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6.

Jarnegan mietete ein billiges Zimmer über einer Pfandleihanstalt in der Los-Angeles-Straße. Tag für Tag streifte er durch die Ateliers, machte sich mit dem Klatsch vertraut und unterhielt sich mit jedem, der ihm in den Weg kam, über Film und Filmleute.

Abends besuchte er die billigen Kinotheater in der Hauptstraße und kam darauf, daß dort nur einige Jahre alte Filme liefen. Warum, konnte er sich nicht erklären. Zum erstenmal in seinem Leben dachte er darüber nach und wunderte sich, daß Filme in den Handel kamen. Er begann Filmzeitschriften zu lesen. Obwohl er wenig für höhere Literatur übrig hatte, flößte ihm die Minderwertigkeit dieser Journale Abscheu ein. Dennoch las er fleißig und merkte sich alles.

Er schöpfte Mut aus den Berichten, daß fast alle ohne einen Penny zum Film gekommen waren – vom Wildwest-Cowboy Tom Mix wurde erzählt, daß er Schankbursche gewesen war, und andere behaupteten, daß er ein Sklave aus dem kleinen Distrikt Pennsylvania sei. William S. Hart dagegen sollte Shakespeare-Darsteller gewesen sein. – Jarnegan konnte es nicht fassen, wie er zum Wildwestschauspieler geworden war. David W. Griffith hatte sich als Schmierenkomödiant betätigt. Alle diese Karrieren gaben ihm zu denken.

Am dritten Tage, den er in den Pioneer-Studios verbrachte, begegnete er einem gleichaltrigen jungen Menschen, der vor drei Wochen mit einer Zirkustruppe angekommen war. In ihrem Gespräch durchliefen sie gemeinsam die Wege der Welt. Nach einer langen Unterhaltung sagte der Exsträfling:

»Ich heiße Jack Jarnegan, Bruder – und du?«

»Jimmy Falon –«, war die Antwort, »es freut mich, dich kennengelernt zu haben. Du bist hier der erste Mensch, mit dem man ein gescheites Wort reden kann.«

»So wie du – aber – wo wohnst du?« erkundigte sich Jarnegan.

»Unten auf Cahuenga, nahe dem Sunset in Hollywood – ein hübsches Nest.«

»Wirklich –« sprach Jarnegan lebhaft »– ich hause tief unten in der Los-Angeles-Straße – eine verdammte Gegend.«

»Warum kommst du nicht zu mir – ich werde meinem Hauswirt erzählen, daß du ein alter Kamerad von mir bist. Er ist selber ein gewesener Komödiant – hat auf dem Trapez gearbeitet – und sich einen Arm und eine Schulter gebrochen«, sagte Jimmy Falon.

»Nimm mir das Zimmer für Donnerstag in acht Tagen – bis dahin habe ich meine Miete bezahlt und so lange bleib' ich noch da. Ich schwimme nicht im Geld, versteht sich.«

»All right. Ich werde es für dich aufnehmen … der alte Bursche hat an mir einen Narren gefressen – auch du wirst ihm gut gefallen, überhaupt wenn du vom Zirkus mit ihm redest. Du kannst dir vorstellen, wie einsam sich so ein alter Strolch fühlt, wenn er nicht mehr durch die Welt pilgern kann.«

»Niemand weiß das besser als ich«, gab Jarnegan zurück. »Nebstbei, mit was für Tricks kommt man hier am besten vorwärts?«

»Sag' einfach allen, daß du schon Praxis hast. Du kommst vom ›Großen Theater‹ – du weißt schon, wie's weiter geht. Jeder Tropf erzählt hier, daß er mit Mansfield und Garrick und ähnlichen Bonzen am ›Großen Theater‹ gespielt hat. Ich hatte eine Woche lang zu tun und komm' nächstens zum Probeauftritt. Ein Kerl, dem es auch gelungen ist, kriegt jetzt vierhundert Bare in der Woche. Vor einem Jahr ist er mit seinem Bündel am Rücken zerlumpt angekommen – schlug sich als Taglöhner bis nach Ventura Country durch. Dann sagte er sich: Der Teufel soll mich holen, wenn ich dieses Herumstrolchen nicht satt habe. Ich geh' zurück, dreh' mich um den Pioneer herum, bis sie mir eine Arbeit geben. – Nun, er hat's getan … und jetzt sollst du ihn dir anschauen!«

»Potz Blitz«, staunte Jarnegan.

Falon zog einen Bleistift heraus und schrieb Jarnegan seine Adresse auf. Jarnegan steckte den Zettel in seine Tasche. Er sah den jungen Zirkusvagabunden erst wieder, als er nach einigen Wochen zu ihm zog.

Indessen graste er zwei Wochen lang die verschiedenen Ateliers ab, bis er eines Tages eine Anzeige in den Abendblättern las:

Arbeiter gesucht – £ 2 – pro Tag – zehn Stunden – Metropolis Studio. Mangold Avenue. Hollywood.

Jarnegan war am nächsten Tag vor sieben Uhr früh beim Atelier. Der Werkführer einer Baugruppe schnappte ihn mit drei anderen Leuten; man begann gerade mit den Grabungen für irgendein Gebäude.

Gewissenhaft und unermüdlich bediente er Hacke und Schaufel.

Noch immer begeistert für den Gewerkschaftsgedanken, hielt er während der Mittagspause eine Rede an die versammelten Arbeiter. Halb im Spaß stellte er sich auf ein Nagelfaß und ließ eine Ansprache in der Art Bruder Jonathans vom Stapel:

Bild: ihály Biró

»Kameraden Dreckbuddler – Ihr habt nichts zu verlieren, als eure Hacken und Schaufeln – laßt uns alle in den Streik treten!«

Er sprach weiter und weiter, redete sich und die Zuhörer in Lachkrämpfe hinein.

