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12.

Er erwachte früh. Sein Gehirn pochte in seinem Schädel wie ein Herz. Die Muskeln seines derben Nackens schmerzten. Er konnte nicht mehr schlafen. In seinen Ohren brausten die Geräusche des Lebens.

Eine Parade verwelkter Jahre zog an ihm vorbei. Er war wieder Stemmer und Clown im Zirkus Ringling. War der Trampolinkünstler einer Karnevalstruppe. Sah seinen Körper aus hundert Fuß Höhe durch die Luft wirbeln. Sah das zwölf Fuß große galvanisierte Faß, in das er hineinplumpste. Sah sich emporschießen, wasserprustend und seine langen Strähnen zurückstreichend. Sah die Tausende, die auf ihn starrten. Dann erlebte er von neuem die Gefühle des Leiterkletterns – eine Sprosse nach der andern – auf jeder haltmachend – der größte Trampolinkünstler der Welt – und das alles, weil er einen angeborenen Sinn für das Dramatische hatte. Er sah sich aufs neue auf der drei Fuß breiten Plattform oben auf der Spitze stehen, den Körper vornüber gebeugt, dann wie verängstigt zurückweichend, er konnte das tausendstimmige »Ah« hören, das zu ihm hinaufquoll. Er vernahm die Rufe – »Jetzt kommt's«, als er kopfüber in die Tiefe sauste. Nun, er wußte, daß alle anderen Springer flink und hastig die Leiter erklommen, weil sie darauf brannten, das Ganze hinter sich zu haben.

Dann wieder sah er ein kleines Mädchen, ein kleines Geschöpfchen mit Haaren von der Farbe sonngedunkelter gelber Seide – eine reizende achtzehnjährige Ausreißerin aus dem Hochland der Blue Ridge Mountains. Sie hatte nie früher einen Hundert-Fuß-Sprung gemacht – hatte im Cumberlandfluß schwimmen gelernt – einem Rinnsal, das ihr Land durchzog. An einem Sonntagsabend stieg sie mit ihm hinauf, um sich an die Höhe zu gewöhnen. Er hatte sich närrisch in sie verliebt – damals war er ein guter Mensch.

Wieder schlug eine Welle der Begierde über ihm zusammen.

Was sie für einen kleinen Mund hatte – er liebte Mädchen mit kleinen Mündchen – liebte sie seit jeher – ihres war rot, wie eine zerquetschte Maulbeere – als sie ihn geküßt hatte, hielt sie seinen Kopf in ihren Händen und hängte sich mit ihren Lippen an ihn. Er erinnerte sich an ihre Leidenschaft, mehr denn an alles andere –

Er hatte sie gelehrt, auf jeder Stufe innehalten – und ganz oben wie entsetzt zurückweichen. Jesus – er konnte noch jetzt ihren schönen jungen Körper sehen – die kleine Schleife, die sich an ihr anliegendes Taucherkleid schmiegte – ein Streifen davon hielt ihre kleinen Brüste zusammen, sie hatte sie eigens eng gezogen, um die kleinen Knospen zusammenzuhalten – sie war eine Ausreißerin und Jungfrau, als er sie traf.

Er sah sie von der Plattform hinunterspringen – hörte die Alarmpfeife – sah, wie sie das Faß verfehlte – und hinplatschte – ein Klumpen toter Schönheit – mit den zerzausten Haaren um sich – –

Er schauderte im Gedanken zusammen und stürzte zu ihr. – Warum mußte er nur immer an sie denken, wenn ihn etwas quälte – selbst mitten in einer Filmaufnahme konnte er ihre Maulbeerlippen auf seinem Munde fühlen und einmal hieß er die Musik auf dem Set schweigen – sie hatte ihn den ganzen Tag heimgesucht. Warum erschien sie jetzt vor ihm? – Er wollte damals nicht sagen, woher sie kam – was das für eine tolle Marotte von ihm war – aber es war besser, eine Mutter hoffen zu lassen, als ihr zu sagen, daß ihr Kind tot war – die Leute brauchten Hoffnung – wenn einer tot war, gab es keine mehr.

