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Elftes Kapitel.
Wenn Mutti verreist ist

Renate hatte sich darauf gefreut, in Muttis Abwesenheit Hausfrau zu spielen. Mit Eifer machte sie sich an ihre neuen Pflichten. Das Morgenfrühstück pflegte sonst Mutti zu bereiten, da Renate noch vor der Schule das Aufräumen der Zimmer besorgte. Kaffeekochen war leicht. Man mußte nur dazu wissen, wann das Wasser kocht. Einen besonders starken Kaffee waren Felsings ja sowieso nicht mehr gewöhnt. Aber als Renate am ersten Tage den Frühstückstisch nett gedeckt hatte und dem Bruder hausmütterlich eine Tasse Kaffee eingoß, zog der kritisch die Stirn kraus.

»Der ist ja so blond – beim Kaffee bevorzuge ich brünett. Du hast wohl vergessen, Kaffeebohnen dazu zu nehmen, Renate?« erkundigte sich Wolfgang.

»Ein ganzes halbes Lot habe ich dazu genommen«, verteidigte die Schwester ihre Kochkunst. »Mehr dürfen wir nicht dazu verbrauchen. Ich weiß auch nicht, warum er so hell geworden ist.«

»Dann nimm mal morgen statt eines ganzen halben Lots ein halbes ganzes Lot Kaffee und brühe davon nur zwei Tassen auf. Hast ja so viel ausgepumpt, daß man ein Fußbad darin nehmen kann.«

Richtig, sie hatte ja die Kanne bis zum Rand vollgegossen wie sonst, wenn die ganze Familie vollzählig war. Daran lag's, daß der Kaffee wie Aufwaschwasser schmeckte. Trotzdem trank ihn Renate mit Todesverachtung, um Wolfgang ein gutes Beispiel zu geben. Aber der Bruder war weniger aufopfernd.

»Nee, mein Kind, das kannst du nicht verlangen, daß ich dies Gesöff meinem Magen einverleibe. Lieber trinke ich ein Glas unverfälschtes Wasser.« Ein etwas niederschmetternder Erfolg der ersten Mahlzeit.

Aber Renate ließ sich dadurch nicht ihre Ferienstimmung verderben. »Wann kommst du heut' zum Mittagessen, Wolfgang?« fragte sie, die Kaffeetassen zusammensetzend.

»Mittagessen?« Wolfgang schien nach den Kaffee-Erfahrungen kein rechtes Zutrauen zu Renates Mittagessen zu haben. »Ich könnte gut in unserer Kantine essen, Renate. Schmeckt zwar auch nicht besonders, aber immer noch besser wahrscheinlich als dein Fraß.«

»Na, erlaube mal, Wölfchen. Ich werde dir heute beweisen, daß ich Kohlrabi kochen kann.«

»Kohlrabi mit ohne?«

»Mit ohne. Fleisch ist gar nicht gesund im Sommer, sagt Mutti.«

»Im Sommer ist es nicht gesund und im Winter zu teuer«, stellte Wolfgang fest. »Schön, ich werde mich heute mittag opfern, mein Söhnchen. Um halb zwei bin ich zu Hause.«

»Also frühestens um zwei.« Renate kannte Wolfgangs Pünktlichkeit.

»Frechdachs!« Der ältere Bruder zog die um vier Jahre Jüngere erzieherisch am Ohr. Nachdem Lump noch seinen Abschiedsklaps erhalten hatte und Goldkehlchen seinen Lebewohlpfiff, griff Wolfgang nach seiner Studentenmappe. »Also auf Wiedersehn. Wann sagte ich? Um zwei?« Raus war er mit eiligem Schritt. Sicher hatte das Kolleg schon begonnen.

So – was gab es nun zu tun? Lump, Goldkehlchen und der Japaner verlangten ihr Frühstück. Lump umkreiste Renate bereits hungrig. Sie füllte ihm sein Schälchen mit Milch und schnitt Semmel hinein. Goldkehlchen bekam frisches Trinkwasser und Vogelfutter. Den beiden wenigstens mundete ihr Frühstück. Gut, daß Doktor Ma-wu nur kochendes Wasser für den Tee beanspruchte. Aber der hätte sicher auch ihren »blonden« Kaffee in seiner übergroßen Liebenswürdigkeit als »Göttertrank« bezeichnet.

