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Achtes Kapitel.
Mit dem Ferienzug in die Welt hinaus

Die Sommerferien standen vor der Tür. In allen Schulklassen bildete die bevorstehende Ferienreise den Gesprächsstoff. Fast alle Schüler verreisten entweder mit den Eltern, kamen in Kinderheime an der See oder im Gebirge oder wurden als Ferienkinder irgendwohin aufs Land geschickt. Jeder sehnte sich aus dem heißen Häusermeer Berlins hinaus zu grünen Wiesen, zu Wasser und Bergen.

Felsings hatten früher, als der Vater noch seine Anstellung gehabt hatte, auch meistens die Sommerferien in einem kleinen, billigen Ostseebad verlebt. Aber diesmal kam das natürlich gar nicht in Frage. Man mußte froh sein, wenn man halbwegs durch den Monat kam und am Ersten die Miete für die Wohnung, Gas und Licht beisammen hatte.

Dabei hätte Frau Felsing für ihren Mann so sehr ein Herauskommen gewünscht. Er war unfrisch. Das Bewußtsein, seine Familie nicht mehr ernähren zu können, bedrückte ihn ebenso wie die Tatsache, daß seine Kinder zum Lebenserwerb beitragen mußten. Seine Frau sah die Sache ganz anders an. Sie war stolz darauf, daß ihre Kinder so tüchtig waren und einsprangen, wenn's nottat. Es schadete keinem jungen Menschen, wenn er auch noch die Schule besuchte, sich mit den Anforderungen des Lebens auseinanderzusetzen.

Frau Felsing stammte von der Waterkant. Ihr Vater war Kapellmeister in Stettin gewesen. Nach seinem Tode war ihre Mutter nach Stolpmünde, ihrem Geburtsort, übergesiedelt, wo sie mit der kleinen bescheidenen Rente, die sie bezog, auskommen konnte. Sie bewohnte zwei Zimmer mit Veranda und Gärtchen. Früher waren Felsings öfters zur Oma gereist. Für die Kinder bedeutete das die schönste Ferienreise.

Auch diesmal war wieder eine Einladung aus Stolpmünde erfolgt. Die Oma hatte Sehnsucht nach ihrer Tochter und nach den lieben Kinderchen. Zwei oder auch drei könne sie getrost mitbringen. Man würde sie schon unterbringen. Ja, wenn nur nicht das Reisegeld gewesen wäre. Aber auch sonst ging es nicht, nein, es war nicht einzurichten. Frau Felsing überlegte hin und her ... So gern sie ihre Mutter wiedergesehen hätte, es ließ sich nicht ermöglichen. Sie konnte ihren Mann in seiner jetzigen Gemütsverfassung nicht in Berlin allein lassen. Für alle war kein Platz in Omas kleinen Stübchen.

Und sie hatte ja auch noch andere Pflichten. Die Mieter wollten versorgt sein; und Wolfgangs Hochschulferien begannen erst zum August. Nein, nein, sie mußte es sich aus dem Kopf schlagen, so verlockend es auch war.

Die Kinder, ja, die könnte man zur Oma schicken. Aber das Reisegeld, woher sollte man nur das Reisegeld für die Kinder nehmen?

Die Mutter zerbrach sich den Kopf und fand keinen Ausweg.

Beim Mittagsessen erzählte Peter, der Lehrer habe heute Umfrage gehalten, ob Jungs aus der Klasse als Ferienkinder aufs Land geschickt werden wollten, um bei der Landarbeit zu helfen. Sie würden in Bauernhäusern untergebracht werden und als Kinder des Hauses betrachtet. »Ich darf doch mit, Vater? Ja? Au knorke!«

»Ich habe ja noch gar nicht meine Zustimmung gegeben, Peter. Solche Sache will doch in Ruhe überlegt sein.« Der Vater war mit seinen Entschlüssen nicht so schnell wie sein Herr Sohn.

