Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Zweiundzwanzigstes Kapitel. Das Gewitter

In der Mitte jener langen und prächtigen Kette der Pyrenäen, welche die ausgezackte Landenge der Halbinsel bildet, und im Mittelpunkt jener blauen schnee-, wald- und wiesenbedeckten Pyramiden öffnet sich ein Engpaß, ein in das ausgetrocknete Bett eines senkrechten Stromes gehauener Fußsteig; er läuft zwischen den Felsen hinauf, schlüpft unter den Brücken des verdichteten Schnees durch, schlängelt sich am Rand überschwemmter Abgründe hin, um die Berge Urdoz und Oleron zu erklimmen, und arbeitet sich, indem er sich endlich auf ihren unebenen Rücken schwingt, zu ihrem nebelumhüllten Gipfel empor; in einer neuen Gegend, die wieder ihre Berge und Täler hat, zieht er sich rechts hin, verläßt Frankreich und senkt sich nach Spanien hinab. Nie hat das Hufeisen des Maultiers eine Spur in diesen Nebenwegen zurückgelassen; der Mensch kann sich hier kaum aufrecht halten; er braucht eine eisenbeschlagene Fußbekleidung, um nicht auszugleiten, und den dreizackig beschlagenen Stock, der in die Felsspalten eingestemmt wird.

In den schönen Sommermonaten führen der Schäfer in seinem braunen Mantel und der schwarze, langbärtige Widder ihre Herden hierher, deren auffallende Wolle wie Schneeflocken an den Spitzen der Gräser hängen bleibt. Auf diesen steilen Höhen hört man nur noch das Geläute der großen Glocken, welche die Hammel an ihrem Halse tragen, und deren ungleiches Zusammenklingen unvermutete Akkorde und zufällige Skalen hervorbringt, die den Reisenden in Staunen setzen und den wilden und schweigsamen Hirten erfreuen.

Wenn aber der lange Septembermonat kommt, so entrollt sich ein schneeiges Leichentuch vom Gipfel der Berge bis zu ihrem Fuße und verschont nur diesen tief eingegrabenen Fußsteig, einige durch Ströme geöffnete Schlünde und einige Granitfelsen, deren wunderliche Formen gleich Gebeinen einer begrabenen Welt hervorragen.

Dann sieht man leichte Trupps Gemsen heraneilen, welche, die gebogenen Hörner auf den Rücken legend, von Felsen zu Felsen springen, als sollte der Wind sie vor sich herhüpfen lassen, und Besitz von ihrer luftigen Einöde nehmen; Flüge von Raben und Krähen drehen sich unablässig in den Schlünden und über den natürlichen Schächten, die sie zu nebligen Taubenschlägen umwandeln, während der braune Bär, von seiner zottigen Familie begleitet, die um ihn her spielt und purzelt, langsam aus seinem eisumstarrten Schlupfwinkel herabsteigt. Das sind aber weder die wildesten noch die schrecklichsten Bewohner, die der Winter in diese Berge zurückführt; der sicher gewordene Schleichhändler wagt sich sogar eine hölzerne Wohnung am Schlagbaum, den die Natur und die Politik hier aufrichten, zu erbauen; hier, inmitten der Nebel und Winde, werden zwischen den beiden Navarren heimliche Verträge geschlossen und geheimer Tauschhandel getrieben.

Auf diesem schmalen Fußsteige sehen wir ungefähr zwei Monate nach den in Paris vorgefallenen und in den letzten Kapiteln erzählten Szenen zwei aus Spanien kommende Reisende um Mitternacht ermüdet und voller Schrecken auf der französischen Abdachung halten. Man hörte Flintenschüsse im Gebirge.

»Die Schurken haben uns arg verfolgt!« sagte der eine der beiden, »ich komme nicht weiter! Ohne Sie wäre ich gefangen.«

»Und werden es noch samt diesem verdammten Papier, wenn Sie Ihre Zeit in Worten verlieren; da tönt ein zweiter Flintenschuß auf dem Felsen Saint-Pierre de l'Aigle; sie glauben uns auf der Seite des Limaçon; doch weiter unten werden sie sich vom Gegenteil überzeugen. Steigen Sie hinab, es ist ohne Zweifel eine Runde, die nach Schleichhändlern jagt. Vorwärts, hinab.«

»Ei, wie kann ich das? Ich sehe nichts.«

»Nur zu, fassen Sie mich beim Arm.«

»Halten Sie mich; ich gleite mit meinen Stiefeln aus«, sagte der erste Reisende, indem er sich an die Felszacken klammerte, um sich von der Festigkeit des Bodens zu überzeugen, bevor er den Fuß hinsetzte.

