gerichtet, indem Sie mich an Ihre Person ketteten; ist es meine Schuld, wenn Sie zu große Hoffnungen in mir nährten, die Sie nachher vernichteten? Ei, weshalb haben Sie mich zum Großstallmeister gemacht, wenn ich nicht weiter gehen sollte? Kurz, bin ich Ihr Freund oder nicht? Und bin ich es, kann ich dann nicht Herzog, Pair, selbst Connétable so gut als Herr von Luynes sein, den Sie so sehr liebten, weil er Ihnen Falken abrichtete. Weshalb habe ich nicht Zutritt im Rate? Ich würde so gut darin reden als alle Ihre alten, in weißen Kragen steckenden Köpfe, ich habe neue Ideen und einen besseren Arm, um Ihnen zu dienen. – Ihr Kardinal ist es, der Sie verhindert, mich dazu zu ernennen, und weil er Sie von mir entfernt, verabscheue ich ihn«, fuhr Cinq-Mars fort, indem er die Faust ballte als stünde Richelieu vor ihm; »ja, ich würde ihn mit eigener Hand töten, wenn es sein müßte.«

D'Effiats Augen glühten vor Zorn, er stampfte oft während des Sprechens und wandte, gleich einem schmollenden Kinde, dem König den Rücken, indem er sich an eine der kleinen Säulen der Laterne lehnte.

Ludwig, der vor jedem Entschlusse scheu zurücktrat und den das Unwiederbringliche, das nimmer gut zu Machende stets schreckte, ergriff seine Hand.

O Schwäche der Macht! Launen des menschlichen Herzens! Durch solch kindisches Aufbrausen, durch solche Jugendfehler regierte dieser junge Mann einen König von Frankreich, gleich dem ersten Politiker jener Zeit. Dieser König glaubte, und zwar mit einigem Rechte, daß ein so aufbrausender Charakter aufrichtig sein müsse, und so erzürnte ihn ein solcher Zorn nicht einmal. Dieser bezog sich überdies nicht auf seine wirklichen Vorwürfe, und daß Cinq-Mars den Kardinal haßte, verzieh er ihm. Der Gedanke der Eifersucht seines Günstlings gegen den Minister gefiel ihm sogar, weil er viel Anhänglichkeit voraussetzte und seine Gleichgültigkeit befürchtete. Das wußte Cinq-Mars und hatte mittels dieses Kunstgriffes entschlüpfen wollen, indem er den König vorbereitete, alles, was er getan, als ein Kinderspiel, als die Folge seiner Freundschaft für ihn zu betrachten; allein die Gefahr war nicht groß, er atmete wieder auf, als der König ihn antwortete:

»Es handelt sich nicht um den Kardinal, der mir nicht lieber ist als Sie, sondern um Ihr anstößiges Benehmen, worüber Sie Vorwürfe verdienen und das ich Ihnen nur mit Mühe werde verzeihen können. Ja, mein Herr, ich habe erfahren, daß Sie, statt sich in Andachtsübungen zu versenken, wie ich Sie gewöhnt habe, Sie, wenn ich Sie im Salut oder Angelis glaubte, nach St. Germain reisen und einen Teil der Nacht bei wem zubringen! . . . Darf ich es sagen, ohne mich zu versündigen? Bei einer Frau von üblem Rufe, die mit Ihnen nur in einer Verbindung stehen kann, die Ihrem Seelenheil gefährlich ist und die Freigeister bei sich sieht, kurz, bei Marion de Lorme! Was haben Sie hierauf zu, antworten? Reden Sie!«

Seine Hand in der des Königs lassend, aber immer an die Säule gelehnt, antwortete Cinq-Mars:

»Ist man denn so strafbar, ernste Beschäftigungen gegen noch ernstere zu vertauschen? Wenn ich zu Marion de Lorme gehe, so geschieht es, um die Unterhaltung der Gelehrten zu hören, die sich dort versammeln. Nichts ist unschuldiger als diese Versammlung; man hält darin Vorlesungen, die zuweilen in die Nacht hinein dauern, es ist wahr, die aber, weit entfernt, die Seele zu verderben, dieselbe nur erheben können. Überdies haben Sie mir noch nie befohlen, Ihnen von allem Rechenschaft abzulegen; ich hätte Ihnen das schon längst gesagt, wenn Sie's hätten wissen wollen.«

»Ach, Cinq-Mars, Cinq-Mars! wo ist das Vertrauen! Fühlen Sie das Bedürfnis desselben nicht? Es ist dies die erste Bedingung einer vollkommenen Freundschaft wie die unsrige, wie die sein soll, welche mein Herz bedarf.«

Ludwigs Stimme war liebevoller geworden, und der Günstling, der über die Achsel nach ihm hinsah, nahm eine minder erzürnte, bloß gelangweilte und im Zuhören ergebene Miene an.

»Wie manchmal haben Sie mich schon getäuscht!« fuhr der König fort, »kann ich mich auf Sie verlassen? Sehen Sie nicht Putznarren und Lüstlinge bei dieser Frau? Kommen nicht auch andere Kurtisanen hin?«

»Ach, mein Gott! nein, Sire, ich gehe oft mit einem Freunde, einem Edelmann aus der Touraine, namens René Descartes, hin.«

»Descartes! Ich kenne diesen Namen; richtig, es ist ein Offizier, der sich bei der Belagerung von La Rochelle auszeichnete und der sich auch ins Schriftstellern mischt; er steht im Rufe der Frömmigkeit, geht aber viel mit Desbarreaux um, der ein Freigeist ist. Ich bin überzeugt, Sie finden dort viel Leute, die keine gute Gesellschaft für Sie sind, viel junge Leute ohne Familie, ohne Geburt. Wie, sagen Sie mir, wen haben Sie das letztemal gesehen?«

»Mein Gott, ich erinnere mich ihrer Namen kaum«, sagte Cinq-Mars, sich mit emporgerichteten Augen besinnend, »ich frage oft nicht einmal danach . . . Erstmalig war da ein gewisser Herr . . . Herr Groot, oder Grotius, ein Holländer.«

»Das weiß ich, ein Freund Barnevelts; ich gebe ihm eine Pension. Ich hielt ziemlich viel auf ihn, allein der Kard. . . allein man hat mir gesagt, er sei ein begeisterter Reformierter . . .«

