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15.

Der chinesische Chauffeur saß ruhig, wie aus Stein, am Lenkrad.

»Zu Leedman – rasch«, befahl Jarnegan, während er Cherry und Velma in den Wagen half. Falon und Brannigan folgten. Der Wagen sauste davon, bog ein und strebte dem Sunset Boulevard zu. Die Werktagsstraße lag jetzt verlassen da und das Auto erklomm im rasendem Tempo die Beverly Hills.

Nichts war zu hören als das stete Surren des Motors. Jeder der Vier war mit seinen Gedanken beschäftigt. Brannigan, mit dem Zeug zu einem Schriftsteller im Hirn, bohrte sich in das Rätsel, das Jarnegan hieß.

Wieso hatte er immer das sichere Gefühl gehabt, es auf alle Fälle zu etwas zu bringen? Andere Burschen, die er in Ironton gekannt hatte, wollten nichts andres werden, als fachkundige Nagelerzeuger oder Maschinisten. Wie war er dazugekommen, die Häßlichkeit seiner Flegeljahre zu verabscheuen? Es mußte etwas dahinter stecken. Sein Bruder Jerry behauptete, daß Jarnegan kein Wundermensch war – nein, die reine Folge einer langen Kette menschlicher Anstrengungen, die in verflossenen Jahrhunderten irgendwie den Keim der Begabung in Form gezwungen hatten – vielleicht drüben zwischen den Sümpfen Irlands. Ein Sproß, der den Stürmen Trotz bot, um zur Eiche zu werden, die Jarnegan war.

Er war immer ein hellköpfiger Bursche gewesen – und mehr als das – eine große Seele – ein großes Verstehen – eine geheimnisvoll und brutal beherrschende Persönlichkeit. In seiner Familie glich ihm keiner – man glaubte kaum, daß er Blut von ihrem Blute war – woher stammte er dann, zum Teufel? Er war immer derselbe – schon als Requisiteur, als er seine Meinung über Stücke abgab – er hatte seine Ansichten – ob richtig oder irrig – und hielt mit ihnen nicht hinterm Berg. – –

Als sich die Zeitungen in Lobeshymnen über Joseph Jefferson ergingen, da hatte Jarnegan zu ihm gesagt:

»Jeder Tropf kann Rip van Winkle spielen – Jefferson ist ein Glückspilz – Mansfield konnte das spielen und Jekyll und Hyde am selben Abend. Jefferson könnte das nicht.« Er war nicht über zwanzig, ab er das sagte – und sein ganzes Leben lang war er so. Selbst in der Strafanstalt hatte er zu ihm gesagt:

»Als ich herkam, im Anfang, da dachte ich, ich würde fünfundneunzig von hundert von den Kerlen freilassen. Aber jetzt täte ich's kaum mit fünf von hundert mehr und den Rest würde ich für immer hier behalten – sie sind eine Bande schmutziger und hinterlistiger Biester und Tölpel.«

Und dann viel früher – er hatte alles von ihm gesehen und gehört. Im Rauch und Ruß der Nagelfabrik mit den gebrochenen Fenstern, die den Schnee an Wintertagen hereinstöbern ließen, mit der jammernden und tratschenden irischen Familie um den Tisch, mit dem ölbefleckten Tuch in der Küche – die elende Hütte, die sein Heim war – und die Frau, die ihn schmähte und einen »irischen Strolch« schimpfte, wenn sie sich zankten – auf den elenden Pritschen mit dem Zirkus – in den verqualmten Sälen auf den Versammlungen der Plakatierergewerkschaft – in Zelttuchfässer springend, die auf den Straßen kleiner Städte ausgespannt wurden – Gewichte stemmend als »Santos, der stärkste Mann der Welt«, bis ihm die Muskeln krachten – im Ring von Denver mit zerschlagenem Kopf, blutüberströmt und sich wie wahnsinnig der Hiebe blutig-schweißiger Handschuhe erwehrend – während ringsum das Gebrüll der Menge wie der Sturm durch Fichten brauste – durch das alles und noch mehr hatte er einen ehernen Glauben an sich selbst bewahrt. Was war dieser Jarnegan für ein Kauz?

Der Wagen machte eine plötzliche Wendung.

Hell erleuchtet stand das Haus Leedmans abseits vom Wege in einem Gewirr hohen Buschwerks und dichten Laubes eingebettet.

Jarnegan erwachte aus seinem Dämmerzustand.

»Wir rennen die Türen ein, Kinder, wenn sie ein Wort sagen. Vielleicht haben sie Wachtposten aufgestellt, die nach mir ausspähen.«

Sie schossen zum Tor und läuteten heftig.

Ein japanischer Boy öffnete. Er machte ein verdutztes Gesicht. Der scharfsichtige Regisseur merkte es im Nu. Er legte seine Hand an seinen Hals und stieß ihn zwischen die Portieren. »Da bleibst du, Gelbschwanz, oder ich schick' dich zu deiner Mutter.« Die Männer stürzten ins Empfangszimmer. Die zwei Mädchen folgten gemächlich.

