Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.
Berliner Jungen zur Landarbeit

Durch das alte Städtchen mit den Bogengängen um den Marktplatz ratterte das Auto. Enge Straßen, dann kam das neue Villenviertel, und nun sauste der Wagen die Chaussee entlang. Durch Wiesen, Felder und Wälder, Weiler und Dörfer auf die blauende Gebirgskette zu. Leider hatte Peter sehr wenig Blick für die Schönheit der vorüberfliegenden Natur. Sein ganzes Interesse war auf die Autosteuerung gerichtet. So – jetzt die Kurve genommen – Peter wußte bereits Bescheid, worauf es ankam. Er wollte es sich doch noch mal überlegen, ob er später mal Flieger oder Rennfahrer werden sollte. Als Zaungast, auf einem Baum sitzend, hatte er in Berlin schon öfters dem Avusrennen beigewohnt. Ob der Herr ihn vielleicht mal steuern ließ?

»Ich kann auch schon fahren«, äußerte Peter. »Das ist ganz einfach.«

»Na, so ganz einfach ist das doch wohl nicht, mein Junge.«

»Darf ich es mal jetzt auf der graden Strecke probieren?«

Wie erwartungsvoll die blauen Jungenaugen den Chauffeur ansahen.

»Nee, das darfst du nicht. Dann könnten wir unsere Knochen wahrscheinlich nachher im Schnupptuch zusammensuchen.«

Peter war abgeblitzt. Das nahm er aber nicht weiter übel. Er sah seinen Nachbar prüfend von der Seite an. Sicher war er ein Bekannter des Bauern, der in Hirschberg zu tun gehabt hatte und sie beide in seinem Auto bis Seidorf mitnehmen sollte.

»Sind Sie so freundlich, uns bei dem Bauer Trömer abzusetzen?« erkundigte er sich.

Es zuckte wieder belustigt um Mund und Augen des Herrn. »Ja, das will ich gern tun«, versprach er.

Die Chaussee stieg an. Die Vorberge rückten näher. Saat- und Getreidefelder kletterten die Berge hinauf.

»Jetzt kommen wir nach Seidorf«, erklärte der Herr. Es war ein stattliches Dorf. Blumenumrankte Landhäuser wechselten mit bescheidenen Dorfhäuschen. Das Auto bog von der Chaussee ab, fuhr durch Felder, Kartoffeläcker und Wiesen an einem Teich vorbei und stoppte vor einem Gutshof.

»Da wären wir, das ist der Trömerhof«, sagte der Herr.

Peter ergriff den Handkoffer und machte eine Verbeugung. »Besten Dank!« Damit verabschiedete er sich von dem freundlichen Herrn.

Aus dem Gutshof kam ein Mann in blauer Leinenjoppe. Er hatte eine Pfeife im Munde. Das war sicher der Bauer.

»Guten Tag, Herr Trömer. Ich bin Peter Felsing, und das ist hier Fritz Kunze. Vielen Dank, daß wir zu Ihnen in den Ferien kommen dürfen. Wir wollen auch feste helfen bei der Landwirtschaft.«

Der Mann in der blauen Joppe schob die Pfeife in den andern Mundwinkel. »Nu jo jo, nää nää«, sagte er und nichts weiter. Nahm die Koffer und ging damit in den Hof. Peter und Fritz hinterdrein. Na, der Empfang war ja nicht gerade sehr liebenswürdig. Aber Bauern sind meistens wortkarg.

Gänse und Enten kamen auf dem viereckigen Gutshof angewatschelt und schnatterten den Berliner Jungen ihren Willkomm zu. Ein großer Schäferhund sprang ihnen mit lautem Gebell entgegen und umkreiste sie mißtrauisch.

»Beißt er auch nicht?« erkundigte sich der Knirps etwas ängstlich.

