Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Vierundzwanzigstes Kapitel. Die Arbeit

Vor Perpignan ging eines Abends etwas Ungewöhnliches vor. Es war zehn Uhr und alles schlief. Die langsamen und beinahe eingestellten Belagerungs-Operationen hatten das Lager und die Stadt schlaff und träge gemacht. Bei den Spaniern beschäftigte man sich wenig mit den Franzosen, da alle Kommunikationen gegen Katalonien hin wie in Friedenszeiten ungehemmt waren; und in der französischen Armee waren alle Gemüter von jener geheimen Unruhe aufgeregt, die große Ereignisse ankündet.

Dennoch war dem Anschein nach alles ruhig; man hörte nur den abgemessenen Schritt der Schildwachen; man sah durch die dunkle Nacht nur den roten Glimmer der immer rauchenden Lunte ihrer Flinte, als plötzlich die Trompeten der Musketiere, der Chevaulegers und der Gardereiter beinahe zur nämlichen Zeit zum Satteln und Aufsitzen bliesen. Alle Aufständischen riefen zu den Waffen, und man sah die Sergeanten mit Fackeln und einer langen Pike in der Hand von Zelt zu Zelt eilen, um die Soldaten aufzuwecken, sie in Reih und Glied zu stellen und zu zählen. Lange Pelotons marschierten in dumpfem Schweigen dahin, machten die Runde durch die Straßen des Lagers und stellten sich dann wie zur Schlacht auf; man hörte den Zusammenstoß der schweren Packwagen und den Trab der Schwadronen, die ankündeten, daß die Kavallerie die nämlichen Anordnungen treffe. Nach einer halbstündigen Bewegung hörte der Lärm auf, die Fackeln erloschen und alles kehrte zur Ruhe zurück, nur die Armee blieb in Schlachtordnung aufgestellt.

Die im Innern eines der letzten Zelte des Lagers brennenden Fackeln ließen dasselbe gleich einem Stern schimmern, der beim Näherkommen wie eine kleine weiße und durchsichtige Pyramide anzusehen war; auf seiner Leinwand zeichneten sich zwei Schatten ab, die kamen und gingen. Draußen warteten mehrere Männer zu Pferde, drinnen befanden sich von Thou und Cinq-Mars.

Wer zu dieser Stunde den frommen und klugen von Thou in solcher Stellung und so bewaffnet gesehen hätte, würde ihn für einen der Anführer der Empörung gehalten haben. Beobachtete man aber seine strenge Haltung und seine düsteren Blicke näher, so mußte man bald bemerken, daß er sie tadelte und sich durch einen außergewöhnlichen Entschluß, der ihm den Abscheu überwinden half, den er vor der Unternehmung selbst hatte, dazu verleiten und dadurch gefährden ließ.

Seit jenem Tage, wo Henri d'Effiat ihm sein Herz geöffnet und sein ganzes Geheimnis anvertraut, hatte er deutlich eingesehen, daß jede Vorstellung bei einem so fest entschlossenen Menschen unnütz sei. Er hatte sogar mehr verstanden, als Herr von Cinq-Mars ihm gesagt hatte, und in der geheimen Verbindung seines Freundes mit der Prinzessin Marie eine jener Liebesbande gesehen, deren geheime und häufige Fehler, deren wollüstige und unwillkürliche Hingebungen durch den öffentlichen Segen nicht genugsam gereinigt werden können. Er hatte die unmöglich länger zu ertragende Qual eines Liebenden, des angebeteten Gebieters dieser jungen Person, der täglich verdammt war, gleich einem Fremden vor ihr zu erscheinen, nur zu wohl begriffen.

An jenem Tage, wo ihm der Freund eine gänzliche Beichte abgelegt, hatte er alles versucht, um Cinq-Mars zu verhindern, in seinen Plänen bis zum Bündnisse mit dem Ausland zu gehen. Er hatte die ernstesten Erinnerungen und besten Gefühle ohne ein anderes Resultat in ihm hervorgerufen, als den unbesieglichen Entschluß seines Freundes ihm gegenüber nur noch zu stählen.

Man wird sich erinnern, daß Cinq-Mars ihn mit den barschen Worten abfertigte: Ei, hab' ich Sie denn gebeten, an der Verschwörung teilzunehmen? und daß von Thou ihm nur versprechen wollte, ihn nicht zu denunzieren, und alle seine Kräfte gegen die Freundschaft aufgeboten hatte, um ihm zu sagen: Erwarten Sie von meiner Seite mehr nicht, wenn Sie diesen Vertrag unterzeichnen. Dennoch hatte Cinq-Mars den Vertrag unterzeichnet und von Thou war immer noch an seiner Seite.

Die Gewohnheit, die Pläne seines Freundes vertraulich zu besprechen, hatte ihm dieselben vielleicht minder verhaßt gemacht; seine Verachtung der Laster des Premierministers, seine Entrüstung über die Knechtung der Parlamente, in denen seine Familie saß, und die Verdorbenheit der Gerichtshöfe, die mächtigen Namen und besonders die edlen Charaktere der Personen, die das Unternehmen leiteten, alles hatte dazu beigetragen, den ersten und schmerzlichen Eindruck in ihm zu mildern. Da er einmal Herrn von Cinq-Mars die Geheimhaltung versprochen hatte, glaubte er alle dazu gehörigen umständlicheren Mitteilungen auch annehmen zu sollen, und seit dem unvermuteten Ereignis bei Marion de Lorme, wo er sich unter die Verschworenen gemischt hatte, sah er sich als durch Ehre an sie gebunden und zu unverbrüchlichem Schweigen verpflichtet an.

Seit dieser Zeit hatte er Monsieur, den Herzog von Bouillon und Fontrailles gesehen; sie waren gewöhnt, ohne Furcht vor ihm zu sprechen, und er, sie ohne Ärger anzuhören. Jetzt aber rissen ihn die Gefahren seines Freundes gleich einem unbesieglichen Magnet in ihren Strudel. Er empfand Gewissensbisse, dennoch folgte er Cinq-Mars überall, wo dieser hinging, ohne bei seinem übertriebenen Zartgefühl künftig eine einzige Bemerkung zu wagen, die einer persönlichen Furcht hätte gleichen können. Er hatte sein Leben schweigend hingegeben, und hätte ihrer beider unwürdig gefunden, es zurücknehmen zu wollen.

Der Großstallmeister zeigte sich in seinem Küraß, bewaffnet und in weiten Stiefeln. Eine ungeheure Pistole lag mit ihrer angezündeten Lunte auf dem Tische zwischen zwei Fackeln, eine schwere Uhr in ihrem kupfernen Gehäuse vor der Pistole. Mit einem schwarzen Mantel bedeckt, stand von Thou unbeweglich und mit gekreuzten Armen da; Cinq-Mars ging, die Arme auf dem Rücken übereinanderhaltend, auf und ab, indem er von Zeit zu Zeit nach dem seiner Meinung nach zu langsamen Zeiger schaute; er öffnete sein Zelt, sah nach dem Himmel, trat dann wieder ein und sagte:

»Ich sehe meinen Stern nicht am Himmelsgewölbe, doch gleichviel! Er ist da, in meinem Herzen.«

»Das Wetter ist trübe«, versetzte von Thou.

»Sagen Sie lieber, die Zeit eilt vorwärts. Sie läuft, mein Freund, sie läuft, noch zwanzig Minuten und es ist geschehen. Die Armee erwartet diesen Pistolenschuß, um anzufangen.«

Von Thou hielt ein elfenbeinernes Kruzifix in der Hand und richtete seine Blicke bald auf das Kreuz, bald gen Himmel.

»Die Stunde ist da, um das Opfer zu vollbringen«, sagte er, »es reut mich nicht, aber welche Bitterkeit hat der Kelch der Sünde für meine Lippen! Ich hatte meine Tage der Schuldlosigkeit und geistigen Arbeiten geweiht, und nun stehe ich im Begriff, ein Verbrechen zu begehen und das Schwert zu ergreifen.«

Indem er aber Cinq-Mars' Hand kräftig ergriff, fügte er mit der lebhaften Regung eines blind ergebenen Herzens hinzu:

»Es geschieht für Sie, für Sie; ich will mich meiner Irrtümer freuen, wenn sie zu Ihrem Ruhme ausschlagen; in meiner Schuld sehe ich nur Ihr Glück. Verzeihen Sie mir eine augenblickliche Rückkehr zu den auf meiner Lebensbahn mir angewöhnten Ideen.«

Cinq-Mars schaute ihn starr an und eine Träne rann langsam über seine Wange.