Patsy und Falon standen hinter Jarnegan, der sich vollkommen in der Gewalt hatte. Er blickte lässig um sich. Leedman und seine Gäste versuchten ihr Entsetzen zu verbergen und machten es dadurch noch ärger.

Pauline Clare stand in der Mitte des Zimmers, nackt bis auf die Reste der Bekleidung einer Südseeinsulanerin. Der Gastgeber, den seine Leibjournalisten den »Napoleon des Films« nannten, stand nahe bei ihr. Er trug einen Kranz um die Stirne und hielt die Hand vor die Brust, nach Art des Korsen, der durch französisches Blut zur Größe geschwommen war. Jedesmal, wenn er betrunken war, nahm er die Pose an, die ihm seine Zeitungsschmierer als die napoleonische hinstellten. Sein Rappel für den General, der in einer Gewitternacht mit einem Krebs im Magen in die Vergessenheit eingegangen war, kannte bei solchen Anlässen keine Grenzen. Ein Buchhändler in Hollywood erfuhr von dieser Schwäche und verkaufte ihm eine ganze Bücherei über Napoleon. Ein Anhänger der Seelenwanderung, war er überzeugt, daß Napoleon nach seiner Wanderung durch Zeit und Raum, gepeinigt von dem Schlachtgetöse von Waterloo, nun seinen hundertzwanzig Pfund schweren Leib bewohnte.

»Hallo, Nap! Wo ist Josephine? Hoffentlich betrügst du sie nicht!« spottete Jarnegan.

Im Zimmer stand dichter Zigarettenrauch. Leere und halbgefüllte Flaschen mit Schnaps und Weizenbier bedeckten die polierten Tische. Die Frauen der Gesellschaft waren halbnackt – nicht in glücklicher Selbstvergessenheit, sondern in spießbürgerlicher Gemeinheit. Unter den Blicken der ungeladenen Gäste zum Bewußtsein erwacht, standen sie läppisch im Zimmer herum. Bernard, nahe bei Leedman, wirkte grotesk in seiner römischen Toga. Jedes Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen. Er starrte auf Jarnegan. Eine zerzauste Gestalt schlich sich an der Wand der Hintertür zu, die zum Ausgang führte.

»Zurück mit dir!« brüllte Jarnegan. »Oder ich schlag' diese Flasche an deinem Kopf in Scherben!«

Ohne eine Wort duckte sich einer der männlichen Primadonnen des Films.

»Ruft die Heh, wenn ihr wollt – dann, bis ich euch alles gesagt habe – die können sich dann euer Geschwätz anhören.«

Jarnegan griff nach einer Flasche und stierte auf Leedman.

»Keiner von euch hat das Zeug, sich zu schlagen! Ihr seid insgesamt eine Bande gottverdammter Schleicher und die ganze Branche ist voll mit solchen!«

Der angstgeschüttelte Leedman hatte nichts Napoleonisches mehr an sich.

»Mister Jarnegan – so etwas dürfen wir nicht es richtet uns zugrunde.« Er hob seine Hand in die Höhe.

»Wer darf so was nicht, du Pfandhausportier? Was Teufel hab' ich schon zu verlieren? Du schlägst mich ans Kreuz, he? Das willst du, du Kanaille!! Hübsche Berichte schickst du an die Zeitungen! Du gibst die Regie von meinem Film dem Bernard – du hundsverfluchte Nickeluhr, du! Ich werde euch alle zugrunde richten – das ganze verdammte Pack, das ihr seid! –« Er sah sich nach Brannigan um – –

»Hier habe ich den Lokalredakteur vom Bulletin mit mir. Er setzt die Sache aufs Titelblatt und läßt sie durch seine Berichterstatter ins ganze Land hinausdrahten, wenn ihr nicht aufpaßt!

Nun, Leedman, du wirst jetzt erklären, daß ich ›Leidende Frauen‹ drehen werde und ihr alle seid bereit, ein Dokument zu unterfertigen, daß ihr volles Vertrauen zu mir habt. Ich habe noch nie einen Vertrag mit dir gemacht – mein Wort stand für mich gut. Aber, verflucht, Leedman – jetzt wirst du einen Wisch unterschreiben.« Er befahl:

»Beschaff' Tinte und Feder, Fuke.«

Sie standen alle um den Tisch und unterschrieben das Blatt.

Jarnegan reichte es Brannigan.

»Da hast du einen hübschen Wisch, Patsy«, sagte er. »Darüber könnt ihr euch die Seele ausschwatzen, wenn ich draußen bin – aber lachen wird man auf eure Kosten.«

Er erhob seine Stimme zum Schreien:

»Trampelt, ihr Pack, ihr steckt in einem Sack – und werdet alle zusammen ersaufen, wenn ihr kräht. Und du, Bernard, dir zerbreche ich jetzt die Kiefer. Du bist der Saukerl, der Daisy Carol vergewaltigt hat – ich weiß es von ihr – du lausiger Wiegenplünderer. Jetzt rennst du in der Stadt herum und beredest die Leute, ihr Blumen zu kaufen, nun, wo sie tot ist – mich willst du hineinreißen und ich habe sie nie angerührt!«

Jarnegan packte eine Flasche und näherte sich drohend Bernard.