Ehe Peter noch antworten konnte, erschien auf den Steinstufen, die zum Hause führten, eine Dame in einem hellen Sommerkleide. »Hierher, Wolf!« rief sie den Hund. »Schaffen Sie die Koffer von den Jungen nach oben ins Fremdenzimmer, Joseph«, fügte sie zu dem Bauer in der blauen Leinenjoppe hinzu. »Seid herzlich willkommen, liebe Kinder. Ich hoffe, daß ihr euch bei uns wohl fühlt.«

Peter vergaß seine Verbeugung vor lauter Staunen. Das war die Frau Trömer, die Bäuerin, die er sich im Kuhstall mit buntem Kopftuch vorgestellt hatte? Das war ja eine Dame, genau wie seine Mutti. Und da war ja auch der Herr, der sie hergefahren hatte.

»Die Jungen wollen halt zum Bauer Trömer«, sagte er, mit den Augen zwinkernd.

»Da bin ich die Bäuerin«, lachte die Dame.

»Vatel – Vatel.« Das Treppengeländer kamen zwei Blondköpfe herabgerutscht und wurden von dem Herrn aufgefangen. »Das ist der Hansel und das der Maxel. Für ihre sechs und sieben Jahre schon rechte Frechdachsel.«

Mit weit aufgerissenen Augen starrten die beiden Flachsköpfe die fremden Jungen an. »Die sind ja schon viel zu groß zum Spielen.« Sie waren sichtlich enttäuscht.

Peter riß die Augen nicht weniger weit auf. Vatel – natürlich, der fremde Herr war selbst Herr Trömer. Er hatte sich mit seinem Bauer unsterblich blamiert. Und da sagte man noch, daß die Berliner Jungen helle sind.

»Entschuldigen Sie, Herr Trömer«, begann der sonst so kecke Peter recht kleinlaut.

»Was denn?« fiel ihm Herr Trömer ins Wort.

»Daß ich gedacht habe, Sie wären ein Bauer.«

»Ich bin stolz darauf, daß ich ein Bauer bin, wenn du ihn dir auch vielleicht anders vorgestellt hast. Jeder Landwirt, der seine Scholle bebaut, ist ein Bauer. Der Bauernstand ist der Grundstein unseres deutschen Volkes.«

Na also! Dann war er ja gar nicht so dämlich gewesen. Peters Selbstbewußtsein richtete sich wieder empor.

»Kinder, zeigt den Jungen ihr Zimmer und auch die Badestube«, ordnete die Mutter an. »Ihr habt gewiß eine sehr heiße Reise gehabt. Ihr könnt duschen und euch dann zur Vesper auf der Veranda einfinden.«

Badestube – duschen? Es hätte ja doch genügt, wenn sie sich die Hände unter der Plumpe auf dem Hof gewaschen hätten. Hansel und Maxel zogen die fremden Jungen die Treppe hinauf. Wolf gab ihnen ebenfalls das Geleit, was dem Knirps ziemlich unbehaglich war. »Da wohnt ihr.« Der eine der kleinen Führer riß die Tür zu einer hübschen, ziemlich geräumigen Giebelstube auf. Es standen zwei Betten darin. Also mit dem Schlafen auf dem Heuboden war es nichts. Gut, daß Mutti ihm doch noch Nachthemden eingepackt hatte.

»Das ist die Badestube – aber spritzt nicht alles voll«, sagte einer der kleinen Frechdachse.

»Dürfen wir zugucken? Schreit ihr, wenn die kalte Dusche kommt?« erkundigte sich der andere erwartungsvoll.

Es ging sehr schnell mit dem Duschen. Denn die Vesper war Peter und Fritz eigentlich wichtiger. Die Blondköpfe schienen etwas enttäuscht, daß keiner von den großen Jungen unter der Dusche schrie. Aber als sie dann alle fünf, Wolf mit eingerechnet, in der von roten Rankrosen umkletterten Veranda erschienen, jeder der beiden Berliner Jungen einen Flachskopf huckepack auf dem Rücken, da war die Freundschaft geschlossen.