»Marsch doch, marsch«, versetzte der andere, ihn vorwärtsstoßend, »da haben wir ja einen dieser Schlingel über unserem Kopfe.«

Wirklich zeichnete sich auch der Schatten eines mit einer langen Flinte bewaffneten Mannes auf dem Schnee ab. Die beiden Abenteurer verhielten sich unbeweglich. Er schritt vorüber und sie fuhren fort abwärts zu steigen.

»Sie erwischen uns!« sagte der, welcher den anderen hielt, »wir sind bemerkt. Geben Sie mir Ihr verteufeltes Pergament; ich trage die Kleidung der Schleichhändler und gebe mich für einen solchen aus, indem ich eine Zuflucht bei diesen suche; doch Sie mit Ihrem goldbetreßten Kleide werden kein Rettungsmittel haben.«

»Sie haben recht«, sagte sein Gefährte, auf einer Felsspitze stehen bleibend, und übergab ihm, während er gleichsam über der Mitte des Abhanges hing, eine ausgehöhlte Rolle von Holz.

Es knallte wieder ein Flintenschuß und eine Kugel begrub sich pfeifend und zischend in den Schnee unter ihren Füßen.

»Zur Warnung!« sagte der erste. »Rollen Sie hinunter und wenn Sie noch lebend unten ankommen, so folgen Sie der Landstraße. Links ist Santa Maria; doch wenden Sie sich rechts, gehen Sie über Oleron und Sie sind auf dem Wege von Pau und gerettet. Marsch, rollen Sie.«

Mit diesen Worten stieß er seinen Kameraden um und begann, ohne sich um dessen Schicksal zu interessieren und ohne hinauf- oder hinabsteigen zu wollen, in gerader Linie der Bergseite zu folgen, indem er sich mit der Geschicklichkeit einer wilden Katze an Steine, Geäst und Pflanzen klammerte, und befand sich bald auf einem festen Erdreiche vor einer kleinen Hütte aus durchlöcherten Brettern, zwischen denen hindurch man Licht sah. Der Abenteurer machte die Runde um dieselbe wie ein heißhungriger Wolf um einen Park und sah, indem er sein Auge an eine der Öffnungen hielt, Dinge, die ihn augenscheinlich zum Eintritt bestimmten, denn er stieß ohne Zögern die schwankende Tür auf, die nicht einmal einen kleinen Drücker hatte.

Das ganze Hüttchen ward durch seinen Faustschlag erschüttert; er sah jetzt, daß es durch eine Wand in zwei Zellen abgeteilt war. Ein großes Licht von gelbem Wachs erhellte die erstere; in dieser kauerte ein junges, blasses und entsetzlich mageres Mädchen in einem Winkel auf dem feuchten Boden, wo unter den Brettern hindurch der geschmolzene Schnee hereinfloß. Schwarze mit Staub bedeckte, aber sehr lange Haare fielen unordentlich auf sein braunwollenes Kleid; die rote, in den Pyrenäen gebräuchliche Kapuze bedeckte ihren Kopf und ihre Schultern; sie heftete die Augen auf den Boden und spann eine kleine, an ihrem Gürtel befestigte Kunkel ab. Der Eintritt eines Mannes störte sie nicht auf.

»He! he! la mozaMädchen., steh' auf und gib mir zu trinken; ich bin müde und habe Durst.«

Das junge Mädchen antwortete nicht und fuhr, ohne die Augen aufzuschlagen, emsig zu spinnen fort.

»Hörst du?« sagte der Fremde, indem er sie mit dem Fuße anstieß, »geh', sage deinem Hausherrn, den ich dort drinnen gesehen habe, ein Fremder komme ihn zu besuchen, und gib mir vorerst zu trinken. Ich will hier übernachten.«

Mit heiserer Stimme und immerfort spinnend antwortete sie:

»Ich trinke den Schnee, der am Felsen schmilzt, oder den grünen Schaum, der auf dem Wasser der Sümpfe schwimmt; wenn ich aber gut gesponnen habe, gibt man mir Wasser aus der Eisenquelle.