Unweit lehnte ein Regisseur mit lachender Miene an einer Telegraphenstange. Als Jarnegan geendet hatte, fragte er ihn:

»Haben Sie jemals Theater gespielt?«

»Ein wenig – ich war beim ›Großen Theater‹ – spielte das ganze Jahr über – im ganzen Westen. Hier bin ich nun stecken geblieben – habe mich ganz verpufft – ausgetreten wie die Plattfüße eines Barkellners – so steh ich nun da.«

»Möchten Sie nicht ein wenig agieren?« fragte der Regisseur.

»Bei Gott, ja – es macht mir wenig Spaß, diese verfluchte Hacke zu schwingen. Ich tu' alles gern, um von hier wegzukommen. – – –«

»Nun, ich beginne jetzt einen Film und Sie könnten eine Rolle darin übernehmen – Sie haben das Äußere dafür und mehr brauchen Sie nicht. – Haben Sie eine Ahnung von Danton?«

»Keinen blassen Dunst. Wer war das?«

»Schon gut, Freund. Aber Sie erinnern mich an ihn – er war so ein stämmiger, fester, schwarzhaariger Kauz in der französischen Revolution – so eine ähnliche Geschichte drehe ich jetzt. – Sie werden nicht viel zu tun haben – nur bei drei oder vier Szenen. – Sie treten nur auf und ab und halten eine Rede – natürlich wie – wie Sie da vorhin geredet haben – ich werde schauen, daß Sie zehn Bare pro Tag kriegen – das lohnt sich eher als Erdschaufeln – kommen Sie gleich mit mir.«

Der Regisseur führte Jarnegan ins Besetzungsbureau.

»Hier hab' ich einen Auf- und Abtrittsschauspieler, Meldrum«, sagte er zum Besetzungschef. »Ist er nicht der richtige Mann für den Danton?«

Der Besetzungschef maß Jarnegan mit prüfenden Blicken … »Jaa – er ist es.« Die zwei Männer traten beiseite … »Der Kerl hat draußen gearbeitet – du kannst ihn für zehn Fetzen pro Tag haben – er wird seine Sache genau so gut machen wie Roberts – und du weißt, daß uns der fünfzig für den Tag abknöpft.«

»Und ob ich's weiß«, entgegnete der Besetzungschef.

»Mir wird's auch zugute kommen,« sagte der andere, »ich muß den Aufwand für diesen Film einschränken – für den andern habe ich siebentausend hinausgeworfen – der alte Isaacs hat Feuer geschrien.«

»Ich stell' ihn ein«, sagte der Mann und trat auf Jarnegan zu, der mit offenem Hemd, das seine sonnverbrannte Brust zeigte, dastand.

»Sagen Sie dem Werkführer draußen, daß Sie bei mir die Arbeit antreten, wenn Sie Lust dazu haben – die Arbeit wird ein paar Wochen dauern und trägt zehn Dollar im Tag – es ist ein hübscher Sprung vom Erdschaufeln bis hierher …«

»All right«, sagte Jarnegan voll Freude. »Wann soll ich antreten?«

»Melden Sie sich morgen früh«, bekam er zur Antwort …

Der Regisseur fügte hinzu: »Um acht müssen Sie da sein.«

»All right«, wiederholte Jarnegan.

Am nächsten Morgen war Jarnegan lange vor Sonnenaufgang munter. Er kam sich wie neugeboren vor. Seit Jahren hatte er sich nicht so glücklich gefühlt. Er kleidete sich mit Sorgfalt an und war vor sechs auf der Straße. Rastlos lief er umher, bis der Wagen nach Hollywood abfuhr. Während der ganzen Fahrt durch die Filmstadt wob er an seinen Träumen. »Zum Kuckuck, wenn es nur so weit käme, daß ich ständig hundert Dollar verdienen und in dieser Luft leben kann, das wär' zu schön, um wahr zu sein.«

Am ersten Tage hatte er eigentlich nichts zu tun.

Mit gierigen Blicken beobachtete er alles ringsum. Mit kindlichem Staunen sah er dem Kurbeln der Kamera zu. Er sah, wie der Hilfsregisseur eine kleine schwarze Tafel jedesmal vor die Kamera schob, wenn der Regisseur schrie – »Aus!« Das Kurbeln hörte dann auf. Auf der kleinen Tafel stand der Name des Regisseurs geschrieben. Wenn dieser Aufnahmeteil nicht zufriedenstellend war, rief der Regisseur »N. G.« und die zwei Buchstaben wurden auf die Tafel geschrieben. Dieser Abschnitt des Filmstreifens wurde nicht entwickelt.

Wie im Kerker, zog Jarnegan alles gleich einem Schwamm in sich auf. Er war in seine Beobachtung vertieft und vergaß alles andere ringsum. Als es für ihn Zeit war, vor den Apparat zu treten, bestieg er das Podium. Es war eine kleine Szene. Das grelle Oberlicht blendete ihn, als er sich dem Apparat zuwandte, für einen Augenblick. Seine Augen gewöhnten sich bald daran.

Am nächsten Tag hatte er wieder eine kurze Aufnahme. Am dritten hielt er eine Ansprache in einer Pariser Straße. Dann lungerte er eine Woche um das Podium, ehe man ihn wieder vor die Kamera stellte. Zu Jarnegans Glück geschah dies in den seligen Tagen, wo in den Studios noch keine Rationalisierung eingeführt worden war. Dadurch wurde es ihm möglich, eine Menge zu lernen und ein für ihn damals hübsches Stück Geld zu verdienen.

Vier Wochen vergingen, ehe er mit seiner Aufgabe fertig war. Nun zog er in das Haus von Cahuenga, wo Jimmy Falon wohnte. Bald darauf mieteten sie sich in einem gemeinsamen Zimmer auf dem Hollywood Boulevard ein.