»Die Sache ist nicht von der Hand zu weisen, Ernst«, nahm die Mutter das Wort, die auch stets rasch von Entschluß war. »Hat man irgendwelche Reisekosten dabei, Peter?«

»Nee, alles ganz für umsonst. Wir werden ja als Ferienkinder verschickt. Und meinen Unterhalt erwerbe ich mir durch Landarbeit.«

Das klang sehr selbstbewußt.

»Was solch ein Dreikäsehoch schon leisten kann«, meinte Wolfgang mitleidig.

Die Bezeichnung »Dreikäsehoch« empörte den Obertertianer mit Recht. »Ist ja bloß der pure Neid von dir. Als ob ich nicht Mist aufladen kann – – –.«

»Viel Vergnügen dazu.« Renate hielt sich die Nase zu.

»Und Gras mähen kann ich auch, sogar Garben binden. Ist gar nicht schwer. Unser Lehrer sagt, wir erfüllen eine vaterländische Pflicht, wenn wir uns zur Landarbeit melden«, rief Peter. »Morgen sollen wir schon Bescheid geben.«

»Vater und ich werden es uns überlegen.« Damit mußte sich Peter im Augenblick bescheiden.

Die Überlegungen der Eltern endeten damit, daß sie sich einverstanden erklärten, Peter als Ferienkind aufs Land zu schicken. Der Junge war geschickt, und Landarbeit war gesund. Es war gut, wenn die Jugend der deutschen Scholle ihren Ertrag abgewinnen half, um so fester verwuchs sie mit der Heimaterde.

»Hurra – ich werde Landarbeiter!« Jeder im Hause mußte die Freudenkunde vernehmen, selbst Fräulein Lerche und der Japaner.

»Wird Herr Peter haben zu arbeiten schwer. Muß schleppen Sacke, muß gehen mit Ochs an Wagen, muß melken das Kuh und reiten der Pferd. Wird stehen auf mit Sonne und sein müde tot in Abend.« Nein, Doktor Ma-wu konnte sich nicht für Landwirtschaft begeistern.

Renate und Gitta sollten während der Ferien zur Oma nach Stolpmünde reisen. Der Vater hatte einen größeren Posten Zigaretten verkauft. Das Reisegeld war beisammen. Dann hatte Frau Felsing wenigstens für ihre drei schulpflichtigen Kinder ausgesorgt. Aber sie stieß auf unvorhergesehenen Widerstand bei Renate.

»Nein, Muttichen, ich laß dich nicht allein hier mit all der Arbeit. Du und der Vater, ihr braucht Erholung viel nötiger als ich. Die Oma wäre auch mächtig enttäuscht, wenn du nicht kämst. Fahrt ihr, Vater und du, mit Gitta. Ich bleibe hier, erledige morgens die Wirtschaft und radle jeden Tag ins Strandbad Wannsee. Da habe ich ebensolche Erholung wie an der Ostsee.«

»Und wer kocht das Essen? Wollt ihr euch inzwischen zu Hungerkünstlern ausbilden, Wolfgang und du?«

»Wird alles besorgt, Muttichen. Wenn ich auch noch nicht jedes Gericht kochen kann, Würstchen, Rühreier, Schnitzel, Gemüse und Flammeri, das verstehe ich schon. Davon kann man gut ein paar Wochen leben.«

»Falls mir's nicht schmeckt, esse ich in unserer Hochschulkantine«, beruhigte Wolfgang die Mutter.

Trotzdem wollten die Eltern nicht reisen. Danach waren die Zeiten doch wirklich nicht. Und ihrem Mädel, der Renate den Haushalt allein aufzubürden, nein, das konnte Mutti nicht übers Herz bringen. Aber als auch Wolfgang zuredete und Renate außerdem ins Feld führte, daß sie ja Pflichten bei Mutter Buttermilch, der Eierschulzen und den andern Marktfrauen habe und daß sie ihre Kundschaft verlieren würde, wenn sie nicht pünktlich am Markttag zur Abrechnung erscheinen würde, da gab die Mutter nach.