Die Morgenarbeit ging Renate rasch von der Hand. Man konnte sie sich mit etwas Phantasie interessanter gestalten. Das Absaugen der Teppiche und Möbel stellte eine tadellose gymnastische Übung dar. Der Bohnerschrubber für das Parkett war beinahe noch besser zur Stärkung der Armmuskeln geeignet. Mitten hinein in ihre hauswirtschaftlich-gymnastische Tätigkeit erklang die Klingel des Japaners.

Renate hatte bereits das feine japanische Teeservice, das Doktor Ma-wu gehörte, auf ein rotes Lacktablett geordnet. Neben die Teekanne kam das Nickelkännchen mit kochendem Wasser. Brötchen, Zwieback, Butter und Marmelade – so, es war alles beisammen.

Sie klopfte an die Tür des Balkonzimmers.

»Bitte, kommen Sie in«, rief Doktor Ma-wu. Er empfing das junge Mädchen mit tiefer Verbeugung. »Oh, daß ick muß bemuhen Sie, Fräulein Renate.« Dazu machte er ein unglückliches Gesicht. Da er das aber jeden Morgen zu bedauern pflegte, legte Renate seiner Betrübnis weiter kein Gewicht bei.

»Soll ich den Frühstückstisch auf dem Balkon decken, Herr Doktor? Es ist sehr warm.«

»Schön. Gut. Ausgezeiknet. Werde ich nehmen das Tee in Balkon.«

Schnell und zierlich ordnete Renate den Teetisch. Wie Muttis Pelargonien und Petunien blühten. Na, Mutti hatte es jetzt auch gut im Gärtchen bei der Oma.

»Wie befindet sik Fräulein Renate in Ferien?« erkundigte sich der Japaner höflich, seinen Tee aufgießend.

»Danke. Bisher habe ich noch nicht viel von Ferien gemerkt. Ich habe tüchtig im Haushalt zu tun.«

»Oh – oh – nix gut. Fräulein Renate muß erholen in Ferien. Muß gehen in Wald, muß spielen Tennis, muß schwimmen in See. Nix arbeiten in Ferien.«

»Und wer soll den Haushalt versorgen und Mittagbrot kochen?« fragte Renate lachend.

»Muß maken jedes für sik. Ick muß maken sauber das mein Zimmer, Herr Wolfgang muß maken das sein Zimmer, und Fräulein Renate makt nur das sein eigenes Zimmer. Und kocken? Nix kocken. Gehen in Restaurant, zu essen.«

»Das wird viel zu teuer, Herr Doktor. Dazu haben wir kein Geld.«

»Geld ist srecklick. Nix is da, wo es soll sein.« Doktor Ma-wu war dem Geld sehr böse, daß es nicht bei Renate war.

»Haben Sie noch einen Wunsch, Herr Doktor?« erkundigte sich das junge Mädchen im Hinausgehen.

»Ja, wunschen zu fahren mit Fräulein Renate und Herr Wolfgang ein Tag in Auto. Einer mein Freund hat Wagen, kann fahren uns, wo Fräulein Renate befehlt.«

»Eine Autofahrt? Herrlich!« Am liebsten hätte Renate einen Luftsprung gemacht. Aber sie mußte doch ihre Damenwürde bewahren. »Peter würde sagen: Knorke!«

»Sagen wir knorrke wie Herr Peter. Wo befehlt Fräulein Renate gehen zu fahren? Will sie fahren heute, will sie fahren morgen, will sie fahren jedes ander Tag?«

»Wir wollen es mit Wolfgang beraten. Ich glaube, am schönsten ist eine Autofahrt die Avus entlang nach Potsdam.«

»Gut. Potsdam ist schön, serr schön. Gehen wir morgen zu fahren in Potsdam.«

»Ich weiß ja nicht, ob Wolfgang morgen nachmittag nicht Kolleg hat«, wandte Renate ein.

»Oh, Kolleg kann sein ohne Herr Wolfgang. Morgen er muß fahren mit in Potsdam das ganze Tag.«

»Den ganzen Tag? – Ich muß doch Mittagbrot kochen, Herr Doktor.«

»Können wir essen Mittagbrot in Potsdam. Wird sein nix so gut, wie Fräulein Renate kockt; aber Fräulein Renate und Herr Wolfgang sein bescheiden, werden nehmen wenig für viel.«

»Ach, ich freue mich ja so, Herr Doktor.« Dankbar drückte Renate die kleine zerbrechliche Hand des Japaners. Doktor Ma-wu geleitete das junge Mädchen bis zur Tür und empfahl sich mit vielen Bücklingen.