»Tugendhafter Freund«, entgegnete er, »möge Ihr Fehler nur auf mein Haupt fallen! Hoffen wir aber, daß Gott, der den Liebenden verzeiht, mit uns sei, denn wir sind Verbrecher! Ich aus Liebe, Sie aus Freundschaft.«

Doch indem er plötzlich auf seine Uhr schaute, nahm er die lange Pistole zur Hand und betrachtete wilden Blickes die rauchende Lunte. Seine langen Haare fielen um sein Gesicht wie die Mähne eines jungen Löwen.

»Verzehre dich nicht«, rief er, »brenne langsam! Du sollst eine Feuersbrunst entzünden, die alle Wellen des Ozeans nicht auszulöschen vermögen; ihre Flamme wird bald die halbe Welt beleuchten, vielleicht verbreitet sie sich bis an das Holz der Throne. Brenne langsam, köstliche Flamme, die Winde, die dich bewegen werden, sind heftig und furchtbar, sie heißen Liebe und Haß. Erhalte dich, dein Ausbruch wird weithin erschallen und in der Hütte des Armen wie im Königspalast ein Echo finden. Brenne, brenne, armseliges Flämmchen, du bist für mich Zepter und Blitzstrahl.«

Von Thou, der noch immer das kleine elfenbeinerne Kreuz in der Hand hielt, sagte leise:

»Herr, verzeih' uns das Blut, das vergossen werden soll, denn wir kämpfen gegen den Bösen und Gottlosen!«

Dann fuhr er mit lauter Stimme fort:

»Mein Freund, die Sache der Tugend wird triumphieren, sie allein wird triumphieren. Es war Gottes Fügung, daß der strafbare Vertrag nicht in unsere Hände gelangte; was Verbrechen bei unserem Unternehmen war, ist ohne Zweifel vernichtet, wir werden ohne den Fremden kämpfen und vielleicht gar nicht kämpfen; Gott wird das Herz des Königs zum besten ändern.«

»Die Stunde ist da, die Stunde ist da«, sagte Cinq-Mars, die Augen mit einer Art freudiger Wut auf die Uhr geheftet; »noch vier Minuten und die Kardinalisten im Lager sind vernichtet; wir marschieren nach Narbonne, die Minute ist da . . . Geben Sie mir die Pistole.«

Bei diesen Worten spannte er rasch den Hahn und ergriff die Lunte.

»Ein Kurier aus Paris! Ein Kurier vom Hofe!« rief draußen eine Stimme, und schweißbedeckt, keuchend vor Ermattung, warf sich ein Mann vom Pferde, trat ein und übergab Cinq-Mars ein kleines Briefchen mit den Worten:

»Von der Königin, gnädiger Herr.«

Cinq-Mars erblaßte und las:

»Herr Marquis von Cinq-Mars!

Ich richte diesen Brief an Sie, um Sie zu bitten und zu beschwören, unsere geliebte Pflegetochter und Freundin, die Prinzessin Marie von Gonzaga, zu ihren Pflichten zurückkehren zu lassen, da Ihre Liebe allein sie veranlaßt, den ihr angebotenen Thron Polens auszuschlagen. Ich habe ihre Seele erforscht; sie ist noch sehr jung, und ich habe Anlaß zu glauben, daß sie diese Krone mit weniger Überwindung und Schmerz annehmen würde, als Sie vielleicht glauben mögen.

Um ihretwillen haben Sie einen Krieg unternommen, der mein schönes und liebes Frankreich mit Feuer und Schwert heimsuchen wird; ich beschwöre Sie und flehe Sie an, als Edelmann zu handeln und mit edler Verzichtleistung die Herzogin von Mantua der Gelübde zu entbinden, die Sie Ihnen vielleicht getan hat. Geben Sie dadurch Ihrer Seele die Ruhe und unserem teuren Lande den Frieden zurück.

Die Königin, die sich nötigenfalls zu Ihren Füßen wirft.
Anna.«    

Cinq-Mars legte ruhig die Pistole wieder auf den Tisch; die erste Bewegung war zwar gewesen, die Mündung derselben gegen sich selbst zu kehren! Er besann sich indes, ergriff schnell einen Bleistift und schrieb auf die Rückseite des nämlichen Briefes:

»Madame.

Da Marie von Gonzaga mein Weib ist, so kann sie erst nach meinem Tode Königin von Polen werden; ich sterbe aber.

Cinq-Mars

Und als hätte er sich nicht einen Augenblick der Überlegung gönnen mögen, drückte er den Brief stürmisch in die Hand des Kuriers und sagte in wütendem Tone:

»Zu Pferd! zu Pferd! Wenn du einen Augenblick länger bleibst, so bist du des Todes!«

Er sah ihn abreiten und trat ins Zelt zurück.

Allein mit seinem Freunde, blieb er einen Augenblick stehen; er war blaß und stierte mit den Augen wie wahnsinnig zu Boden. Er fühlte sich wanken.

»Von Thou!« schrie er.

»Was wollen Sie, Freund, lieber Freund? Ich bin bei Ihnen; Sie haben sich soeben groß, sehr groß, erhaben gezeigt!«

»Von Thou!« schrie er wieder mit fürchterlicher Stimme und stürzte, das Gesicht gegen den Boden gekehrt, wie ein entwurzelter Baum fällt.

Große Gewitter nehmen verschiedenartige Gestaltungen an, und zwar je nach dem Klima, durch welches sie ziehen; die, welche in den Ländern des Nordens eine schreckliche Ausdehnung hatten, ziehen sich, wie man sagt, unter der heißen Zone zu einer einzigen, aber um so furchtbareren Wolke zusammen, die den ganzen übrigen Horizont in seiner Reinheit läßt. Ebenso verhält es sich bei großen Leidenschaften; sie nehmen je nach unseren Charakteren seltsame Gestalten an; aber wie schrecklich sind sie in starken Herzen, die unter dem Schleier gesellschaftlicher Formen ihre Kraft erhalten haben! Vereinigen sich Jugend und Verzweiflung, so läßt sich nicht sagen, zu welcher Wut sie's treiben oder wie groß ihre plötzliche Ergebung sein wird; man weiß nicht, ob der Vulkan den Berg bersten lassen oder plötzlich in seinen Eingeweiden erlöschen will.

Der erschrockene von Thou hob seinen Freund auf, das Blut rieselte ihm aus Mund und Nase; er hätte ihn für tot gehalten, wenn nicht Ströme von Tränen seinen Augen entflossen wären; das war das einzige Lebenszeichen. Auf einmal öffnete er jedoch seine Augenlider, schaute sich um und kehrte mit einer außerordentlichen Geistesstärke zur Besinnung und Willenskraft zurück.

»Ich lebe unter Menschen«, sagte er, »und muß mein Geschäft mit ihnen ins reine bringen. Mein Freund, es ist halb zwölf Uhr; die Stunde des verabredeten Signals ist vorüber; erteilen Sie statt meiner den Befehl, sich in die Quartiere zurückzuziehen; es war ein falscher Lärm, worüber ich mich heute noch erklären werde.«

Von Thou hatte die Wichtigkeit dieses Befehls schon gefühlt, verließ das Zelt und kam auf der Stelle wieder zurück; er fand Cinq-Mars sitzend, ruhig und bemüht, das Blut aus seinem Gesicht zu waschen.

»Von Thou«, sagte er, ihn starr anblickend, »entfernen Sie sich, Sie genieren mich.«

»Ich verlasse Sie nicht«, antwortete dieser.

»Fliehen Sie, sag' ich Ihnen, die Pyrenäen sind nicht weit. Ich kann nicht lange mehr reden, nicht einmal für Sie; wenn Sie aber bei mir bleiben, so sterben Sie, das versichere ich Ihnen.«

»Ich bleibe«, sagte von Thou wieder.

»So nehme Sie denn Gott in seinen Schutz«, entgegnete Cinq-Mars, »denn ist dieser Augenblick einmal vorüber, so werde ich hinsichtlich Ihres Loses nichts mehr vermögen. Ich lasse Sie hier. Rufen Sie Fontrailles und alle Verschworenen herbei, teilen Sie ihnen diese Pässe aus, sie sollen unverzüglich entfliehen! Sagen Sie ihnen, es sei alles fehlgeschlagen, und drücken Sie ihnen noch meinen Dank aus. Was Sie betrifft, so bitte ich nochmals, fliehen Sie mit ihnen; ich verlange es; doch was Sie auch tun mögen, folgen Sie mir nicht, bei Ihrem Leben. Ich schwöre Ihnen, nicht selbst Hand an mich zu legen.«

Mit diesen Worten drückte er seinem Freunde die Hand, ohne ihn anzusehen, und stürzte eilends aus dem Zelte.

