Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Elftes Kapitel. Die Täuschungen

Um vor dem König zu erscheinen, war Cinq-Mars gezwungen gewesen, das Pferd eines der im Kampfe verwundeten Chevaulegers zu besteigen, da er am Fuße des Walles das seinige eingebüßt hatte. Während der ziemlich langen Zeit, die der Abzug der beiden Kompagnien erforderte, fühlte er, wie ihm jemand auf die Schulter klopfte, und er erblickte beim Umwenden den alten Grandchamp, der ein sehr schönes graues Pferd am Zügel hielt.

»Will der Herr Marquis gefälligst ein Pferd besteigen, das ihm gehört?« sagte er. »Ich habe ihm den Sattel und die samtene, goldgestickte Schabracke, die im Graben liegen blieben, angelegt. Ach, mein Gott, wenn ich bedenke, wie leicht es möglich gewesen wäre, daß ein Spanier oder gar ein Franzose sie aufgehoben hätte! Denn in jetziger Zeit gibt es eine Menge Leute, die nehmen, was sie finden, als ob es ihr Eigentum wäre; und dann sagt das Sprichwort auch: Was in den Graben fällt, gehört dem Soldaten. Und wenn ich erst bedenke, daß sie auch diese vierhundert Taler in Gold hätten nehmen können, die der Herr Marquis, ohne ihm einen Vorwurf machen zu wollen, in seinen Pistolenhalftern mit sich führte! Und die Pistolen, was für Pistolen! Ich hatte sie in Deutschland gekauft und sie haben noch einen ebenso vorzüglichen Drücker und sind noch in ebenso gutem Zustande wie damals. Es war doch gewiß genug, das arme kleine schwarze Pferd hinzumachen, das in England geboren wurde, so wahr als ich in Tours in der Touraine; mußte man auch noch kostbare Gegenstände der Gefahr aussetzen, in Feindes Hände zu geraten?«

Unter solchen Klagen und Beschwerden war der wackere Mann mit dem Satteln des grauen Pferdes zustande gekommen, die Kolonne hatte lange vorbei zu defilieren, und so ward er denn langsamer in seinen Bewegungen und widmete der Länge der Gurten und den Zungen jeder Schnalle des Sattels eine gewissenhafte Aufmerksamkeit, indem er dadurch Zeit gewann, seine Reden fortzusetzen.

»Ich bitte sehr um Verzeihung, mein Herr, wenn ich ein bißchen lange mache: ich habe mir nämlich den Arm ein wenig verstaucht, als ich Herrn von Thou aufhob, der dann gleichermaßen den Herrn Marquis bei seinem derben Fall aufhob.«

»Wie! Du bist hierher gekommen, alter Narr?« sagte Cinq-Mars; »das ist nicht deines Amtes; ich befahl dir ja, im Lager zu bleiben.«