Eines Tages wurden die Koffer gepackt. Es war doch gut, wenn man sich wieder ein bißchen frischen Lebensmut da draußen in der Welt holte.

Peters Abreise gestaltete sich zu einem Ereignis. Er machte die ganze Familie, einschließlich der Mieter, Lump und Goldkehlchen, verrückt. Seinen Koffer wollte er durchaus allein packen. Aber als Mutti nachsehen kam, schlug sie die Hände überm Kopf zusammen. Der Koffer glich mehr einer Rumpelkammer als einem Reisekoffer. Zuunterst hatte er seine Wäsche und die sauber gebügelten Hemdblusen verstaut. Darauf lagen Schuhe, Handwerkszeug, Hammer, Zange, Nägel, Draht, leere Zigarrenkisten, Spulen, ja sogar eine Tüte Gips in lustigem Durcheinander.

»Aber Peter, das kannst du doch nicht alles mitschleppen. Was willst du denn mit all dem Zeug auf dem Lande, Junge?« verwunderte sich die Mutter.

»Kann man alles dort brauchen. Vielleicht gibt's im Trömerhof, wohin ich komme, noch keinen Radioanschluß. Dann lege ich dem Bauer gleich einen an. Auf dem Lande kriegt man nicht alles, was man dazu nötig hat. Gips habe ich auch bei mir, falls ich Löcher in die Wand kloppe«, erklärte der praktische Peter.

»Junge, du sollst in Seidorf bei der Landwirtschaft helfen und nicht Radio anlegen und Löcher in die Wände kloppen«, stellte ihm die Mutter vor. »Denkst du, die haben da kein Handwerkszeug, daß du Hammer, Zange und Nägel einpackst? Wichtiger sind Strümpfe, die du vergessen hast.«

»Strümpfe? Auf dem Lande? Da geht man barfuß.« Peter wollte durchaus keine Strümpfe mitnehmen. Auch Nachthemden hielt er für überflüssig. »Wir schlafen bestimmt dort im Heu. Da braucht man sich gar nicht erst auszuziehen.«

»Junge, willst du vier Wochen lang in denselben Sachen rumlaufen und auch noch darin schlafen?« entsetzte sich die Mutter. Sie hielt es doch für geraten, selbst Peters Koffer zu packen.

»Meinen Laubfrosch nehme ich in die Hand«, überlegte Peter.

»Was? Der Laubfrosch soll auch mitreisen? Da gibt's im Teich genug Frösche. Den laß mir nur hier in Pension«, schlug Renate lachend dem Bruder vor.

»Jawoll! Woher sollte ich dann wohl wissen, wie's Wetter wird? Der Bauer wird sich freuen, wenn ihm mein Laubfrosch prophezeit, ob es regnen wird oder schön bleibt. Auf dem Lande ist das sehr wichtig wegen Heueinfahren und Erntearbeit.« Peter war schon ganz und gar Landmann. Trotzdem Renate meinte, der Bauer richte sich betreffs des Wetters nach seinem Hahn – denn »wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist« –, ließ sich Peter nicht davon abbringen, daß ein Laubfrosch zur Landarbeit unbedingt notwendig sei. Der Laubfrosch wurde in ein Einmachglas gesetzt und reisemäßig verpackt.

Am nächsten Morgen fuhren die Eltern und Gitta zur Oma an die Waterkant, während Peter nebst Laubfrosch nach Seidorf im Riesengebirge abdampfte.

»Ich bring' euch eigengebackenes Brot von selbstgeerntetem Korn mit«, rief Peter den ihn zur Bahn geleitenden Geschwistern aus dem mit winkenden Kindern vollgepfropften Zuge zu.

»Ist die Tür auch fest geschlossen?« Peter achtete nicht mehr auf Renates besorgte Frage. Der wedelte noch mit dem heute ausnahmsweise sauberen Taschentuch, als der Zug schon die Laubengelände der Berliner Vorstadt verlassen hatte. So – Peter reckte sich – nun fuhr man zum erstenmal als selbständiger Reisender in die Welt hinaus.