Man begrub sie in der Stadt und ein Hutschenmann predigte über ihrer Leiche. Sie hatte noch im Fallen unbewußt den Körper so gedreht, daß sie nicht mit Gesicht und Kopf auf den Boden schlug – er glaubte zumindest, daß sie das selber getan hatte – ihr Gesicht war friedlich – von den Haaren umrahmt – braune Male lagen über ihren Lidern, als schienen die Pupillen durch die weiße Haut. Er sah den Rudel von Zirkusstrolchen um sie, als sie ins Grab gelegt wurde – er hörte einige Blätter auf den Sarg rieseln – ein leichter Windstoß wirbelte – er sah einen Blauspecht, der sich ins Laubgewirr eines stämmigen Ahorns neben dem Grabe schlug. Er erinnerte sich an den Gedanken, daß im nächsten Jahre etwas von ihr durch den Saft des Baumes quellen und die Sonne es in den Himmel saugen werde. Er sah den Hutschenmann, wie er dastand mit seiner Glatze und seiner Adlernase, eine rote Schramme an der Wange. Er erinnerte sich, daß der alte Bursche das kleine Mädchen für eine Tanznummer haben wollte – und sie sagte: »Nein, Jack, mein Körper gehört nur dir.« Dann hörte er seine eigene tiefe Stimme über die versunkenen Gräber schallen – –

»Im Freien unterm Sternenschein
Da legt mich hin im kühlen Schrein,
Froh wie ich lebte, schlief ich ein
Und auch im Sterben fand ich Glück

Auf meinen Grabstein setzt das Wort:
Hier schläft sie an ersehntem Ort;
Der Schiffer ruht im stillen Port,
Der Jäger ist vom Berg zurück.«

Als der Gesang beendet war, hatte er daran gedacht, was es eigentlich für eine verdammte Lüge wäre – der Hutschenmann hatte ihm das Lied beigebracht – die Kleine wollte gar nicht sterben – ebensowenig wie er – sie nippte ja erst an den Freuden des Lebens.

Er erinnerte sich, daß er nach dem Tode des Mädchens den »Feuerspringer« gemacht hatte – aus hundert Fuß Höhe sauste er in einem ölgetränkten Gewand flammend durch die Luft – dem Tode durch das Wasser entrinnend – und dann den Monte-Christo-Sprung – in einen Sack genäht, den er während des Sturzes mit dem Messer aufschlitzte – –

Die Nagelfabrik in Ironton, wo er als Junge arbeitete – wie er die Eisenstücke zufeilte – fünfundachtzig Stunden Arbeit in der Woche, als er vierzehn Jahre alt war – mit seinem Tagelohn von einem Dollar half er ein Pack kleiner irischer Geschwister ernähren – dann schlich er zur Zirkusvorstellung, wo er auf die Feuerleiter kletterte und durchs offene Fenster hineinguckte.

Endlich eine Anstellung als Türsteher, so oft in der Stadt gespielt wurde – von der Arbeit rannte er nach Hause, badete in einem Kupferbecken – konnte die Füße nicht rühren – hastete in einen Leinenanzug und rannte zur Oper, um zeitlich dort zu sein – –

Sein Vater war auf der einen Seite gelähmt – ging seitwärts gekrümmt, falls er nüchtern war, was nicht häufig vorkam – alle waren froh, als der Alte abschob – alle andern von der Familie noch am Leben – nur seine Mutter – sie war dahingegangen – er sah sie im billigen Kattunkleid, das sie vorne zugeknöpft trug – hörte die Musik in ihrer Stimme – wie sie das letzte Wort eines Satzes wiederholte: »Jackie, du gehst weg – weg?« Die letzten zwei Worte klangen wie Musik. Er runzelte die Brauen, dieweil er an seine Familie dachte.