Draußen vollführte Renate erst mal den Luftsprung, den sie im Zimmer des Japaners unterdrückt hatte.

»Wauwau«, erklang es empört. Sie hatte Lump, der die schlechte Gewohnheit hatte, an den Türen zu horchen, auf die linke Vorderpfote getreten. »Lump, Hundetöle, wir fahren morgen nach Potsdam!«

»Wauwau.« Fragend sah der Köter zu ihr auf. Ob er wohl auch mitkam?

»Wolfgang nimmt dich sicher mit, Lump. Und Doktor Ma-wu ist ja so nett, der erlaubt's. Der macht dir noch obendrein eine Verbeugung.« Aber nun war es höchste Eisenbahn, ans Aufsetzen des Mittagessens zu denken. Gut, daß Fräulein Lerche auch auf Urlaub davongeflogen war. Da hatte Renate ein Zimmer weniger aufzuräumen.

Für Kohlrabi und Stachelbeeren hatte gestern Mutter Buttermilch gesorgt, mit der sie noch immer in reger Geschäftsverbindung stand. Renate schnitt die Kohlrabiknollen in Scheiben. Allerdings dachte sie nicht daran, sie vorher abzuschälen. Sie wusch sie säuberlich und setzte sie mit etwas Wasser und Butter auf. Zum Verputzen der Stachelbeeren nahm sie auf dem Eßzimmerfensterbrett Platz, wo aus Peters Zigarrenkisten junge Kresse zaghaft sproß. Das war ihr Balkonersatz. Dazu stellte sie das Radio ein. Schallplattenkonzert. Unter den Klängen des »Feuerzaubers« aus der »Walküre« zupfte Renate den Stachelbeeren ihre Schwänzchen aus. Man muß es nur verstehen, sich jede Arbeit angenehm zu gestalten.

Ob sie nicht gleich einen Flammeri zu morgen machen sollte? Wenn sie abends von der Autofahrt heimkamen, war kalter Grießpudding mit Stachelbeeren recht erfrischend. Grieß und Zucker fand sich in der Speisekammer. Renate quirlte ihn mit Milch auf dem Gas, tat auch noch Zitronenschale hinzu, wie sie das bei Mutti gesehen. Eigentlich war sie doch fabelhaft tüchtig. Da taten die Leute immer so, als ob kochen eine besondere Kunst sei. Dabei gehörte weiter nichts dazu als eine gewisse Intelligenz. Ja, freilich, die brauchte man.

Aber – o Tücke – was war denn das? Der Grießflammeri wurde ja nicht glatt wie bei Mutti, sondern stückig und krümelig. So, Intelligenz, nun finde mal raus, woran das liegt. Sicher, weil sie keine Eier spendiert hatte. Aber Mutti hatte den Flammeri auch manchmal ohne Eier bereitet. Das war dann ein einfacher Grießbrei. Merkwürdig, bei Mutti war er nie krümelig geworden. Sollte doch noch mehr dazu gehören als etwas Intelligenz? Renate entschloß sich, ein Ei zu opfern. Sie sonderte geschickt Gelb- und Weißei. Nun wurde die Schneerute in Bewegung gesetzt. Renate schlug mit aller Muskelkraft auf das eine Weißei los, als ob sie einen Tennisball über das Netz zu befördern hätte. Knacks! machte der irdene Topf. Das Weißei kleckerte gemütlich an Renates Wirtschaftsschürze hinunter zur Erde. Die junge Köchin machte nicht gerade ein sehr intelligentes Gesicht, als sie die Bescherung sah. »Ein Loch – der Topf hat ein Loch!« Und dann lachte sie laut auf. Lump war bereits zur Stelle und leckte die Spuren von Renates Muskelkraft auf.

Aber der Flammeri war und blieb stückig. Er sah aus wie Mörtel. Machte nichts. Schmeckte eigentlich ganz gut. Das war schließlich die Hauptsache. Man konnte ihn ja einfach als Grießklöße servieren. Nur nicht durch kleines Mißgeschick sich die Laune verderben lassen.

Was gab es nun noch zu tun? Plätten – Wolfgangs Sporthemden hatte Mutti nicht mehr geschafft. Das hübsche hellblaue mußte er zu der Autofahrt anziehen. War ja eine Kleinigkeit, die Hemden zu bügeln. Und ihr buntes Voilekleid konnte sie doch gleich mit aufplätten. Sie wollte sich doch auch morgen schön machen.