»Ich sah auch einen Engländer, namens John Milton; es ist ein junger Mann, der aus Italien kommt und nach London zurückkehrt; er spricht beinahe nie.«

»Unbekannt, vollkommen unbekannt; allein ich bin überzeugt, daß das auch wieder so ein Reformierter ist. Und die Franzosen, wer waren die?«

»Da war der junge Mann, welcher den Cinna geschrieben hat und schon dreimal bei der Académie éminente abgewiesen worden ist; er war böse, daß du Ryer statt ihm hinkam. Er heißt Corneille . . .«

»Wohlan«, sagte der König, die Arme kreuzend und ihn mit triumphierender und vorwurfsvoller Miene anblickend, »ich frage Sie, was sind das für Leute? Und wollte man Sie in einem solchen Kreise sehen?«

Cinq-Mars ward durch diese Bemerkung, die seine Eigenliebe verletzte, betroffen und sagte, sich dem König nähernd:

»Da haben Sie allerdings recht, Sire; allein es kann gewiß nicht schaden, eine oder zwei Stunden lang recht gute Sachen anzuhören; überdies kommen auch Männer vom Hofe hin, wie der Herzog von Bouillon, Herr von Aubijour, der Graf von Brion, der Kardinal von La Vallette, die Herren von Montrésor, Fontrailles; dann berühmte Gelehrte, wie Mairet, Colletet, Demarets, Verfasser der Ariane; Faret, Doujat, Charpentier, der die schöne Cyropädie geschrieben hat; Giry, Besons und Baro, der Fortsetzer der Asträa. Alles Akademiker.«

»Ach so, das laß ich mir gefallen, das sind Männer von echtem Verdienste«, entgegnete Ludwig, »da ist nichts dawider zu sagen; man kann in ihrem Umgange nur gewinnen, das sind Leute von gemachtem Rufe, Männer von Gewicht. Jetzt versöhnen wir uns, komm' her, Kind. Ich gestatte Ihnen, zuweilen hinzugehen, aber täuschen Sie mich nicht mehr; Sie sehen, daß ich alles weiß. Da, betrachten Sie das.«

Mit diesen Worten zog der König aus einem eisernen, an der Wand stehenden Kistchen ungeheure Papierhefte, mit einer sehr feinen Schrift überschmiert, hervor. Auf dem einen derselben stand Baradas, auf dem anderen d'Hautefort, auf einem dritten La Fayette und endlich auf einem Cinq-Mars. Bei diesem hielt er an und fuhr fort:

»Sehen Sie, wie vielmal Sie mich hintergangen haben! Das sind beständige Fehler, über die ich eigenhändig seit den zwei Jahren, da ich Sie kenne, das Register geführt habe, ich habe Tag für Tag unsere Unterhaltungen aufgeschrieben. Setzen Sie sich.«

Cinq-Mars setzte sich seufzend und hatte die Geduld, während zwei langen Stunden einen Auszug dessen, was sein Gebieter innerhalb zwei Jahren zu schreiben die Geduld gehabt hatte, anzuhören. Er hielt mehrmals während der Vorlesung die Hand vor den Mund, was wir gewiß alle tun würden, wenn wir diese Gespräche, die man nach dem Tode des Königs in vollkommener Ordnung neben seinem Testamente fand, mitteilen müßten. Wir wollen nur das Ende derselben wiederholen:

»Jetzt geben Sie acht, was Sie vor drei Tagen, als am 7. Dezember, getan haben: ich sprach mit Ihnen vom Fluge des Lerchenfalken und der Kenntnisse des Jagdwesens, die Ihnen fehlen; ich sagte Ihnen, wie es in der ›Königlichen Jagd‹, einem Werke König Karls IX., heißt, daß, nachdem der Jäger seinen Hund gewöhnt hat, ein Tier zu verfolgen, er denken muß, dieser habe Lust, in den Wald zurückzukehren, und daß er ihn weder schelten noch schlagen muß, wenn er gut angreifen soll; daß man auch, um einen Hund das Aufspüren gut zu lehren, an keinem Schlupfwinkel noch Abweg vorbeigehen muß, ohne die Nase darein zu stecken.

Jetzt geben Sie acht, was Sie mir darauf geantwortet haben (und zwar in verdrießlichem Tone, bemerken Sie das wohl): – Ei, Sire, geben Sie mir lieber Regimenter zu führen als Vögel und Hunde. Ich bin überzeugt, man würde Sie und mich auslachen, wenn man wüßte, mit was wir uns beschäftigten. – Und am 8. . . . warten Sie, ja, am 8., während wir in meinem Zimmer miteinander die Vesper sangen, warfen Sie im Zorn Ihr Buch ins Feuer, was eine Gottlosigkeit war, und sagten mir dann, Sie hätten es zufällig fallen lassen; Sünde, Todsünde! Sehen Sie, da habe ich darunter geschrieben: Lüge, unterstrichen. Man täuscht mich nie, ich sagte es Ihnen ja.«

»Aber, Sire . . .«

»Einen Augenblick, einen Augenblick. Am Abend sagten Sie dann über den Kardinal aus, er hätte einen Mann ungerechterweise und aus persönlichem Haß verbrennen lassen.«

»Und das wiederhole ich und behaupte ich und werde ich beweisen, Sire; es ist das größte Verbrechen dieses Mannes, über welchen die Ungnade zu verhängen Sie zögern und der Sie unglücklich macht. Ich habe in Loudun alles mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört; Urbain Grandier wurde eher gemordet als zum Tode verurteilt. Bitte, Sire, da Sie hier Ihre eigenhändigen Memoiren haben, so lesen Sie nochmals alle Beweise durch, die ich Ihnen damals gegeben habe.«

Die angedeutete Seite suchend und bis zu der Reise von Perpignan nach Paris zurückschlagend, las Ludwig die ganze Erzählung mit Aufmerksamkeit und rief dann:

»Welche Abscheulichkeiten! Wie konnte ich dieses alles vergessen! Dieser Mann übt einen Zauber über mich aus; soviel ist gewiß, du bist mein wahrer Freund, Cinq-Mars. Welche Scheußlichkeiten! Sie müssen einen Flecken auf mein Reich werfen. Er hat die Briefe des ganzen Adels und aller Notabilitäten der Gegend an mich aufgefangen. Verbrennen, lebendig verbrennen! Ohne Beweise! Aus Rache! Ein Mann, ein Volk haben meinen Namen umsonst angefleht, eine Familie verflucht mich jetzt! Ach, wie unglücklich sind die Könige!«

Als der König mit seinem Lesen zu Ende war, warf er seine Papiere weg und weinte.