Der Film war der alles beherrschende Ehrgeiz ihres Lebens. Ein Zuviel brachte Jarnegan später die Langeweile, jetzt aber warf er alle Energie seines entgleisten und tragischen Lebens in seinen Drang nach Erfolg. Er wollte Regisseur werden.

Diese Freiheit, dieses gut entlohnte Vagabundenleben, dieser Mangel aller Prüderie gegenüber den Lebensnotwendigkeiten ging Jarnegan zu Herzen. So oft sein Mut sank, drang die Kunde von einem neuen staunenswerten Erfolg an sein Ohr. Leute wurden im Handumdrehen für fähig erklärt und ebenso rasch verworfen. Wenn jemand seine Rolle schlecht gespielt oder eine Inszenierung verpatzt hatte, war seine Zukunft in den Augen der Hollywooder Streber erledigt. Nach Ansicht der Untenstehenden und Außenseiter hatte kein Mensch Begabung und keiner von den Filmleuten, die oben waren, lobte jemals einen anderen, der auf der gleichen Höhe mit ihm stand. Mädels mit faden, ausdruckslosen Gesichtern wurden über Nacht zu Stars ersten Ranges. Irgendwo im Hintergrund stand dann immer eine einflußreiche Persönlichkeit.

Die Jagd nach wirtschaftlicher Macht, der Drang nach oben, der bei Jarnegans Ankunft in Hollywood herrschte, spottet jeder Beschreibung. Jene, die hier kämpften und streberten, hatten auf fast allen anderen Lebensgebieten versagt – erfolglose Schauspieler, Rohlinge männlichen und Talmischönheiten weiblichen Geschlechts, auf den geistigen Stufe von Dienstboten, waren hier tonangebend.

Der Mann, den seine Frau, während er im Zuchthaus saß, verlassen hatte, sammelte jetzt mehr Erfahrungen über Frauen, als jemals in seinem Leben. Seine Kameraden, darunter auch Falon, wurden immer mit schönen und unbedeutenden Dämchen gesehen.

»Wo, zum Kuckuck, gabelst du die auf, Jimmy?« fragte Jarnegan.

Sie machten Freiaufnahmen in der Wüste, spielten zusammen in einem Wildwestfilm. So fanden sie Zeit zu vertrauten Gesprächen.

»Das wird so gemacht, Jack … du kannst jedes Frauenzimmer auf der Welt bekommen, wenn du ihr einredest, daß du sie zum Film bringst. Sie muß glauben, daß ich der nächste Regisseur bei Pioneer sein werde – und ich krieg' sie, wann ich will. Wenn du sie einmal hast, kann sie lang schreien. Ich kenn' ein junges Ding; sie kam direkt aus der Y. W. C. A. her, weil ihr zu Ohren gekommen war, daß hier so viele junge Mädels verführt werden. Sie beriet sich mit Jack Whiffle. Er drehte damals ›Dämme in Brand‹ … ich glaube – jedenfalls … ich weiß so viel: diese Dame hatte schon im nächsten Film eine Rolle inne und blieb lange an ihm hängen – mein Gott, sie war auch ganz niedlich – so um die achtundzwanzig, glaub' ich – ein verhängnisvolles Alter für züchtige Dämchen in der Filmluft.«

Jarnegan dachte während Jimmys Erzählung nach. Nicht über Frauen – über seine eigene Zukunft.

»Ich habe die Aussicht, bei einem Film Whiffles Hilfsregisseur zu werden – er sagte mir, ich könnte die Hauptrolle bekommen und wäre auch als Hilfsregisseur zu gebrauchen.«

»Was für eine Gesellschaft?« fragte Jimmy.

»Eine kleine, unabhängige Gruppe, glaube ich.«

»Ich würde einschlagen, Jack. Dann kannst du dich auch an die Großen heranmachen. Das ist der Weg, der zum Ziel führt.«

Jarnegan kam als Hilfsregisseur zu Whiffle und spielte nebstbei den Intriganten. Oft arbeitete er zwanzig Stunden im Tag. In den frühen Tagen des Films war der Hilfsregisseur das »Mädchen für Alles«.

Jarnegan hatte die Leute beisammen zu halten, nach den Requisiten zu sehen, unterhandelte mit den Operateuren, trug stets das Drehbuch bei sich und sagte dem Regisseur zur richtigen Zeit »Ja«.

Das war die selige Zeit, wo alle Filme auf dieselbe Schablone zugeschnitten wurden. Wo gefühlvolles Spiel und Schönheit Nebensache waren und die Menschen nach ihrer Stegreifkunst eingeschätzt wurden, – wenn einer hinfiel und sich das Knie verrenkte – das war aus dem Stegreif, – wenn ein Schauspieler dem anderen einen Eierkuchen an den Kopf warf – war das auch aus dem Stegreif … diese Methode verhalf Leuten wie Sennett, Arbuckle, Chaplin und ihresgleichen zur Entfaltung.

Sie alle waren Männer wie Jarnegan – ehrgeizig und eitel. Nur in einem war Jarnegan ihnen überlegen – seine Seele war für den reißenden Wirbel stark genug: er empfand unbewußt die Nichtigkeit des Ganzen.

Ein Jahr verging und Jarnegan hatte als Hilfsregisseur bei einem Film mitgewirkt, in sechs anderen gespielt und war zu dieser Zeit fast immer auf dem Hund.

Der Hauswirt mit der gebrochenen Schulter war sein Freund.

Irgendwie brachte er es zuwege, seine Miete zu bezahlen, obwohl er oft wochenlang im Rückstand war. Die Zeit, die er nicht arbeitete, verbrachte er zwischen Ateliers und Pfandhäusern.