»O, was das Bleiben im Lager betrifft, so ist das ein ander Ding; ich kann nicht dort bleiben, und fällt ein Schuß, so müßte ich jedenfalls krank sein, wenn ich das Feuer davon nicht sehen sollte. Meines Amtes ist allerdings, für Ihre Pferde Sorge zu tragen und auf einem derselben sollen Sie jetzt wieder sitzen, mein Herr. Glauben Sie, ich hätte nicht, wenn es immer möglich gewesen wäre, die Tage dieses armen kleinen schwarzen Tieres gerettet, das da unten im Graben liegt? Ach, wie lieb war mir das Tierchen, mein Herr! Ein Pferd, das in seinem Leben drei Preise bei Wettrennen gewonnen hat! Wenn ich daran denke, so war dieses Leben zu kurz für alle, die es so zu lieben verstanden wie ich. Es ließ sich den Hafer nur durch seinen Grandchamp reichen und in solchen Augenblicken liebkoste es mich stets mit seinem Kopfe; ein Beweis dafür ist, daß es mir einst das linke Ohrläppchen wegschnappte, das freundliche Tier; es wollte mir aber nicht wehe tun, im Gegenteil. Es war der Mühe wert, zu sehen, wie es vor Zorn wieherte, wenn ihm ein anderer nahe kam, es hat deshalb unserem Jean das Bein gebrochen, das gute Tier; es war mir zu lieb. Als es stürzte, hob ich es auch mit der einen und Herr von Locmaria mit der anderen Hand auf. Ich glaubte anfangs, es und der Herr würden wieder auf die Beine kommen; unglücklicherweise ist jedoch nur einer von ihnen am Leben geblieben und gerade der, den ich nicht kannte. Sie scheinen über das, was ich in bezug auf Ihr Pferd sage, zu lachen, mein Herr; allein Sie vergessen, daß in Kriegszeiten das Pferd die Seele des Kavaliers ist, ja, mein Herr, seine Seele; denn wer setzt die Infanterie in Schrecken? Das Pferd! Doch gewiß nicht der Mann, der, einmal losgelassen, kaum mehr Schrecken anrichtet als ein Bund Heu; wer vollführt Taten, die man bewundert? Wieder das Pferd! Und wenn sich oft sein Herr weit weg wünscht, so sieht er sich ohne sein Dazutun plötzlich siegreich und belohnt, während das arme Tier nur Schläge davonträgt. Wer gewinnt die Preise beim Wettrennen? Das Pferd, das, während sein Herr das Gold in die Tasche steckt und von seinen Freunden beneidet und von allen Herren angesehen wird, als wäre er selbst gelaufen, kein besseres Nachtessen kriegt als gewöhnlich. Wer jagt das Reh und kriegt nicht das kleinste Stückchen davon unter die Zähne? Wieder das Pferd! Während es zuweilen vorkommt, daß es selbst gegessen wird, das arme Tier; und auf einem Feldzug mit dem Herrn Marschall ist es mir sogar vorgekommen . . . Aber was haben Sie denn, Herr Marquis? Sie werden ja ganz bleich . . .«

»Verbinde mir das Bein mit etwas, mit einem Sacktuch oder einem Riemen oder mit was du willst, denn ich fühle einen brennenden Schmerz darin; ich weiß nicht, was es ist.«

»Ihr Stiefel ist durchschnitten, mein Herr, und es könnte wohl eine Kugel sein; doch das Blei ist ja dem Menschen befreundet

»Es tut mir aber sehr weh!«

»Ach, wer liebt, der züchtigt auch, mein Herr; ach, das Blei! Man muß dem Blei nichts Schlimmes nachreden; wer . . .«

Während der gute Mann beschäftigt war, das Bein Cinq-Mars' oberhalb des Knies zu verbinden, wollte er eine ebenso dumme Verteidigungsrede des Bleies beginnen als er dem Pferde eine Lobrede gehalten hatte, wurde aber ebenso wie sein Gebieter genötigt, einem lebhaften und lärmenden Gezanke mehrerer nach dem Abzug aller Truppen ganz in ihrer Nähe zurückgebliebenen Schweizersoldaten sein Ohr zu leihen; sie sprachen unter lebhaftem Gebärdenspiel und schienen sich mit zwei Männern zu beschäftigen, die man in der Mitte von ungefähr dreißig Soldaten erblickte.

An das Sattelzeug seines Pferdes sich lehnend und den Fuß immer seinem Bedienten hinhaltend, suchte d'Effiat, aufmerksam zuhörend, ihre Worte aufzufassen; er verstand jedoch kein deutsches Wort und konnte daher ihren Streit nicht erraten. Grandchamp hielt unaufhörlich seinen Stiefel und horchte auch sehr gespannt zu, dann fing er plötzlich an, aus vollem Halse zu lachen und sich die Seiten zu halten, was man noch nie an ihm gesehen hatte.

»Hahahaha! mein Herr, da zanken sich zwei Sergeanten darum, welcher von den beiden Spaniern dort gehängt werden solle, denn ihre roten Kameraden haben sich nicht die Mühe genommen, es zu bestimmen; der eine von diesen Schweizern möchte den Offizier, der andere den Soldaten baumeln sehen und nun ist ein Dritter dazugekommen und der hat einen Vergleich zuwege gebracht.«

»Und was hat er gesagt?«

»Er riet ihnen, beide zu hängen.«

»Sachte, sachte«, rief Cinq-Mars, indem er eine Anstrengung machte, zu gehen, jedoch nicht auf seinem Bein stehen konnte.

