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10.

Von außen drang undeutliches Stimmengewirr herein. Das Dunkel verdichtete sich. Der Schatten des vergitterten Fensters auf dem Fußboden glich dem einer Gefängniszelle. Jarnegan umkreiste den Schlagschatten und sagte:

»Hör' zu! Weißt du, was eine großartige Sache wäre? – Man müßte ein Mädchen nehmen, etwa die Kleine in Blau, und sie in sich verliebt machen – dann sollte man sie alle Qualen der Hölle auskosten lassen und Jungfrau bleiben lassen. So spielte sie in ein paar Filmen mit einem Gefühl, so gewaltig, daß es ihr Herz wie eine Schale sprengte.« Jarnegan durchmaß mit raschen Schritten das Zimmer. »Mein Gott, was für ein Einfall!« rief er aus.

»Mir kommt's wie ein Mord vor, Mr. Jarnegan – alle die verdammten Filme, die jemals gedreht wurden, wiegen nicht die Seele eines Stubenmädchens auf. Übrigens solltest du dich mit diesem Mädchen nicht herumspielen – es könnte dir passieren, daß du in einer Mondnacht die ganze Kunst vergißt. Ein kleiner Tragiker hat so was versucht – nun steht er mit einer dämlichen fetten Mexikanerin und einem Bengel da.«

Jarnegan höhnte:

»Werde nicht sentimental, Jimmy, dieser Tragiker war ein Hohlkopf, ist es seit jeher gewesen. Hat noch nie was mit einem halbwegs brauchbaren Weibsbild zu tun gehabt. Er bummelt tagaus, tagein mit Hochstaplern und kleinen New Yorker Winkelschreibern herum, die ihn glauben machen, daß er ein Philosoph ist. Wenn er so viel Grütze im Kopf hat wie ein Ladenjunge, so bin ich die Taube, die sich auf den Heiligen Geist herabläßt.«

Jarnegans letzte Worte klangen schroff.

»Ich weiß«, beschwichtigte Jimmy. »Es ist wirklich ein wunderbarer Einfall, Mr. Jarnegan.«

»Well, ich muß auch meine Träume haben«, erwiderte Jack.

»Wie geht's der Daisy Carol in den letzten Tagen, Mr. Jarnegan?«

Der Regisseur antwortete überrascht:

»Die letzte Nacht schien sie sich besser gefühlt zu haben. Dafür ging es ihrer Tante schlechter. Die alte Frau pfeift auf dem letzten Loch.«

»Das ist schlimm!« antwortete Jimmy.

»Ja – verteufelt schlimm! Ich konnte diese Tante nie begreifen, wie sie das junge Ding von einem Studio ins andere schleppte. Es ist ein verdammtes Schlamassel. Wenn ich in Bernards Haut steckte, ließ' ich mich von einer Giftschlange beißen, kröche in ein Gebüsch und verreckte.«

Bild: ihály Biró

Jarnegan blickte Falon fest in die Augen und sprudelte hervor:

»Bernard war immer ein hinterlistiger Gauner. Ich habe mir das Hirn herausgearbeitet, als ich ihm bei drei Filmen half. Er versprach mir, sich für mich zu verwenden, aber er hat's nie getan. Als ich dann über ihn hinweg selbst zu Leedman ging, schickte ihm Bernard hinter meinem Rücken eine Warnung. Leedman ließ mich vier Stunden warten und sagte dann: ›Nein – nein – Sie können es noch nicht mit der Regie versuchen – Sie haben noch nicht genug Erfahrung.‹ Er ließ mich stehen wie einen Tropf. Ich hätte morden können – und das Glück war, daß Leedman rasch verduftete. Ich machte bei den drei Filmen die ganze Arbeit für Bernard – in seinem Leben hat er keine solchen Filme herausgebracht – und da wollte er mich nicht zur Geltung kommen lassen. Ich bekam's satt, natürlich, und verkaufte mich dem alten Isaacs. Es verstrich keine lange Zeit, und Leedman ließ mich rufen. Ich ging hin und diesmal hatte er es sehr eilig, mich zu empfangen. Weißt du, was ich ihm gesagt habe: ›Ich hab' nur eben so viel Zeit, daß ich Ihnen sagen kann: Scheren Sie sich zum Teufel, Leedman und nehmen Sie auch Bernard mit! Auf Wiedersehen!‹ – Als ich später doch für Leedman drehte, schröpfte ich ihn tüchtig. Aber das Ganze schert mich keinen Pfifferling – Bernard ist nicht groß genug, um mich zu kränken – keiner ist es – wirklich – aber es ist eine gemeine Sache, kleine Mädchen aus der Wiege zu stehlen. Es muß doch gewisse Gesetze geben – vielleicht – doch Bernard scheint anders zu denken. Die kleine Daisy ist noch nicht ganz fünfzehn – Schmach und Schande über ihn!« Jarnegan begann von neuem auf und ab zu gehen.