Frauen spielten in diesen Tagen keine Rolle in seinem Leben, und eine, die später berühmt werden und Selbstmord begehen sollte, verliebte sich in ihn.

Es wurde ein Bürgerkriegsfilm gedreht. Jarnegan war einer der hübsch aussehenden Automaten im Stabe des Robert E. Lee. Alice Toren spielte die Heldin.

Das Lager war unter den echten Eichen von Griffith-Park aufgeschlagen worden. Nur wenige Worte fielen – und Alice wunderte sich. Jarnegan sollte sie an jenem Nachmittag vor den vordringenden Federals beschützen. Sie trug wertvolle Staatspapiere von Gott weiß wem Gott weiß wohin. Am Ende des wilden Rittes – Alice hatte ihn überwältigt zu küssen – ihn, ihren unbekannten Retter … Jarnegan hatte dieses Zeichen der Zuneigung einer der berühmtesten Schönheiten des Südens mit stummem Erstaunen in Empfang zu nehmen.

Alice, damals ein Mädchen von siebzehn Jahren – und eine der schönsten Frauen, die jemals zum Film kamen, liebte Jarnegan auf den ersten Blick. Die anderen aus der Gesellschaft begegneten ihr mit viel zu viel Förmlichkeit – sie war der Liebling des Regisseurs. Jarnegan, mit der aus langem Stillschweigen geborenen Zurückhaltung, war zu Alice höflich … nichts weiter.

Bild: ihály Biró

»Sie sind schon lange beim Film?«

»So um ein Jahr«, antwortete er.

»Gefällt es Ihnen?«

»Es gefällt mir,« erwiderte Jarnegan, »es sieht so wenig nach Arbeit aus.«

»Ach, ich lieb' es auch« – sie klatschte in die Hände – »und dann … Aber woher stammen Sie? Aus dem tiefen Osten?«

»Aus Ohio.«

»Oh – wirklich – ich bin aus Pennsylvania – eine Nachbarin von Ihnen.«

»Ich tratsche nicht«, lächelte Jarnegan.

»Daran tun Sie recht – sonst ging's auf Ihre Kosten.«

Ihre Worte gaben Jarnegan einen Ruck.

Der Kuß nach der Rettung währte lange und war mit vollem Herzen gegeben. Sie schmiegte sich mit einem Gefühl an Jarnegan, das nicht im Drehbuch stand. Jetzt war die Reihe an Jarnegan, sich zu wundern.

»Jedermanns Puppe – eines jeden, der nicht schlecht angezogen ist und kräftige Arme hat – der rechte Kerl zur rechten Zeit.« Vielleicht verstand keiner, der damals beim Film war, die Frauen besser als Jarnegan.

Als die anderen zusammentraten und sich mit dem Regisseur an der Spitze dem Paare näherten, sagte Jarnegan rasch:

»Kann ich Sie wiedersehen?«

»Ja,« antwortete sie ebenso, »kommen Sie ins Alexandria.«

Jarnegan begann seinen Weg zu machen.

Am nächsten Abend unternahm Jarnegan die lange Fahrt aus Hollywood ins Hotel Alexandria im Herzen von Los Angeles. Alice kam ihm bis zur Tür ihres Appartements entgegen. Sie war allein.

Jarnegans Herz pochte stürmisch. Sie war im Negligé. Ihr Haar fiel herab, legte sich in schweren gelben Strähnen auf die Schultern. Flaschen mit Getränken standen auf dem Toilettetisch, auf dem Schreibtisch, überall.

Sie ergriff die Telephonmuschel … »Ich bin nicht zu Hause – für niemand«, sprach sie hinein.

Und dann mit überströmender Fröhlichkeit: »Teufel – ich möcht' etwas – oh, zum Kuckuck, ich weiß selber nicht, was ich möcht' – Wissen Sie's?«

Jarnegan wußte es – wenigstens in dieser augenblicklichen Wallung. Er überließ sich der Führung seines unfehlbaren Instinkts für Frauen – –

»Kommen Sie mal her, Alice«, sagte er.

Sie trat zu ihm. Er hielt sie fest.

»Nehmen Sie den Film nicht zu tragisch, Kind – sonst bringt er sie um. Sie sind ein zu liebes Mädel, um auf den Hund zu kommen.«

»Ich weiß – ich weiß – aber, mein Gott« – sie schmiegte sich an ihn – »Donnerwetter, was soll ich tun? Ich kann nicht Schluß machen – und ich kratze ab, wenn ich's weiter treibe – die letzte Nacht war ich wieder betrunken – und dann hat dieser verfluchte Whiffle bis zum Morgen – mir graust …«

»Mach' dir nichts draus, Kleines.«

Jarnegan preßte sie an sich – kein Mitleid und keine Moral trübte seine Sinne, während er sie umschlang – »Es ist belanglos, glaub' mir's –«

»Ja, vielleicht für Sie – Sie sind ein Mann – aber ich werde zerschellen wie eine von diesen chinesischen Puppen mit dem dämlichen Grinsen im Gesicht.«

Vielleicht empfand Jarnegan doch etwas wie echtes Mitleid. Aber die Begierde und der Ehrgeiz, denen sich tiefes Wissen um das abgründigste Elend der Frau gesellte, machten ihn immer blind. Sein Verhalten zu Frauen – durch all die Jahre hindurch das gleiche – war: »Tu' ich's nicht, – tut's ein anderer.«

Alice half Jarnegan, wo sie nur konnte. Er half ihr in einem anderen Sinne. Wenn sie sich von Ausschweifungen zerschlagen und von Stürmen zerrissen fühlte, war er die einzige Eiche, unter der sie wahren Schutz fand.