»Ach, Sire, die Tränen, die Sie da vergießen, sind schöne Tränen!« rief Cinq-Mars mit aufrichtiger Bewunderung, »warum kann nicht ganz Frankreich davon Zeuge sein! Es würde staunen bei diesem Schauspiel und es kaum glauben können.«

»Staunen! Kennt mich denn Frankreich nicht?«

»Nein, Sire«, entgegnete d'Effiat freimütig, »niemand kennt Sie; und ich selbst klage Sie oft, wie jedermann, der Kälte und einer Gleichgültigkeit gegen alles an.«

»Der Kälte! Wenn mich der Kummer tötet; der Kälte! Wenn ich mich ihren Interessen aufgeopfert habe! Undankbare Nation! Alles habe ich ihr geopfert, sogar meinen Stolz, sogar das Glück, sie selbst zu leiten, weil mir bei meinem schwankenden Leben bange für sie war; ich habe mein Zepter einem Manne geliehen, den ich hasse, weil ich seine Hand stärker als die meinige glaubte; ich habe das Leid, das er mir selbst zufügte, ertragen in dem Gedanken, daß er meinem Volke Gutes tue, ich habe meine Tränen getrunken, um die ihrigen zu trocknen und sehe, daß mein Opfer sogar größer war als ich glaubte, denn sie haben es nicht bemerkt; sie haben mich dessen unfähig geglaubt, weil ich schüchtern bin und ohne Kraft, weil ich der meinigen mißtraute; doch gleichviel, Gott sieht und kennt mich.«

»Ach, Sire, zeigen Sie sich Frankreich so, wie Sie sind; nehmen Sie Ihre mißbrauchte Macht wieder in Ihre Hand; es wird aus Liebe zu Ihnen tun, was die Furcht ihm nicht entriß; kehren Sie zum Leben zurück und besteigen Sie den Thron wieder.«

»Nein, nein, mein Leben geht zu Ende, lieber Freund; ich bin nicht mehr fähig zu den Arbeiten, welche die höchste Gewalt erfordert.«

»Ach, Sire, diese Überzeugung allein raubt Ihnen die Kräfte. Es ist endlich Zeit, daß man aufhöre, die Gewalt mit dem Verbrechen zu verschmelzen und ihre Vereinigung Genie zu heißen. Ihre Stimme erhebe sich und verkünde der Erde, daß mit Ihrer Regierung die Regierung der Tugend beginnen wird, und alsobald werden diese Feinde, die das Laster mit so vieler Mühe unter seine Botmäßigkeit bringt, vor einem Worte aus Ihrem Herzen fallen. Man hat noch nicht berechnet, was die redliche Absicht eines Königs von Frankreich alles aus seinem Volke machen kann, aus diesem Volke, dessen Einbildungskraft und warmes Gefühl so schnell zu allem Schönen hinziehen und das man zu jeder Art von Hingebung stets bereit findet. Ihr königlicher Vater leitete uns durch ein Lächeln; was würde nicht eine Ihrer Tränen aus uns machen! Es handelt sich nur darum, zu sprechen.«

Während dieser Rede errötete der erstaunte König oft, hustete und gab Zeichen einer großen Verlegenheit, wie jedesmal, wenn man ihm einen Beschluß entlocken wollte; er fühlte auch, daß sich eine Unterhaltung höherer Art einzufädeln beginne, in die sich zu wagen die Schüchternheit seines Geistes ihn verhinderte; er legte daher oft die Hand an die Brust, runzelte die Brauen, als empfände er einen heftigen Schmerz, und suchte mittels der Krankheit der Scheu einer Antwort auszuweichen; allein sei es nun in der Aufwallung oder im Entschlusse, den letzten Schlag zu tun: Cinq-Mars fuhr, ohne sich stören zu lassen, mit einer Feierlichkeit fort, die Ludwig imponierte. Aus seiner hintersten Verschanzung getrieben, entgegnete ihm dieser endlich:

»Aber, Cinq-Mars, wie soll ich mich eines Ministers entledigen, der mich seit achtzehn Jahren mit seinen Kreaturen umgeben hat.«

»Er ist nicht so mächtig«, antwortete der Großstallmeister, »und auf einen Wink Ihres Hauptes werden seine Freunde zu seinen bittersten Gegnern. Der ganze alte Bund der Friedensfürsten existiert noch, Sire, und nur die der Wahl Ew. Majestät schuldige Achtung hindert den Ausbruch seiner Unzufriedenheit.«

»Ach, guter Gott! Du kannst ihnen sagen, daß sie meinethalben nicht an sich halten sollen; ich geniere sie nicht, mich soll man nicht beschuldigen, Kardinalist zu sein. Wenn mein Bruder mir Mittel an die Hand geben will, Richelieu zu ersetzen, so will ich mich ihrer von Herzen gern bedienen.«

»Ich glaube, Sire, er wird Ihnen noch heute von dem Herrn Herzog von Bouillon sprechen; alle Royalisten verlangen ihn.«

»Ich hasse ihn nicht«, sagte der König, das Ohrkissen seines Lehnstuhls zurechtlegend, »ich hasse ihn gar nicht, obwohl er ein wenig aufrührerisch ist. Wir sind Verwandte, weißt du, lieber Freund«, – und er legte in diesen Lieblingsausdruck mehr Nachlässigkeit als gewöhnlich, – »weißt du, daß er vom heiligen Ludwig von Vater auf Sohn abstammt, und zwar durch Charlotte von Bourbon, die Tochter des Herzogs von Montpensier? Weißt du, daß sieben Prinzessinnen vom königlichen Blute seinem Hause anvermählt worden sind, und acht seines Hauses, deren eine Königin ward, an Prinzen von königlichem Blute verheiratet wurden? O, ich hasse ihn keineswegs; ich habe das nie gesagt, nie.«