»Steht es denn so bös drum, wie man munkelt, Mr. Jarnegan?« fragte Jimmy besorgt.

»Nun, das Kind wird nicht mehr zur Welt kommen, aber die Kleine hat die galoppierende Schwindsucht bekommen und jetzt kriecht die Tante mit beiderseitiger Lungenentzündung zu Grabe. Oft überkommt mich die Lust, Bernard das Kinn einzuschlagen.«

»Hast du die Kleine letzthin gesehen?«

»Ja, ich war bei ihr. Aber sprich darüber kein Wort, Jimmy! Ich war zwei oder dreimal dort und schicke ihr jede Nacht einen von meinen Chinesen hin. Das arme Kindchen weinte, als ich zuletzt mit ihr sprach. Die kleine Närrin brach mir fast das Herz. Ich dulde keine Träne mehr in meinen Augen. Zum Teufel auch, ich hab' genug davon gehabt! Da lag sie in ihrem Bettchen, die kleinen Wangen eingefallen – und früher waren sie so knallrot – und sagte: ›Jack – verlaß mich nicht – du großer Bär!‹ Dann sah ich wütende Schmerzen über ihr Gesichtchen zucken. Und sie verkrampfte ihre Hände in den Seiten. Herrgott – ist das eine Welt! Ich könnte aus Kot eine bessere machen.«

Er rieb sich die Schläfen.

»Das Schäfchen wird, wenn es am Leben bleibt, Schauspielerin werden. Sie gehört zu den wenigen, in denen eine große Seele verglüht. In der Schule lernt man das nicht – bei Gott – das bekommt man bei der Geburt mit – es schießt aus den Jahrhunderten und schlägt einem an die Nase. Denk' nur dran, wie die Duse ausgesehen hat, als wir sie im vorigen Jahr sahen – das Gespenst eines Weibes – aber Jesus – wie viel Gefühl! Und alles in allem – vergiß das eine nicht – Gefühl ist das Höchste, was es in der Welt gibt. Darin liegt meine Stärke – die andern Kerle machen mir's nach – aber sie haben ihre Seelenbrocken auf jüdischen Friedhöfen zusammengeklaubt.«

Jimmy legte sein Gesicht in die Hände, während Jarnegan rasch auf und ab ging.

»Etwas ist in dieser verdammten Stadt immer los«, platzte Jimmy heraus. »Kaum ist ein Skandal vorüber, schon ist ein anderer da. Glaubst du, daß die Zeitungen von dem da wissen?«

Jarnegan höhnte: »Jede Zeitung in der Stadt weiß davon, mein lieber Jimmy! Halt' dich nicht selbst zum besten. Aber keine bringt den Mut auf, mit der Wahrheit herauszurücken. Ich kenne drei Kritiker, die von den Regisseuren bezahlt werden, damit sie die Filme loben, die sie gar nicht gesehen haben. Die Kerle sind wie die Fünfzigcentweiber in den billigen Vergnügungshäusern.«

Falon blickte Jarnegan an, auf den ein schräger Lichtstrahl fiel. Er schien größer, als er war und seine robusten Schultern wurden im gespenstischen Schimmer grotesk breit. Seinen starken Nerven hatte der ganze aufreibende Tag kaum etwas anhaben können.

Der Nachtportier öffnete die Tür.

»Wir sind noch da«, sagte Falon.

»Ich bitte um Entschuldigung, Mr. Jarnegan.« Keiner der beiden antwortete, als die Tür wieder zuging.

»Jawohl, Freund«, fuhr Jarnegan fort. »Wenn Daisy davonkommt, mache ich sie in einem Jahr zur Filmprimadonna. Die Pickford wird sich neben ihr wie ein billiges Inserat in einer Sonntagszeitung ausnehmen. Mary hat nie etwas anderes gehabt als zwei Grübchen und ein Mordsglück. Daisy ist die Kommende. Als sie vor fünf Jahren Kinderrollen spielte, war sie der beste kleine Schreihals in Hollywood. Das Kind hat Gefühl im Leib. Ein Faß voll!«

Bestrebt, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, warf Falon ein: »Velma erzählte mir gestern abend, daß das kleine Mädchen, das in Ohnmacht fiel, eine Schriftstellerin ist. Sie fragte mich, ob ich ihr nicht eine Stellung verschaffen könnte. Ich habe ihr versprochen, daß ich dich fragen werde.«