Wenn ich schlafe, so läuft die kalte Eidechse über mein Gesicht, doch wenn ich ein Maultier gut gewaschen habe, so wirft man mir Heu hin; das Heu ist warm, das Heu ist gut und warm; ich lege es über meine Marmorfüße.«

»Was für eine Geschichte schwatzest du mir da vor?« sagte Jacques; »ich rede nicht von dir.«

Sie fuhr fort:

»Während man einen Mann tötet, muß ich ihn halten. O, wie viel Blut hatte ich schon an den Händen! Gott verzeih' es ihnen, wenn es möglich ist! Ich mußte seinen Kopf und den Kübel voll roten Wassers halten. O Himmel! ich, die ich die Braut Gottes war! Man wirft ihre Körper in den schneebedeckten Abgrund; aber der Geier findet sie und stopft sein Nest mit ihren Haaren aus. Jetzt seh' ich dich voller Leben; doch bald werd' ich dich blutend, blaß und tot sehen.«

Der Abenteurer zuckte die Achseln, begann zu pfeifen und stieß die zweite Tür auf, wo er den Mann fand, den er durch die Spalten der Hütte gesehen hatte; dieser trug die kleine blaubaumwollene Mütze der Basken über dem Ohr, war mit einem weiten Mantel bedeckt, saß auf dem Saumsattel eines Maultiers, rauchte, über eine große gußeiserne Pfanne mit glühenden Kohlen gebeugt, eine Zigarre und leerte einen an seiner Seite stehenden Schlauch. Der Glutschein beleuchtete sein dickes, gelbes Gesicht und die Kammer, wo Maultiersättel gleich Sitzen um den brasero herumgereiht waren. Ohne sich stören zu lassen, erhob er den Kopf und sagte:

»Aha, bist du's, Jacques? Bist du's wirklich? Wiewohl ich dich vier Jahre lang nicht gesehen habe, erkenne ich dich doch; du hast dich nicht verändert, Schelm, hast immer noch dein großes Taugenichtsgesicht. Setze dich zu mir her und trinken wir einen Schluck.«

»Ja, da bin ich wieder; aber wie zum Teufel kommst du hierher, du? Ich glaubte, du seiest Richter, Houmain!«

»Und ich! Ich glaubte dich spanischer Hauptmann, Jacques.«

»Ach, ich war es allerdings einige Zeit und nachher ward ich Gefangener; aber ich habe mich ziemlich hübsch herausgebissen und das alte Gewerbe, das freie Gewerbe wieder begonnen, den guten alten Schleichhandel.«

»Viva! viva! Jaleo«, rief Houmain; »wir Wackeren sind zu allem tauglich. Also! aber . . . bist du denn immer durch die anderen HäfenSo werden die Wege genannt, die aus Frankreich in die Pyrenäen führen. geschifft? Denn ich habe dich nicht wieder gesehen, seit auch ich zum Gewerbe zurückgekehrt bin.«

»Ja, ja, ich bin durchschifft, wo du nicht durchschiffen wirst, geh'!« sagte Jacques.

»Und was bringst du?«

»Eine unbekannte Ware; meine Maultiere kommen morgen.«

»Sind es seidene Schärpen, Zigarren oder Wolle?«

»Das sollst du später erfahren, amigo«, antwortete der Raufbold, »gib mir den Schlauch, ich habe Durst.«

»Da trink', 's ist echter Valdepenas! Wir sind so glücklich hier wir bandoleros! Ai! Jaleo! JaleoEin gewöhnlicher und unübersetzbarer Ausruf oder Fluch.. So trink' doch, die Freunde werden bald kommen.«

»Was für Freunde?« sagte Jacques, den Schlauch wieder absetzend.

»Beunruhige dich nicht, trinke nur zu; ich will dir das Ding erzählen und dann singen wir miteinander die andalusische StiranaEine Art Ballade..

Der Abenteurer nahm den Schlauch und tat, als trinke er ruhig.