Es gab Erdbeermilch und einen ganzen Berg Butterschnitten zur Vesper. Herrlich! Die von der Reise ausgehungerten Jungen taten der ersten Mahlzeit auf Trömerhof alle Ehre an.

»Na, Jungen, wenn ihr beim Arbeiten auch solche Klinge schlagt wie beim Essen, werden wir ja tüchtige Hilfe durch euch haben.« Der Gutsbesitzer freute sich augenscheinlich über den guten Appetit seiner jungen Gäste. Neben dem Tisch stand ein weißes, hohes Kinderstühlchen. Darauf thronte das Trömersche Nesthäkchen, Klein-Christel. Peter war von dem jauchzenden, mit dem Löffel nach der Schüssel angelnden kleinen Blondkopf nicht weniger begeistert als von der Erdbeermilch. Nur hatte er sich die Mahlzeit bäuerlicher vorgestellt. Er hatte geglaubt, daß jeder mit seinem Löffel in die gemeinsame Schüssel fahren würde, und hatte sich schon darauf gefreut, das meiste dabei zu erwischen. Nun gab es hier Teller und silberne Bestecks genau so wie zu Hause.

»Meine Mutti müßte die vielen schönen Blumen hier auf der Veranda sehen«, sagte Peter, sich umschauend.

»Habt ihr daheim gar kein kleines Gärtchen?« erkundigte sich Frau Trömer, der es gefiel, daß der Junge gleich an seine Mutter dachte.

»Nee, bloß 'nen Balkon. Und da wohnt jetzt ein Japaner. Weil wir nämlich vermieten mußten, seitdem Vater abgebaut ist«, berichtete Peter.

Herr Trömer wußte Bescheid. Er hatte als Bedingung Söhne von erwerbslosen Berlinern angefordert, um ihnen ein paar schöne Ferienwochen in Luft und Sonne zuteil werden zu lassen.

»Und ihr, habt ihr zu Hause ein paar Blumen, Fritz?« wandte sich Frau Trömer an den zweiten Berliner Gast. Fritz, der bisher den Mund nur zum Kauen aufgemacht hatte, zuckte die Achseln.

»Man bloß 'n Schnittlauchtopp.« Es kam ihm beinahe komisch vor, daß seine Mutter, die den ganzen Tag Reinmachestellen hatte, seitdem Vater aus der Fabrik entlassen war, in ihrer engen und düsteren Hofwohnung Blumen pflanzen sollte.

Frau Trömer sah den Jungen mit mütterlichem Verständnis an. Der hatte sicher noch nicht viel Sonne in seinem Leben kennengelernt. »Wie alt bist du, Fritz?«

»Gerade dreizehn.«

»Mensch, da bist du ja nicht viel jünger als ich und dabei 'n ganzen Kopf kleiner«, rief Peter erstaunt. »Treibste denn gar keinen Sport, Mensch?«

»Aber feste.« Der Knirps straffte seine Arme, um seine Muskeln zu zeigen. »Ich kann man bloß nich immer mit auf'n Sportplatz, weil ich nachmittags Laufbursche beim Kaufmann bin. Da muß ich manchmal nich schlecht schleppen.« Er warf sich wichtig in die Brust.

»Wir werden euch hier auf Trömerhof schon rausfuttern«, meinte der Gutsherr. »Jetzt könnt ihr mit in die Stallungen kommen. Ich mache meinen Abendrundgang.«

Die Jungen waren sofort dabei. Aber es war für Peter nicht so einfach, von Klein-Christel fortzukommen. Das kleine etwa anderthalbjährige Ding hatte an Peter Wohlgefallen gefunden. Mit seinem dicken Patschhändchen hielt es den Jungen an seinem blonden Haar fest.

»Au – Mädel, du ziepst ja!« Das »Mädel« kreischte vor Vergnügen, weil der große Junge schrie. Immer wieder packte es Peters Haarschopf, den dieser der Kleinen geduldig hinhielt, um sich dann mit lautem »Au!« wieder freizumachen.