»Setze mich aufs Pferd, Grandchamp.«

»Mein Herr, Sie denken doch nicht daran; Ihre Wunde . . .«

»Tu' was ich dir sage und hernach steig' auch du auf.«

Unter Schelten gehorchte der alte Bediente dennoch und eilte dann infolge eines ausdrücklichen Befehls nach der Ebene, um den Schweizern Einhalt zu tun, die sich schon anschickten, ihre Gefangenen an einem Baum aufzuhängen oder ihnen das Aufknüpfen vielmehr selbst überließen, denn mit der Kaltblütigkeit seiner energischen Nation hatte sich der Offizier eigenhändig mit einem Strick eine Schlinge um den Hals gemacht und stieg, ohne dazu aufgefordert zu werden, eine kleine, an den Baum gelehnte Leiter hinauf, um das andere Ende oben anzuknüpfen. Mit eben derselben gleichgültigen Ruhe sah der Soldat zu, wie die Schweizer sich um ihn herum zankten und hielt die Leiter.

Cinq-Mars kam noch zur rechten Zeit an, um die Spanier zu retten, nannte sich dem schweizerischen Unteroffizier und sagte, Grandchamp zum Dolmetsch machend, daß die beiden Gefangenen ihm angehörten und er sie in sein Zelt bringen lassen werde, daß er Gardekapitän sei und die Verantwortung schon übernehmen wolle. Der gut disziplinierte Deutsche wagte nicht zu widerreden; nur von seiten des Gefangenen traf man auf Widerstand. Der noch oben auf der Leiter stehende Offizier wandte sich um und sagte wie von einer Kanzel herab redend mit sardonischem Lächeln:

»Ich möchte wohl wissen, was du hier vorhast? Wer hat dir gesagt, daß ich länger zu leben wünschte?«

»Hierum bekümmere ich mich nicht«, entgegnete Cinq-Mars, »es kann mir einerlei sein, was nachher aus Ihnen werden soll; ich will in diesem Augenblick nur einen Akt der Gewalttätigkeit verhindern, der mir ungerecht und grausam erscheint. Töten Sie sich nachher, wenn Sie wollen.«

»Gut gesprochen!« rief der wilde Spanier; »du gefällst mir, du! Ich glaubte anfangs, du wärest hierhergekommen, um hier den Großmütigen zu spielen und mich zu zwingen, erkenntlich zu sein, was ich verabscheue. Wohlan! Ich willige ein, hinabzusteigen, werde dich aber hassen wie zuvor, weil du Franzose bist, das sag' ich dir im voraus; auch danke ich dir nicht, denn du hast nur deine Schuld gegen mich abgetragen, da ich selbst heute morgen diesen jungen Soldaten da, der dich aufs Korn genommen hatte, verhinderte, dich totzuschießen; er hat in den Leonschen Gebirgen nie eine Gemse gefehlt.«

»Meinetwegen«, entgegnete Cinq-Mars, »steigen Sie herunter.«

Es lag in seinem Charakter, sich gegen andere stets zu benehmen, wie sie sich in ihren Beziehungen zu ihm zeigten, und diese Rauheit stählte auch ihn.

»Das ist mir ein stolzer Bursche, Herr«, sagte Grandchamp; »der Herr Marschall hätte ihn an Ihrer Stelle gewiß auf seiner Leiter gelassen. Marsch, Louis, Etienne, Germain, die Gefangenen des Herrn bewacht und ins Lager gefühlt! Eine schöne Erwerbung, die wir da machen; wenn Ihnen das Glück bringt, so soll's mich wundern!«

Cinq-Mars, der bei der Bewegung seines Pferdes etwas Schmerz empfand, trabte, um die Fußgänger nicht zu überholen, ziemlich langsam vorwärts. Er folgte von weitem der Kolonne der Kompagnien, die sich vom Gefolge des Königs entfernten, und dachte nur noch, was der Monarch ihm wohl zu sagen hätte. Ein Strahl von Hoffnung ließ ihn in der Ferne das Bild Maries von Mantua erblicken und seine Gedanken bekamen einen Augenblick Ruhe. Allein seine ganze Zukunft lag in dem einzigen Worte, dem König gefallen; er begann bald, sich all das Bittere, was in demselben liegt, vor die Seele zu führen.