»Wohlan, Sire!« sagte Cinq-Mars zutraulich, »Monsieur und er werden Ihnen auf der Jagd erklären, wie alles vorbereitet ist, welches die Männer sind, die man an die Stelle seiner Kreaturen setzen kann, welches die Feldherren und Kavallerie-Obersten sind, auf die man gegen Fabert und alle Kardinalisten von Perpignan zählen kann. Sie werden sehen, daß der Minister sehr wenig ihm ganz ergebene Leute hat. Die Königin, Monsieur, der Adel und die Parlamente sind auf unserer Seite und die Sache ist abgetan, sobald sich Ew. Majestät nicht mehr widersetzt. Man hat den Vorschlag gemacht, Richelieu verschwinden zu lassen wie den Marschall von Ancre, der es weniger verdiente als er.«

»Wie, Concini?« entgegnete der König, »o nein, das darf nicht sein . . . das vermag ich wahrhaftig nicht . . . Er ist Priester und Kardinal, wir würden in den Bann getan. Wenn seine Entfernung aber auf andere Weise geschehen kann, so ist's mir schon recht. Du kannst mit deinen Freunden davon sprechen; ich meinerseits werde es auch überdenken.«

Sobald Ludwig einmal dieses Wort ausgesprochen hatte, überließ er sich seinem Rachegefühl, als hätte er es eben befriedigt und wäre der Streich schon geführt worden. Cinq-Mars sah das nicht gern, weil er fürchtete, sein Zorn möchte, wenn er sich so Luft mache, nicht von langer Dauer sein. Dennoch glaubte er Ludwigs letzten Worten, als dieser nach endlosen Klagen besonders noch hinzufügte:

»Kurz, wirst du glauben, daß seit den zwei Jahren, wo ich meine Mutter beweine, seit dem Tage, wo er mich vor meinem ganzen Hofe so grausam zum besten hielt, indem er mich um ihre Zurückberufung bat, während ihm ihr Tod schon bekannt war, daß ich seit jenem Tage nicht von ihm erhalten kann, sie in Frankreich neben meinen Vätern beerdigt zu sehen? Er hat sogar ihre Asche verbannt!«

In diesem Augenblick glaubte Cinq-Mars Geräusch auf der Treppe zu hören; der König errötete ein wenig.

»Geh'«, sagte er, »geh' schnell und mache dich zur Jagd fertig; du wirst neben meinem Wagen herreiten; geh' schnell, ich will es, geh'!«

Und mit seinen Händen stieß er Cinq-Mars der Treppe und dem Eingange zu, durch den er gekommen war.

Der Günstling entfernte sich, allein die Verwirrung seines Gebieters war ihm nicht entgangen.

Er stieg langsam die Treppe hinab und suchte die Ursache davon in sich selbst, als er das Geräusch von zwei Füßen hörte, die den einen Teil der Wendeltreppe hinaufstiegen, während er den anderen Teil hinabstieg; er stand still, man stand auch still, er stieg wieder hinauf, es deuchte ihn, als stiege man hinunter; er wußte, daß man zwischen der durchgebrochenen Architektur nicht hindurchsehen konnte und entschloß sich, ungeduldig über dieses Spiel, aber gleichwohl sehr beunruhigt, seiner Wege zu gehen. Er wäre gern an der Eingangstür geblieben, um zu sehen, wer erscheinen würde. Doch kaum hatte er die Tür geöffnet, die nach dem Wachensaal führte, so umringte ihn eine Menge der ihn erwartenden Höflinge und nötigten ihn, sich zu entfernen, um die seinem Amte zukommenden Befehle zu erteilen, oder Achtungsbezeugungen, vertraute Mitteilungen, Gesuche, Vorstellungen, Empfehlungen, Umarmungen und jenen Strom stufenweiser Berichte anzunehmen, die alle auf einen Günstling einstürmen und für die es einer gespannten und stets regen Aufmerksamkeit bedarf, denn eine Zerstreuung kann Veranlassung zu großem Unglück werden.

Auf solche Weise vergaß er jenen kleinen Umstand, der auch bloße Einbildung sein konnte, gänzlich, und stieg, sich der Süßigkeit einer Art beständiger Vergötterung hingebend, im großen Hofe, von edlen Pagen bedient und glänzenden Edelleuten umringt, zu Pferde.

Bald langte Monsieur, von den Seinen begleitet, an, und noch war keine Stunde verflossen, so erschien auch der König, blaß, schmachtend und auf vier Männer gestützt. Cinq-Mars stieg ab und half ihm eine Art kleiner, ganz niedriger Wagen besteigen, die man Brouette (Handwagen) nannte und dessen willige und äußerst sanfte Pferde Ludwig XIII. selbst lenkte. Die neben den Schlägen herlaufenden Jäger hielten die Hunde an der Koppel, und beim Schall des Hornes stiegen an die hundert junger Edelleute zu Pferde, und alles begab sich nach dem Zusammenkunftsorte der Jagd.

Zu diesem war von dem König die Meierei l'Ormage bestimmt worden, und an seine Gebräuche gewöhnt, verbreitete sich der ganze Hof in den Alleen des Parkes, während der König langsam auf einem Nebenwege fuhr, seinen Großstallmeister und vier Personen, die er zu sich herangewinkt hatte, an seinen Wagenschlägen.

Diese Lustpartie hatte ein düsteres Ansehen; die großen Eichen des Parkes hatten bei der Annäherung des Winters beinahe alle ihre Blätter verloren, und die schwarzen Äste stachen von dem grauen Himmel ab wie die Arme der bei einer Leiche aufgestellten Leuchter; ein leichter Nebel schien nahen Regen anzudeuten; zwischen dem gelichteten Gehölz und den traurigen Ästen sah man langsam die schwerfälligen Wagen des Hofes rollen, die mit lauter schwarzgekleidetenEin Edikt von 1689 hatte die Hoftracht bestimmt. Sie war einfach und schwarz. Damen, zu der Langeweile verdammt, die Ergebnisse einer Jagd abzuwarten, die sie nicht sahen, angefüllt waren; die Jagdhunde gaben in der Ferne Laut, und das Horn ließ sich zuweilen gleich einem Seufzer hören; ein kalter, scharfer Wind nötigte jedermann, sich so gut als möglich einzuhüllen, und einige Damen, die einen Schleier oder eine schwarze Samtmaske über ihrem Gesicht trugen, um sich vor der Luft zu schützen, welche die Vorhänge ihrer Wagen nicht aufhielten (denn dazumal hatten diese noch keine Fenster), schienen das Kostüm zu tragen, das wir Domino nennen. Alles war matt und traurig, nur einige Gruppen junger, von Jagdlust angefeuerter Leute durcheilten wie der Wind unter Rufen und Hörnerschall eine Allee bis zum äußersten Ende, dann sank alles in düsteres Schweigen zurück, wie nach einer Rakete der Himmel wieder dunkler erscheint.