Renate schloß das elektrische Bügeleisen an. Es dauerte ein Weilchen, bis es heiß wurde. Inzwischen konnte sie noch Doktor Ma-wus Zimmer aufräumen. Die Entreetür hatte geklappt. Er war fortgegangen.

Das Reinigen des Zimmers nahm nicht allzuviel Zeit in Anspruch. Beim Staubwischen entdeckte Renate auf dem Schreibtisch ein japanisches Buch mit Bildern. Es sah aus wie ein Gedichtbuch. Entzückende Buntzeichnungen waren darin, so zart und fein, wie sie Renate niemals gesehen. Gitta würde Angst gehabt haben, das japanische Buch zu berühren. Die glaubte noch im geheimen an Doktor Ma-wus Zauberbuch. Wenn sie jetzt zur Strafe, daß sie an fremde Sachen ging, in irgend solch ein japanisches Fabeltier, wie es das Buch zeigte, verwandelt wurde? Renate legte das Buch rasch wieder auf seinen Platz zurück. Sie hatte doch nicht etwa Angst? Quatsch, wenn man bald sechzehn Jahre alt wird, ist man nicht mehr so kindisch. Aber es gehört sich nicht, auf einem fremden Schreibtisch herumzustöbern. Merke dir das, Renate.

Sie griff nach dem Lacktablett mit dem feinen japanischen Service, um es draußen in der Küche abzuwaschen. Küche – es durchzuckte Renate plötzlich. Das elektrische Bügeleisen – das hatte sie ja ganz vergessen. Sie raste aus dem Zimmer, da stolperte sie über etwas Blaffenden. Lump lag schon wieder vor der Tür. Die japanische Teeschale, aus der Doktor Ma-wu den Tee zu trinken pflegte, sprang bei der Erschütterung vom roten Lacktablett. Klirr – es klang so fein und hell wie das Lachen von Kobolden. Die Teeschale lag in Scherben auf dem Boden.

Wie unangenehm – wie furchtbar peinlich.

Doktor Ma-wu hatte erst neulich geäußert, Tee munde ihm nur aus einer echten japanischen Schale.

Himmel, was machte sie denn nun bloß? Eine neue kaufen? Dieselbe gab es sicher in ganz Berlin nicht. Und dazu hatte sie doch auch nicht jede Mark auf ihr Sparkassenbuch eingezahlt, um das Geld für den Japaner zu opfern. Ob er sehr böse war? Sie konnte sich ihn bei all seiner Liebenswürdigkeit gar nicht ärgerlich vorstellen. Am Ende nahm er sie nun nicht mit zu der Autofahrt nach Potsdam. Aber Potsdam – Sporthemden – Herrgott, sie mußte ja erst in die Küche und das Eisen abstellen. Da konnte ja was passieren. Renate jagte in die Küche.

Das Bügeleisen stand harmlos auf dem Plättbrett. Keine Flamme züngelte heraus, wie Renate befürchtet hatte. Sie stöpselte es aus. Nanu – es roch so versengt. Guter Gott, sie hatte ja das Eisen nachlässigerweise auf dem blauen Hemd von Wolfgang stehen lassen! In das schöne Hemd hatte das zu stark erhitzte Plätteisen ein braunes Loch gebrannt. Das Hemd war nicht mehr zu gebrauchen. Ja, laß dir mal deine gute Laune nicht verderben, wenn du von Pech verfolgt wirst. Hoffentlich war Wolfgang nicht allzu böse über ihr Mißgeschick. Er hatte bald Geburtstag, da wollte sie ihm ein neues Hemd schenken. Zunächst mußte sie die Scherben von Doktor Ma-wus Teetasse zusammenkehren. Erst die Tasse und dann das Hemd! Das japanische Buch hatte schuld an all dem Unglück, Gittas Zauberbuch. Das Buch – Renate, sei ehrlich. Hättest du es ruhig auf dem Schreibtisch liegenlassen, ohne neugierig die Nase hineinzustecken, dann wäre die Tasse nicht entzweigegangen und Wolfgangs Hemd nicht verbrannt. Na siehste!