In diesem Augenblick sah er seinen Freund von Thou auf sich zukommen, der, beunruhigt über sein Zurückbleiben, ihn in der Ebene aufsuchte und herbeieilte, um ihm nötigenfalls seine Hilfe angedeihen zu lassen.

»Es ist spät, mein Freund, und die Nacht rückt heran; Sie haben sich lange aufgehalten; ich war Ihretwegen in Sorgen. Wen bringen Sie denn da? Weshalb haben Sie sich noch aufgehalten? Der König wird bald nach Ihnen fragen.«

So lauteten die rasch aufeinander folgenden Fragen des jungen Rates, den die Unruhe aus seiner gewohnten Ruhe herausgerissen, wenn es auch der Kampf nicht vermocht hatte.

»Ich war ein wenig verwundet und hier bringe ich einen Gefangenen; auch dachte ich an den König. Was kann er von mir wollen, mein Freund? Was muß ich tun, wenn er mich in die Nähe des Thrones ziehen will? Ich werde suchen müssen, ihm zu gefallen? Soll ich Ihnen gestehen, daß ich bei diesem Gedanken in Versuchung komme zu fliehen, und daß ich hoffe, der unseligen Ehre, in seiner Nähe zu leben, nicht teilhaftig zu werden? Gefallen! Wie erniedrigend ist dieses Wort! Gehorchen ist nicht so erniedrigend. Ein Soldat setzt sein Leben in Gefahr und damit ist alles gesagt. Aber welche Geschmeidigkeit, welche Opfer seines Charakters, welche Abfindungen mit seinem Gewissen, welche Entwürdigungen seiner Gedanken in dem Geschick eines Höflings! Ach, von Thou, mein lieber von Thou! Ich bin nicht für das Hofleben geschaffen, das fühle ich, obwohl ich es nur einen Augenblick gesehen habe; mein Herz birgt etwas Wildes, Unzähmbares in seiner Tiefe, das die Erziehung nur oberflächlich geglättet hat. Von der Ferne aus glaubte ich mich geeignet, in dieser allmächtigen Welt zu leben, und geleitet durch einen teuren Plan meines Herzens, habe ich es sogar gewünscht; allein ich bebe beim ersten Schritt schon zurück und beim Anblick des Kardinals ergriff mich ein unwillkürlicher Schauer; die Erinnerung an das letzte seiner Verbrechen, dem ich beigewohnt habe, hinderte mich, ihn anzureden; er flößt mir Abscheu ein, ich werde es nie über mich bringen können. Auch die Gunst des Königs hat etwas, das mich erschreckt, als ob sie mir unheilbringend werden sollte.«

»Ich bin sehr froh, Sie so erschreckt zu sehen; es kann Ihnen vielleicht heilsam sein«, entgegnete ihm von Thou, an seiner Seite zum Lager zurückreitend. »Sie werden mit der Macht in Berührung und Verbindung kommen; Sie fühlten dieselbe nicht und werden ihr nun untertan; Sie werden sehen, was sie ist und welche Hand den Blitzstrahl schleudert. Ach! gebe der Himmel, daß er Sie nicht senge! Sie werden vielleicht jenen Beratschlagungen beiwohnen, wo das Geschick der Nationen bestimmt wird; Sie werden sie sehen, jene Launen, jene Grillen, aus denen die blutigen Kriege, die Eroberungen und Verträge entspringen, ja vielleicht zu der Entstehung derselben beitragen; Sie werden vielleicht den Wassertropfen, der Ströme gebiert, in Ihrer Hand halten. Von oben herab, mein Freund, weiß man die menschlichen Dinge gehörig zu würdigen; man muß die Höhepunkte durchlaufen haben, um die Kleinlichkeit derer kennen zu lernen, die wir hochgestellt sehen.«

»Ei! wenn es schon so weit mit mir wäre, so würde ich wenigstens die Lehre, von der Sie mir sprechen, mein Freund, dabei gewinnen; allein dieser Kardinal, dieser Mann, gegen den ich eine Verpflichtung haben soll, dieser Mann, den ich durch sein Werk nur zu gut kenne, was wird er mir sein?«

»Ein Freund, ein Beschützer ohne Zweifel«, antwortete von Thou.