In einem gleichlaufenden Nebenwege mit dem, den der König fuhr, hatten sich einige, in ihre Mäntel gehüllte Höflinge zusammengefunden. Indem sie sich sehr wenig um das Wild zu bekümmern schienen, ritten sie immer ungefähr mit dem Wagen des Königs gleich und verloren diesen nicht aus dem Gesicht, während sie halblaut untereinander sprachen:

»Es geht gut, Fontrailles, es geht gut; Viktoria! Der König faßt ihn jeden Augenblick beim Arm. Sehen Sie nur, wie er ihm zulächelt? Jetzt steigt Herr le Grand vom Pferde und nimmt den Sitz an seiner Seite ein. Prächtig, köstlich, diesmal ist der alte Fuchs verloren!«

»Ach! das ist noch nichts, haben Sie nicht gesehen, wie der König Monsieur die Hand gedrückt hat? Er hat Ihnen gewinkt, Montrésor, Gondi, sehen Sie nur.«

»Ei, sehen Sie nur! Das ist leicht zu sagen, aber ich mit meinen Augen sehe nicht hin, ich sehe nur mit den Augen des Glaubens und den Ihrigen. Nun, was tun sie denn? Wenn ich nur nicht so kurzsichtig wäre! Erzählen Sie mir, was tun sie?«

»Der König neigt sich jetzt zum Ohr des Herzogs von Bouillon und spricht mit ihm . . . er spricht noch immer, macht lebhafte Gebärden, er will nicht aufhören. O! der wird Minister werden.«

»Er wird Minister werden«, sagte Fontrailles.

»Er wird Minister werden«, wiederholte Graf du Lude.

»Ach, das ist unzweifelhaft!« versetzte Montrésor.

»Ich hoffe, er wird mir ein Regiment geben und dann heirate ich meine Base!« rief Olivier d'Entraigues im Pagentone.

Kichernd und zum Himmel blickend, begann der Abbé von Gondi nach einer Jagdmelodie zu singen:

»Die Stare haben guten Wind,
Ton, ton, ton, ton, taine, ton . . .«

». . . Ich glaubte, meine Herren, Sie sehen undeutlicher als ich, oder es geschehen Wunder im Jahre der Gnade 1642; denn Herr von Bouillon ist nicht näher daran, Premierminister zu werden als ich, und wenn ihn auch der König umarmen würde. Er hat große Eigenschaften, wird es aber nicht dazu bringen, weil er ganz aus einem Stück ist; dennoch glaube ich ist dieses Benehmen von Bedeutung für seine große und dumme Stadt Sedan; sie ist ein Herd, ein guter Herd für uns.«

Montrésor und die übrigen waren fortwährend aufmerksam auf die Bewegungen des Königs und fuhren fort:

»Jetzt ergreift Herr le Grand die Zügel der Pferde und lenkt.«

Der Abbé fuhr in der nämlichen Melodie fort:

»Und führst du meinen Wagen,
Du schöner Postillion;
So laß ihn nicht umschlagen,
Ton, ton, ton, ton, taine, ton.«

»Ach, Abbé, Ihre Liedchen könnten mich zum Narren machen«, sagte Fontrailles, »haben Sie denn für alle Ereignisse des Lebens eine Melodie.«

»Ich kann Ihnen auch Ereignisse liefern, die nach allen Melodien gehen«, entgegnete Gondi.

»Meiner Treu, die Melodie von Ihnen dort gefällt mir«, antwortete Fontrailles leiser, »Monsieur wird mich nicht nötigen, seinen verteufelten Vertrag nach Madrid zu bringen, was mir auch nicht leid tut, denn es ist ein ziemlich mißlicher Auftrag: die Pyrenäen sind nicht so leicht zu überschreiten wie man meint, und auf dem Wege trifft man den Kardinal.«

»Ei, ei, ei!« rief Montrésor.

»Ei, ei!« jubelte Olivier.

»Nun, was ist's denn mit dem ei, ei!!« sagte Gondi, »was habt Ihr so Schönes entdeckt?«

»Meiner Treu, jetzt hat der König Monsieur die Hand schon wieder gedrückt, gottlob, meine Herren, nun sind wir des Kardinals entledigt; der alte Eber ist gefangen. Wer wird es über sich nehmen, ihn zu spedieren? Man muß ihn ins Meer werfen.«

»Das ist noch viel zu gut für ihn«, entgegnete Olivier, »das Todesurteil sollte über ihn gesprochen werden.«

»Gewiß«, sagte der Abbé; »und wie! Wir ermangeln doch gewiß keiner Anklagegründe gegen einen Unverschämten, der seinen Pagen zu verabschieden wagte, nicht wahr?«

Und sein Pferd anhaltend, ließ er Olivier und Montrésor voran, beugte sich zu Herrn du Lude hinüber, der mit zwei ernsten Personen im Gespräch begriffen war, und sagte zu diesen:

»In der Tat, ich komme in Versuchung, meinen Kammerdiener auch in das Geheimnis einzuweihen; noch nie sah man eine Verschwörung so leichtsinnig behandeln. Große Unternehmungen wollen geheimgehalten sein; diese hier wäre bewunderungswürdig, wenn man sich Mühe damit gäbe. Unsere Partie ist schöner als irgendeine, die ich schon in der Geschichte gelesen habe; es wäre Stoff da, drei Königreiche, wenn man wollte, umzustürzen, aber die Unbesonnenheiten werden alles verderben. Es ist wirklich schade und wird mich zu Tode reuen. Ich finde Geschmack an dergleichen Sachen und dieser, die großartig ist, das kann man wahrhaftig nicht leugnen, bin ich mit Leib und Seele zugetan. Nicht wahr, d'Aubijour? Nicht wahr, Montmort?«

Während dieser Gespräche fuhren mehrere große, schwerfällige vier- und sechsspännige Wagen in der gleichen Allee ungefähr zweihundert Schritt hinter diesen Herren; die Vorhänge derselben waren auf der linken Seite geöffnet, um den König sehen zu können. In dem ersten Wagen befand sich die Königin, schwarzgekleidet und verschleiert: sie saß allein auf dem Rücksitze. Auf dem Vordersitze befand sich die Marschallin d'Effiat, und zu den Füßen der Königin und etwas auf der Seite saß die Prinzessin Marie auf einem Taburett; ihr Kleid und ihre Füße reichten über den Wagen hinaus und lagen auf einem vergoldeten Tritt, da es, wie schon erwähnt, keine Türen an den damaligen Wagen gab. Auch sie suchte zwischen den Bäumen hindurch die Bewegungen des Königs zu erkennen und beugte sich oft vor, belästigt durch den fortwährenden Vorbeizug der Pferde des Prinzen Palatin und seines Gefolges.