Lachend sah die Mutter dem Spiel zu. Ein netter Junge schien der Peter zu sein. Der jedoch war sich seiner Pflichten bewußt. Er war nicht zu Klein-Christels Vergnügen nach Trömerhof gekommen, sondern um bei der Landwirtschaft zu helfen. So ließ er Klein-Christel in ihrem Kauderwelsch hinter ihm her schimpfen und schloß sich den Männern, bestehend aus Herrn Trömer, dem Knecht Joseph, dem Knirps und den beiden Flachsköpfen, auf ihrem Rundgang durch die Wirtschaft an.

Auf dem Hof machte er die Bekanntschaft von Max und Moritz, zwei ganz gleich aussehenden braunen Dackeln. Es war Peter ein Rätsel, woran man die beiden unterscheiden konnte. In der Sonne auf den Steinen lagen Schnurr, der Kater, und Minchen, die Katze, faul sich räkelnd. Sie blinzelten die neuen Hausgenossen aus grünen Katzenaugen gleichgültig an. Ein bunter Hahn mit scharrendem Hennenvolk thronte auf dem großen Dunghaufen in der Ecke des Hofes. Eine Kückenmutter führte ihre sechs Kleinen, gelb und pflaumenweich wie Eidotter, in der Nachmittagssonne spazieren.

»Der Komposthaufen ist das Reklameschild für einen Bauern- oder Gutshof. Je größer der Komposthaufen, desto besser die Wirtschaft«, erklärte der Landwirt seinen beiden jungen Begleitern.

Die beiden Stadtjungen sahen ihn ziemlich verständnislos an. Sie hatten alle beide noch nichts von Kompost gehört und wußten nicht, daß man den Dunghaufen darunter verstand. Den Düngerhaufen nannte man in Berlin Mist. So glaubte Peter, Herr Trömer meinte Kompott. Gewiß nannte man das hier in Schlesien Kompost.

»Ich esse auch gern Kompost in Haufen«, bemerkte Peter als gelehriger Schüler.

»Was?« Herr Trömer traute seinen Ohren nicht. »Na, guten Appetit dazu!« Er brach in schallendes Gelächter aus. Die kleinen Frechdachse stimmten sofort darin ein, trotzdem sie gar nicht recht wußten warum. Die beiden Dackel, die noch weniger den Grund kannten, fielen ebenfalls kläffend ein. Ja selbst der Hahn krähte hell vor Vergnügen. Peter stieg das Blut zu Kopf. Daß selbst der Knirps, der auch nicht schlauer war als er, so unkameradschaftlich mitgrinste, trug ihm von Peter einen heimlichen Knuff ein. Fritz nahm keinen Knuff ohne Gegenpuff hin, das war Ehrensache bei jedem Jungen.

Was – der Knirps wollte sich mausig machen? Peter stemmte die Arme und ging mit erhobenen Fäusten auf Fritz los. Im Umsehen gab es auf dem Gutshof die schönste Keilerei. Maxel und Hansel ergriffen begeistert Partei, schrien: »Jetzt gibt's Schnicke!« und prügelten wacker mit. Das war etwas für die beiden. Auch Max und Moritz sprangen bellend dazwischen. Herr Trömer aber hatte aufgehört zu lachen. »Wollt ihr wohl auseinander, ihr Bengel? Gehen hier wie die Ziegenböcke aufeinander los. Ich denke, ihr seid zum Helfen nach Trömerhof gekommen? Verdreschen könnt ihr euch auch in Berlin!«

Peter ließ die Arme sinken und schämte sich. Da hatte er sich ja gleich nett in Trömerhof eingeführt. Wenn ihn Mutti so gesehen hätte. Er hatte zum Glück keine Zeit, lange unangenehmen Gedanken nachzuhängen. Der Kuhstall, den sie betraten, beanspruchte sein volles Interesse. Dämmerlicht erfüllte ihn. Es roch nach warmem Kuhdunst. Da standen sie, fliegenumsurrt, wie die Soldaten in Reih und Glied: Bleß, Liesel, Schecke, Braun, Samthaut und Rosel. Eine jede erhielt von dem Gutsherrn einen aufmunternden Klaps auf die Flanken und wurde den Berliner Jungen mit Namen vorgestellt.