Er war der einzige Mann in Hollywood, der niemals fragte. Von anderen Männern sprach sie mit ihm, als wäre er ein verständnisvoller Bruder. Wie hätte sie wissen sollen, daß die bitteren Jahre in Jarnegan Gleichgültigkeit und schlaues Erfassen eingekerbt hatten. Ebenso wenig konnte sie ahnen, daß Jarnegan alle Frauen verachtete – daß sein Ichgefühl ein so mächtiges war, daß er im Geiste nichts mit ihm verbinden konnte. Jarnegan erfaßte instinktiv den Typus dieser Frauen, die man im Augenblick, wo man einen Fehler an ihnen entdeckt, stehen läßt. Er wußte, daß er ihr Anker war und benahm sich danach. Sie vermeinte darin einen edlen Zug seines Charakters zu erblicken.

Alice sprach mit Jarnegan über die Schwächen der Männer von oben. In der Filmbranche war das ein alter Kniff, den er übrigens schon als junger Bursche in Ironton gekannt hatte. Die Weiber unter der Eisenbahnbrücke hatten ihm stets von den Fehltritten der großen Geschäftsleute erzählt, die sie im Dunkel besuchten. Das Leben wiederholte sich nur.

Männer eröffnen Frauen ihre Schwächen in vertrauten Stunden. Jarnegan erfuhr von den Frauen alles über die anderen Männer, mit denen er zu tun hatte.

Alice schwärmte für irgendetwas. Jarnegan konnte nie herausfinden, was es war. »Jedermann darf sie lieben, sie ist jedermanns Hund,« dachte er oft – »aber sie ist auch verdammt hübsch.« Oft stand der brutale Exsträfling mit seiner leisen Zärtlichkeit vor einem Rätsel. »Die liebsten Frauen sind die schwächsten – Blumen, die dem Regen und Sturm nicht die Stirn bieten können.« So entwickelte er eine eigene Philosophie. Wenn er eine Blume pflückte, wollte er sie wenigstens nicht richten, begnügte sich damit, daß sie schön war. Jarnegan erzählte Alice einiges aus seinen früheren Tagen. Er hüllte sie absichtlich in Geheimnis. Alice beichtete ihm ihre Bitternisse – wie sie schon mit zwölf Jahren in einer Konservenfabrik in Pittsburgh gearbeitet hatte – die langen Fahrten von Braddock herüber – acht Meilen weit – daß sie bis zum fünfzehnten Jahre geschuftet hatte – wie sie dann einen Tagedieb mit geschlecktem Haar geheiratet hatte. –

»Ich weiß nicht, wozu es gut war. Mutter sagte, er würde mir ein guter Gatte sein. Immerhin – da geschah doch etwas.« Sie goß sich Ingwerbier in den Bourbonwein – »Nun, ich machte mit dem Kerl eine Hölle durch – spazierte auf und ab in der Smithfieldstreet und spähte nach Kunden aus – du kannst es glauben oder nicht – stieß zufällig auf einen reichen Juden – er wußte natürlich nicht daß ich auf den Strich ging – also fing ich ihn ein – der Rest ist rasch erzählt – ich landete in den Follies und hier bin ich. Und der Teufel weiß, wohin ich noch kommen werde … Jedenfalls habe ich mich von dem geschniegelten Flachkopf scheiden lassen.«

»Ich glaub', das war ein Fehler – du hättest verheiratet bleiben sollen – so hätte dich kein anderer heiraten können – es ist, als ob man aus einer Zelle in die andere wandert, wenn man sich scheiden läßt – ich macht' es so – ich ging nur einmal auf den Leim – nie wieder.«

»Gott, das ist ein ausgezeichnetes System … wie geschaffen für Hollywood.«

Dank dem Einflusse Alices wurde Jarnegan Hilfsregisseur bei Edward Bernard. Dagegen verdankte er es nur seiner ungeheuren Arbeitsfähigkeit, daß er sich behaupten konnte. Jarnegans Scharfblick für das Dramatische und sein tiefgründiges Wissen um das Leben machten Bernard zu einem vielbesprochenen Regisseur in den Kreisen der Filmgewaltigen.

Bernard war ein Regisseur ohne Phantasie und einfühlende Lebensbeobachtung. Gleich den meisten damaligen und auch heutigen Regisseuren dachte er in Handlungen und nicht in Wirklichkeitsbegriffen. Jarnegan wußte, weil es ihn das Leben gelehrt hatte, daß einer alles verlieren konnte, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Zu Ehren Bernards sei es gesagt, daß er, obwohl er zeit seines Lebens mit der Geistigkeit eines Friseurgehilfen herumgelaufen war, dessen Beruf er in seiner Jugend ausgeübt hatte, die Steigbügel für den ersten großen Realisten der Filmkunst hielt.

Der alte Isaacs pflegte mit gekrümmtem Rücken um die verschiedenen Szenarien herumzuwandern und seine Regisseure bei der Arbeit zu beobachten. Isaacs gab lange den Lachstoff für übergebildete Leute ab. Aber der weise und prächtige alte Jude hatte etwas, was die Oberflächlichen nie gewinnen konnten – ein intuitives, ursprüngliches Wissen und ein Herz, das wie das Jarnegans, Schlag in Schlag mit der Menschheit Herzen pochte.

Der erste Film, an dem Jarnegan als Bernards Hilfsregisseur mitwirkte, war ein Familiendrama aus dem Westen. Bernard war in die Berge gegangen, um einen Indianerüberfall zu drehen – ohne den ging es in einem solchen Film nun einmal nicht ab – und der alte Isaacs befahl Jarnegan, einige Innenszenen zu drehen.

Jimmy Falon arbeitete zur selben Zeit in einem Film mit Francis X. Bushman im Pioneeratelier. Er nahm mit Jarnegan den Lunch im Studiorestaurant ein, an dessen Wänden mehrere Tische für die Stars und Regisseure reserviert waren.