Zu allererst wurden die Mitreisenden in Augenschein genommen. Alles Jungen zwischen zehn und sechzehn Jahren. Jedes Gesicht strahlte freudige Erwartung aus. Der Zug war ein Ferienzug, der die Stadtjugend hinaus aufs Land beförderte.

Gitta sowohl wie Peter hatten als Reisezehrung von dem netten Japaner eine große Schachtel Schokolade erhalten. »Nix zu danken, Herr Peter. Wenn Herr Peter arbeitet auf Land, zu geben uns Brot, wir müssen geben ihm Schokoladen.« Damit hatte Doktor Ma-wu jeden Dank zurückgewiesen.

Es dauerte nicht lange, so hatten sich die Jungen miteinander bekannt gemacht. Die Veranlassung gab die Notbremse, die Peter alsbald einer eingehenden Untersuchung unterzog.

»Die kann man viel bequemer einrichten.« Peter hatte bereits wieder eine Erfindung im Kopf.

»Du, laß die Pfoten davon«, mahnte der Älteste. Er hatte von dem den Ferienzug begleitenden Lehrer die Aufsicht in seinem Abteil erhalten.

»Au, das wäre ein Ulk, wenn wir den Zug plötzlich zum Stehen bringen würden«, rief ein Knirps.

»Könnte uns teuer kommen. Soviel Reisegeld haben wir nicht, wie's Strafe kosten würde.«

Peter hielt es mit Hinsicht auf sein bescheidenes Geldtäschchen nun doch für richtiger, seine technischen Forschungen lieber auf die Heizungshebel zu verlegen. Nachdem er einige dutzendmal von kalt auf warm und von warm auf kalt gestellt hatte, nachdem auch das Fenster genügend auf- und wieder zugemacht worden war und alle möglichen Verbesserungen daran erörtert, hielt es Peter für Zeit, den Rucksack zu öffnen. Essen konnte er immer. Futtern steckt an. Bald war das ganze Abteil bei bester Arbeit.

Es stellte sich heraus, daß drei der Jungen dasselbe Reiseziel hatten wie Peter. Sie fuhren bis Hirschberg. Ja, der Knirps kam sogar nach Seidorf auf den Trömerhof wie Peter. Die andern wurden schon in Horka, Lauban und Greiffenberg erwartet. Alle fuhren sie zur Landarbeit. Alle waren sie ungeheuer stolz darauf.

»Unser Lehrer sagt, wir helfen damit am Wiederaufbau des Vaterlandes«, sagte der Knirps wichtig.

»Laß dich man nicht von einem Sack Hafer totdrücken«, lachte ihn ein Langer aus.

»Komm bloß nicht unter den Pflug, Kleiner«, zog ihn ein anderer auf.

»Laß dich ja nicht von einer Kuh verschlucken.«

»Oder von einem Stier aufs Horn spießen.« Alle überboten sich in Hänseleien.

Der Knirps wurde dunkelrot. »Will einer von euch etwa die Fünfe in die Zehne dividiert kriejen?« fragte er als echter Berliner Junge und hielt seine fünf Finger kampflustig dem lautesten Schreier an die Zähne.

Peter schlug sich als künftiger Kamerad auf seine Seite. »Der – wie heißt du denn, Junge? – der Fritz hat recht. Wer ihn nicht in Frieden läßt, kriegt's mit mir zu tun.« Er stand schon boxbereit.

Es wäre sicher zur schönsten Rauferei in dem engen Abteil gekommen, wenn der Älteste nicht seiner Pflicht als Aufsicht eingedenk gewesen wäre.

»Gebt Ruhe, ihr Kampfhähne. Der Kleine hat mehr Mut als ihr. Wenn alle gegen einen vorgehen, das ist jämmerlich.« Da waren sie plötzlich alle wieder ein Herz und eine Seele.