Indessen wurden einige Meilen von hier andere Gespräche geführt. In Narbonne, in demselben Kabinett, wo wir einst Richelieu mit Joseph die Interessen des Staates leiten sahen, saßen wieder dieselben beiden Männer, die fast noch die nämlichen waren; der Minister durch drei Leidensjahre zwar sehr gealtert, und der Kapuziner ebenso erschrocken über das Resultat seiner Reisen als sein Gebieter ruhig war.

In seiner Chaiselongue sitzend und die Beine mit warmen Stoffen eingebunden und umhüllt, hielt der Kardinal auf seinen Knien drei junge Katzen, die sich auf seinem roten Kleide herumbalgten; von Zeit zu Zeit nahm er eine derselben und legte sie auf die anderen, um ihr Spiel fortdauern zu lassen, und lachte dann zu ihren Manövern; auf seinen Füßen lag ihre Mutter gleich einem ungeheuren Muff und einem lebendigen Pelz.

Joseph, der neben ihm saß, wiederholte eben die Erzählung dessen, was er im Beichtstuhl gehört hatte, und es durchrieselte ihn noch eiskalt, wenn er an die Gefahr einer Entdeckung oder an die beabsichtigte Ermordung durch Jacques dachte. Er endigte nun mit den Worten:

»Kurz, gnädiger Herr, ich kann nicht anders als im Grunde der Seele erzittern, wenn ich mich der Gefahren erinnere, die Eure Eminenz bedrohten und noch bedrohen. Raufbolde boten sich an, Sie zu erdolchen; ich sehe den ganzen Hof Frankreichs, die Hälfte der Armee und zwei Provinzen gegen Sie im Aufstand, das Ausland, Spanien und Österreich, bereit, Truppen zu liefern; überall Schlingen oder Kämpfe, Dolche oder Kanonen! . . .«

Der Kardinal gähnte ein paarmal und sagte dann, ohne sein Spiel aufzugeben:

»Es ist doch ein hübsches Tier solch eine Katze! Sie ist ein Tiger des Salons; welche Geschmeidigkeit, welche außerordentliche Schlauheit! Sehen Sie da die kleine gelbe, die sich stellt, als schlafe sie, damit die andere, die gestreifte da, nicht auf sie acht geben und über ihren Bruder herfallen soll! Und wie der da sie jetzt reißt! Sehen Sie nur, wie er seine Klauen in ihre Weichen einhakt! Er würde sie töten, glaub' ich, würde sie auffressen, wenn er stärker wäre! Das ist höchst ergötzlich! Die hübschen Tiere!«

Er hustete und nieste jetzt ziemlich lange, dann fuhr er fort:

»Messire Joseph, ich ließ Ihnen sagen, mir erst nach dem Nachtessen von Geschäften zu sprechen; ich habe jetzt Hunger und meine Essensstunde ist noch nicht da; mein Arzt Chicot hat mir Regelmäßigkeit anempfohlen, und ich habe meinen Schmerz auf der Seite. – Ich habe den Abend so eingeteilt«, fügte er mit einem Blick auf die Uhr hinzu; »um neun Uhr bringen wir die Angelegenheit des Herrn le Grand ins reine; um zehn Uhr lasse ich mich im Garten herumtragen, um die Abendluft beim Mondschein zu genießen; dann schlafe ich eine oder zwei Stunden; um Mitternacht kommt der König und um vier Uhr können Sie wieder vorsprechen, um die verschiedenen Haftbefehle, die Verurteilungen und anderes, das ich Ihnen für die Provinzen, Paris oder die Armee Sr. Majestät mitzugeben habe, abzuholen.«

Richelieu sagte dieses alles mit dem nämlichen Ton der Stimme und einem einförmigen Ausdrucke, dem man die Schwäche der Brust und den Verlust einiger Zähne anmerkte.

Es war sieben Uhr abends, der Kapuziner entfernte sich. Der Kardinal nahm sein Abendessen mit der größten Ruhe zu sich, ließ, als es halb neun schlug, Joseph zu sich rufen und begann, als dieser neben seinem Tische saß:

»Das ist also alles, was sie während mehr als zwei Jahren gegen mich beginnen konnten. Es sind arme Leute, in der Tat! Sogar der Herzog von Bouillon, den ich ziemlich hoch anschlug, verliert durch diesen Zug alle Achtung bei mir; meine Augen sind ihm gefolgt und ich frage dich, hat er einen Schritt getan, der eines echten Staatsmannes würdig wäre? Der König, Monsieur und alle anderen haben sich nur die Köpfe gegen mich erhitzt und mir nicht einmal einen Mann weggenommen. Nur dieser kleine Cinq-Mars weiß seinen Ideen gehörige Folge zu geben; alles was er tat war auf überraschende Weise geleitet; man muß ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, er hatte Anlagen; ohne das Unbeugsame seines Charakters hätte ich ihn zu meinem Zögling gemacht; allein er hat offenen Visiers mit mir gebrochen, das tut mir leid für ihn. Ich habe sie alle zwei Jahre lang im freien Wasser schwimmen lassen; ziehen wir jetzt das Netz an uns.«

»Dazu ist es Zeit, gnädiger Herr«, sagte Joseph, der im Reden oft unwillkürlich zusammenschauerte; »wissen Sie, daß die Überfahrt von Perpignan nach Narbonne kurz ist? Wissen Sie, daß, wenn Sie hier eine starke Armee haben, Ihre Truppen im Lager schwach und unzuverlässig sind, daß dieser junge Adel wütend und der König selbst nicht zuverlässig ist?«

Der Kardinal schaute nach der Uhr.

»Es ist erst halb neun, Monsieur Joseph; ich habe Ihnen gesagt, daß ich mich erst um neun Uhr mit diesem Geschäfte befassen werde. Da aber Gerechtigkeit gehandhabt werden muß, so schreiben Sie unterdessen, was ich Ihnen diktieren werde. Ich habe nämlich ein sehr gutes Gedächtnis und es sind, wie ich in meinen Notizen sehe, noch vier der Richter Urbain Grandiers auf der Welt; dieser Urbain Grandier war ein Mann von echtem Genie . . .« fügte er boshaft hinzu.

Joseph biß sich in die Lippen.

»Alle seine anderen Richter sind elendiglich umgekommen; es bleibt nur Houmain, der als Schleichhändler noch gehangen wird, den können wir ruhig lassen; doch da haben wir jenen scheußlichen Lactance, der mit Barré und Mignon in Frieden lebt. Nehmen Sie eine Feder und schreiben Sie an den Bischof von Poitiers:

Gnädiger Herr,

Seine Majestät wünscht, daß die Patres Barré und Mignon in ihren Stellen ersetzt und in kürzester Frist nach Lyon gesandt werden, um wie Pater Lactance, der Kapuziner, als einiger sträflicher Absichten gegen den Staat beschuldigt, dort vor ein besonderes Gericht gestellt zu werden.«

Joseph schrieb so kaltblütig, wie ein Türke auf den Wink seines Gebieters einen Kopf vom Rumpfe rollen läßt.

Indem der Kardinal den Brief unterzeichnete, sagte er zu ihm:

»Ich werde Ihnen dann zu wissen tun, auf welche Art ich sie verschwinden lassen will, denn es ist von Wichtigkeit, alle Spuren dieses ehemaligen Prozesses auszuwischen. Die Vorsehung hat meinen Wünschen gut gedient, indem sie alle diese Männer wegraffte; ich vollende ihr Werk. Das ist alles, was die Nachwelt davon wissen soll.«

Und er las dem Kapuziner jene Seite seiner Denkwürdigkeiten vor, worin er das Besessensein und die Hexenkünste des Zauberers erzählt.Richelieus Denkwürdigkeiten, XXVIII, S. 189.

Während seiner langsamen Vorlesung konnte sich Joseph nicht enthalten, nach der Uhr zu schauen.

»Du kannst es kaum erwarten, bis die Reihe an Herrn le Grand kommt«, sagte endlich der Kardinal; »wohlan, gehen wir zu dem über, um dir Vergnügen zu machen.

Du glaubst also, ich habe keinen Grund, so ruhig zu sein? Du glaubst, ich habe diese armen Verschwörer zu weit gehen lassen? Nein. Da sind Papierchen, die dich beruhigen würden, wenn dir ihr Inhalt bekannt wäre. In dieser hohlen hölzernen Rolle ist erstlich der in Oleron aufgefangene Vertrag mit Spanien. Ich bin sehr zufrieden mit Laubardemont, er ist ein gewandter Mann!«

Das Feuer einer wilden Eifersucht loderte unter Josephs buschigen Braunen.