»In einem Jahr sind wir gemacht, he Jack?« sagte er, als sie sich mit einem als Zigeunerwahrsager verkleideten Statisten an einem kaffeefleckigen Tisch niederließen.

»Ganz sicher, Jimmy – jetzt kann mich niemand mehr aufhalten, jetzt habe ich ein paar Szenen auf eigene Faust zu machen … Billings kommt in sein Heim und findet seine Frau nicht zu Hause – der alte Isaacs hat's bestellt – und ich bin bereit, drauf loszugehen.«

»Das ist herrlich – Himmel – ich freu' mich ehrlich – und vergiß mich nicht, falls du oben bist, Jack.«

»Du hast mein Wort, Jimmy – aber sag' nicht, falls, Junge – ich sag' dir doch, sie können mich nicht mehr aufhalten. Ich sah dem alten Isaacs zu, wie er mir unlängst zusah – ich kann in Gesichtern lesen – das sind keine Bücher – und ich beobachtete die alte Judenfratze – er verzog nicht den Mund und schmunzelte doch übers ganze Gesicht – ich lass' mich nicht täuschen –« Der Wahrsager erhob sich. »Jimmy –« Jarnegan beugte sich über den Tisch – »Schau' heute nachmittag zu, da wird kein Wort gesprochen, aber schau' nur einmal zu.«

Jimmy hatte schon so manchen in dieser Art sprechen hören. Das Selbstbewußtsein war in Hollywood etwas so Selbstverständliches wie das Wasser im Meer. Aber er wußte nicht, daß Jarnegans Ichgefühl mit Kraft durchtränkt war.

»Isaacs läßt oft Innenszenen von Hilfsregisseuren machen«, wagte Jimmy, wie um Jarnegan zu zügeln. »Man sagt, der alte Teufel hat seine Freude dran, den Aufnahmen zuzuschauen – wie ein kleiner Junge.«

»Na schön – Himmel – er soll nur zuschauen – ich bin auf meinem Platz.« Jarnegan dämpfte seine Stimme … »Unter uns gesagt, Jimmy, Bernard hat keinen Dunst von der Sache – er ist wie ein Laufjunge, bei Gott, das ist er – gestern hab' ich ihm zwei Tips gegeben – aber er ist wie alle anderen … er hat nicht das Zeug in sich – und er ist zu eitel, um es zuzugeben – aber das ist ein Ding, wo man nicht ewig nur bluffen kann – keiner kann's – du mußt dann und wann die Karten aufdecken … alle zerreißen sich das Maul über die Juden – aber kein Volk kennt wahres Drama besser als sie – höchstens hie und da ein Ire mit Grütze im Kopf – ich weiß, daß sie alle Streber sind – und Geldhunde – ich bin's auch – darum hab' ich mir den dämlichen Schädel abgerackert, Jimmy – darum krieg' ich schon graue Haare –« er fuhr sich mit der Hand an den Kopf – »Verflucht noch 'mal, sieh mich doch an, Jimmy – ich bin nicht alt – Christus starb in meinem Alter – Dinge tun mir da drinnen weh und, bei Gott, ich will Filme daraus machen.«

Jimmy war benommen, wie alle minderwertigen Naturen in der Nähe großer Seelen. Trotzdem er ein geriebener Junge war, schüchterte ihn Jarnegans ungestüme Zuversicht ein. Dabei hatte Jimmy eine Menge Flachköpfe gesehen, die in Hollywood in die Höhe gekommen waren. Jarnegan hatte einmal allen Ernstes behauptet, daß Intelligenz ein Hemmschuh auf der Laufbahn des Films sei.

»Was ist das für eine Szene heute nachmittag?« fragte er.

»Nun, Billings' Frau betrügt ihren Mann und geht mit einem englischen Geldkurier durch – läßt zwei kurze Zeilen zurück – sie schreibt nur –, ›Ich bin mit Willis fortgegangen … Such' mich nicht.‹ Billings kommt herein – sieht, was geschehen ist –«

Der Uhrzeiger stand auf ein Uhr dreißig – –

»Ich muß gehen, Jimmy. Wie geht's auf deinem Set?«

»Alles in hellster Freude –« antwortete Jimmy, »Francis Bushmann hat eine neue Puderquaste – alle Mädels sind selig.«

Beim Aufstehen lachten die zwei Männer.

An diesem Nachmittag versammelte Jarnegan seine kleine Truppe am Rande des Pioneergrundes – den Operateur, den dritten Hilfsregisseur, einen jungen Requisiteur und einen alten Geigenspieler. Sonst war niemand in der Nähe außer Billings, der aufmerksam den Worten Jarnegans lauschte.

Jarnegan hatte die Jacke abgelegt, die Ärmel seines Flanellhemdes aufgestülpt, so daß zwei muskulöse schwarzbehaarte Arme sichtbar wurden. Er sah sich im Zimmer um, seine Augen saugten alle Gegenstände auf. Das Szenarium bestand aus drei zwölf Fuß hohen Wänden … an den Wänden hingen einige alte Bilder, eine zerknitterte Rolle mit den Worten »Gott segne unser Heim« stach hervor – –

Isaacs und drei andere Männer schlenderten vorbei – gingen weiter … kehrten dann zurück. Jarnegan machte es Spaß – er sah sich nicht nach ihnen um. Isaacs fühlte sich unbeobachtet, denn er wußte nicht, daß auch Jarnegan ein geborener Schauspieler war.