Dieser nordische Prinz war vom König von Polen gesandt, um scheinbar große Unterhandlungen zustande zu bringen, im Grunde aber nur, um die Herzogin von Mantua vorzubereiten, den alten König Ladislaus VI. zu heiraten; er entfaltete am französischen Hofe allen Luxus des seinigen, der damals in Paris der barbarische und szythische genannt war, und rechtfertigte diese Namen durch fremdartige, orientalische Kostüme. Der Palatin von Posnanien war sehr schön und trug wie die Leute seines Gefolges einen langen, dichten Bart, den Kopf nach türkischer Art geschoren und mit einer gesteppten Mütze bedeckt, und eine kurze, mit Diamanten und Rubinen reich besetzte Weste; sein Pferd war rot bemalt und mit Federn beladen. In seinem Gefolge hatte er eine Kompagnie der polnischen Garde, in rot und gelb gekleidet, mit großen Mänteln und langen Ärmeln, die sie nachlässig über die Schultern hängen ließen. Die polnischen Herren seines Gefolges trugen Gewänder von Gold- und Silberbrokat, und hinten an ihrem geschorenen Kopfe sah man einen einzigen Büschel Haare flattern, was ihnen ein asiatisches und tatarisches Aussehen gab, das am Hofe Ludwigs XIII. so unbekannt war wie das der Moskowiten. Die Frauen fanden es ein wenig wild und ziemlich abschreckend.

Marie von Gonzaga fand sich durch die tiefen Verneigungen und orientalischen Sitten dieses Fremden und seines Gefolges sehr belästigt. So oft er an ihr vorüberritt, glaubte er sich genötigt, ein halb französisches Kompliment an sie zu richten, in welches er ziemlich ungeschickt einige Worte von Hoffnung und Königreich mischte. Sie sah kein anderes Mittel, sich dessen zu entledigen, als mehrmals ihr Sacktuch vor die Nase zu halten und ziemlich laut zu der Königin zu sagen:

»In der Tat, Madame, diese Herren haben einen Geruch an sich, der mir Herzweh macht.«

»Und doch müssen Sie Ihr Herz ein wenig zu stärken und sich an Sie zu gewöhnen suchen«, antwortete Anna von Österreich etwas trocken.

Indem sie aber plötzlich befürchtete, sie betrübt zu haben, fuhr sie heiter fort:

»Sie werden sich daran gewöhnen wie wir, und Sie wissen, daß ich, was Gerüche betrifft, sehr wunderlich bin. Herr Mazarin hat mir jüngst gesagt, meine Strafe im Fegefeuer werde darin bestehen, üble Gerüche einatmen und in Linnen von holländischer Leinwand schlafen zu müssen.«

Ungeachtet dieser paar heiteren Worte war die Königin doch sehr ernst und verfiel wieder in ihr Schweigen. Sie lehnte sich tiefer in den Wagen zurück, hüllte sich stärker in ihr Mäntelchen und nahm scheinbar keinen Anteil an allem, was um sie her vorging, sondern überließ sich einzig dem Wiegen des Wagens. Immerfort mit dem König beschäftigt, sprach Marie halblaut mit der Marschallin von d'Effiat; beide suchten einander Hoffnungen zu machen, die sie nicht teilten, und täuschten sich aus Freundschaft.

»Madame, ich wünsche Ihnen Glück, Herr le Grand sitzt neben dem Könige; noch niemand brachte es so weit«, sagte Marie.

Dann schwieg sie; lange und traurig rollte der Wagen über das welke und verdorrte Laub.

»Ja, ich bemerke es mit großer Freude; der König ist so gütig!« antwortete die Marschallin.

Und sie seufzte tief.

Wieder folgte ein langes, dumpfes Schweigen; beide schauten sich an und sahen ihre gegenseitigen Tränen. Sie wagten nicht mehr sich anzureden, und Marie, die den Kopf senkte, sah nur noch den braunen kalten Boden, der unter den Rädern wegfloh. Ein trübes Linnen beschäftigte ihre Seele, und obwohl ihre Augen den ersten Hof Europas zu Füßen dessen sah, den sie liebte, erregte alles ihre Furcht, und schaurige Ahnungen stimmten sie unwillkürlich düster.

Plötzlich sauste ein Pferd mit Windesschnelle an ihr vorbei; sie schlug die Augen auf und hatte kaum noch Zeit, Cinq-Mars' Gesicht zu sehen. Er blickte sie nicht an, war blaß wie eine Leiche und seine Augen verbargen sich unter seinen gerunzelten Brauen und dem Schatten seines tief in das Gesicht gedrückten Hutes. Zitternd folgte sie ihm mit dem Blicke und sah ihn bei der Gruppe der Reiter anhalten, die den Wagen voraus waren und ihn entblößten Hauptes empfingen.

Einen Augenblick nachher begab er sich mit einem derselben in ein Dickicht, schaute von weitem nach ihr hinüber und verfolgte sie mit den Augen, bis der Wagen vorüber war; dann schien es ihr, als übergäbe er jenem Manne eine Papierrolle, worauf er im Gehölz verschwand. Der dicke Nebel, einer jener so häufigen an den Ufern der Loire, verhinderte sie, ihn länger zu sehen. Die Sonne schien wie ein kleiner, blutroter, in ein zerrissenes Leichentuch eingehüllter Mond und verbarg sich binnen einer halben Stunde in einen so dichten Schleier, daß Marie kaum noch die ersten Pferde am Wagen erkennen konnte und die in der Entfernung von einigen Schritten vorbeireitenden Männer ihr wie graue Schatten erschienen.