»Schönes Vieh«, meinte Peter in sachkundigem Ton, obgleich er noch nicht viele Kühe in seinem Leben gesehen hatte.

Herr Trömer dachte bei sich: Berliner Großschnauze, aber sagte nichts. Der würde sich schon seinen großen Mund auf Trömerhof abgewöhnen.

Auf niedrigen Schemeln hockten Mägde mit bunten Kopftüchern neben den Kühen beim Melken. Das weiße Naß schäumte in die Blecheimer.

Peter schaute interessiert zu. »Das ist eigentlich furchtbar leicht, zu melken«, urteilte er vorschnell, »kann jedes Kind.«

»Du mußt es halt mal versuchen, mein Sohn«, meinte der Gutsherr mit heimlichem Lächeln.

»Ja – wirklich – darf ich?« Peter wagte nicht, daran zu glauben.

»Meinetwegen, wenn es dir Spaß macht.«

Eine Magd erhob sich und räumte dem Jungen ihren Schemel neben der bunten Rosel ein. Warum grinste sie denn dabei?

Trotzdem Peter ein mutiger Junge war, klopfte sein Herz doch etwas rascher, als er nun so in unmittelbarer Nähe neben der Kuh Platz nehmen mußte. Ach was, eine Kuh war ja harmlos, die tat keinem was zuleide. Bloß nicht zeigen, daß es ihm nicht ganz geheuer dabei zumute war. Sonst wurde er als Stadtjunge am Ende wieder ausgelacht.

Er begann an den Eutern zu ziehen, wie er das bei den Milchmägden beobachtet hatte. Rosel, die Kuh, merkte sofort die fremde Hand. Sie wurde unruhig und gab keine Milch. Bockig bist du, du Viech – ih, das wäre ja noch schöner, dachte Peter und begann aus Leibeskräften zu ziehen. Da machte Rosel empört einen Satz und warf mit dem Hinterfuß den Milcheimer um. Der ergoß sich über Peters Beine. Mit dem langen Quastenschwanz versetzte die Kuh ihm erzieherisch noch – witsch – wutsch – ein paar rechts und links hinter die Ohren. So, du dummer Junge, ein andermal laß die Hände von Dingen, die du nicht verstehst!

Unbändiges Lachen hatte sich im Stall erhoben. Die Mägde kreischten vor Vergnügen. Der Herr hielt sich die Seiten vor Lachen. Die drei Jungen, Fritz, Maxel und Hansel, quiekten wie die Schweine. Joseph, der Knecht, tat die Pfeife aus dem Munde und meinte tröstend zu dem sich in Sicherheit bringenden Peter: »Lährgeld muß halt ein jädes bezahlen. A jädes Ding will halt gelernt sein, Jungele.«

Na, fürs erste hatte Peter vom Melken genug. Es war nun heute schon das zweitemal, daß er auf Trömerhof ausgelacht worden war.

»Siehst du, mein Junge«, sagte Herr Trömer, als sie jetzt weiter in die Kälberkinderstube gingen, »man muß nicht alles verstehen und können wollen. Junge Menschen müssen erst lernen.«

Ja, Peter wollte von nun an wirklich bescheidener sein, wenn er auch Großstädter war.

Die Kälbchen mit ihrem seidenweichen Fell, mit dem dummen Schnäuzchen und den Glotzaugen waren allerliebst. Wie ausgelassene Gören sprangen sie durcheinander.

In dem danebenliegenden Schweinestall roch es abscheulich. Die Schweine grunzten, scharrten mit dem Rüssel in ihrem Trog und blinzelten die Eindringlinge aus kleinen Äuglein mißtrauisch an.

»Das hat ja Schlitzaugen wie unser Japaner«, stellte Peter, der schon wieder ganz obenauf war, fest.