Renate schloß das Radio an, um ihre niedergedrückte Stimmung zu heben. »Wetterbericht für den Landwirt.« Das interessierte Peter, sie nicht. Also das Radio mit dem Plätteisen vertauscht. Jetzt blieb sie aber dabei, bis das Eisen heiß wurde. Sie wartete und wartete. Doch das Plätteisen wurde nicht heiß. Nicht einmal warm. Da war irgendwas durchgebrannt. Wenn doch Peter da wäre. Für den wäre es eine Kleinigkeit gewesen, den Schaden zu beheben. Nun konnte sie nicht plätten. Und außerdem kostete die Reparatur erst wieder Geld.

Mittlerweile war es Zeit geworden, die Kohlrabi fertigzumachen. Wenn Wolfgang auch selten zur Zeit kam, sie mußte pünktlich sein. Sie waren noch gar nicht recht weich, die Kohlrabi. Merkwürdig, sie kochten doch schon so lange.

Als der Bruder pünktlich mit einer halben Stunde Verspätung erschien, fand er Renate mit heißen Wangen am Herd. Sie hoffte, die Kohlrabi würden weicher werden, wenn sie zuschaute.

»Na, kleine Hausfrau, hast du was Gutes gekocht?« erkundigte sich Wolfgang hungrig.

»Hoffentlich«, meinte Renate. Es klang nicht ganz überzeugt. Sie setzten sich zu Tisch. »Kartoffeln sind etwas zerkocht«, kritisierte Wolfgang.

Dafür sind die Kohlrabi um so fester, dachte Renate, sagte aber nichts. Wolfgang würde es schon früh genug merken.

Natürlich merkte er es. »Hast du Holz gekocht?« erkundigte er sich, die zähen Dinger mit den Zähnen zermalmend.

»Ich weiß nicht, was heute mit den Kohlrabi los ist, Wölfchen. Mutter Buttermilch sucht mir immer die zartesten aus. Die Biester haben den ganzen Vormittag gekocht. Ein Elefant wäre auch inzwischen weich geworden.« Renate machte ein unglückliches Gesicht.

»Zäh wie Leder, besonders die Schale. In der Mitte sind sie etwas weicher als am Rande.«

»Vielleicht hätte ich die rohen Knollen vorher schälen müssen.« Renate ging plötzlich ein Licht auf.

Natürlich, du Kalbsbraten! Hole mal Mutters Kochbuch. – Hier steht's – da – die Knollen werden vor dem Aufsetzen geschält. Da habe ich mich ja gut verheiratet für die Ferien.« Wolfgang schob energisch seinen Teller fort. »Kann man die schönste Gallenkolik davon kriegen. Zum mindesten eine Blinddarmentzündung. Verzichte.«

»Ach, Wölfchen, du mußt doch satt werden. Ich brate uns schnell ein paar Setzeier zu den Kartoffeln. Eier sind da.«

»Ich glaube, es wird ratsamer sein, wenn ich sie mache, mein Kind. Sonst kommen am Ende gebratene Steine heraus.«

»Aber Wolfgang, ich habe doch schon oft Setzeier zum Abendbrot gebraten.« Renates geknickter Hausfrauenstolz begehrte auf.

»Heut' scheinst du deinen Pechtag zu haben, mein Söhnchen.«

»Das weiß der liebe Himmel!« Renate dachte an Doktor Ma-wus Tasse und an Wolfgangs verbranntes Hemd.

Unter Wolfgangs Assistenz gerieten die Setzeier herrlich. Zwar sprang die Köchin jedesmal, wenn die Eier in der Pfanne zischten und spritzten, erschreckt zur Seite. Aber sie wurden trotzdem. Inzwischen schnupperten Wolfgang und Lump in der Speisekammer hungrig herum, was es dort noch Eßbares gäbe.

»Was ist das – Lehm?« Wolfgang wies mißtrauisch auf den Flammeri.

Renate lachte. »Nee, Grießpudding oder Grießklöße. Wie du willst.«

»Komische Angelegenheit. Wollen wir mal etwas eingehender untersuchen. Nimm auch die Stachelbeeren mit rein, Renate.«

»Du, der Pudding soll zu morgen abend sein, wenn wir von der Autofahrt nach Hause kommen.«

»Autofahrt?« Wolfgang tippte gegen Renates Stirn. »Ist dir die Hitze zu Kopf gestiegen, mein Kind?« erkundigte er sich teilnahmsvoll.