Dieser eisige Dunst wurde bald zu einem durchdringenden Regen; die Königin hieß die Prinzessin an ihre Seite sitzen und verlangte nach Hause; schweigend und im Schritt kehrte man nach Chambord zurück. Bald ließen sich auch die Hörner vernehmen, die zur Heimkehr bliesen und die verirrten Jagdhunde zurückriefen; Jäger, die durch den dichten Nebel den Weg suchten und sich mit lauter Stimme gegenseitig zuriefen, eilten schnell am Wagen vorbei. Marie sah oft nur den Kopf eines Pferdes oder einen dunklen Körper durch den düsteren Dunst des Waldes und suchte vergeblich hie und da Worte zu verstehen. Jetzt aber pochte ihr Herz laut, als man zu wiederholten Malen rief:

»Der König fragt nach Herrn le Grand; wo mag sich der Herr Großstallmeister hinbegeben haben?«

»Er hat sich soeben im Walde verloren!«

Bei diesen einfachen Worten schauderte sie zusammen, denn ihr betrübtes Gemüt ließ ihnen einen schrecklichen Sinn. Dieser Gedanke verfolgte sie bis ins Schloß und in ihre Gemächer, wo sie sich einzuschließen eilte. Bald hörte sie den Lärm der Heimkunft des Königs und Monsieurs, und dann im Walde einige Flintenschüsse, deren Feuer nicht gesehen wurde. Sie schaute vergeblich durch die kleinen Fensterscheiben, diese schienen jedoch von außen mit einem weißen Tuche bespannt, das nichts erkennen ließ.

An dem äußersten Ende des Waldes, gegen Montfrault zu, hatten sich indes zwei Reiter verirrt; um den Weg nach dem Schlosse zu suchen, wollten sie eben an einem Teiche stillhalten, als sich ungefähr acht bis zehn Männer aus dem Dickicht hervor auf sie stürzten und sich, bevor sie Zeit hatten sich zu bewaffnen, an ihre Beine, Arme und die Zügel ihrer Pferde hingen, so daß sie unbeweglich gehalten wurden. Zu gleicher Zeit rief eine rauhe, aus dem Nebel kommende Stimme:

»Seid ihr Royalisten oder Kardinalisten? Ruft: Es lebe Herr le Grand! oder ihr seid des Todes.«

»Niederträchtige Schurken«, antwortete der erste der Reiter, indem er seine Pistolen hervorzulangen suchte, »ich werde euch hängen lassen, meinen Namen so zu mißbrauchen.«

»Dios el Senor!« rief die erste Stimme.

Alsobald ließen alle ihre Beute fahren und entflohen in den Wald; ein wildes Gelächter erscholl, und nur einer nahte sich Cinq-Mars.

»Amigo«, redete er ihn an, »erkennen Sie mich nicht? Es ist ein Scherz Jacques', des spanischen Hauptmanns.«

Fontrailles beugte sich zu dem Großstallmeister hinüber und sagte ganz leise zu ihm:

»Mein Herr, das ist ein unternehmender Bursche; ich rate Ihnen, sich seiner zu bedienen; man muß nichts vernachlässigen.«

»Hören Sie mich an«, begann Jacques von Laubardemont wieder, »und reden wir ein bißchen schnell. Ich, ich bin kein Phrasenmacher wie mein Vater. Ich erinnere mich, daß Sie mir einige gute Dienste erwiesen haben, und noch kürzlich waren Sie mir von Nutzen, wie immer, und zwar ohne es zu wissen; denn ich habe bei euren kleinen Aufständen mein Vermögen wieder ein wenig hergestellt. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen wichtigen Dienst erweisen; ich befehlige einige Tapfere.«

»Welchen Dienst?« entgegnete Cinq-Mars; »lassen Sie hören.«

»Ich beginne mit einem Rat. Während Sie diesen Morgen auf der einen Seite der Treppe von dem Könige hinunterkamen, stieg Pater Joseph auf der anderen Seite zu ihm herauf.«

»O Himmel! da haben wir das Rätsel seiner plötzlichen und unerklärlichen Veränderung! Ist es möglich! Ein König von Frankreich! Und er ließ uns ihm alle unsere Geheimnisse anvertrauen!«

»Wohlan, ist das alles? Sie sagen mir nichts? Sie wissen, daß ich ein altes Geschäft mit dem Kapuziner abzumachen habe.«

»Was liegt mir daran!« antwortete Cinq-Mars in tiefes Nachsinnen versunken und mit gesenktem Kopfe.

»Ihnen liegt viel daran, denn Sie brauchen nur ein Wort zu sagen, so entledige ich Sie des Kerls, bevor sechsunddreißig Stunden um sind, obwohl er jetzt schon in der Nähe von Paris ist. Man könnte auch noch den Kardinal beifügen, wenn man wollte.«

»Lassen Sie mich; ich will keine Dolche«, entgegnete Cinq-Mars.

»Ach ja, ich verstehe Sie«, sagte Jacques; »Sie haben recht; Sie wollen lieber, daß man ihn mit dem Degen spediere. Es ist nicht mehr als billig und lohnt sich der Mühe, man ist das dem Range schuldig. Es schickt sich besser, daß große Herren das auf sich nehmen und der Spedierende auf dem Wege ist Marschall zu werden. Ich kann keine Ansprüche machen; man muß nicht zu viel Stolz besitzen, wie große Verdienste man auch in seinem Gewerbe haben kann; ich darf mich nicht an den Kardinal wagen, das ist ein königlicher Bissen.«

»Noch an andere«, fügte der Großstallmeister hinzu.

»Ach, lassen Sie uns den Kapuziner!« entgegnete eindringlich der Hauptmann Jacques.

»Wenn Sie dieses Anerbieten abweisen, so haben Sie unrecht«, sagte Fontrailles, »man bringt deren nicht alle Tage, Vitry hat bei Concini begonnen und man hat ihn zum Marschall gemacht. Wir sehen Leute, die bei Hofe sehr gut stehen und in den Straßen von Paris eigenhändig ihre Feinde getötet haben, und Sie zögern, sich eines Elenden zu entledigen! Richelieu hat seine Schurken, Sie müssen auch die Ihrigen haben; ich begreife Ihre Bedenklichkeiten nicht.«

»Quälen Sie ihn nicht«, entgegnete ihm Jacques barsch; »ich kenne das, ich habe als Knabe, bevor ich Vernunftschlüsse zog, gedacht wie er. Ich hatte nicht einmal einen Mönch getötet; aber ich will mit ihm reden, ich.«

Und sich an Cinq-Mars wendend:

»Hören Sie; wenn man sich in eine Verschwörung einläßt, so will man jemandes Tod oder Untergang wenigstens . . . He?«

Und er machte eine Pause.