»Lieber tausendmal den Tod als seine Freundschaft! Ich hasse sein ganzes Wesen, ja sogar seinen Namen; er vergießt das Blut der Menschen mit dem Kreuze des Erlösers.«

»Was für schreckliche Dinge Sie da sagen, mein Lieber! Sie richten sich zugrunde, wenn Sie dem König solche Gesinnungen gegen den Kardinal zeigen.«

»Gleichviel; mitten unter diesen krummen Pfaden will ich einen neuen, den geraden Weg, einschlagen. Alle meine Gedanken, die Gedanken des rechtlichen Mannes, sollen sich sogar den Blicken des Königs enthüllen, wenn er sie erforschen will, und sollte es mich den Kopf kosten. Ich habe ihn endlich gesehen, diesen König, den man mir als so schwach geschildert; ich habe ihn gesehen und sein Anblick hat mich unwillkürlich gerührt; gewiß ist er sehr unglücklich, aber grausam kann er nicht sein; – er würde die Wahrheit hören . . .«

»Allerdings, würde aber nicht wagen, ihr den Sieg zu verschaffen«, antwortete der kluge von Thou. »Hüten Sie sich vor dieser Wärme des Herzens, die Sie oft zu schnellen und höchst gefährlichen Handlungen verleitet. Greifen Sie einen Koloß, wie Richelieu, nicht an, bevor Sie denselben gemessen haben.«

»Sie reden ja ganz wie mein Erzieher, der Abbé Quillet, Sie, mein kluger und besonnener Freund; allein weder der eine noch der andere von euch kennt mich; Sie wissen nicht, wie überdrüssig ich meines Lebens bin und bis wohin ich meine Blicke erhoben habe. Ich muß steigen oder sterben.«

»Wie, auch schon ehrgeizig!« rief von Thou in äußerster Überraschung.

Die Zügel seines Pferdes loslassend, verbarg sein Freund den Kopf in beide Hände und antwortete nicht.

»Wie, diese selbstsüchtige Leidenschaft des reiferen Alters hat sich Ihrer schon bemächtigt, Henri! Der Ehrgeiz ist die traurigste der Hoffnungen.«

»Und dennoch besitzt er mich jetzt völlig, denn ich lebe nur durch ihn, mein ganzes Herz ist von ihm durchdrungen.«

»Ach! Cinq-Mars, ich erkenne Sie nicht mehr! Wie ganz anders waren Sie ehemals! Ich verberge es Ihnen nicht. Sie scheinen mir sehr verloren zu haben seit jenen Spaziergängen unserer Knabenzeit, wo das Leben und besonders der Tod des Sokrates unsere Augen mit Tränen der Bewunderung und des Neides füllte, wo wir, zum Ideal der höchsten Tugend uns erhebend, für unsere Zukunft jenes berühmte Unglück, jenes erhabene Mißgeschick wünschten, welche große Männer machen; wo unsere Einbildungskraft sich Gelegenheiten zur Hingebung, und zu Opfern ausdachte; wo wir geglaubt hätten, eine Schlange zu berühren, wenn uns eine menschliche Stimme plötzlich das Wort Ehrgeiz in die Ohren geschrien hätte . . .«

Von Thou sprach mit der Wärme der Begeisterung und des Vorwurfs. Cinq-Mars ritt, den Kopf in den Händen, neben ihm her, ohne zu antworten; als von Thou schon eine Weile nicht mehr sprach, ließ er die Hände sinken und zeigte dem Freunde ein Paar Augen voll hochherziger Thränen, drückte ihm kräftig die Hand und sagte mit durchdringendem Nachdruck:

»Herr von Thou, Sie haben mir die schönsten Gedanken meiner ersten Jugend ins Gedächtnis zurückgerufen; glauben Sie mir, ich bin nicht gesunken, allein eine geheime Hoffnung, die ich nicht einmal Ihnen anvertrauen kann, verzehrt mich; ich verachte so sehr als Sie den Ehrgeiz, von dem ich beseelt scheinen werde und über den die ganze Welt den Stab brechen wird; doch was liegt mir an der Welt! Was Sie betrifft, edler Freund, so versprechen Sie mir, daß Sie nicht aufhören wollen, mich zu achten, was Sie auch von mir sehen werden. Ich schwöre beim Himmel, daß meine Gedanken so rein sind wie er.«

»Wohlan!« entgegnete von Thou, »so schwöre auch ich bei dem Himmel, daß ich Ihnen blindlings glaube; Sie wälzen eine Zentnerlast von meiner Seele.«

Sie drückten sich noch in stürmischer Herzensergießung die Hand, als sie bemerkten, daß sie beinahe vor dem königlichen Zelte angekommen waren.

Der Tag hatte sich völlig geneigt, allein man hätte glauben können, ein milderer Tag breche soeben wieder an, so herrlich glänzend entstieg der Mond dem Meere; kein Wölkchen schwamm an dem klaren südlichen Himmel, der gleich einem blaßblauen Schleier mit silbernen Flittern über der Erde ausgespannt lag; die noch immer durchwärmte Luft war ruhig und nur zuweilen durchsäuselte sie der leise Hauch des vom Mittelländischen Meer herüberkommenden Abendwindes. Die ermüdete Armee ruhte unter ihren Zelten, deren Linie durch die Wachtfeuer bezeichnet wurde, und die belagerte Stadt schien in den nämlichen Schlummer gewiegt; auf ihren Wällen sah man nur die Spitzen der Waffen, welche die Schildwachen trugen, im Mondschein glänzen oder das umherirrende Fackellicht derer, welche die Nachtrunde machten, und nur hie und da ertönten von denselben die düsteren langgezogenen Rufe der Wachen als Mahnung, nicht zu schlafen, ins Lager hinab.

Nur in der Umgebung des Königs, doch in ziemlicher Entfernung von ihm, wachte alles. Er hatte sein ganzes Gefolge entfernt und spazierte allein vor seinem Zelte, indem er zuweilen stillstand, um die Schönheit des nächtlichen Himmels zu betrachten und dabei in melancholische Betrachtungen versunken schien. Niemand wagte ihn zu stören, und was von vornehmen Herren im königlichen Quartier blieb, hatte sich dem Kardinal genähert, der ungefähr zwanzig Schritt von dem König entfernt auf einem kleinen, von den Soldaten zu einer Bank gebildeten Rasenhügel saß; hier trocknete er sich die blasse Stirn und verabschiedete, ermüdet von den Sorgen des Tages und der ungewohnten Last einer Rüstung, mit kurzen, aber immerhin aufmerksamen und höflichen Worten die, welche sich noch bei ihm einfanden, um ihm eine gute Nacht zu wünschen; bald war niemand mehr um ihn als Joseph, der mit Laubardemont im Gespräch begriffen war. Der Kardinal schaute sich nach dem König um, ob dieser ihn nicht mehr anreden werde, bevor er sich in sein Zelt zurückbegebe, als sich das Getrappel von Cinq-Mars' Pferden vernehmen ließ; die Wachen des Kardinals riefen ihn an und ließen den jungen Mann ohne sein Gefolge und nur von Thou begleitet seinen Weg fortsetzen.

»Sie sind zu spät gekommen, um den König zu sprechen, junger Mann«, sagte mit schneidender Stimme der Kardinal-Herzog, »man läßt Seine Majestät nicht warten.«