Etwas haperte bei der ganzen verdammten Sippschaft – alle waren geborene Lumpe, denen nicht zu helfen war – er hatte keine Zeit, ihr Geschreibsel zu lesen – hatte einen Stoß davon – schickte wöchentlich fünfzig Dollar hinüber, um das Haus zu erhalten – das genügte – man konnte diese Lumpe nicht aushalten – alle lachten sie ihn aus – verstanden ihn nie – wie er endlich Kulissenschieber wurde – dann die Zettel in der Stadt anklebte – überall folgte ihm ein Junge mit einem Fäßchen Kleister und Papierrollen auf einem zweirädrigen Karren – –

Die erste siebenmonatige Spielzeit auf der Reise mit dem Zirkus Robinson – die Fahrt aus Cincinnati mit den Zettelanklebern auf zwei Sonderwagen – immer der Truppe voran – meilenweit im Umkreise wurden Zettel an die Gutshöfe und Zäune geklebt – –

Dann die Wintertage in Ironton, wo er um die Saloons herumlungerte und den Bierinkassanten folgte, um gratis trinken zu können. Jedesmal, wenn so einer Geld einhob, hielt er die ganze Wirtsstube frei – er trank wie ein rechter Mann – reiste im Radgestell eines Lastzuges – klammerte sich mit einer Hand an die Eisenröhren fest – damals konnte man sich seine Vergnügungen nicht aussuchen, man mußte sich damit begnügen, was sich einem bot – –

Ein Winter in Butte, Montana – die Liebschaft mit einem der schönsten Straßenmädchen der Stadt. Stanley Katchell, der große Meisterringer im Mittelgewicht, stammte aus demselben Viertel der roten Laterne. Sie hatten sich damals angefreundet – zwei Schwimmer auf dem Spülicht der Welt

Bild: ihály Biró

Josephine hatte eine zu große Dosis Morphium – einen Wisch zurückgelassen – »Bedaure, Jack, aber das eine ist wenigstens sicher – das wird nicht noch einmal geschehen.« Sie war schlank und braun, hübsch anzusehen – hatte keinen besonderen Grund zu sterben. Einige Tage vorher hatte sie gemeint: »Ich habe immer den Wunsch gehabt, zu sehen, wie es drüben aussieht, Jack. Eines schönen Tages werde ich's versuchen.« Sie war aus Ypsilanti in Michigan nach Butte verschlagen worden; wo sie sonst noch gewesen war, hatte sie nie erzählt.

So trollten die Gestalten aus der Vergangenheit an ihm vorbei – Lakenträger der Träume und Leidenschaften – tot für immer und ewig. Sie fielen gleich Schatten über sein Leben.

Stanley Ketchell, der tote Mittelgewichtsringer – mit der prächtigen Gestalt und dem großen klugen Kopf – er träumte in einem fort und warf mit dem Geld um sich wie ein schwelgender König. Als junger Hobo, später als Schafhirt, hatte er irgendwo Bruchstücke des Unendlichen aufgelesen. Er wünschte, daß Ketchell noch lebte – er hatte die Frauen geliebt und wurde von so mancher des buntgeputzten Völkchens wiedergeliebt – beim Landliebchen eines Taglöhners auf einer Farm haben sie ihn erschossen –« armer Ketchell – mußte er so enden?

Dann Ethel – das irisch-indianische Mädchen – voll Frohsinns und Erstaunens – mit Augen wie die Feuchte des blauen Himmels – ein einziges großes Gefühl zärtlicher Liebe – zierlich und schlank – wie kam es nur, daß alle seine Frauen so vieles gemein hatten – es konnte wohl nicht sein, daß er während der ganzen Zeit hinter dem selben Frauenschlag her war – Ethels Mutter besaß eine Penne in Seattle. Das Mädchen war in Alaska geboren – Ethel war bis zu ihrem zweiundzwanzigsten Jahre rein geblieben – die Mutter hatte es in die Schule geschickt. Er lächelte bitter über die plumpen Weiber, die Ethels Ehre beschützen wollten.

Er dachte an den schwarzen Schaffner, den er im westlichen Kansas vom Pullmanwagen geschoben hatte. Der letzte Wagen sauste an ihm vorbei, der Nigger wollte sich zu ihm hinüberschwingen – er ließ seine Faust in das schwarze Kinn krachen und der Nigger plumpste auf die Schienen – sah nichts mehr davon, wie der Zug westwärts rollte. Die nächste Nacht verbrachte er in einem Hobodschungel bei Syracuse.

Ein Ulk des Schicksals – er war der große Regisseur geworden – damals zog er mit einer Schmierentruppe umher – jeden Abend in einer anderen Stadt des Mississippiufers – er fragte sich, wo die blonde Primadonna sein mochte – sie war so stramm gewesen, als sie im Othello gespielt hatte.