»Wer ist denn nur das Teufelsweib, das ich an deiner Tür gesehen habe?« begann er wieder; »sie sieht wie eine Halbtote aus.«

»Nein, nein, sie ist nur verrückt; trink' nur zu, ich werde dir das Ding erzählen!«

Und indem Houmain aus seinem roten Gürtel den langen, auf jeder Seite gleich einer Säge gezahnten Dolch zog, bediente er sich dessen zum Umwenden der Glut, die sich frisch entflammte, und begann dann mit ernster Miene:

»Vor allen Dingen mußt du wissen, wenn du's noch nicht weißt, daß dort unten (und er zeigte nach Frankreich hin) jener alte Wolf von Richelieu das Kommando führt.«

»So, so!« sagte Jacques.

»Ja, man nennt ihn den König des Königs. Weißt du's? Dennoch ist da ein junges Männchen, das beinahe so stark ist wie er, und das man Herr le Grand heißt. Dieses gute Männchen befehligt in diesem Augenblick beinahe die ganze Armee von Perpignan und ist vor einem Monat daselbst angekommen; allein der Alte ist immer in Narbonne und das ist ein schlauer Kauz. Was den König anbetrifft, so ist der bald so, bald so (bei diesen Worten drehte Houmain die Hand nach außen und nach innen); ja, so hin und so hin; doch in Erwartung seiner Entscheidung bin ich so hin, das heißt Kardinalist, und habe die Geschäftchen des gnädigen Herrn seit dem ersten, das er mir vor bald drei Jahren gab, immer abgemacht. Ich will dir das erzählen: Er brauchte zu einer kleinen Unternehmung Leute von Geist und Charakter und ließ mich holen, um als Kriminalrichter zu funktionieren.«

»Aha! ein hübscher Posten, man hat mir's gesagt.«

»Ja, es ist ein Handel wie der unsere, wo man den Strick statt des Fadens verkauft; es ist ein bißchen minder ehrlich, denn man tötet oft; ist aber solider, denn jedes Ding hat seinen Wert.«

»Das ist richtig«, entgegnete Jacques.

»Ich hatte also den roten Rock an und mußte einem großen schönen Kerl, der Pfarrer in Loudun war und in einem Nonnenkloster gleich einem Wolf im Schafstalle hauste, die Schwefeltaufe geben helfen; er wurde dann auch gut gebraten.«

»Hahaha! das ist lustig!« rief Jacques lachend.

»Trink' doch«, fuhr Houmain fort. »Ja, ich versichere dir, Jago, ich habe ihn nach der Geschichte in ein kleines, schwarzes Häufchen, wie diese Kohle, schau, wie diese Kohle da an meiner Dolchspitze, verwandelt gesehen. Was es doch Winziges um uns ist! So werden wir beim Teufel gestaltet sein.«

»O, keine dergleichen Späße!« sagte der andere sehr ernst. »Sie wissen wohl, daß ich Religion habe.«

»Ach, ich sage nicht nein. Das kann wohl sein«, fuhr Houmain im nämlichen Tone fort; »Richelieu ist ja auch Kardinal. Doch gleichviel. Du sollst wissen, daß, da ich Berichterstatter war, es mir was eintrug!« . . .

»Ach! du kluger Spitzbube!«

»Ja, immer ein bißchen! Ich sage dir also, daß er mir fünfhundert Piaster eintrug, denn Armand Duplessis zahlt seine Leute gut; dawider ist nichts zu sagen, außer daß das Geld nicht sein ist; doch wir machen es ja alle so. Auf das hin gedachte ich dieses Geld in unserem alten Handel anzulegen und kam hierher zurück. Meiner Treu, das Gewerbe geht gut, glücklicherweise; es ist bei Todesstrafe verboten und das verteuert die Ware.«

»Was seh' ich?« rief Jacques; »ein Blitzstrahl in diesem Monate!«

»Ja, die Gewitter beginnen, wir haben schon zwei gehabt. Wir sind mitten in der Wolke drinnen; hörst du das Rollen? Doch das hat nichts zu bedeuten; geh', trink' nur zu; es ist etwa ein Uhr morgens, wir leeren miteinander den Schlauch und wachen die Nacht durch. Ich sagte dir also, daß ich Bekanntschaft mit unserem Präsidenten, einem argen Schlingel, namens Laubardemont, machte; ich weiß nicht, ob du ihn kennst.«

