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Erstes Kapitel.
Uns geht's noch gut

»Erste, zweite, dritte, vierte – erste, zweite, dritte, vierte – –.« Brigitte saß am Klavier und übte. Sie hatte die Haydnsche Sonate schon ganz nett in den Fingern.

Es klingt recht musikalisch, dachte die Mutter im Nebenzimmer bei ihrer Näharbeit. Wolfgang und Brigittchen haben Großvaters Blut in den Adern, während die beiden andern mehr fürs Praktische – – –. » Fis, fis, Brigittchen, nicht f.« Ein Mißton zerriß den Gedankenfaden Frau Felsings.

»Mutti – Muttichen, Peter hat schon wieder das Radio eingestellt. Wer soll bei dem Geblöke denn Klavier üben?« beschwerte sich Brigitte.

»Brigitte ist gräßlich unmusikalisch. Hör nur mal diese wunderbare Stimme, Mutti, das nennt sie Geblöke. Ich habe Rom erwischt, das ist eine italienische – – –.«

»Bist du denn mit deinem Aufsatz schon fertig, Peter?«

»Ach, der dumme Aufsatz. Ist mir ganz Wurscht, wie Cäsar das alte Rom regiert hat. Tausendmal interessanter, daß ich heute zum erstenmal Rom im Radio gekriegt habe. Jetzt werde ich mal versuchen, Warschau zu – –.«

»Nein, Peter, du schaltest aus. Erst die Arbeit! Wenn du deine Pflicht getan hast, kannst du am Radio basteln«, verlangte die Mutter.

Mit einem hörbaren Seufzer entschloß sich der Tertianer, aus dem Rom der Gegenwart zum alten Rom zurückzukehren. »Erste, zweite, dritte, vierte –.« Brigittes Sonate nahm ihren Fortgang.

Eine Tür schmetterte temperamentvoll in die Pianostelle. »Da bin ich wieder, Mutti. Zwei Zähne mußten plombiert werden. Hat eklig weh getan, das Bohren. Die Rechnung schickt der Zahnarzt zum Ersten. Meine Schuhe habe ich auch gleich vom Schuster mitgebracht, kosten zwo Mark. Und für Wolfgang war noch ein kleiner Rest zu bezahlen, Absätze. Hier ist das Fleisch zu morgen. Für zwanzig Pfennig mehr. Der Schlächter wollte es nicht abschneiden.«

»Dann hättest du es nicht nehmen sollen, Renate. Sie wollen einem immer mehr aufschwatzen. Da hast du im Umsehen heute wieder Gott weiß was ausgegeben. Wie soll der arme Vater das nur aufbringen?«

»Brauchen wir doch alles, Muttichen. Der Zahnarzt schickt ja die Rechnung erst zum Ersten, wenn Vater sein Gehalt von der Bank kriegt.«

»Das ist auch schon arg zusammengeschmolzen, das Gehalt. Wer weiß, ob es nicht wieder gekürzt wird. Na, wir dürfen nicht klagen, uns geht's noch gut. Man muß immer auf die sehen, die noch weniger haben.« Frau Felsing ließ die Nähmaschine rasseln. »Trage das Fleisch in die Küche, Renate. Und dann decke den Abendbrottisch.«

»Kann Gitta machen. Ich muß noch Englisch arbeiten. Hopphopp, Kleinchen, tummle dich.« Renate packte die auf dem Instrument herumpaukende kleine Schwester am Ohr.

»Au, du ziepst ja doll! Ich bin noch nicht fertig mit Klavierüben.« Brigitte paukte weiter. Tischdecken war nicht sehr beliebt bei den Schwestern.

»Du hast doch erst Mittwoch Klavierstunde. Wir schreiben morgen Englisch für die Osterzensuren. Da muß ich heute noch büffeln.«

»Dann hättest du die Zeit nach Tisch nicht an deinen Photos rumzumurksen brauchen.«

»Frechdachs!« Renate drehte der um fünf Jahre Jüngeren den Rücken und begab sich in die Küche. Daß man auch kein Mädchen mehr hatte! Nach dem letzten Gehaltsabbau des Vaters hatte Mutti die Anna abgeschafft und behalf sich mit einer Aufwartung für die Vormittagsstunden. Eigentlich fabelhaft, wie Mutti sich immer gleich umzustellen wußte und den Verhältnissen Rechnung trug. Das imponierte der Fünfzehnjährigen. Obgleich sie manchmal ein Gesicht zog, wenn sie in der Wirtschaft mehr zugreifen mußte. Dabei ging ihr alles rasch von der Hand. Teller, Schinken, Weißkäse, Brot, Butter – so, alles beisammen. Nun noch Teewasser aufgesetzt und das Essen für Vater heißgestellt. Vater bekam sein Mittagessen erst abends. Er begnügte sich am Tage mit Broten und der Thermosflasche voll Kakao. Früher, als die Bankbeamtengehälter noch höher waren, hatte er mittags in der Kantine eine warme Mahlzeit eingenommen. Aber das ging jetzt nicht mehr.