Man kam durch den Spreewald. Blonde und braune Köpfe drängten sich an den Fenstern, um einen Storch zu sehen, der auf rotem Bein mitten auf der grünen Wiese stand. Man wettete, wie viele Windmühlen man bis Kottbus zählen würde. Die Großstadtjugend, die zwischen Steinmauern aufwuchs, war von jedem Dorf, das mit seinem Kirchturm aus blühenden Sommergärten lugte, begeistert.

»Haach, die schönen Kirschen!« Eine Kirschenallee lief neben dem Bahngleis dahin. Kleine Nackedeis wateten in einem Dorfteich. Ach, wer doch jetzt auch ein Bad nehmen könnte. Die Julisonne brannte heiß. Auf den Feldern waren allenthalben Leute beim Heuen.

»Ich habe schon einmal eine Wiese bei meinem Onkel gemäht«, erzählte ein Junge. »Will verstanden sein.«

»Na, was ein richtiger Berliner Junge ist, der wird ja wohl auch noch mit einer Sense fertig werden.« Sie hatten alle kolossales Zutrauen zu sich.

Es wurde immer heißer. Zur Mittagszeit machte man die traurige Entdeckung, daß die verschiedenen Rucksäcke bereits zum Frühstück leergefuttert waren. Auch das mitgenommene Obst, das man kameradschaftlich miteinander geteilt hatte, war längst in den Magen gewandert. Nun hieß es hungern und dursten.

Peter überlegte, ob er seine Schokolade von Doktor Ma-wu opfern sollte. Wolfgang und Renate hatten bereits ein Stück davon erhalten. Sich selbst hatte Peter schon verschiedene Stücke zu Gemüte geführt. Er hätte sie ganz gern allein verzehrt. Aber der Kameradschaftsgeist siegte über seine Verfressenheit. Mit freudigem Hallo wurde die Schokolade begrüßt. Im Umsehen war sie verschwunden.

»Auf dem Lande gibt es abends saure Milch und Pellkartoffeln.« Jeder genoß schon die Vorfreude auf die erquickende Mahlzeit und leckte sich die trockenen Lippen.

Die Unterhaltung stockte allmählich. Jugendverbände und Sportvereinigungen, zu denen die einzelnen gehörten, waren nun genügend erörtert worden.

Peter wurde dazu »gekeilt« – das war der technische Ausdruck, den man aus der Studentensprache übernommen hatte –, in den S. C. C. – Sport-Club Charlottenburg – einzutreten. Es war schon immer sein Wunsch gewesen. Aber am Beitrag war es gescheitert.

»Wenn mein Vater wieder eine Stellung findet, trete ich bei«, versprach Peter.

Schließlich waren sie so abgespannt von der Hitze und dem Durst, daß nicht mal der Laubfrosch, dem irgendeiner der Jungen alle paar Minuten einen Besuch abstattete, um festzustellen, ob er auch noch da war, sie interessierte.

Da ratterte der Zug in die große Bahnhofshalle von Görlitz. Kellner mit kalter Milch und kleine Pikkolos mit Pfannkuchen liefen am Zuge entlang. Wer doch Geld genug hätte, um sich eine Erquickung zu kaufen. Jeder überlegte, ob er wohl diese Ausgabe von dem schmalen Reisegeld machen dürfte.

Aber was war das? In jedes Abteil wurden Milchbecher und Pfannkuchen hineingereicht, soviel Jungen darin waren, soviel Becher. Die Stadt Görlitz labte die Berliner Ferienkinder. Das war ein Jubel. Wie das schmeckte, wie das erquickte. Einer wollte mogeln und einen zweiten Pfannkuchen erwischen. Aber die andern paßten ganz genau auf, daß alles rechtmäßig verteilt wurde. Neugestärkt konnte die Reise weitergehen.