Er hätte nicht Regisseur werden sollen, sondern Ringkämpfer – damals schlug er den Boxer in Denver aus dem Ring – er glaubte ihn getötet zu haben – es gab ihm einen Ruck – brachte ihm die Erinnerung an einen anderen Kampf – er bedeckte seine Augen – Ketchell hatte ihm immer gesagt, er würde einen tüchtigen Ringkämpfer abgeben – er stellte zu jener Zeit selbst Ketch gegenüber seinen Mann. Gab es ein Jenseits? – Ketchell würde ihm erzählen, ob es eins gab.

Er erinnerte sich eines Gesprächs, das er eines Nachts mit ihm geführt hatte. Sie waren beide halb betrunken. – »Well, Jack,« sagte Ketch, indem er mit seinem Sektglas aus dem glatten Poliertisch einen Salamander rieb – »ich werde aus dem Leben gehen wie aus einer Gesellschaft, in der ich mich wohl gefühlt habe … werde mich an die hübscheste Frau erinnern und an einen gestohlenen Kuß – vielleicht.«

Der arme prächtige Bursche – ob es dort oben auch Weiber gab? Was tat er, wenn dort keine Frauen waren? Dann konnte Ketch nicht dort bleiben – –

Eine Eule heulte schauerlich. Er hörte ein Schwirren – das »Wau – hu, Wau – hu« schien näher zu kommen.

Er dachte an den irischen Aberglauben über die Eulen, die in der Nacht schreien.

Er murmelte: »Herrgott – die Eulen sind hinter mir her.« Stand auf, leerte ein frisches Glas – kehrte zurück – setzte sich auf die Bettkante – sein behaarter und muskulöser Körper eine nackte Zitadelle gegenwärtiger und entschwundener Gefühle.

Da er das Übelste zu jung kennengelernt hatte, brauchte er sich nur noch zu erinnern und nichts Neues mehr zu erfahren.

Er fühlte sich allein.

Pauline Clare kam ihm in den Sinn. Er griff nach dem Telephon. Sie würde sicher gerne kommen – er zögerte – das war doch nicht das Richtige – sie erinnerte ihn an die Arbeit – bei ihr war keine Rast – sie war ein Widerspruchsgeist – haßte alle anderen Frauen – das war nicht schön – zu viel Selbstsucht – andere Frauen hatten auch ein Recht auf ihn – überdies war sie eher kalt – und es stand schlimm mit ihr – ein hübscher Ofen – aber keine Glut mehr drinnen.

Wieder begann er in seiner kampffrohen Vergangenheit zu leben. Schüttelte die Erinnerung von sich, kroch ins Bett.

Daisy Carol mußte es bald besser gehen – das war schön! Er knirschte mit den Zähnen – dieser schmutzige Teufel – der Bernard – wie er das Mädchen überlistet hatte – nach allem, was er für sie getan hatte, um ihr den Weg zu bereiten. – Kleider und Musikstunden – er ermunterte sie, mit anderen Männern zu sprechen, damit sie Ablenkung hatte. Er grinste – sie hatte Ablenkung gefunden – aber bei Gott – jetzt taugt sie nichts mehr – ein Fehltritt vor dem sechzehnten Jahr – so was konnte er nie vergessen – er hatte seine Marotten bei den Frauen – liebte die Frucht, die er als erster kostete – brauchte keine, die ihm Bernard gestohlen hatte – die er sogar schon angebissen hatte – er glaubte Daisy ihre Geschichte – aber man kennt sich bei Frauen nie aus – alle lügen – Bernard hatte ihr Gewalt angetan – das sah ihm ähnlich – er war immer ein hinterlistiger Hund gewesen – das sah man daran, was er ihm angetan hatte – –

Daisy war ein kleines Ding, für das er etwas tun wollte – sie hatte so viel Gefühl im Leib – mehr brauchte eine Schauspielerin nicht – der ganze Rest ist Schwindel – auch Kinder können Theater spielen – eine Bande von Taugenichtsen – aber Daisy war niedlich und warm – er sah zu, wie sie am Zweige reifte und wollte sie einmal in aller Ruhe pflücken – nach San Francisco bringen – und zusehen, wie die Möven vom Cliff-House hinausflatterten – die weißen Boote über das blaue Gewässer der Bucht gleiten – ans Heiraten dachte er nicht – das Leben war nur erträglich, wenn man immer von neuem Flitterwochen erlebte – das war sein ganzer Wert – für das übrige gab er keinen Pfifferling – Menschen gucken nur in die Sterne, weil kein Mädchen in der Nähe ist – –