Als Renate mit dem vollen Tablett ins Eßzimmer zurückkehrte, hatte Brigitte bereits das Tischtuch aufgedeckt, Teegläser herumgesetzt und die Bestecks gelegt. Wenn sich die Geschwister auch mal kabbelten, im Grunde liebten sie sich alle vier. Besonders Gitta, die Kleinste, wurde von den Großen verhätschelt.

»Du bist mein süßes Affenschnäuzchen!« sagte Renate erfreut, als sie den Tisch schon gedeckt fand. Auch Peter hatte sich eingestellt, um zu erkunden, was es zum Abendbrot gebe. Das ging ihm über seinen Aufsatz.

»Peter, das Garn reißt fortwährend. Da muß irgendwas an der Maschine nicht in Ordnung sein. Willst du mal nachsehen?« Kopfschüttelnd betrachtete die Mutter die streikende Nähmaschine.

»Wird gemacht, gnädige Frau. Werden wir gleich kriegen, das bockige Karnickel.« Peter begann eine sachverständige Untersuchung des Räderwerks. Der dreizehnjährige Junge hatte ein besonderes Talent, alles, was in Unordnung war, wieder herzurichten. War es nun am Radio, am elektrischen Licht, an Schlössern, Klingeln, Maschinen oder Hausgeräten. Bastelpeter nannten ihn die andern.

Wirklich, der Peter verstand seine Sache. Nach einigen Aufmunterungen: »Willst du wohl, du Rhinozeros!« streikte die Maschine nicht mehr. Dann schrieb Peter, statt den Schluß an seinem noch immer unfertigen Aufsatz, eine Rechnung für Frau Felsing: Reparatur einer Nähmaschine – fünfzig Pfennige.

»Du bist mir zu teuer, Peter, ich werde mir einen andern Handwerker suchen müssen«, lachte die Mutter.

»Dann hilf mir wenigstens statt der Bezahlung an meinem dämlichen Aufsatz, Mutti«, bettelte Peter.

»Junge, du sollst selbständig deine Schularbeiten machen. Für das alte Rom bin ich außerdem nicht zuständig, da muß Vater oder Wolfgang einspringen.«

»Was muß Vater? Wieder was berappen?« Keiner hatte gehört, daß draußen die Tür geschlossen hatte. Mit einem Satz war Gitta beim Vater. »Vater, ich habe nur drei Fehler im Diktat. Das viertbeste. Da darf ich doch mit Peter morgen ins Kino, ja, Vatichen? Kostet bloß dreißig Pfennige nachmittags für Kinder.«

»Na, wollen mal sehen.« Der Vater strich seiner Kleinsten über das helle krause Haar. Brigitte war Vaters Liebling. Das fanden die andern drei auch ganz in der Ordnung.

»Vater, ich habe heute Rom im Radio gekriegt. Ganz deutlich. Und nach dem Abendbrot hilfst du mir doch bei meinem Aufsatz? Schauderhaft mopsig ist er.«

»Laßt den Vater doch bloß erst zur Ruhe kommen, Kinder«, mahnte die Mutter. »Tag, mein Alter, na, wie schaut's aus?«

»Wie soll's ausschauen, Lotte? Arbeit, Arbeit ... Überstunden haben wir heute wieder gemacht.«

»Mann, sei froh, daß du Arbeit hast. Wie viele möchten mit dir tauschen.«

»Na ja – hm – ich beklage mich ja auch nicht. Darf nur nicht ausarten, die Arbeit. Je mehr Kräfte sie abbauen, um so mehr müssen die andern ran.«

Renate brachte das warme Essen für den Vater. Man setzte sich zu Tisch. Die Mutter machte Butterbrote für Peter und Gitta zurecht, teils aus Gewohnheit, teils um mit der Butter hauszuhalten. Peter konnte Butter und Aufschnitt in erstaunlichen Mengen vertilgen. Dabei fand sie noch Zeit, sich darüber zu freuen, wie es ihrem Mann mundete, und sich zu erkundigen: »Wo bleibt denn Wolfgang schon wieder?«

Renate zuckte die Achseln. »Wird vielleicht praktisches Kolleg haben.«

»Von fünf bis sieben hat er heute den Lehmann-Jungs Stunde gegeben. Hätte mir lieber helfen sollen als den doofen Lehmanns.« Peter kaute mit vollen Backen. Er hatte bereits die fünfte Schnitte beim Wickel.