»Ja, ja, ein bißchen«, antwortete Jacques; »es ist ein stolzer Geizhals; aber das ist einerlei. Fahre fort.«

»Wohlan, da wir nichts voreinander geheim hielten, teilte ich ihm meine kleinen Handelspläne mit und empfahl ihm, wenn sich eine günstige Gelegenheit zeigen sollte, an seinen Kameraden vom Gerichtshofe zu denken. Er hat auch nicht ermangelt, ich kann mich nicht beklagen.«

»So, so!« sagte Jacques; »und inwiefern?«

»Erstlich hat er mir vor zwei Jahren seine Nichte, die du an der Tür gesehen hast, zugeführt.«

»Seine Nichte!« rief Jacques aufstehend, »und du behandelst sie wie eine Sklavin! Demonio!«

»Trink' zu«, fuhr Houmain fort, indem er sachte mit seinem Dolche die Glut aufrührte; »er selbst hat es so gewünscht. Setz' dich wieder.«

Jacques setzte sich wieder.

»Ich glaube«, fuhr der Schleichhändler fort, »es wäre ihm sogar nicht unlieb gewesen, sie, du weißt wo, zu wissen . . . Du verstehst mich? Er hätte sie lieber unter als auf dem Schnee gesehen, wollte sie aber nicht eigenhändig dahin besorgen, weil er ein guter Verwandter ist, wie er sagt . . .«

»Und ich weiß«, sagte der Neuangekommene; »doch nur fort . . .«

»Man kann wohl begreifen, daß ein Mann wie er, der am Hofe lebt, nicht eine verrückte Nichte um sich haben mag. Das ist ganz natürlich; wenn ich meine Rolle als Gerichtsperson fortgeführt hätte, würde ich in solchem Falle ebenso gehandelt haben. Aber hier stellen wir, wie du siehst, keine Notabilität vor und so habe ich sie als aiadaMagd. angenommen, sie hat mehr Vernunft gezeigt als ich glaubte, obwohl sie fast immer nur ein einziges Wort gesprochen und anfangs die Zimperliche gespielt hat. Jetzt striegelt sie ein Maultier gleich einem Stalljungen; zwar hat sie seit einigen Tagen etwas Fieber, doch das wird sich auf die eine oder die andere Weise legen. Nur sag' es nicht etwa Laubardemont, daß sie noch lebt; er würde glauben, ich hätte sie aus Sparsamkeit als Magd behalten.«

»Wie! ist er denn hier?« rief Jacques.

»Trink' nur zu«, entgegnete der phlegmatische Houmain, der ihm selbst ein tüchtiges Beispiel bei dieser Mahnung, seiner Lieblingsphrase, gab und mit zärtlicher Miene die Augen halb zu schließen begann. »Das ist, siehst du, das zweite Geschäftchen, das ich mit diesem kleinen, guten Lombard dimon, Dämon, wie du willst, habe. Ich liebe ihn wie meinen Augapfel, und nun wollen wir das Weinchen von Jurançon da auf seine Gesundheit trinken; das ist Wein aus dem Keller des hochseligen Königs Heinrich. Wie glücklich sind wir hier! Spanien zur rechten, Frankreich zur linken Hand, zwischen dem Schlauch und der Flasche! Die Flasche! Um ihretwillen hab' ich alles verlassen!«

Und er schlug einer Flasche mit weißem Wein den Hals ab. Nachdem er dann in langen Zügen daraus getrunken hatte, fuhr er fort, während der Fremde ihn durchdringend ansah:

»Ja, er ist hier und muß tüchtig an den Füßen frieren, denn seit dem Abend läuft er mit seinen Garden und unseren Kameraden, du weißt, unseren bandoleros, den echten contrabandistas im Gebirge herum.«

»Ei, weshalb laufen sie so herum?« fragte Jacques.

»Ach, das ist eben das Spaßhafte an der Sache!« antwortete der Trunkenbold. »Um zwei Spitzbuben einzufangen, die in ihrer Tasche sechzigtausend spanische Soldaten auf Papier hierher bringen wollen. Du verstehst vielleicht nicht nur mit halbem Worte, Croquant! He? Nun, und dennoch ist's, wie ich dir sage, in ihrer eigenen Tasche.«

»Doch, doch, ich verstehe!« sagte Jacques, die Hand an den Dolch in seinem Gürtel haltend und nach der Tür blickend.