»Ach, Ew. Gnaden wissen nicht, welchem Manne er ihn entrissen hat«, sagte er; »es ist wahr, daß er diesen umkommen ließ, und in dieser Hinsicht hat man sich nicht über ihn zu beklagen; doch genug, es war der Agent der Verschwörung und – sein eigener Sohn.«

»Reden Sie die Wahrheit?« fragte der Kardinal mit ernster Miene; »ja, denn Sie würden nicht wagen, mich anzulügen. Wie erfuhren Sie dies?«

»Durch die Leute seines Gefolges, gnädiger Herr; hier sind ihre Berichte, sie selbst werden auf Befehl erscheinen.«

Der Kardinal untersuchte diese Papiere und fügte hinzu:

»Wir werden ihn also auch zur Verurteilung unserer Verschworenen verwenden, und nachher können Sie mit ihm machen was Sie wollen, ich schenke ihn Ihnen.«

Freudig fuhr Joseph in seinen köstlichen Angebereien wieder fort und sagte:

»Seine Eminenz spricht davon, Leute, die noch bewaffnet und zu Pferde sind, zu verurteilen?«

»Nicht alle sind es. Lies diesen Brief Monsieurs an Chavigny: er bittet um Gnade, er ist der Geschichte satt. Er wagte nicht einmal, sich zuerst an mich zu wenden, und trug seine Bitte nur zu den Füßen eines meiner Diener vor.    An Herrn von Chavigny.
    Herr von Chavigny.
Ich glaube Sie schon wieder nicht ganz zufrieden mit mir und wahrlich, Sie haben Grund dazu; ich lasse nicht ab, Sie zu bitten, an der Beilegung meiner Angelegenheit mit Se. Eminenz zu arbeiten und diesen Beweis Ihrer wirklichen Anhänglichkeit zu mir zu erwarten, welche, glaube ich, noch größer als Ihr Zorn sein wird. Sie wissen, wie nötig ich habe, daß Sie mich aus der schlimmen Lage, in der ich mich befinde, ziehen. Sie haben das schon zweimal bei Se. Eminenz für mich bewirkt. Ich schwöre Ihnen, es soll das letztemal sein, daß ich Ihnen solche Aufträge gebe.
                Gaston von Orleans.

Am folgenden Tage faßte er dann aber Mut und sandte diesen an mich selbst    An Seine Exzellenz, den Kardinal-Herzog.
    Mein Vetter.
Dieser unerkenntliche Herr le Grand ist der strafbarste Mensch der Welt, Ihr Mißfallen auf sich gezogen zu haben; die Gnadenbeweise, die er von Sr. Majestät empfängt, haben mich immer vor ihm und seinen Künsten auf der Hut sein lassen; für Sie aber, mein Vetter, bewahre ich meine Achtung und meine völlige Freundschaft . . . Ich bin von wahrer Reue durchdrungen, mich schon wieder gegen die Treue vergangen zu haben, welche ich dem Könige schulde, gnädiger Herr, und ich rufe Gott als Zeuge der Aufrichtigkeit an, mit welcher ich mein Leben lang der treueste Ihrer Freunde mit derselben Leidenschaft sein werde, mit welcher ich bin
        Mein Vetter
                Ihr achtungsvoll gewogener Vetter
                        Gaston.
und einen dritten an den König.

Sein Plan drückte ihn; er vermochte ihn nicht bei sich zu behalten. Doch mit so Geringem beschwichtigt man mich nicht, es bedarf dazu eines ausführlichen Bekenntnisses oder ich jage ihn aus dem Reiche. Ich ließ ihm diesen Morgen schreiben:

Monsieur,

Da Gott will, daß die Menschen zu einer offenherzigen und völligen Beichte Zuflucht nehmen, um von ihrer Schuld in dieser Welt freigesprochen zu werden, so weise ich Ihnen hiermit den Weg, den Sie einzuschlagen haben, um Ihrer Strafe zu entgehen. Eure Hoheit hat gut angefangen, es ist nun an Ihr, das Werk auch so zu vollenden. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.‹

Was den stolzen und mächtigen Herzog von Bouillon, den souveränen Herrn von Sedan und Obergeneral der italienischen Armeen betrifft, so ist der soeben in der Mitte seiner Soldaten durch seine Offiziere ergriffen und in einem Bund Stroh versteckt worden. Es bleiben also nur noch meine zwei jungen Nachbarn. Sie bilden sich ein, das Lager ganz unter ihren Befehlen zu haben und doch bleiben ihnen nur die roten Kompagnien anhänglich, der übrige Teil wird, da er Monsieur angehört, nicht handeln, und meine Regimenter werden sie verhaften. Dennoch habe ich gestattet, daß man sich den Anschein gebe, als gehorche man ihnen. Wenn sie um halb zwölf Uhr das Signal geben, werden sie beim ersten Schritte verhaftet, wo nicht, so liefert der König sie mir noch heute nacht aus . . . Reiße nicht so verwundert die Augen auf, er wird sie mir zwischen zwölf und ein Uhr ausliefern, sag' ich dir. Sie sehen, daß alles ohne Sie abgetan wurde, Joseph, wir können Ihrer sehr gut entbehren, und ich sehe nicht, daß wir während dieser Zeit große Dienste von Ihnen empfangen haben; Sie werden nachlässig.«

»Ach, Ew. Gnaden, wüßten Sie nur, welcher Mühe es bedurfte, den Weg zu entdecken, den die Boten mit dem Vertrage genommen hatten! Ich erfuhr es nur, indem ich unter diesen zwei jungen Leuten mein Leben wagte . . .«

Hier begann der in seinem Lehnstuhl ausgestreckte Kardinal mit spöttelnder Miene zu lachen.

»Du mußtest dich recht lächerlich ausnehmen und eine arge Furcht in dieser Schachtel drinnen haben, Joseph, es wird wohl das erstemal in deinem Leben sein, daß du von Liebe sprechen hörtest. Hast du diese Sprache gern, Pater Joseph? Und, sage mir, verstandest du sie auch recht deutlich? Ich glaube nicht, daß du dir eine gar schöne Idee davon machst.«

Mit gekreuzten Armen und heimlichem Vergnügen schaute Richelieu seinen verblüfften Kapuziner an und fuhr dann in dem persiflierenden Tone eines großen Herrn, den er zuweilen annahm, fort, indem er sich gefiel, die edelsten Ausdrücke über die unreinsten Lippen gehen zu lassen:

»Laß sehen, Joseph, setze mir die Liebe nach deinen Begriffen auseinander. Was mag das sein? Denn du siehst doch wohl, daß das noch außerhalb der Romane vorhanden ist; dieser gute junge Mann hat alle diese kleinen Verschwörungen nur aus Liebe angezettelt. Du hast es ja selbst mit deinen unwürdigen Ohren gehört. Wie, sag' einmal, was ist die Liebe? Ich, zum Beispiel, kenne sie nicht.«

Sein Mann war vernichtet und starrte mit dem stupiden Auge eines der unedleren Tiere auf den Boden. Nachdem er lange gesucht hatte, antwortete er endlich mit schleppender und näselnder Stimme.

»Sie muß irgend ein bösartiges Fieber sein, welches das Gehirn verwirrt; aber ich gestehe in der Tat, gnädiger Herr, daß ich bis jetzt nie darüber nachgedacht habe und immer verlegen war, mit einem weiblichen Geschöpfe zu sprechen; ich wollte, man könnte sie aus der menschlichen Gesellschaft streichen, denn ich sehe nicht ein, zu was sie dienen sollen, wenn nicht, um Geheimnisse zur Entdeckung zu führen, wie die kleine Herzogin oder wie Marion de Lorme, die ich Ew. Eminenz nicht genug anempfehlen kann; sie hat an alles gedacht und unsere kleine Prophezeiung mit vieler Geschicklichkeit mitten unter ihre Verschwörer geworfen. Das Wunderbare hat uns diesmal nicht im Stiche gelassen wie bei der Belagerung von HesdinIm Jahre 1638 hatte der Prinz Thomas die Belagerung von Hesdin aufheben lassen, was dem Kardinal äußerst unangenehm war. Eine Nonne des Klosters Mont-Calvaire hatte ausgesagt, der Sieg werde auf der Seite des Königs sein, und Pater Joseph hatte damit beabsichtigt, den Glauben zu verbreiten, daß der Himmel das Ministerium beschütze.
(Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Kardinals Richelieu.)
, es handelt sich jetzt nur noch darum, ein Fenster zu finden, durch welches Sie am Tage der Hinrichtung hineinsteigen können.«

»Schon wieder solche Dummheiten, mein Herr«, sagte der Kardinal; »Sie werden mich so lächerlich machen, wie Sie sind, wenn Sie so fortfahren; ich bin zu stark, um mich des Himmels zu bedienen; das soll mir nie mehr vorkommen. Beschäftigen Sie sich nur mit den Leuten, die ich Ihnen übergebe; ich habe Ihnen noch soeben Ihren Teil zugemessen. Wird der Großstallmeister gefangen, so lassen Sie ihn zum Tode verurteilen und in Lyon hinrichten. Ich will mich nicht mehr darein zu mischen haben. Diese Angelegenheit ist viel zu gering für mich, sie ist ein Kieselstein unter meinen Füßen, an den ich nicht so lange hätte denken sollen.«

Joseph schwieg; er konnte diesen Mann nicht begreifen, der, von bewaffneten Feinden umgeben, von der Zukunft wie von einer ihm zur Verfügung stehenden Gegenwart und von der Gegenwart wie von einer Vergangenheit sprach, die er nicht mehr fürchtete. Er wußte nicht, sollte er ihn für einen Narren oder für einen Propheten, für unter der Menschheit stehend oder ihr überlegen halten.