»Du zahlst ihm doch nichts dafür. Und er spart doch zu – – –.« Renate bekam plötzlich einen Schreck und wurde rot. Sie hatte dem Bruder ja versprochen, nicht zu erzählen, daß er für eine Schitour im Gebirge alles, was er von seinem Stundengeld erübrigen konnte, zurücklegte. Seitdem Wolfgang Nachhilfeunterricht gab, schon als Primaner, nahm er kein Taschengeld mehr vom Vater an. Auch für seine Kleidung sorgte er selbst. Der Vater hatte schon genug für die andern drei zu kaufen.

Peter hatte das Radio eingestellt. Man war an die Oper angeschlossen. Mit ihren Butterbroten genossen Felsings gleichzeitig die Ouvertüre zum »Fliegenden Holländer«. In das Spinnerliedchen klang Hundegebell.

»Das ist Lump – das ist Wolfgang«, riefen Peter und Gitta wie aus einem Munde. Zuerst ein Kratzen an der Tür. Dann sprang Lump, Wolfgangs getreuer Schatten, mit lautem Gebell in das Zimmer, jagte ein paarmal wie besessen um den Tisch herum und nahm dann wohlerzogen neben der Hausfrau Platz. Er wußte, da gab es die meisten Wurstpellen, Schinkenabfälle und Käserinden.

»Wie spricht der Hund, Lump?« rief Peter erzieherisch. Der Terrier machte brav schön und erhielt dafür von jedem Familienmitglied milde Gaben. Lump erfreute sich der allgemeinen Zuneigung. Er gehörte Wolfgang, der ihn halb verhungert als kleines Tier irgendwo aufgelesen und mitleidig mit heimgenommen hatte. Da der Findling trotz polizeilicher Meldung nicht abgeholt wurde, erhielt er den Vagabundennamen »Lump« und wurde in die Felsingsche Familie eingereiht.

Sein Herr exerzierte öfters bei den Mahlzeiten nach. Wolfgang war schon als Kind schwer an Pünktlichkeit zu gewöhnen. Ganz im Gegensatz zum Vater, der als Bankbeamter in allem korrekt war und es auch von seiner Familie verlangte. »Nanu, schon gegessen?« verwunderte sich Wolfgang, die Standuhr in der Ecke mit seiner Armbanduhr vergleichend. »'n Abend. Die Lehmannschen Bengel haben mich heute wieder mal zur Verzweiflung gebracht. Geradezu verbohrt. Ich mußte meinen Gehirnkasten erst wieder auslüften.« Er trat zum Bauer am Fenster, in dem Goldkehlchen bereits den Kopf unter die Flügel gesteckt hatte. »Faulpelz!« Als Wolfgang leise zu pfeifen begann, hob Goldkehlchen den gelben Schopf und fiel mit zugekniffenen Augen zwitschernd ein. Nachdem der junge Mann noch dem kleinen Schwesterchen einen liebevollen Klaps: »Na, mein Söhnchen« verabfolgt hatte, nahm er endlich am Abendbrottisch Platz. Renate goß ihm Tee ein und versorgte ihn mit Brot, Butter und Aufschnitt. Peter und Lump teilten sich die übriggebliebenen Kartoffeln des Vaters.

»Junge – Junge, wirst du denn nie Pünktlichkeit lernen?« Die Mutter räumte bereits die Teller zusammen, denn selbst nach dem Abendbrot durften ihre fleißigen Hände noch nicht feiern. Dann kam erst der Strumpfkorb mit Radiobegleitung zu seinem Recht.

»Die Sopranistin singt unrein.« Wolfgang ließ es sich schmecken. »Peter, stell mal leiser ein. Das klingt ja, als wenn man 'nem Köter auf den Schwanz tritt. So – ja, jetzt ist's besser. Denn Erik hat gar heißes Blut. Gib acht, daß es nicht Händel setzt«, summte er mit. Wolfgang war der musikalischste von Felsings Sprößlingen. Er hatte Musik studieren und Kapellmeister werden wollen wie sein Großvater. Aber der Vater meinte, das sei ein brotloses Studium. Es liefen gerade genug arbeitslose Musiker herum. So hatte Wolfgang statt in die Hochschule für Musik in die Technische Hochschule als Student seinen Einzug gehalten. Er studierte das Ingenieurfach auf Wunsch des Vaters. Als ob es nicht auch genug brotlose Diplomingenieure gab.