»Wohlan jetzt! Sohn des Teufels, laß uns die Tirana singen; nimm die Flasche, wirf deine Zigarre weg und singe.«

Bei diesen Worten begann der schwankende Wirt ein spanisches Lied zu singen, und unterbrach dasselbe nur zuweilen, um, sich rückwärts lehnend, Gläser voll Wein in seinen Schlund hinabzustürzen, während der noch immer dasitzende Jacques ihn beim Schein der Kohlenglut düstern Blickes anschaute und überlegte, was er tun wolle.

»Yo que soï contrabandista
Y campo por mi respeto,
A todos los desafio,
Pues a madie tengo miedo.
Ay jaleo! Muchachas
Quien me merca un hilo negro
Keine andere Sprache ist imstande, das Energische dieser spanischen Romanze auszudrücken. Man sollte sie von der abwechselnd näselnden und hellen, harten und weichen, lebhaften und nachlässigen Stimme einiger Andalusier vortragen hören, während einer von ihnen leicht die Saiten einer kleinen Gitarre dazu erklingen läßt. Der Takt ist der eines Tanzes und die Gedanken die eines Kriegsliedes. Verdeutscht lautet sie ungefähr so:
»Ich, der ich ein Schmuggler bin, ich fürchte mich vor nichts, da bin ich. Ich biete allen Trotz, bewach' mich selbst und jeder achtet mich.

Ein blendender Blitzstrahl fuhr durch eine kleine Luke hinein und erfüllte das Gemach mit einem Schwefelgeruch: unmittelbar darauf folgte ein fürchterlicher Donnerschlag; die Hütte zitterte und draußen stürzte ein Balken herab.

»O! he! das Haus!« rief der Trinker; »ist der Teufel bei uns! Die Freunde kommen, scheint's mir, nicht?«

»Nur fortgesungen«, sagte Jacques, den Saumsattel, auf dem er saß, neben den Houmains rückend.

Dieser trank, um sich zu stärken, und fuhr fort:

»Mi caballo esta cansado,
Y jo me marcho corriendo.
Ay! ay! que viene la ronda,
A se mueve el tiroteo;
Ay! ay! cavallito mio,
Ay! saca me deste aprieto.
Viva, viva, mi cavallo,
Cavallo mio carreto;
Ay! jaleo! Muchachas, ay! jaleo . . .
»Ay, jaleo! Junge Mädchen, wer kauft mir schwarzen Faden ab?
Mein Pferd das ist ermüdet und ich, ich lauf' ihm nach.
Ay, ay, da kommt die Runde und Schüsse hört man im Gebirg';
Ay, ay, mein Pferdchen, aus der Gefahr mich bring'!
Es leb', es leb' mein Pferdchen, mein Pferdchen mit der weißen Stirn!
Ay! jaleo! Mädchen jung, ay, jaleo, kaufe Zwirn.«
«

Als er mit seinem Liede zu Ende war, fühlte er seinen Sitz wanken und fiel rücklings hin; Jacques aber, der sich auf solche Weise seiner zu entledigen gesucht hatte, stürzte der Tür zu, die sich eben öffnete, und sein Gesicht sah das blasse und starre Antlitz der Wahnsinnigen vor sich. Er schrak zurück.

»Der Richter!« sagte sie eintretend und fiel der Länge nach auf den kalten Boden.

Jacques war schon mit dem einen Fuße über sie weggeschritten, als ein anderes leichenblasses und überraschtes Gesicht erschien, das einem hochgewachsenen Manne angehörte, der mit einem von Schnee bedeckten Mantel bekleidet war. Er schrak nochmals zurück und lachte vor Entsetzen und Wut. Es war Laubardemont, dem bewaffnete Männer folgten; sie schauten sich an.