Rosige Ferkelchen, wie aus Marzipan, drängten sich um das Mutterschwein. Was mochten die auf Trömerhof für viele Schinken in der Vorratskammer haben. Peter hatte trotz der ausgiebigen Vesper schon wieder Appetit.

Jetzt ging es noch in den Pferdestall. Da standen die großen derben Ackergäule nickend vor ihren vollen Krippen. Daneben drehte Betti, die Fuchsstute, den Kopf nach ihrem Herrn. Sie war Herrn Trömers Reitpferd und wurde von den Kindern mit Zucker gefüttert. Auch die reizenden kleinen Fohlen daneben schnupperten nach dem Zucker wie Kinder nach Bonbons.

»Wenn sie groß sind, lernen wir auf ihnen reiten«, erzählte Hansel wichtig.

Reiten – au ja, das mußte famos sein. Peter nahm sich vor, auf Trömerhof reiten zu lernen. Sein Vater pflegte immer zu sagen, alles, was man im Leben kann, ist wertvoll. Vielleicht wurde er mal später Landwirt. Bis auf das Melken gefiel ihm ja die Landwirtschaft recht gut.

»Nun müßt ihr noch unsere Karnickel kennenlernen.« Hansel und Maxel zogen die fremden Jungen zum Kaninchenstall. Vorwitzig öffneten sie die Lattentür – hops – da hopsten, sprangen, purzelten die weißen, braunen und grauen Karnickel heraus in den Hof, als ob sie nur auf diesen Augenblick gewartet hätten.

»Kinder, ihr sollt doch die Hände von dem Stall lassen«, schalt der Vater. »Wer soll die nun wieder einfangen?«

»Werden wir schon kriegen, die Bande«, lachte Peter und machte sich mit Fritz auf die Jagd. Jawoll – die Karnickel warteten gerade auf Berliner Jungen. Peter hatte flinke Beine, aber die Ausreißer waren noch viel schneller. Sobald er eins packen wollte, griff er in die Luft. Hansel und Maxel verstanden es viel besser, die Flüchtlinge einzufangen. Die scheuchten sie nicht, sondern lockten sie mit frischen Grasbüscheln. Bald war die ganze Gesellschaft wieder beisammen im Stall.

Siehst du, Peter, man kann sogar von den Dreikäsehoch Hansel und Maxel lernen.

Nachdem der Taubenschlag und das Bienenhaus mit seinen kunstvollen Waben noch besichtigt worden war, nachdem noch der dicken Mamsell, die wie ein Schmalzpfannkuchen aussah, die Berliner Gäste vorgestellt worden waren, hatten sie alle zwei- und vierfüßigen Bewohner vom Trömerhof kennengelernt. Punkt sieben Uhr stand das Abendessen in der Veranda bereit. Eine große Kanne Buttermilch machte die Runde. Eier mit Speck, frischer Salat dufteten mit Jasmin und Linden um die Wette. Peter war schon ganz zu Hause. War er wirklich erst einige Stunden auf Trömerhof? Er half dem Hausherrn die Futternäpfe für die Hunde füllen, band den Kindern die Lätze um und fühlte sich als Familienmitglied. Fritz dagegen blieb fremd und scheu. Der Unterschied zwischen seiner düsteren Hofwohnung und diesem ländlichen Paradies war zu groß. Er kam sich vor wie im Theater, das er einmal von der Schule aus besucht hatte. Bald würde der Vorhang fallen, und alles war zu Ende. Es war ja viel zu schön, um Wirklichkeit zu sein.

Nach dem Abendessen führte die Hausfrau die Jungen in ihr Reich, in den Obst-, Gemüse- und Blumengarten. Da gab es Erdbeer- und Spargelfelder, Spalierobst, Johannisbeer- und Stachelbeersträucher, von denen man schmausen durfte. Peter stieß Fritz an: »Mensch, haste dir das so knorke hier vorgestellt?« Das war das höchste Lob, das er Trömerhof zu spenden hatte.


 << zurück weiter >>