Der Vater hatte sich mit Zigarre und Zeitung ins Nebenzimmer zurückgezogen. Peter wußte: jetzt durfte er nicht stören. Aber der Aufsatz drängte. Peter pflegte ihn immer erst in letzter Stunde anzufertigen. »Du, Wolfgang, hilf mir doch bei meinem Aufsatzschluß, ja?«

»Nee«, sagte der große Bruder gelassen. »Habe heute gerade genug Idioten genossen.«

Peter nahm solche Schmeichelei nicht übel. »Du kannst ihn ja auch allein machen, wenn es dir lieber ist«, schlug er vor.

»Denk' ja gar nicht dran. Mir hat auch keiner bei meinen Aufsätzen geholfen. Komm her, Lump.« Wolfgang stellte den Terrier auf die Hinterbeine, faßte ihn an den Vorderpfoten und ließ ihn zur Begeisterung von Gitta nach dem Rhythmus der Musik tanzen.

»Laß ihn mal singen, Wölfchen«, schlug Renate lachend vor.

»Lump, bist du heute disponiert? Willst du die Holländerarie singen?« erkundigte sich Wolfgang bei seinem vierfüßigen Freunde. Ehe der Terrier noch seine Meinung äußern konnte, rief Gitta: »Nicht die olle Holländerarie, da graule ich mich so doll. Wölfchen, liebes Wölfchen, stell' doch das Radio ab. Gleich muß der Fliegende Holländer kommen.« Gitta hielt sich die Ohren zu und sah mit angstvollen Augen zum Lautsprecher.

»Peter, stell' ab. Gitta ist ein kleines Schaf«, ordnete Wolfgang an, während in Lump künstlerischer Ehrgeiz erwachte. Er begann mit Orchesterbegleitung zu heulen.

»Peter, du sollst abstellen«, verlangte Gitta. Der Rundfunk war Peters eigenes Revier. Da ließ er keinen andern heran. Ja, wo war Peter? Gewiß saß er in seinem Zimmer und schrieb den Aufsatzschluß.

»Der Fliegende Holländer soll nicht kommen – stell' du ab, Wölfchen, bitte, bitte«, flehte Brigittchen. Da – ein Paukenschlag im Radio – Gitta und Lump heulten auf – in der Tür erschien der Fliegende Holländer – hu – hu – hu – Mutters schwarzen Pelzmantel bis über den Kopf gezogen.

»Hu – huh – huuuh –.« Peter heulte unter seinem Pelzmantel mit Gitta und Lump um die Wette.

Inzwischen hatte Renate das Radio ausgeschaltet. Wolfgang beruhigte den aufgeregten Lump und die Mutter das noch aufgeregtere Brigittchen. Aus dem Nebenzimmer rief der Vater: »Kinder, wie kann man denn bei solchem Radau die Zeitung lesen!«

Fünf Minuten später bot die Felsingsche Stube wieder ein höchst friedliches Familienbild. Mutter stopfte Strümpfe, Renate lernte Englisch für die Osterzensur, Lump hatte sich in sein Körbchen zurückgezogen. Während Gitta gute Nacht sagte, verhandelte Peter mit Wolfgang über den Aufsatzschluß. Schließlich war der Älteste immer noch für alle Nöte der Jüngeren zu haben.

»Wolfgang, ich mach dir deine Taschenlaterne wieder ganz, wenn du mir hilfst«, versprach Peter.

»Brauch' ich dich nicht – bin selber Ingenieur.«

»Na, aber deine Schneeschuhe. Da hat sich die Bindung gelockert. Bringe ich dir knorke wieder in Ordnung. Hilf mir doch, Wolfgang, sei kein Dickhäuter!«

Ob die Schneeschuhbindung oder der Dickhäuter zogen, jedenfalls erhob sich Wolfgang. »Ein andermal bastle du nicht den ganzen Nachmittag am Radio und mach deinen Aufsatz nicht in letzter Minute, mein Söhnchen. Noch mal helfe ich dir nicht.« Die beiden Brüder zogen in ihr gemeinsames Zimmer und vertieften sich in das alte Rom.

Renate wiederholte halblaut unregelmäßige Verben. » To arise – aufstehen – arosearisento drive – fahren – drovedriven – Mutti, Hanni lernt chauffieren – beneidenswert.«

»Hanni hat noch manches andere zu lernen, was wichtiger ist.« Die Mutter zog kunstgerecht Fäden durch ein Riesenloch. Nein, wie der Peter auch immer seine Strümpfe zerriß.