Nun leerte sich der Ferienzug allmählich. Einer nach dem andern hatte sein Ziel erreicht. Zuletzt waren nur noch die bis Hirschberg fahrenden Jungen in Peters Abteil. Da tauchte ja auch schon das Riesengebirge auf.

»Die Schneekoppe – dort, du Döskopp –, so klar, daß man die Koppenhäuser erkennt«, erklärte der Große, der zu seinem Onkel fuhr und das Riesengebirge bereits kannte.

»Prima Sache! Da muß ich rauf!« Peter griff nach seinem Rucksack, als ob es gleich losgehen solle.

»Und die Landarbeit kann hinterherlaufen«, lachte ihn der Große aus.

»Sonntags wird nicht gearbeitet. Da geht's auf die Berge. Juchhu!« Peter war plötzlich wieder ganz munter.

Der Zug umzog das Städtchen Hirschberg, das den Kindern aus den Rübezahlsagen bekannt war. Da hielt er. Endlich am Ziel.

Der Große hatte seinen Onkel bereits entdeckt. Er dachte nicht mehr an seine Pflicht, die Reisekameraden dem sie erwartenden Landwirt zu übergeben. Mit wohlwollendem Knuff »Macht's gut« trollte er sich davon.

Die beiden Reisenden Peter und der Knirps wurden von dem Menschenstrom mitgerissen. Peter hielt seinen Laubfrosch im Arm. Wenn ihm nur keiner in dem Gedränge das Glas aus der Hand riß. Kaum hatte er es gedacht, da stolperte er auch schon an der Treppe. Er hatte die Stufen übersehen. Klirr – da lag das Glas in Scherben auf den Steinen. Der Frosch aber hüpfte vergnügt in die Welt hinaus.

»Mein Laubfrosch!« Peter wollte hinterdrein. Der Frosch war schneller als er. In dem Feriengewühl war er nicht mehr zu finden. Peter mußte ohne sein lebendes Barometer nach Seidorf.

»Daran war sicher Rübezahl schuld«, lachte der Knirps den betrübten Peter aus.

Nun standen die beiden Jungen an dem Bahnhofseingang und hielten Umschau. Dort sollten sie in Empfang genommen werden. Da gab es Reisende, Touristen, Gepäckträger, Kutscher und Hoteldiener. Aber nach dem Bauer hielt Peter vergeblich Umschau. Er stellte sich ihn mit hohen Stulpstiefeln und einem buntkarierten Halstuch statt des Kragens vor. Sicher hatte er eine Peitsche in der Hand. Und einen Leiterwagen würde er wohl aus Seidorf mitgebracht haben. Vielleicht hatte er gleich in Hirschberg Heu verkauft, überlegte Peter praktisch. Ob der Leiterwagen mit Ochsen oder mit Pferden bespannt war?

»Du, vielleicht läßt mich der Bauer selbst fahren, Fritz.«

»Welcher Bauer?«

»Na, der Bauer Trömer, zu dem wir kommen, du Schafskopp.« So bekannt waren sie schon unterwegs geworden.

Ein Herr, der die Worte gehört hatte, schmunzelte. Dann trat er zu den beiden Jungen.

»Seid ihr Peter Felsing und Fritz Kunze aus Berlin?« erkundigte er sich.

Peter schlug wohlerzogen die Hacken zusammen. »Jawohl, Peter Felsing.«

»Da seid willkommen, ihr Jungen.« Er reichte den beiden die Hand.

Nanu? Das war doch kein Bauer. Das war doch ein Herr in einem gelben Leinenmantel. Auch von einem Leiterwagen war nichts zu entdecken. Der Herr schritt den Jungen voran zu einem Auto. Peter stieß Fritz an. »Knorke!«

»Steigt ein, meine Herren. Die Koffer könnt ihr mit hineinstellen.«

»Darf ich nicht beim Chauffeur sitzen?« erkundigte sich Peter.

»Meinetwegen.« Der Fremde kurbelte das Auto an. Er fuhr selbst. Voller Interesse schaute Peter zu. Und dann ging's los.


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