Seine Überraschung verdoppelte sich, als Chavigny hastig eintrat und, mit seinen starken Stiefeln so heftig an das Taburett des Kardinals stolpernd, daß er Gefahr lief, darüber hinzufallen, mit äußerst bestürztem Wesen rief:

»Gnädiger Herr, einer Ihrer Bedienten kommt soeben von Perpignan und hat dort das Lager in Aufruhr und Ihre Feinde zu Pferde getroffen . . .«

»Sie werden wieder absteigen, mein Herr«, antwortete Richelieu, sich in seinem Lehnstuhl zurechtsetzend, »Sie aber scheinen mir der Ruhe zu ermangeln.«

»Aber . . . aber . . . Ew. Gnaden, sollte man nicht Herrn von Fabert davon benachrichtigen?«

»Lassen Sie ihn schlafen und gehen Sie selbst zur Ruhe, wie auch Joseph.«

»Gnädiger Herr, noch etwas Außerordentliches! Der König kommt.«

»In der Tat, das ist außerordentlich«, sagte der Minister nach der Uhr schauend; »ich erwarte ihn erst in zwei Stunden. Entfernt euch beide.«

Man hörte bald den Tritt von Stiefeln und das Geklirre von Waffen, was die Ankunft des Königs anzeigte; beide Flügeltüren wurden geöffnet; die Wachen des Kardinals stießen dreimal ihre Piken auf den Boden, und der König erschien.

Er schritt in das Zimmer, die eine Seite auf einen Meerrohrstock, die andere auf die Schulter seines Beichtvaters, des Paters Sirmond, gelehnt, der sich nachher entfernte und ihn mit dem Kardinal allein ließ; dieser war mit der größten Mühe aufgestanden, konnte aber dem König keinen Schritt entgegengehen, weil seine kranken Füße ganz zusammengewickelt waren; er gab einen Wink, dem König behilflich zu sein, sich ihm gegenüber ans Feuer zu setzen. Ludwig XIII. fiel in einen großen, mit Ohrkissen ausgestatteten Lehnstuhl, verlangte und trank ein Glas von dem Elixier, das man eigens für ihn bereitet hatte, um ihn zu stärken und vor den häufigen Ohnmachten zu schützen, die seine Abzehrung ihm verursachten, gab dann einen Wink, daß sich alles entfernen solle und sagte, als er sich mit Richelieu allein sah, mit matter Stimme:

»Ich gehe, mein lieber Kardinal; ich fühle, daß ich zu Gott gehe; ich schwäche von Tag zu Tag ab, weder der Sommer noch die Luft des Südens haben mir meine Kräfte zurückgegeben.«

»Ich werde Ew. Majestät vorangehen«, antwortete der Minister; »der Tod hat sich meiner Beine schon bemächtigt, wie Sie sehen; solange mir aber noch ein Kopf zum Denken und eine Hand zum Schreiben bleibt, werde ich für Ihren Dienst tauglich sein.«

»Und ich bin überzeugt, daß in Ihrer Absicht lag, hinzuzufügen, ein Herz, um Sie zu lieben«, sagte der König.

»Kann Ew. Majestät daran zweifeln?« antwortete der Kardinal mit gerunzelter Stirn und sich vor Ungeduld bei diesem Anfang in die Lippen beißend.

»Zuweilen zweifle ich daran«, entgegnete der König; »sehen Sie, ich muß offen zu Ihnen reden und mich bei Ihnen über Sie selbst beklagen. Seit drei Jahren habe ich zwei Dinge auf dem Gewissen und Ihnen nie davon gesprochen; doch zürnte ich Ihnen deswegen insgeheim, und wenn etwas fähig gewesen wäre, mich zur Einwilligung in Vorschläge zu bestimmen, die Ihren Interessen entgegen waren, so wäre es diese Erinnerung gewesen.«

Es war dies jene Art von Offenherzigkeit, die schwachen Charakteren eigen ist, welche durch Beunruhigung dessen, der über sie herrscht, sich für das Leid entschädigen, das sie ihm nicht völlig antun dürfen, und sich für die Unterjochung durch einen kindischen Streit rächen.

Richelieu ersah aus diesen Worten, daß er große Gefahr gelaufen sei, erkannte aber zu gleicher Zeit die Notwendigkeit, ihn sozusagen seinen ganzen Groll beichten zu lassen und häufte, um die Losplatzung dieser wichtigen Geständnisse zu erleichtern, Beteuerungen auf Beteuerungen, welche er am geeignetsten glaubte, den König ungeduldig zu machen.

»Nein, nein«, rief dieser endlich, »ich glaube nichts, solange Sie mir nicht die zwei Sachen erklärt haben, die mir immer vor der Seele schweben, von deren einer man mir erst letzthin noch sprach und die ich durch keine Vernunftgründe rechtfertigen kann; ich meine den Prozeß Urbain Grandiers, über den ich nie recht unterrichtet wurde, und die Beweggründe Ihres Hasses gegen meine unglückliche Mutter und selbst gegen ihre Asche.«

»Ist es nur das, Sire?« entgegnete Richelieu; »sind das meine einzigen Verfehlungen? Die sind leicht zu erklären. Die erstere Angelegenheit mußte vermöge Ihrer fürchterlichen und empörenden Nebenumstände, die allgemeines Ärgernis erweckten, den Blicken Ew. Majestät entzogen werden. Es war unstreitig eine Kunst, die nicht als strafbar angesehen werden kann, Verbrechen, deren Name die Schamhaftigkeit verletzt und deren Kundbarwerdung der Unschuld gefährliche Geheimnisse offenbart hätte, mit Magie zu benennen; es war eine heilige List, den Augen der Völker solche Unzüchtigkeiten zu entziehen . . .«

»Genug, genug hiervon, Kardinal«, sagte Ludwig XIII., den Kopf abwendend und errötend die Augen niederschlagend; »ich kann nicht mehr davon hören; ich begreife Sie, solche Schilderungen würden mich verletzen; ich billige Ihre Beweggründe, es ist gut. Man hatte mir das nicht gesagt, man hatte mir diese schrecklichen Laster verborgen. Hatten Sie sichere Beweise dieser Verbrechen?«

»Ich hatte sie alle in Händen, Sire; und was die glorreiche Königin Marie von Medicis betrifft, so bin ich erstaunt, daß Ew. Majestät vergessen, wie zugetan ich ihr war. Ja, ich fürchte nicht, es zu gestehen, ihr verdankte ich meine ganze Erhöhung; sie war die erste, welche die Augen auf den Bischof von Luçon, der damals erst zweiundzwanzig Jahre alt war, zu werfen geruhte, um ihn sich zu nähern. Wie sehr habe ich gelitten, als sie mich zwang, sie im Interesse Ew. Majestät zu bekämpfen! Da aber dieses Opfer für Sie gebracht wurde, so fühlte ich nie Bedenklichkeiten und werde nie solche fühlen.«

»Sie nicht; aber ich!« sagte der König mit Bitterkeit.