Die beiden Freunde wollten sich eben entfernen, als sich die Stimme Ludwigs XIII. selbst vernehmen ließ. Der König befand sich in diesem Augenblick in einer jener falschen Stellungen, die das Unglück seines ganzen Lebens veranlaßten. Höchst aufgebracht über seinen Minister, doch sich nicht verhehlend, daß er diesem den Erfolg des Tages verdanke, und zudem genötigt, ihn mit seiner Absicht, die Armee zu verlassen und die Belagerung von Perpignan aufzuheben, bekannt zu machen, kämpfte er mit dem Wunsch, ihn zu sprechen, und der Furcht, seine Unzufriedenheit dadurch in schwächerem Lichte zu zeigen. Ungewiß, was für Gedanken sich im Kopfe seines Gebieters wälzten, und besorgend, er möchte seine Zeit übel wählen, wagte seinerseits auch der Minister nicht, ihn zuerst anzureden, konnte sich aber ebensowenig entschließen, sich zu entfernen; und so fanden sich beide ganz in der Lage zweier schmollenden Verliebten, die eine Erklärung wünschen, als der König freudig die erste Gelegenheit ergriff, sich ihr zu entreißen. Der Zufall war dem Minister unheilbringend; ein schlagender Beweis dafür, an wie schwachen Fäden jene Geschicke hängen, die man große nennt.

»Ist es nicht Herr von Cinq-Mars?« fragte der König mit lauter Stimme, »er mag kommen, ich erwarte ihn.«

Der junge d'Effiat ritt heran und wollte einige Schritt vom König entfernt absteigen, doch kaum hatte sein Bein den Rasen berührt, so sank er in die Knie.

»Um Vergebung, Sire«, sagte er, »ich glaube, ich bin verwundet.«

Und das Blut strömte aus seinem Stiefel heraus.

Von Thou hatte ihn fallen sehen und sich genähert, um ihn zu unterstützen; Richelieu ergriff diese Gelegenheit, ebenfalls mit erheuchelter Geschäftigkeit herbeizukommen.

»Bringt dieses Schauspiel dem König aus den Augen«, rief er, »Sie sehen wohl, der junge Mann stirbt.«

»Keineswegs«, sagte Ludwig, den Verwundeten selbst unterstützend, »ein König von Frankreich vermag den Tod in seiner Nähe zu sehen und fürchtet sich nicht vor dem Blute, das für ihn fließt; dieser junge Mann erregt meine Teilnahme, man lasse ihn in die Nähe meines Zeltes tragen und gebe ihm meine Ärzte; ist seine Wunde nicht gefährlich, so soll er mit mir nach Paris kommen, denn die Belagerung ist aufgehoben, Herr Kardinal; ich habe genug davon gesehen; andere Geschäfte rufen mich in den Mittelpunkt des Königreichs; ich lasse in meiner Abwesenheit Sie hier befehligen. Das ist's, was ich Ihnen sagen wollte.«

Mit diesen Worten wandte sich der König barsch um und begab sich in sein Zelt, wohin seine Pagen und Offiziere ihm mit Fackeln voranleuchteten.

Der königliche Pavillon ward geschlossen und Cinq-Mars von Thou und seinen Bedienten weggetragen, während der Herzog von Richelieu unbeweglich und betroffen noch auf den Platz hinstarrte, wo diese Szene vorgefallen war; er schien vom Blitz getroffen und unfähig, die, welche ihn beobachteten, zu sehen oder zu hören.

Abgeschreckt durch den üblen Empfang, der ihm noch jüngst zuteil geworden, wagte Laubardemont nicht, ihm ein Wort zu sagen, und Joseph konnte kaum in ihm seinen alten Gebieter wiedererkennen; er fühlte einen Augenblick Reue, sich ihm so ganz hingegeben zu haben, da er glaubte, der Stern des Ministers sei im Begriff zu erbleichen; als er aber bedachte, daß er von allen Menschen gehaßt und Richelieu seine einzige Hilfsquelle sei, faßte er diesen beim Arm, schüttelte ihn derb und sagte halblaut, aber dennoch grob:

»Was da, Ew. Gnaden, sind Sie ein Hase? Marsch, kommen Sie mit!«

Und als wolle er ihn mit dem Ellbogen unterstützen, ihn aber in der Tat mit Hilfe Laubardemonts wider Willen fortschleppend, brachte er ihn in sein Zelt wie ein Schulmeister den Schüler, für den er den Abendnebel befürchtet, heimspediert. Dieser frühreife Greis befolgte langsam den Willen seiner beiden Führer, und der Purpur des Pavillons fiel hinter ihm nieder.



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