»Hör' zu, Ed,« sagte er zum Operateur … »nimm das Bild auf – ganz einfach – ich weiß, was ich hier brauche – und mach' dir nichts draus, wenn ich anders bin. – Und Sie – Billings, ich möchte, daß Sie vergessen, daß Sie jemals im ›Weg nach dem Fernen Westen‹ oder den anderen Hokuspokusstücken gespielt haben – Vergessen Sie alles, was Sie vom Theaterspielen wissen – ich will, daß Sie diese Rolle leben – ich will, daß Sie der Kerl sind, dessen Frau durchgebrannt ist – ich will nicht, daß Sie hier spielen – ich will, daß Sie die Verzweiflung in Ihr Herz einsaugen – und wenn es dann in Ihnen aufdämmert – schütten Sie's aus wie Blut auf den Fußboden – Sie kapieren?«

Isaacs lauschte. Sein Herz schlug höher. Er trat einige Schritte näher.

»Jetzt treten Sie ein, Billings – Sie schauen um sich … Sie lesen den Wisch – Sie überspielen sich nicht. – Nun, was würden Sie jetzt tun? Na? Wir alle machen es anders – je nachdem, was einer im Innern hat. – Und jetzt zur Fabel – Sie haben schon die Hölle ausgekostet – Sie sind kein Schuljunge mehr – Sie lieben dieses Weib – aber es ist eine stille Liebe. – So würde es Sie nach fünf Jahren schwerer treffen als jetzt – in diesem Augenblick – denn ich brauche diese Wirkung – die Wirkung auf einen Mann, der den Umriß seines Heimes, wie es in fünf Jahren sein wird, voraussieht – Sie verfallen nicht in Tobsucht – Sie blicken nach dem Lesen des Zettels um sich – leise Verzweiflung zuckt um Ihre Lippen – Sie werfen die Schultern zurück, als sauste ein Hieb an Ihrem Kinn vorbei wie ein Schnellzug – dann erschlaffen Ihre Schultern – der Hieb hat Sie verfehlt, aber er traf Sie dennoch – Sie verstehen, was ich meine – denn wenn Sie mich nicht verstehen – so bleib' ich, bei Gott, so lange hier, bis Sie's tun. – Aber, um Gottes willen, spielen Sie nur nicht Theater – Sie müssen Billings sein – ein Kerl im mittleren Alter – verliebt in ein kleines Weibchen, das Ihnen das Bett sauber hält – und bei Nacht mit Ihnen tändelt …«

Jarnegan trat einen Schritt zurück, er fühlte die Gegenwart Isaacs ebenso stark, wie er in früheren Tagen die Gegenwart des Zuchthauswächters gespürt hatte.

»Jetzt paßt alle auf – du kurbelst, Ed – stell' mal den Film ein – jetzt, Billings – na, ich mach's Ihnen erst vor …« Und zum Geigenspieler gewendet: »Spielen Sie leise etwas.«

Jarnegan betrat das Zimmer … ging durch die Szene. Isaacs sah mit feuchten Augen zu. Seine Millionen waren vergessen, er war wieder der einsame darbende Judenknabe im Elternhaus … Herzen stöhnten in der Geige. Jarnegan wog jede Bewegung mit tiefem Instinkt ab. Als die stille Kraft der Verlassenheit sich in seinen Herzensgrund gesenkt hatte, schritt er gelassen zur Holzbank in der Ecke, auf der ein Wasserkrug stand. Er langte den Schöpfer vom Haken und trank mechanisch. Dann tauchte er den Finger in den Schöpfer, befeuchtete seine Schläfen und setzte sich unter den Haussegen.

Billings ging dreimal über die Szene, bevor er die Wirkung erhaschte. »Hier fallen Sie um«, erklärte Jarnegan. »Hier bringen Sie eine falsche Note hinein.« Aber endlich brüllte er: »Das geht – Los! – Aus! – –«

Er sah Isaacs mit seinen Begleitern fortgehen. Der größte Filmmensch der Welt hielt den Kopf gesenkt. »Ich hab' ihn gepackt, meiner Treu. – Wir sprechen dieselbe Sprache, aber der alte Teufel will nicht heraus aus sich.«

Als der Film »Der Mann, der zweimal lebte« vorgeführt wurde, klang es aus den Berichten der Kinobesitzer wie aus einem Mund:

»Eine neue Note in Bernards Werk. – Die Zuschauer sind zufrieden. Der Film übt überall gewaltige Anziehungskraft aus.«

Jarnegan las die Bibel von Hollywood, den »Exhibitors' Herald« eines Abends Falon vor …

»Ich war's, der die neue Note hineinbrachte, Jimmy – aber jetzt siehst du, wie's dieser verdammte Bernard treibt – er bildet sich ein, er hätt's getan – na, sie sind alle gleich – er möchte mich gern hinauswerfen – nur hat er glaub' ich, Angst vor dem alten Isaacs. Ich sage dir, Jimmy – man kann die Leute mit dem kleinsten Fünkchen Gefühl packen – ich weiß das – jetzt werd' ich mich noch eine Weile gedulden, dann geh' ich selbst zum Alten – Bernard hat mir zwar versprochen, sich beim Alten für mich zu verwenden – aber er klammert sich fest – ich war bei Nathan Leedman – Alice Toren schob mich bei ihm … aber mir scheint, Bernard hat mir dreingepfuscht – sie stecken immer beisammen – na, ich werd' den alten Isaacs noch drankriegen.«

Bernard befand sich in der Lage eines Mannes, der jeden Tag bei seinem Feinde Rat holen muß. Er schwankte zwischen Selbstbewußtsein und Angst.

»Mein Gott, ich kann's machen wie er – nichts ist einfacher, das ist keine Kunst.« – Er versuchte es mit Jarnegans Methode. Beging aber den Irrtum aller Stümper in der Kunst der Gefühle. Er wußte Jarnegans Schema maschinenhaft nachzuahmen, vermochte aber nicht, es nachzuempfinden.

Äußerlich sah seine Arbeit der Jarnegans verteufelt ähnlich.