Jarnegan blickte mit zugekniffenen Augen auf Jimmy. »Was alles hat sie schon geschrieben?«

»Ich weiß nicht. Vel sagte mir nur, sie habe in ihrer Heimatstadt für eine Zeitung gearbeitet.«

»Ich habe nichts davon, daß man Leute zum Schreiben anspornt. Die Stadt ist ohnehin voll mit diesen lausigen Schmierern. Keiner von der ganzen Bande kann eine Geschichte ordentlich erzählen – außerdem – ein hübsches Mädchen ist nicht zum Schreiben auf der Welt. Sie ist zum Küssen da, bei Gott – die Natur weiß, was sie tut – sie schenkt ihnen Schönheit, damit ihnen ein Tropf auf den Leim geht – dann kommt ein Rudel von Rangen und sie werden dick wie ein Luftballon. Gott weiß, ich liebe sie jung. Das ist das einzige, was es in der Welt noch gibt – Jugend – hinter der sind wir alle her. – Zum Teufel, wer liebt einen ausgedorrten Pfirsich – nicht einmal die Prediger – von Zeit zu Zeit läuft einer mit einer jungen Schwester der Gemeinde davon und tut's im Namen Jesu – ach, was die ganze Chose für ein Mordsbetrug ist – du frißt dir das Herz für ein Mädel ab, dann kriegst du sie und hast sie nach einer Woche satt. Hat sich die Festung einmal ergeben, so ist es nicht die Festung, die du einnehmen wolltest – die Fenster sind blind oder sie ist unempfindlich wie ein Klotz – oder was Ähnliches – irgendwo hapert es immer. Ich habe diese Welt durchstreift, von der Hölle bis zum Frühstück – ich wanderte kreuz und quer durch Spanien – eines Nachts verführte ich ein kleines spanisches Mädchen auf der Wiese. Ein andermal strolchte ich durch Irland und versuchte mit einer Nonne zu tändeln, die ich angebettelt hatte. Sie hielt mich anscheinend für einen Missionär – schenkte mir ein Gebetbuch. Aber ich brauchte von ihr kein Gebetbuch. Wollte Gott, ich könnte ein hübsches Dirnchen kriegen und behalten – und dann bei ihr bleiben – aber verflucht, Perlen werden schwarz und Weiber alt – –«

»Aber du kannst doch nicht eine Perle umarmen!« warf Jimmy ein.

Jarnegan lachte auf. »Da hast du recht – du beginnst witzig zu werden, Alter.« Dann runzelte er die Brauen. »Aber zum Teufel hinein, Jimmy, ich möchte lieber eine Perle umarmen als ein altes Weib!«

»Ohne Zweifel«, sagte Jimmy. »Mir wär's auch lieber – aber es sind ja immer noch genug junge da und du hast immer mehr, als du brauchst, Mister Jarnegan – du bist und bleibst immer ein Zuchthaushund.«

Jarnegan blickte auf seinen Gehilfen.

»Das war nicht schön von dir, Jimmy«, sagte er. »Nenn' mich einen brünstigen Hund, nenn' mich einen Hund, der immer die Spur verliert, nenn' mich einen Hund, der nach Sonnenuntergang zum Mond hinaufbellt, sag' mir, meine Mutter sei eine Dirne in London gewesen und habe mit dem König geschlafen – sag', mein Vater sei ein Pfandleiher gewesen, der ihr eine Dollaruhr mit einer gebrochenen Feder für einen Augenblick Lust zusteckte, – aber das darfst du mir nicht sagen!« Jarnegan schlug seine knorrigen Hände zusammen und blickte im schrägen Lichtschein auf seine Armbanduhr.

»Himmel, es ist spät geworden – und ich bin zum Abendbrot eingeladen! Sag' dem Chink, er soll mit dem Grempel vorfahren.«

»Er wartet schon draußen, Mister Jarnegan – vor einer Minute habe ich die Maschine surren gehört«, sagte Jimmy, indem er die Tür öffnete.

Jarnegan zögerte. – »Hör' zu, Jimmy – ich spaße im Ernst – Velma oder irgendwer sonst soll ein Zusammentreffen mit dem blauen Kindchen arrangieren.«

»All right! Ich werde tun, was ich kann«, erwiderte Jimmy, als Jarnegan seine Limousine bestieg.

»Setz' dich morgen mit mir in Verbindung, Jimmy.«

»Ja, ich werde es bestimmt tun, Mister Jarnegan«, entgegnete Falon, während sich das Auto in Bewegung setzte.


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