Bei den Setzeiern, die prächtig mundeten, berichtete Renate von Doktor Ma-wus Einladung. Wolfgang war kein Spielverderber. Er hatte morgen nur bis elf Kolleg. So lange hatte Renate ja auch mit Aufräumen der Wohnung zu tun.

»Hoffentlich ladet mich Doktor Ma-wu nicht wieder aus«, meinte Renate kleinlaut.

»Weshalb? Wieso? Warum?«

»Ich habe seine gute japanische Tasse zertöppert.«

»Trampeltier!«

Renate nahm die brüderliche Liebkosung nicht weiter übel. »Glaubst du, daß ich sie ersetzen muß?«

»Anbieten mußt du es ihm jedenfalls. Aber der Japaner ist ja ein anständiger Kerl. – Sag' mal, mein Söhnchen, was esse ich denn da? Schmeckt wie süßer Sand. Wenigstens ist es weich. Aber künftig werde ich doch lieber in unserer Kantine dinieren.«

»Ach, Wolfgang, der Flammeri ist nicht recht geraten. Heute ist nun mal ein Pechtag. – Kannst du eigentlich ein elektrisches Plätteisen ganz machen? Bist doch ein angehender Ingenieur.«

»Besserer Musikant als Ingenieur. Da mußt du dich an Peter in Seidorf wenden oder an Doktor Ma-wu. Der versteht auch so'n Zeug.«

»Das Eisen ist nämlich durchgebrannt«, begann Renate den Bruder auf sein verbranntes Hemd vorzubereiten.

»So?« Wolfgang ließ sich die Stachelbeeren schmecken. Die wenigstens waren einwandfrei. Wenn Renate auch etwas mit Zucker gespart hatte.

»Ja, ich hatte es auf dein blaues Hemd gestellt. Wie ich wieder in die Küche kam, war ein Loch drin.« Renate wagte einen kühnen Vorstoß.

»Wo? In dem Plätteisen?«

»Nee, in deinem Hemd.«

»Mensch, das hast du alles an einem Vormittag fabriziert? Kannst es ja noch weit bringen in den vier Wochen, in denen Mutti verreist ist. Weißte was? Lege dich ins Bett. Da bist du wenigstens in Sicherheit und nicht mehr gemeingefährlich«, schlug Wolfgang vor. »Das ist das beste, was man an einem Pechtag tun kann.«

»Denk' ja gar nicht dran. Mutti sagt: Pech gibt's nicht. Man ist bloß ungeschickt und muß sich zusammennehmen. Übrigens das Hemd bekommst du von mir ersetzt.«

»Ist nicht nötig. Werde auch ohne das blaue Hemd glücklich werden. Du, Renate, was machst du denn mit der Schüssel Kohlrabi?« Wolfgang hatte Angst, sie könnten noch mal in irgendeiner andern Form auf den Tisch kommen.

»Vielleicht erbarmt sich Lump.«

Aber Lump erbarmte sich nicht. Der wußte auch, ob was schmeckte oder nicht. Die Kohlrabi, das erste Gericht, das Renate selbständig ohne Mutti gekocht hatte, wanderten in den Mülleimer.

Als Doktor Ma-wu am Nachmittag heimkehrte, faßte sich Renate ein Herz. Unangenehme Sachen soll man nicht aufschieben. Mit einem Kopfsprung rein wie beim Schwimmen.

»Herr Doktor, es ist mir so peinlich –«, begann Renate. Der Japaner sah sie bedauernd an.

»Ich war ungeschickt und habe Ihre Teetasse zerbrochen.«

»Ist nix so schlimm, als wenn man zerbrickt sein Bein. Braukt Fräulein Renate nix zu sein peinlik. Werden wir nehmen neues Tasse.«

»Ja, ich werde eine neue kaufen«, versprach Renate.

»Werden Sie nix kaufen. Gibt es zu kaufen nur in Japan, in Tokio. Hier ist neues Tasse.« Er nahm aus seinem Schrank, in dem er allerlei heimatliche Geräte verwahrte, dieselbe Tasse wie die zerbrochene. »Habe ich noch mehr Tassens, kann Fräulein Renate zerbrecken noch viele.«

»Lieber nicht«, lachte Renate befreit. »Ach, ich bin ja so froh, daß Sie mir nicht böse sind, Herr Doktor.«

»Böse?« Der Japaner wies diese Zumutung weit von sich. Nachdem er ihr noch neue Lamellen in das elektrische Plätteisen eingelegt hatte, fand Renate, daß Doktor Ma-wu der netteste Mensch auf der Welt sei. Wenn er auch, sobald er lachte, wie ein Affe aussah.