Isaacs ließ sich oft die Rohfilme, die tags zuvor aufgenommen worden waren, zeigen, lange nachdem sich Bernard und Jarnegan entfernt hatten. Mit Leichtigkeit konnte er die wenigen Episoden, die er von Jarnegan hatte machen lassen, herausfinden. Einigemal ließ er sie wegwerfen oder unter irgend einem Vorwand verstecken und von Bernard nochmals drehen. Als Jarnegan davon hörte, ging er zu Isaacs – –

»Was ist bei diesen Szenen nicht in Ordnung, Mister Isaacs?«

Der alte Schlaukopf erwiderte … »Hören Sie, Jack, mein Junge – mein – ich halt' viel von Ihnen – nix ist schlecht – nix – nur abwarten müssen Sie Ihre Zeit.« Frischen Mutes kehrte Jarnegan an seine Arbeit zurück.

Als der Film endgültig zusammengeflickt wurde, nahm man die beiseitegelegten Szenen Jarnegans wieder hinein. So demütigte der Alte den Stolz des künftigen großen Regisseurs und schmeichelte dem Selbstgefühl eines anderen, der bis an sein Lebensende ein mittelmäßiges Arbeitstier zu bleiben bestimmt war.

Als Jarnegan seinen zweiten Film bei der Uraufführung in Los Angeles sah, sagte er zu Jimmy Falon … »Ich weiß genau, daß man meine Sachen benutzt hat … ich bin nicht blind … Und Bernard weiß es auch.«

Hätte ein anderer Filmerzeuger Jarnegan einen Regisseurposten angetragen, so hätte ihn der alte Isaacs bestimmt zurückgehalten. Der Alte fühlte, daß er weitblickender war als seine Konkurrenten. Und darauf war er stolz. Zugleich aber vorsichtig.

Er glaubte an seine Gabe, die Leute zu sich kommen zu lassen. Dann konnte er sie billiger haben.

Er stellte sich auf freundschaftlichen Fuß mit Jarnegan. Dieser vergaß, während er seine Taktik übte, nicht zu arbeiten. So und nur so konnte er der Energie, die ihn innerlich aufzehrte, Luft machen.

Bernard hatte Jarnegan versprochen, sich für ihn einzusetzen. Er tat es nicht. Jarnegan ging zu einem anderen Erzeuger und bat um Arbeitsgelegenheit. Leedman gab ihm diese Gelegenheit nicht. Alice sprach mit dem alten Isaacs, der wie ein Vater zu ihr war und schnitt die Frage behutsam an. Alle Leute von Hollywood wurden bei Tisch durchgehechelt … dann sagte Alice bei irgendeiner Gelegenheit:

»Wissen Sie, Papa, da ist einer, der es noch weit bringen wird.«

Der Alte blickte auf – Alice schwieg – Sekunden Stille – »Jack Jarnegan, der Hilfsregisseur von Bernard.«

Der Alte nickte – »So – so.«

Das war alles.

Alice tauchte in Jarnegans Leben auf und unter wie eine vorbeigehende Unbekannte. Sie trafen einander in New York, in Florida, überall, wo gefilmt wurde. Sie standen immer freundschaftlich zueinander. Vielleicht liebte Alice Jarnegan. Manche behaupten heute noch, daß sie ihn liebte. Fest steht, daß sie jede Verabredung brach, um lange Stunden mit ihm allein zu verbringen. Sie begann auf ihn stolz zu werden. Sie sah, wie die Monate ihn zum Meister umwandelten, ihn festigten. Sie sah, daß er sich vornehmer zu kleiden begann. Oft ging sie selbst mit ihm zu Alexander und Oviatt und wählte Krawatten für ihn. Er selbst besaß jenes Zutrauen zum Geschmack der Frauen, das allen Männern der Unterwelt eigen ist.

Sie suchte Stoffe für seine Anzüge aus und besprach sich mit dem Schneider. Und um aufrichtig zu sein, zahlte sie auch oft für ihn. Jarnegans Gehalt betrug um diese Zeit hundert Dollar wöchentlich.

Zu derselben Zeit, als der alte Isaacs Jarnegan den Auftrag gab, auf eigene Faust einen Film zu drehen, kam aus Wien die Nachricht, daß Alice in einem vornehmen Hotel Selbstmord begangen hatte. Zwei Tage früher hatte er von Alice eine Kabelnachricht erhalten … sie war lang und verworren und endete so:

»Sei brav, mein großer Junge – und lass' die Gescheiten gescheit sein – tu' Edles – träume nicht nur den ganzen Tag davon – und verwandle so das Leben … den Tod … und diese ganze große Ewigkeit – in einen brausenden alten Sang – das Mädchen, das du in diesem garstigen Krieg gerettet hast – das waren Tage, Jack – hoffe, daß deine Filme das ganze Gesindel wie krepierte Katzen zur Strecke bringen werden – auf Wiedersehen in einem Monat … Prosit … Alice …«

Der Tod Alices bildete das Tagesgespräch von Hollywood. Das eine muß zu Ehren seiner Bürger gesagt werden: wenn sie etwas nicht begriffen, so zeigten sie wenigstens Mitleid. Daran gebrach es in Hollywood nicht.

Jarnegans Beförderung kam in den Blättern nicht zur Sprache.

Der alte Isaacs rieb sich die Hände. Das Feuer von Jarnegans Rede, als er sich dem Alten verkauft hatte, brannte noch in seiner Seele. Der alte Fuchs hatte ihm das Feuer entlockt. Er war so ungebildet wie ein Filmkritiker. Dennoch hatte er zwanzig Millionen zusammengescharrt, weil er Menschenkenntnis besaß.

Jarnegan wählte Jimmy Falon als Hilfsregisseur. Als er an diesem Abend mit Falon bei Armstrong und Carleton speiste, sagte er: »Das ist 'ne böse Sache, mit Alice Toren – gelt?«

»Ja, eine verdammt böse Geschichte«, entgegnete Falon.


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