»Ei, Sire!« rief der Kardinal, »ging Ihnen nicht der Sohn GottesIm Jahre 1639 beriet sich der König mit seinem Rate über die Bittschrift seiner verbannten Mutter, nach Frankreich zurückkehren zu dürfen. Richelieu antwortete: »Wer kann zweifeln, daß es einem Könige nicht erlaubt sei, sich um wichtiger Interessen willen von einer Mutter zu trennen? . . . Der Sohn Gottes hat keine Schwierigkeit gemacht, sich für etwelche Zeit von seiner Mutter zu trennen und sie einige Tage in Bekümmernis zu lassen. Die Antwort, die er seiner Mutter gab, als sie sich darüber beklagte, lehrt die Könige, daß die, welchen Gott die Sorge für das allgemeine Wohl eines Reiches übergeben hat, diese immer allen persönlichen Verpflichtungen vorziehen müssen.«
            (Bericht des Herrn von Fontrailles.)
hierin mit seinem Beispiel voran? Nach diesem Muster aller Vollkommenheit verfuhren wir bei unserem Rate, und wenn die den kostbaren Überresten Ihrer Mutter gebührenden Monumente noch nicht errichtet sind, so ist Gott mein Zeuge, daß einzig aus Besorgnis, Ihr Herz zu betrüben und Ihnen ihren Tod wieder frisch ins Gedächtnis zu rufen, wir die Arbeiten noch verzögert haben. Doch gesegnet sei dieser Tag, an dem mir gestattet ist, Ihnen darüber zu sprechen! Ich selbst werde, wenn wir sie in Saint-Denis ruhen sehen, die erste Messe daselbst lesen, so die Vorsehung mir Kraft dazu läßt.«

Hier nahm der König eine etwas freundlichere, doch immer noch kalte Miene an, und der Kardinal, der einsah, daß er ihn diesen Abend nicht besser zur Überzeugung bringen würde, entschloß sich plötzlich, eine ganz veränderte Richtung einzuschlagen und den Feind keck anzugreifen. Indem er daher fortfuhr, den König fest anzublicken, sagte er kalt:

»Haben Sie also deshalb Ihre Einwilligung zu meinem Tode gegeben?«

»Ich?« entgegnete der König; »da hat man Sie getäuscht; ich habe wohl von der Verschwörung sprechen hören und wollte Ihnen etwas davon sagen; allein gegen Sie habe ich nichts angeordnet.«

»So reden die Verschworenen nicht, Sire; dennoch will ich Ew. Majestät glauben und bin für Sie recht froh, daß man sich getäuscht hat. Aber welche Ratschläge geruhen Sie mir zu erteilen?«

»Ich . . . wollte Ihnen offenherzig und unter uns sagen, daß Sie wohl tun werden, ein wachsames Auge auf Monsieur zu haben . . .«

»Ach, Sire, das kann ich jetzt nicht glauben, denn hier ist ein Brief, den er mir für Sie übersandt hat; er scheint eher gegen Ew. Majestät selbst strafbar zu sein.«

Erstaunt las der König:

»Gnädiger Herr,

Ich fühle Verzweiflung, mich nochmals an der Treue, die ich Ew. Majestät schulde, vergangen zu haben; ich flehe Sie alleruntertänigst an, genehmigen zu mögen, daß ich Sie tausendmal um Verzeihung bitte mit einer höflichen Vermeidung der Ergebenheit und Treue

Ihres allerergebensten Untertans
Gaston.«                  

»Was soll das heißen?« rief Ludwig, »sollten sie gewagt haben, sich auch gegen mich zu bewaffnen?«

»Auch!« sagte leise der Kardinal, sich in die Lippen beißend; dann hob er wieder an:

»Ja, Sire, auch gegen Sie; das könnte mich diese kleine Papierrolle bis auf einen gewissen Punkt glauben machen.«

Und mit diesen Worten zog er ein zusammengerolltes Pergament aus einem ausgehöhlten Holunderholze und entfaltete es vor den Augen des Königs.

»Es ist ganz einfach ein Vertrag mit Spanien, den, glaub' ich, Ew. Majestät zum Beispiel nicht unterzeichnet haben. Sie können die zwanzig Artikel davon hier in aller Ordnung lesen. Alles ist bedacht, die sicheren Plätze, die Truppenzahl, die Hilfe an Geld und Mannschaft.«

»Die Verräter!« lief Ludwig aufgeregt, »man muß sie ergreifen lassen; mein Bruder sagt sich davon los und bereut es; aber den Herzog von Bouillon lassen Sie verhaften . . .«

»Gut, Sire.«

»Es wird zwar schwer halten, da er sich in der Mitte seiner Armee in Italien befindet.«

»Ich stehe mit meinem Kopfe für seine Verhaftung, Sire, aber bleibt nicht noch ein anderer Name?«

»Welcher? . . . Wie? . . . Cinq-Mars?« sagte der König stammelnd.

»Eben der, Sire,« entgegnete der Kardinal.

»Ich seh' ihn wohl . . . aber . . . ich glaube, man könnte . . .«

»Hören Sie«, sagte plötzlich Richelieu mit donnernder Stimme, »heute muß noch alles zu Ende geführt werden, Ihr Günstling ist an der Spitze seiner Partei zu Pferde; wählen Sie zwischen ihm und mir. Liefern Sie den Knaben dem Manne oder den Mann dem Knaben aus, es gibt da keine Mittelstraße.«

»Ei, was wollen Sie denn, wenn ich Sie begünstige?« entgegnete der König.

»Seinen Kopf und den seines Vertrauten.«

»Nein . . . das ist unmöglich!« antwortete der König schaudernd und in gleiche Unschlüssigkeit verfallend, in der er sich mit Cinq-Mars gegen Richelieu befand. »Er ist mein Freund so gut wie Sie; mein Herz blutet bei dem Gedanken an seinen Tod. Weshalb konntet ihr euch beide nicht verständigen? Weshalb diese Spaltung? Das hat ihn so weit gebracht. Ihr habt mich zur Verzweiflung gebracht, Sie und er, ihr macht mich zum unglücklichsten der Menschen.«

Während Ludwig sprach, verbarg er seinen Kopf in beide Hände und vergoß vielleicht Tränen; allein der unbeugsame Minister heftete seine Augen auf ihn wie auf eine Beute, und benützte, ohne einen Augenblick zur Erholung zu gewähren, im Gegenteil erbarmungslos diese Verwirrung, um weiter zu sprechen.

»Also auf diese Weise«, sagte er mit hartem und kaltem Tone, »erinnern Sie sich der Gebote, welche Gott selbst Ihnen durch den Mund Ihres Beichtvaters gegeben hat? Sie sagten mir einst, die Kirche gebiete Ihnen ausdrücklich, Ihrem Premierminister alles zu entdecken, was Sie gegen ihn hören würden, und nie erfuhr ich von Ihnen etwas über meinen beabsichtigten nahen Tod. Durch treuere Freunde mußte ich die Verschwörung vernehmen, ja, die Strafbaren selbst überlieferten sich durch eine Fügung der Vorsehung mir, um mir das Geständnis ihrer Schuld zu machen. Ein einziger, der Verhärtetste, der Geringste unter allen, widersteht noch, und dieser hat alles geleitet, dieser liefert Frankreich den Fremden aus, stürzt in einem Tage meine zwanzigjährige Arbeit um, veranlaßt die Hugenotten des Südens zum Aufstand, ruft alle Klassen des Staates zu den Waffen, läßt vernichtete Ansprüche wieder aufleben und zündet endlich die durch Ihren Vater ausgelöschte Ligue wieder an; denn sie ist es, täuschen Sie sich hierbei nicht, sie ist es, die ihre Häupter alle gegen Sie erhebt. Sind Sie zum Kampfe bereit? Wo ist denn Ihre Keule?«

Vernichtet, antwortete der König nicht und verbarg seinen Kopf immer in seine Hände. Der unerbittliche Kardinal kreuzte die Arme und fuhr fort:

»Ich fürchte nur, es möchte Ihnen einfallen, daß ich für mich spreche. Glauben Sie wirklich, ich wisse mich nicht zu beurteilen und es könne mir viel an einem solchen Gegner liegen? In der Tat, ich weiß nicht, was schuld ist, daß ich Sie nicht gewähren ließe und die ungeheure Staatslast nicht in die Hände dieses Jüngelchens lege. Sie können leicht denken, daß ich mich in den zwanzig Jahren, seit ich Ihren Hof kenne, eines Zufluchtsortes versichert habe, wo ich mich gegen Ihren Willen sogleich hinbegeben kann, um die sechs Monate, die mir vielleicht noch zu leben bleiben, dort zu vollenden. Das Schauspiel einer solchen Regierung wäre ein merkwürdiges für mich! Was werden Sie zum Beispiel antworten, wenn alle jene kleinen Potentaten, sobald ich sie nicht mehr niedergedrückt halte, wieder aufstehen, hinter Ihrem Bruder drein kommen und sagen, wie sie zu Heinrich IV. auf seinem Throne zu sagen wagten: Verteilen Sie unter uns alle große Statthalterschaften mit erblichen Titeln und Souveränitätsrechten und wir sind zufriedenDenkwürdigkeiten Sullys, 1595.! Sie würden es tun, daran zweifle ich nicht, und das ist das Geringste, was Sie denen gewähren können, die Sie von Richelieu befreit haben, und wird vielleicht das Gescheiteste sein, denn um Isle de France zu regieren, das sie Ihnen ohne Zweifel als ursprüngliches Krongut lassen, bedarf Ihr neuer Minister nicht so vieler Papiere.«

Bei diesen Worten stieß er zornig gegen den Tisch, der beinahe das ganze Zimmer ausfüllte und mit zahllosen Papieren und Mappen überladen war.