Am nächsten Tage bei der gemeinsamen Autofahrt nach Potsdam hatten Renate und Wolfgang noch mehr Gelegenheit, die Liebenswürdigkeit ihres Gastgebers zu erkennen. Dem jungen Mädchen überreichte er ritterlich Rosen und Konfekt. Wolfgang erhielt Zigaretten. Auf dem Chauffeursitz nahm Doktor Ma-wus Freund, Herr Tai-fi, neben Lump Platz, nachdem er bei der Vorstellung unzählige Verbeugungen gemacht hatte. Er glich dem Doktor Ma-wu wie ein Ei dem andern. Nur trug er keine Brille. Auch sprach er nicht deutsch. Man mußte sich englisch verständigen. Das war eine ganz gute Übung.

Die Avus entlang, am blauen Wannsee vorüber sauste das Auto Potsdam, der Stadt des großen Preußenkönigs, zu. Hier machten Wolfgang und Renate die Führer. Mit vaterländischem Stolz zeigten sie den Fremden die Garnisonkirche mit dem Glockenspiel »Üb' immer Treu und Redlichkeit«, in der Friedrich der Große zur letzten Ruhe gebettet war. An der Bittlinde machten sie halt, wo der Alte Fritz, auf seinen Krückstock gestützt, die Bittschreiben seiner Untertanen in Empfang genommen hatte. Und dann ging's nach Sanssouci, der wundervollen Schöpfung des klugen und schöngeistigen Königs. Die alten Bäume des prächtigen Parkes rauschten wie zu seinen Zeiten. Rosen blühten und dufteten. Springbrunnen stiegen in die goldene Sommerluft. Auf den zum Rokokoschlößchen ansteigenden Terrassen reiften Zitronen und Orangen. Das Schloß wurde besichtigt, die Schnupftabaksdose des Alten Fritz, sein Krückstock und seine Flöte. Dann standen sie an den Gräbern seiner Hunde, die der auf dem Thron Einsame mehr geliebt hatte als die Menschen, weil sie sich als treuer erwiesen hatten.

An dem japanischen Drachenhäuschen, das die beiden Japaner besonders interessierte, vorbei in den verwunschenen Paradiesgarten, der mit seinen steifen Georginen, mit Akelei und Malven die moderne Jugend wie aus Urahnes Zeiten anmutete.

Im Restaurant neben der Historischen Mühle wurde Mittag gespeist. Wolfgang erzählte die Anekdote, wie der König dem Müller die Mühle abkaufen wollte, weil ihr Klappern ihn beim Arbeiten störte. Der Müller wollte die Mühle, da sie ein Familienerbstück war, nicht verkaufen. »Dann nehme ich sie mir, wenn Ihr sie nicht gutwillig hergeben wollt«, sagte der König ärgerlich. »Oho, Majestät«, rief der unerschrockene Müller, »wir haben ja noch ein Kammergericht in Berlin.« Da lachte der Alte Fritz, und die Mühle durfte weiterklappern. Auch die japanischen Zuhörer lachten. Doktor Ma-wu machte die Erzählung Spaß, aber Herr Tai-si hatte kein Wort verstanden. Der lachte nur aus Höflichkeit mit.

Renate hatte gefürchtet, daß sie von dem Japaner, der sie zum Mittagbrot eingeladen hatte, nur Reis vorgesetzt bekommen würden. Statt dessen wurde ein elegantes Menü serviert. Sogar Lump erhielt sein Kuvert. Das mundete allerdings besser als die gestrigen Kohlrabi. Nur war Renate enttäuscht, daß die Japaner nicht mit Stäbchen speisten, sondern mit Messer und Gabel wie jeder Europäer.

Als man sehr begeistert von dem Ausflug wieder daheim anlangte, nachdem man noch in einer Eisdiele Station gemacht und diverse Waffeln gelutscht hatte, wies Doktor Ma-wu jeden Dank von sich.

»Nix zu danken – war mir Ehre – war mir Freude – war mir großes Genuß, zu haben verbrackt Tag in schönes Stadt Potsdam von Herrn Friedrick der Große mit angenehmes Gesellschaft.«

Ja, es war wirklich ein schöner Tag gewesen. Mit neuen Kräften konnte Renate jetzt wieder daheim Aschenbrödel spielen.


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