»Na ja, ihre Versetzung wackelt«, gab Renate zu. »Aber Hanni sagt, chauffieren sei heute wichtiger als Schulweisheit.«

»Und du glaubst solch unreifes Zeug, Mädel? Ohne Schulbildung kann Hanni keinen Beruf im Leben ausfüllen. Wenn sie nicht gerade Chauffeur werden will.«

»Aber Muttichen, die Hanni braucht doch gar keinen Beruf. Geißlers sind ja so reich. Die haben noch zwei Mädchen.« Renate dachte seufzend daran, daß sie noch die Betten zurechtzumachen hatte, weil sie kein Mädchen hatten.

»Geißlers bewohnen ein ganzes Haus, dazu brauchen sie dienstbare Geister. Wer weiß, ob die nicht mehr Sorgen haben als wir.«

»Na!« machte Renate ungläubig. Ihre Freundin Hanni und Sorgen! Hanni war ein richtiges Sportmädel. Die machte sich höchstens Sorgen, ob sie beim Tennisturnier oder beim Schispringen einen Preis erhielt.

»Vor achtzehn Jahren bekommt Hanni gar keine Erlaubnis zum Chauffieren«, stellte der Vater fest, sich zu seiner Familie gesellend.

»Macht nichts. Sie will's nur können. Schlimmstenfalls fährt sie schwarz.«

»Das ist doch wohl nicht dein Ernst, Renate? Als Tochter eines Beamten wirst du hoffentlich korrektere Grundsätze haben«, tadelte der Vater.

Renate zuckte die Achseln. Sie fand es nicht so schlimm, ohne Fahrerlaubnis zu chauffieren. » To believe – glauben – belovebelievedto forget – vergessen – forgotforgotten – – – Himmel, ich habe ja vergessen, den Frühstücksbeutel rauszuhängen.« Renate lief in die Küche.

»Ich weiß nicht, ob die Freundschaft mit der Hanni Geißler günstig auf unsere Renate wirkt. Die Verhältnisse sind dort zu großartig. Wir haben allen Grund, unsere Kinder bescheiden zu erziehen.«

»Aber Renate ist wirklich bescheiden und fleißig. Hast du eine bestimmte Ursache, so zu sprechen, Ernst?« Erschreckt ließ Frau Felsing Peters Strumpf sinken. Sollte wieder in der Bank irgend etwas von Abbau verlautet sein? Es war doch erst der zweiundzwanzigste.

»Man sitzt jetzt immer auf einem Pulverfaß. Wer weiß, wer am Ersten wieder dran ist. Müller hat noch keine Stellung gefunden und ...«

»Muttichen, ich muß morgen was zur Winterhilfe mitbringen.« In der Tür erschien Brigitte im Nachthemd.

»Kannst du denn nicht zur Zeit daran denken, Kind? Renate, wir müssen noch ein Pfund Grieß in der Speisekammer haben. Gib es Brigittchen«, wandte sich die Mutter an ihre zurückkehrende Älteste.

»Richtig, Peter wollte ja auch was für die Winterhilfe. Ich brauche erst Ende der Woche mitzubringen. Was soll ich denn dem Peter geben, Mutti? Erbsen und Backobst sind noch draußen.«

»Unser Mittagbrot für morgen und übermorgen. Na, meinetwegen gib ihm die Erbsen. Man muß an andere denken, die weniger haben als wir. Uns geht's noch gut.«

»Wie lange noch?« seufzte der Vater halblaut.

»Sei nicht solch Schwarzseher, Ernst.« Frau Felsing war aufgestanden und strich ihrem Mann liebevoll über das spärliche blonde Haar. Insgeheim teilte sie seine Sorgen. Einer nach dem andern der Bankbeamten bekam den Abschied. Aber sie ließ es sich nicht merken.

»Drei Pfund Lebensmittel von einer Familie in einer Woche zur Winterhilfe ist zuviel«, überlegte Herr Felsing. »Haben selbst genug hungrige Münder satt zu machen.«

»Ich spare das schon wieder an einer andern Stelle, Ernst. Geben macht nicht arm. Wer heute noch sein Brot hat, der hat die Pflicht, für die mitsorgen zu helfen, denen es weniger gut geht.

» Finis«, schrie Peter zur Tür hinein. Unter Wolfgangs gütiger Mitwirkung war der Aufsatz bis zu Ende gediehen. Peter zog mit seinen Erbsen ab, Gitta mit ihrem Grieß. Renate stellte wieder mal bei sich fest, daß Mutti der wundervollste Mensch auf Erden sei. Wenn sie sich selbst auch noch so einrichten mußte, für andere hatte sie immer noch etwas übrig.


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