Das Übermaß von Kühnheit in dieser Rede vermochte Ludwig seinem dumpfen Brüten zu entziehen; er hob den Kopf und schien einen Augenblick einen Entschluß gefaßt zu haben, aus Furcht einen anderen zu ergreifen.

»Wohlan denn, mein Herr«, entgegnete er; »ich stehe Ihnen dafür, daß ich allein regieren will.«

»Meinetwegen«, sagte Richelieu; »allein ich muß Sie benachrichtigen, daß die Geschäfte des Augenblicks schwierig sind. Das ist die Stunde, wo man mir meine gewöhnliche Arbeit bringt.«

»Ich nehme sie auf mich«, entgegnete Ludwig, »ich werde die Portefeuilles öffnen, werde die nötigen Befehle erteilen.«

»So versuchen Sie's denn«, sagte Richelieu, »ich ziehe mich zurück, und sollten Sie irgendwo Anstoß finden, so rufen Sie mich.«

Er klingelte, und im nämlichen Augenblick traten vier handfeste Knechte, als hätten sie nur auf dieses Signal gewartet, ein und trugen seinen Lehnstuhl sammt seiner Person in ein anderes Zimmer, denn er konnte, wie schon gesagt, nicht mehr gehen. Während er durch das Zimmer kam, wo die Sekretäre arbeiteten, sagte er mit lauter Stimme:

»Man erwarte die Befehle Sr. Majestät.«

Der König blieb allein. In seinem neuen Entschlusse stark und stolz, einmal widerstanden zu haben, wollte er sich unverzüglich an die politische Arbeit machen. Er ging um den ungeheuren Tisch herum und sah so viel Mappen, als man damals Kaiserreiche, Königreiche und Kreise in Europa zählte; er öffnete eines und fand es in Felder abgeteilt, deren Zahl den Unterabteilungen des Landes, dem es bestimmt war, gleich kam, alles befand sich in Ordnung, aber in einer ihn erschreckenden Ordnung, weil jede Note nur die Quintessenz jedes Geschäfts enthielt, wenn man so sagen kann, und nur gerade den Punkt der momentanen Beziehungen zu Frankreich berührte.

Dieser Lakonismus war für Ludwig beinahe ebenso rätselhaft wie die mit Zahlen geschriebenen Briefe, die den Tisch bedeckten. Hier war alles für ihn Verwirrung; auf Bann- und Expropriationsedikten der Hugenotten von La Rochelle waren Verträge mit Gustav Adolf und den Hugenotten des Nordens gegen das Reich entworfen; Noten über den General Banner, über Wallenstein, den Herzog von Weimar und Johann von Werth lagen in wirrem Durcheinander mit dem umständlichen Bericht über die in der Schatulle der Königin vorgefundenen Briefe, dem Verzeichnis der darin enthaltenen Halsbänder und Kleinodien und der doppelten Auslegung, die man jedem Satz ihrer Billete hätte geben können. Auf der Randlinie des einen derselben standen die Worte: Über vier von einem Manne geschriebene Zeilen kann ihm ein Kriminalprozeß angehängt werden.

Weiterhin lagen Denunziationen gegen die Hugenotten, die Pläne zu einer Republik, die sie gefaßt hatten, die Einteilung Frankreichs in Kreise unter einem jährlich zu wechselnden Diktator; der Entwurf des Siegels zu diesem Staate lag als Zeichnung beigefügt und stellte einen Engel vor, der sich an ein Kreuz lehnte und in der Hand die Bibel hielt, die er über seine Stirn emporhob. Daneben lag ein Verzeichnis der Kardinäle, die der Papst am nämlichen Tage mit dem Bischof von Luson (Richelieu) dazu ernannt hatte. Unter diesen befand sich der Marquis von Bédemar, Gesandter in Venedig und Verschwörer.

Ludwig XIII. erschöpfte seine Kräfte vergeblich, indem er nach einem umständlichen Bericht eines anderen Zeitpunktes und den auf die Verschwörung bezüglichen Papieren suchte, die geeignet sein konnten, ihm den wirklichen Knoten zu zeigen, sowie das, was man gegen ihn selbst gewagt hatte, als ein kleiner Mann mit olivenfarbenem Gesicht, gekrümmter Gestalt und dem gezwungenen Gang eines Frömmlers in das Kabinett trat; es war ein Staatssekretär namens Desnoyers; er schritt, sich verneigend, vor und sagte:

»Kann ich Ew. Majestät von den Angelegenheiten Portugals sprechen?«

»Also Spaniens«, entgegnete Ludwig; »Portugal ist ja eine spanische Provinz.«

»Portugals«, behaute Desnoyers. »Hier ist das Manifest, das wir soeben erhalten haben.«

Und er las:

»Wir, Don Juan, durch Gottes Gnaden König von Portugal, der Algarven, der Königreiche jenseits Afrika, Herr des eroberten Guineas, der Schiffahrt und des Handels in Äthiopien, Arabien, Persien und Indien . . .«

»Was bedeutet das alles«, sagte der König; »wer spricht denn so?«

»Der Herzog von Braganza, König von Portugal, der schon vor ein . . . schon vor einiger Zeit, Sire, durch einen Mann, namens Pinto, gekrönt wurde. Kaum wieder auf dem Throne, streckte er seine Hand nach dem empörten Katalonien aus.«

»Katalonien hat sich auch empört! Hat denn der König Philipp IV. nicht mehr den Graf-Herzog zum Premierminister?«

»Im Gegenteil, Sire; er hat sich empört, weil er ihn noch hat. Hier ist die Erklärung der katalanischen Generalstaaten an Se. Katholische Majestät, des Inhaltes, daß das ganze Land die Waffen gegen seine meineidigen und mit dem Bannstrahl belegten Truppen ergreife. Der König von Portugal . . .«

»Sagen Sie der Herzog von Braganza«, entgegnete Ludwig, »ich kenne einen Aufrührer nicht.«

»Also der Herzog von Braganza, Sire«, sagte der Staatsrat kalt, »entsendet seinen Neffen, Don Ignaz de Mascarenas, in das Fürstentum Katalonien, um dieses Land unter seinen Schutz (und vielleicht unter seine Oberherrschaft) zu stellen, die er der soeben erworbenen noch beifügen möchte. Nun stehen aber die Truppen Ew. Majestät vor Perpignan.«

»Wohlan, was liegt daran«, sagte Ludwig.

»Die Katalonier haben mehr ein französisches als ein portugiesisches Herz, Sire, und es ist noch Zeit, dem König von . . . dem Herzog von Braganza diese Vormundschaft zu entziehen.«

»Ich Rebellen unterstützen! Sie wagen! . . .«

»Es war der Plan Sr. Eminenz«, fuhr der Staatsrat fort; »Spanien und Frankreich stehen ohnedies im Krieg miteinander, und Herr von Olivarez hat nicht gezögert, die Hand Sr. Katholischen Majestät unseren Hugenotten zu reichen.«

»Gut, ich werde daran denken«, sagte der König; »lassen Sie mich jetzt in Ruhe.«

»Sire, die Generalstaaten von Katalonien sind bedrängt, die Truppen Aragoniens marschieren gegen sie an . . .«

»Wir werden sehen . . . In einer Viertelstunde sollen Sie meinen Entschluß wissen«, antwortete Ludwig XIII.

Der kleine Staatssekretär entfernte sich mit unzufriedener und entmutigter Miene. Statt seiner trat Chavigny ein, mit dem Portefeuille der britischen Waffen in der Hand.

»Sire«, sagte er, »ich bitte Ew. Majestät um Befehle hinsichtlich der Angelegenheiten Englands. Die Parlamente unter dem Vorsitz des Grafen von Essex haben soeben die Belagerung von Glocester aufheben lassen, Prinz Rupert hat in Newbury eine unglückliche und Sr. Britischen Majestät wenig vorteilhafte Schlacht geliefert. Das Parlament verlängert seine Sitzungen und hat die großen Städte, die Seehäfen und die ganze presbyterianische Bevölkerung für sich. König Karl I. verlangt Hilfe, welche die Königin in Holland nicht mehr findet.«

»Man muß meinem königlichen Bruder in England Truppen senden«, entgegnete Ludwig.

Er wollte jedoch die darauf bezüglichen Papiere nachsehen und fand, indem er die Noten des Kardinals durchlief, daß er auf eine erste Bitte des Königs von England eigenhändig geschrieben hatte:

»Muß es lange überdenken und warten: – die Gemeinen sind starr: – König Karl zählt auf die Schotten, die werden ihn verkaufen.«

»Muß sich in acht nehmen. Es ist da ein Kriegsmann, der Vincennes besucht und gesagt hat, man sollte die Könige nie anders als auf den Kopf schlagen.« – »Bemerkenswert«, hatte der Kardinal beigefügt, dann aber das Wort durchgestrichen und statt dessen »Furchterregend« hingesetzt.