»In solchem Falle ist man also mit dem Herrgott entzweit und mit dem Teufel im Bunde . . . He?«

»Secundo, wie man in der Sorbonne sagt, kostet es, wenn man einmal verdammt ist, nichts weiter, ob man es für viel oder für wenig ist . . . He?«

»Ergo ist es einerlei, ihrer tausend oder nur einen zu töten. Ich wette, Sie wissen mir hierauf nichts zu antworten.«

»Man kann nicht besser sprechen, Doktor der Degenstöße«, antwortete Fontrailles halb lachend, »und ich sehe, daß Sie ein guter Reisegefährte wären. Ich nehme Sie mit nach Spanien, wenn Sie wollen.«

»Ich weiß wohl, daß Sie den Vertrag hinbringen müssen«, entgegnete Jacques, »und ich will Sie in den Pyrenäen auf Wegen führen, die allen Menschen unbekannt sind; nichtsdestoweniger wäre es mir aber ein tödlicher Verdruß, wenn ich nicht vorher noch jenem alten Bocke, den wir zurücklassen, wie einen Läufer in der Mitte eines Schachspiels, den Hals umgedreht hätte. Noch einmal, gnädiger Herr«, fuhr er mit einer Miene der Zerknirschung fort, indem er sich von neuem an Cinq-Mars wandte, »wenn Sie Religion haben, so weigern Sie sich nicht länger und erinnern Sie sich der Worte unserer Gottesgelehrten, der frommen Väter Hurtado de Mendoza und Canchez, die bewiesen haben, daß man insgeheim seinen Feind töten kann, weil man durch dieses Mittel zwei Sünden vermeidet; die, sein Leben der Gefahr auszusetzen, und die, sich zu duellieren. Nach diesem tröstlichen Grundsatze habe ich stets gehandelt.«

»Lassen Sie mich, lassen Sie mich«, sagte Cinq-Mars wieder mit vor Wut erstickter Stimme; »ich denke an andere Dinge.«

»An was, das wichtiger sein könnte?« fragte Fontrailles; »das kann von großem Gewicht in der Wagschale unserer Geschicke sein.«

»Ich suche, wie viel das Herz eines Königs darin wiegt«, antwortete Cinq-Mars.

»Sie erschrecken auch mich«, entgegnete der Edelmann; »wir verlangen nicht so viel davon.«

»Ich sage auch nicht so viel davon, als Sie etwa glauben mögen, mein Herr«, fuhr d'Effiat mit ernster Stimme fort; »sie beklagen sich, wenn ein Untertan sie verrät: das ist's, an was ich denke. Wohlan denn! Krieg! Krieg! Bürgerkrieg, Kriege mit dem Ausland, mögt ihr euch wütend entflammen! Da ich die Flamme in Händen halte, will ich sie an die Minen legen. Es gehe der Staat, es gehen zwei Königreiche zugrunde, wenn es nötig ist! Es soll kein gewöhnliches Unglück sich ereignen, wenn der König den Untertan verrät. Hören Sie mich an.«

Und er zog Fontrailles einige Schritte beiseite.

»Ich hatte Sie nur beauftragt, für den Fall des Mißlingens bei dem König Vorbereitungen zu unserem Rückzug und zur Hilfe zu treffen. Seine erzwungenen Freundlichkeiten ließen mich ein solches soeben ahnen und ich hatte mich entschlossen, Sie abreisen zu lassen, weil er uns am Ende seiner Unterhaltung seine Abreise nach Perpignan ankündigte. Ich fürchtete Narbonne und sehe nun, daß er sich gleichsam als Gefangener des Kardinals hinbegibt. Reisen Sie und reisen Sie auf der Stelle ab. Ich füge den Ihnen übergebenen Briefen den Vertrag hier bei; er ist unter falschen Namen aufgesetzt, doch hier ist das Gegenstück dazu, das von Monsieur, dem Herzog von Bouillon und mir unterzeichnet ist. Das ist alles was der Graf-Herzog von Olivarez verlangt. Da sind auch noch Blanketts des Herzogs von Orleans, die Sie nach Belieben ausfüllen können. Reisen Sie, in einem Monate erwarte ich Sie in Perpignan und lasse Sedan den siebzehntausend aus Flandern gekommenen Spaniern öffnen.«

Und auf den Abenteurer, der ihn erwartete, zugehend, sagte er zu ihm:

»Was Sie betrifft, mein Tapferer, so beauftrage ich Sie, da Sie sich doch wichtig machen wollen, diesen Edelmann nach Madrid zu begleiten; Sie sollen reichlich dafür belohnt werden.«

Jacques strich seinen Schnurrbart und antwortete:

»Es soll Sie nicht reuen, meine Dienste angenommen zu haben! Sie geben einen Beweis von Takt und gutem Geschmack. Wissen Sie, daß die große Königin Christine von Schweden mich zu sich verlangte und mich in der Eigenschaft eines Vertrauten um sich haben wollte? Sie war durch den nordischen Löwen, Gustav Adolf, ihren Vater, beim Donner der Kanonen erzogen worden. Sie liebte den Pulvergeruch und mutwillige Männer; ich wollte ihr aber nicht dienen, weil sie Hugenottin ist und ich gewisse Grundsätze habe, von denen ich nie weiche. So zum Beispiel, schwöre ich Ihnen hier beim heiligen Jakobus von Oleron, den Herrn da so sicher durch die Pässe der Pyrenäen zu führen wie durch diesen Wald, und ihn sowohl als Ihre Papiere, die wir ohne einen Flecken noch Riß zurückbringen werden, gegen den Teufel zu verteidigen, wenn es nötig sein sollte. Was die Belohnung betrifft, so will ich keine, ich finde sie stets in der Handlung selbst. Überdies nehme ich nie Geld an, denn ich bin Edelmann. Die Laubardemont sind ein sehr altes und sehr gutes Haus.«

»So leben Sie denn wohl, edler Mann«, sagte Cinq-Mars, »und reisen Sie ab.«

Nachdem er Fontrailles noch die Hand gedrückt hatte, verfügte er sich seufzend in das Gehölz, um nach Chambord zurückzukehren.



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