»Ei! ei! Ka . . . a . . . ma . . . ra . . . d, Spitzbube«, sagte Houmain, sich mühsam aufraffend, »solltest du zufälligerweise ein Royalist sein?«

Als er aber die beiden Männer sah, die einer durch den anderen versteinert schienen, schwieg er, wie sie, da er wohl wußte, daß er betrunken war, und näherte sich taumelnd, um die immer noch zwischen dem Richter und dem Hauptmann ausgestreckt liegende Wahnsinnige aufzuheben. Der erstere ergriff endlich das Wort.

»Seid Ihr nicht der, den wir noch soeben verfolgten?«

»Der ist's«, sagten die Leute seines Gefolges mit einer Stimme; »der andere ist entwischt.«

Jacques wich bis an die zerspaltenen Bretter zurück, welche die schwankende Wand der Hütte bildeten, hüllte sich in seinen Mantel gleich einem Bären, der, durch zahlreiche Hunde in die Enge getrieben, sich an einen Baum stellt, und antwortete, um eine Ablenkung zu bewirken und einen Augenblick zur Überlegung zu gewinnen, mit starker und unheimlicher Stimme:

»Der erste, der diese Kohlenpfanne und den Körper dieses Mädchens überschreitet, ist ein Mann des Todes!«

Und er nahm einen langen Dolch aus seinem Mantel. In diesem Augenblick wandte der kniende Houmain den Kopf des jungen Mädchens um; ihre Augen waren geschlossen; er zog sie an die Kohlenglut hin, deren Schein sie nun beleuchtete.

»Ach, großer Gott!« rief Laubardemont, vor Schreck sich vergessend, »Johanna noch hier!«

»Seien Sie ruhig, gnä . . . ä . . . diger Herr«, sagte Houmain, indem er versuchte, die Augenlider beider langen schwarzen Wimpern zu öffnen und den gleich einem nassen Linnen herabhängenden Kopf aufzurichten; »sei . . . en Sie ruhig; we . . . erden Sie nicht bö . . . öse, sie ist tot, ganz tot.«

Jacques setzte, wie auf einen Schlagbaum, den Fuß auf diesen Leib, bog sich mit wildem Lachen vor, schaute Laubardemont ins Gesicht und sagte halblaut zu ihm:

»Laß mich entwischen und ich will dich nicht kompromittieren, Höfling; ich will dann nicht sagen, daß sie deine Nichte war und ich dein Lohn bin.«

Laubardemont sammelte sich, schaute seine Leute an, die sich mit vorgestreckten Karabinern um ihn drängten, bedeutete sie, sich auf einige Schritte zurückzuziehen und antwortete ihm mit sehr leiser Stimme:

»Liefere mir den Vertrag aus und du kannst entwischen.«

»Er steckt da in meiner Brusttasche; doch sobald man ihn berührt, werde ich dich mit lauter Stimme meinen Vater nennen. Was wird dein Gebieter dazu sagen?«

»Gib ihn mir und ich verzeihe dir deinen Lebenswandel.«

»Laß mich entwischen und ich verzeihe dir, mir das Leben gegeben zu haben.«

»Immer der nämliche, Räuber.«

»Ja, Mörder.«

»Was liegt dir an einem Knaben, der Verschwörungen anzettelt?« sagte der Richter.

»Was liegt dir an einem Alten, der regiert?« antwortete der andere.

»Gib mir das Papier, ich habe geschworen, es aufzufangen.«

»Laß es mir, ich habe geschworen, es zurückzubringen.«

»Welcher Art kann dein Eid sein und wer der Gott, zu dem du schwörst?« sagte Laubardemont.

»Und der deinige«, entgegnete Jacques, »ist er ein Kruzifix aus glühendem Eisen?«

Allein Houmain schwankte jetzt zwischen sie hinein und sagte lachend und dem Richter auf die Schulter klopfend:

»Ihr braucht lange, euch zu erklären, Freu . . . unde; kennt ihr euch vielleicht von früher her? Jacques ist ein gu . . . uter Bursche.«

»Ich kenn' ihn nicht, nein!« rief Laubardemont mit lauter Stimme, »ich habe ihn nie gesehen.«

Während dieser Erklärung stürzte sich Jacques, den der Trunkenbold und der enge Raum der vollgehäuften Kammer beschützten, mit wütender Kraft gegen die schwachen Bretter an, welche die Mauer bildeten, stieß mit einem derben Fußtritt zwei derselben nach außen und schritt zwischen dem nun offenen Raum hindurch. Diese ganze Seite der Hütte brach zusammen, das Bauwerk, alles wankte und der Wind stürmte gewaltsam herein.