Und weiter:

»Dieser Mann hat eine Herrschaft über Fairfax gewonnen; – er spielt den Begeisterten, – wird ein großer Mann sein. – Hilfe abgeschlagen; – verloren Geld.«

Auf dieses hin sagte nun der König: »Doch nein, nein, beeilen Sie nichts, ich werde warten.«

»Aber, Sire«, entgegnete Chavigny, »die Ereignisse drängen; wenn sich der Kurier um eine Stunde verspätet, so kann der Untergang des Königs von England um ein Jahr befördert werden.«

»Ist es schon so weit?« fragte Ludwig.

»Im Lager der Independenten predigt man mit der Bibel in der Hand die Republik; in dem der Royalisten streitet man über den Vortritt und lacht.«

»Aber ein glücklicher Augenblick kann alles retten!«

»Die Stuarts sind nicht glücklich, Sire«, entgegnete Chavigny ehrerbietig, aber in einem Tone, der viel zu denken übrig ließ.

»Lassen Sie mich allein«, sagte der König in verdrießlichem Tone.

Der Staatssekretär entfernte sich langsam.

Jetzt sah Ludwig XIII. seine ganze Lage ein und erschrak über das Nichts, das er in sich selbst fand. Er ließ seine Augen zuerst über die Papierstöße schweifen, die ihn umgaben, ging von einem zum andern, fand überall Gefahren und fand dieselben nie größer als in den Hilfsquellen selbst, die er erfand. Er stand auf und bog oder warf sich vielmehr, einen anderen Platz einnehmend, über eine Karte von Europa; dort fand er im Norden, im Süden, im Mittelpunkt seines Königreiches alle seine Schrecken beisammen; die Revolutionen erschienen ihm wie Eumeniden; unter jeder Gegend glaubte er einen Vulkan rauchen zu sehen; es deuchte ihn, als höre er den Notschrei der Könige, die ihn riefen, und den Wutschrei der Völker; er glaubte, Frankreichs Boden unter seinen Füßen brechen und sich spalten zu hören; es flirrte vor seinen schwachen und ermüdeten Augen, sein kranker Kopf ward von einem Schwindel ergriffen, der das Blut zu seinem Herzen zurückdrängte.

»Richelieu!« schrie er mit erstickter Stimme, eine Klingel rührend; »man rufe den Kardinal zurück.«

Und er sank ohnmächtig in einen Lehnstuhl.

Als der König durch starke Essenzen, die man ihm auf die Lippen und an die Schläfe träufelte, wieder belebt, seine Augen öffnete, sah er einen Augenblick Pagen, die sich aber zurückzogen, sobald er die Augenlider aufschlug, und ihn mit dem Kardinal allein ließen. Der teilnahmlose Minister hatte seine Chaiselongue gleich dem Stuhl eines Arztes neben das Bett seines Kranken, an den Lehnstuhl des Königs hinstellen lassen und heftete seine funkelnden und forschenden Augen auf das blasse Gesicht Ludwigs. Sobald dieser imstande war, ihn anzuhören, begann er mit dumpfer Stimme sein schreckliches Gespräch wieder.

»Sie haben mich zurückgerufen«, sagte er; »was wollen Sie?«

Auf das Ohrkissen gelehnt, öffnete Ludwig halb die Augen und schaute ihn an, dann schloß er sie aber schleunig wieder. Dieser fleischlose, mit zwei flammenden Augen bewaffnete Kopf, der in einen spitzen weißlichen Bart auslief, dieses Priesterkäppchen und diese Kleider von der Farbe des Blutes und der Flammen, alles trug dazu bei, sich ihn als einen höllischen Geist vorzustellen.

»Regieren Sie«, sagte er mit schwacher Stimme.

»Aber . . . liefern Sie mir Cinq-Mars und von Thou aus?« fuhr der unversöhnliche Minister fort, indem er sich gegen den König vorbeugte, um in seinen erloschenen Augen zu lesen, wie ein gieriger Erbe den letzten Schein des Willens eines Sterbenden bis in das Grab verfolgt.

»Regieren Sie«, wiederholte der König, den Kopf abwendend.

»So unterzeichnen Sie«, entgegnete Richelieu; »auf diesem Papier steht: Es ist mein Wille, sie tot oder lebendig einzufangen.«

Den Kopf immer in den Stuhl zurückgelehnt, ließ Ludwig seine Hand auf das unselige Papier fallen und unterzeichnete.

»Jetzt lassen Sie mich in Ruhe, aus Erbarmen; ich sterbe«, sagte er dann.

»Das ist noch nicht alles«, fuhr der fort, den man den großen Politiker nennt; »ich bin Ihrer nicht sicher; ich brauche künftig Garantien und Pfänder. Unterzeichnen Sie auch dieses, und ich verlasse Sie.

›Wenn der König den Kardinal besuchen will, sollen die Wachen dieses letzteren die Waffen nicht ablegen; und wenn der Kardinal den König besuchen will, sollen seine Wachen den Platz mit denen Sr. Majestät teilen.‹Manuskripte Pointis 1642, Nr. 185.

Weiter:

›Seine Majestät verpflichtet sich, die beiden Prinzen, seine Söhne, als Geiseln und eine Bürgschaft der Aufrichtigkeit seiner Anhänglichkeit, den Händen des Kardinals zu übergeben.‹«Denkwürdigkeiten Annas von Österreich 1642.

»Meine Kinder!« rief Ludwig, den Kopf in die Höhe richtend, »Sie wagen . . .«

»Wollen Sie lieber, daß ich mich von allem zurückziehe?« sagte Richelieu.

Der König unterzeichnete.

»Sind wir nun fertig?« sagte er mit tiefem Stöhnen.

Sie waren nicht fertig; ein anderer Schmerz war ihm vorbehalten. Die Tür wurde aufgerissen und man sah Cinq-Mars eintreten. Diesmal war es der Kardinal, der zitterte.

»Was wollen Sie, mein Herr?« fragte er, die Klingel ergreifend, um Hilfe herbeizurufen.

Der Großstallmeister war so blaß als der König, und schritt, ohne Richelieu einer Antwort zu würdigen, mit ruhiger Miene auf Ludwig XIII. zu. Dieser schaute ihn an wie ein Mann, der eben sein Todesurteil vernommen hat.

»Sire, Sie müssen einige Schwierigkeit finden, mich verhaften zu lassen, denn ich habe zwanzigtausend Männer, die zu mir stehen«, sagte Henri d'Effiat mit der sanftesten Stimme.

»Ach, Cinq-Mars«, entgegnete Ludwig schmerzlich bewegt, »hast du wirklich solche Sachen gemacht?«

»Ja, Sire, und darum bringe ich Ihnen auch meinen Degen, denn ohne Zweifel haben Sie mich soeben überliefert«, sagte er, denselben losschnallend und zu den Füßen des Königs legend, der, ohne zu antworten, die Augen niederschlug.

Cinq-Mars lächelte traurig aber ohne Bitterkeit, weil er der Erde schon nicht mehr angehörte. Dann schaute er Richelieu mit Verachtung an und sagte:

»Ich stelle mich, weil ich sterben will, aber besiegt bin ich nicht.«

Der Kardinal ballte wütend die Fäuste, bezwang sich jedoch.

»Und wer sind Ihre Mitverschworenen?« sagte er.

Cinq-Mars blickte Ludwig XIII. fest an und öffnete die Lippen, um zu reden . . .

Der König senkte den Kopf und erlitt in diesem Augenblick eine allen Menschen unbekannte Qual.

»Ich habe keine«, antwortete endlich Cinq-Mars, der Mitleid mit dem König hatte, und verließ dann das Gemach.

Auf der ersten Galerie, wo alle Edelleute und Fabert bei seinem Erscheinen sich erhoben, stand er still, ging dann auf diesen letzteren zu und sagte:

»Mein Herr, geben Sie diesen Edelleuten Befehl, mich zu verhaften.«

Alle schauten sich an, ohne daß sie wagten, sich ihm zu nähern.

»Ja, mein Herr, ich bin Ihr Gefangener . . .

Ja, meine Herren, ich bin ohne Degen und wiederhole es Ihnen, Gefangener des Königs.«

»Ich weiß nicht was ich sehe«, sagte der General, »es sind ihrer zwei, die sich als Gefangene stellen, und doch habe ich nicht Befehl, jemand zu verhaften.«

»Zwei?« entgegnete Cinq-Mars, »das kann nur von Thou sein; ach! an dieser Ergebung errate ich ihn.«

»Und hatte ich dich nicht auch erraten?« rief dieser, hervortretend und sich in seine Arme werfend.



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