»Jetzt gibst du auf der Stelle zu, daß du der Schuft bist, der Daisy in den Tod getrieben hat oder ich krache dir die Kiefer zusammen!«

Brannigan rammte Jarnegan – schnappte die Flasche und stieß ihn zu Falon hin.

»Du wirst ihm nicht die Kiefer brechen – oder willst du auf lebenslänglich nach San Quentin wandern? Halt' dich im Zaum!«

Jarnegan wetterte weiter.

»Das war der letzte schmutzige Streich, den du mir gespielt hast. Ich habe drei von deinen Filmen gedreht und du hast das Lob dafür eingeheimst. Du hast mich von der Regie ferngehalten, weil du wußtest, daß ich deine Arbeit verrichte, während du mit feilen Weibern herumlungerst – –«

Der kluge Brannigan ließ ihn sich austoben.

Hinter Leedman wurde eine Stimme laut.

»Komm heraus – pflücken wir ein Sträußchen miteinander«, brüllte Jarnegan. »Wir kommen alle in die Zeitung – das wird eine Geschichte sein, die eure billigen Zeitungsschmierer nicht herausputzen können – ich reiße euer verdammtes Haus nieder und füttere Eichhörnchen damit. Keiner ist unter euch, der nicht ein Halunke wäre – keiner, der den Mut hätte, offen zu kämpfen. Das Mädel liegt tot und du, Bernard – so gut dein lausiges Herz auch weiß, daß du die Laus bist, die es getan hat – du flanierst hier in einem Bärenfell herum – du verstunkene Eiterbeule! In die Knie, du Wiegenplünderer und gestehe die Wahrheit!«

Bild: ihály Biró

Brannigan näherte sich Jarnegan einige Schritte von Bernard.

»Schlag ihn nicht, Jack. Du kannst ihn auch so kirre machen«, flüsterte Patsy, während Jarnegan, der Held des Dramas, brüllte:

»Sofort auf die Knie, oder ich schicke dich Daisy nach – dem kleinen Mädchen, mit dem du mich zusammenkuppeln wolltest – –«

Bernard zögerte.

»Auf die Knie!« donnerte Jarnegan.

Bernard sank in die Knie.

»Gestehe!« brüllte Jarnegan. »Du hast Daisy in den Tod getrieben. Ja? Ist es wahr? – schnell – schnell – ich quetsche dir das Hirn aus dem Kopf, wenn du es nicht gestehst, ehe ich bis sechs zähle – eins – zwei – drei – vier – –«

»Ich – ich – ich – tat es – Jack«, stöhnte Bernard.

»Auf mit dir, du Hund, sonst glaubt noch Gott, du betest«, höhnte Jarnegan.

Der vernichtete Bernard erhob sich mit schlotternden Knien.

Der Gruppe zugewandt und mit dem Finger auf den wiedergeborenen Napoleon zeigend, sagte Jarnegan: »Nun, ihr Gänseschar, ihr alle lebt in Glashäusern. Ihr könnt durchs Dach sehen und zum Mond hinaufschnattern. Und du – du kleiner Pickel Napoleons – wie steht's mit der kleinen stummen Tipse, die sich deinetwegen umgebracht hat? – Hu, das ist eine Frage für dich – wer wird die Regie von ›Leidende Frauen‹ führen? – Es gibt nur eine Antwort – verstehst du? – –«

»Selbstredend Sie, nur Sie – Mister Jarnegan – das ist ein Irrtum – wirklich – in der Tat – mein Ehrenwort. Ich habe nie an einen anderen Regisseur gedacht, als an Sie, Mister Jarnegan. Das Ganze war ein Irrtum. Ich versichere Sie.«

Der Filmgewaltige rieb sich die Hände, während die ungeladenen Gäste mit wechselnden Mienen zusahen.

»Reib' dir die Hände, bis sie bluten – wir haben dich am Kragen – und wenn Patsy morgen fliegt, so bringt einer seiner Freunde den Bericht – du kannst nicht alle Zeitungen erdrücken«, gröhlte Jarnegan. »Ihr seid eine eingeschworene Rotte von Scheinheiligen – ihr legt den Sittenparagraphen euren Künstlern um den Hals, damit ihr leicht die Verträge brechen könnt, die euch nicht in den Kram passen – –«

»Laß es, Jack – es lohnt sich nicht – diese Geschichte wird unter die Leute kommen und die Hollywooder Märchen in einer Stunde verblasen – ehe sie noch den Mund aufmachen können«, sagte Patsy Brannigan. »Gehen wir.«

»Warum, Jack?« fragte Pauline Clare und streckte ihm die Hand hin.

»Sag' das Leedman – ich bin durch!«

Als die kleine Gruppe das Haus verließ, schmetterte Jarnegan die Tür zu – und lachte laut zu den Sternen empor.

 

* * *

 


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