»Ei, ei! Demonio! santo Demonio! Wohin willst du?« rief der Schleichhändler; »du zerbrichst mein Haus und da geht's nach dem Keller.«

Alle näherten sich mit Vorsicht, rissen die noch stehenden Bretter ein und bogen sich über den Abgrund vor. Ein seltsames Schauspiel zeigte sich ihnen: das Gewitter wütete in seiner vollsten Kraft und zwar ein Gewitter der Pyrenäen, ungeheure Blitze zuckten an allen vier Enden des Horizontes, und ihr Feuer folgte sich so rasch, daß man keinen Zwischenraum sah und sie unbeweglich und andauernd schienen; nur das flammende Himmelsgewölbe erlosch zuweilen plötzlich, um sich dann wieder heller und dauernder zu entzünden. Nicht die Flamme schien dieser Nacht mehr fremd, sondern die Dunkelheit. Es war, als entstanden in diesem leuchtenden Himmel augenblickliche Finsternisse, so anhaltend waren die Blitze und so schnell folgten sie sich. Die hohen Gebirgskanten und die weißlichen Felsen zeichneten sich auf dem roten Grunde gleich Marmorblöcken auf einer brennenden ehernen Kuppel ab und stellten mitten in eisumstarrter Gegend speiende Vulkane vor; die sprudelnden Gewässer schienen Flammen zu sprühen, und der Schnee wälzte sich wie eine blendende Lava bergab.

In dieser bewegten Masse rang ein Mensch, und seine Anstrengungen brachten ihn dem wirbelnden Wasserstrudel näher; man sah seine Knie schon nicht mehr, vergeblich hielt er einen ungeheuren pyramidenförmigen und durchsichtigen Eisklumpen umschlungen, den die Blitze gleich einem Kristallfelsen leuchten ließen; selbst dieser Eisklumpen schmolz vermöge seiner Unterlage und rutschte langsam den Felsabhang hinab. Unter dem Schneetuche hörte man den Schall der in ungeheure Tiefen stürzenden und anprallenden Granitblöcke. Dennoch hätte man ihn noch retten können, denn ein Raum von kaum vier Fuß trennte ihn von Laubardemont.

»Ich sinke unter«, schrie er; »reiche mir etwas, woran ich mich halten kann und du sollst den Vertrag haben.«

»Gib ihn mir, und ich reiche dir diese Muskete«, sagte der Richter.

»Da ist er«, rief der Raufbold, »weil doch der Teufel mit Richelieu ist.«

Und indem er mit der einen Hand seinen schlüpfrigen Haltepunkt losließ, warf er eine hölzerne Rolle in die Hütte. Laubardemont eilte hinein und stürzte auf den Vertrag wie ein Wolf auf seine Beute. Jacques hatte vergeblich seinen Arm ausgestreckt, man sah ihn langsam mit dem ungeheuren und auftauenden Klumpen, der sich bald unter ihm, bald über ihn herabwälzte, hinabrollen und geräuschlos im Schnee einsinken.

»Ha, Elender! Du hast mich betrogen!« schrie er; »doch den Vertrag hat man mir nicht abgenommen . . . ich hab' ihn dir gegeben . . . hörst du's, Vater!«

Er verschwand unter der dichten weißen Schneedecke und wo er untergesunken war, sah man nur noch das glänzende Tuch, über das der Blitz, indem er darin erlosch, leuchtende Furchen zog; man hörte nur noch das Rollen des Donners und das Zischen der Wasser, die gegen die Felsen wirbelten, denn die in der halbzertrümmerten Hütte um einen Leichnam und einen Bösewicht»Er lebte und starb mit Räubern. Hatte die göttliche Strafe nicht die Familie dieses Richters ereilt, um einigermaßen den grausamen und erbarmungslos betriebenen Tod des armen Grandiers zu sühnen, dessen Blut nach Rache schreit?«
(Patin, Brief LXV, vom 22. Dezember 1651.
gruppierten Männer schwiegen vor Entsetzen und fürchteten, der rächende Gott möchte sie mit seinem Blitze zermalmen.



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