San Francisco liebte er – »Dort will ich leben, wenn ich alt bin. Man bekommt dort jederzeit chinesische Mädchen – Erstlinge – auch ganz junge – vierzehn etwa – Herrgott, aber Frisco ist so eine Stadt – ich weiß selbst nicht, warum ich es liebe. Vielleicht weil ich dort einst viel gelitten habe – aber ich liebe die Welt nicht und ich habe schon an jedem Fleck gelitten – –«

Frisco war ihm die Traumstadt – dort filmte er gerne – vielleicht war es wegen der Fanny – der kleinen Ehefrau – eine hübsche kleine Stenotypistin – lief einem reichen Mann in Omaha davon – hatte ihn erst vor vier Wochen geheiratet – die Mutter billigte die Ehe – die Ausreißerin kam nach Frisco – Anstellung in einem Kleidersalon – als Modell – stieß auf den ersten Gehilfen – lebte mit ihm – hatte dann etwas mit dein ersten Kunden – beide flößten ihr Ekel ein – kam nach Hollywood, traf ihn – er wurde die große Leidenschaft ihres Lebens – der einzige Blick, den sie in die Berge warf – so hatte sie es gesagt. Es war merkwürdig, daß es Männer gab, die ihr ganzes Leben lang eine Frau liebten – aber Fanny verdiente es, geliebt zu werden – das Leben spielte ihr übel mit – sie ertappte ihn bei Velma – zurück nach Frisco – am Ende ihrer Kräfte – zog sich eine Grippe zu – Vorhang über Fanny! Einmal ging er halbbeschwipst an ihr Grab – eine dumme Laune von ihm – fand nichts als einen grüngrauen Stein – –

Fanny Adams
1900 bis 1925
Ihr gläubiger Gatte.

Ein Zugvogel der Leidenschaft, schweifte er weiter. Fanny glich ein wenig Daisy – er fühlte den wilden Galopp seines Herzens und legte die rechte Hand darauf – da mußte er an den Tod denken – wo würde er hingehen, wenn alles zu Ende war? Ob Fanny drüben Ketchell begegnen würde – wäre es nicht herrlich, wenn das nur eine Zuflucht vor dem ewigen Wirbel der Dinge wäre – dann konnte er Fanny treffen – wieder als Mädchen – sie konnten von neuem beginnen – aber er müßte auf Ketchell achtgeben – –

Wieder schrie die Eule. Seine Gedanken glitten zu Daisy zurück. Sie würde davonkommen – er würde sie ins Gebirge schicken – es war nicht ganz so, wie es hätte sein sollen – aber doch – es war ganz gut so – sie war nur einmal mit Bernard gegangen – der Unterschied war nicht so furchtbar – Bernard glotzte ihn an – –

»Ich werde ihm das Kinn brechen, dann bin ich mit ihm fertig – –«

Nebel vom Meere schwelte ins Zimmer. Er hörte die Sirene eines Schiffes. Er dachte an all die herrlichen Orte, die der Pazifik bespülte. Das kleine Mädchen, das ein Jahr in Guam verbracht hatte – weit draußen im Ozean – sie war wunderschön – hatte etwas, was sonst keine hatte – sie war eine liebe kleine Heidin – machte alle Anstrengungen, sich in eine Welt der Vorurteile zu finden, an denen sie zuletzt zerschellen mußte – wieder vernahm er die Sirene, dann lullte ein Plätschern der Pazifikwellen in der Mitternacht Santa Monicas seinen Geist ein – –

Seine Gedanken entwirrten sich, er wurde ruhig und traurig – –

Langsam stieg der Winter des Plakatiererstreiks in Ironton vor ihm auf. Er stieß den Gedanken an Jappers Tod von sich. Doch er kam immer wieder. Japper mit seinem zerschmetterten Kiefer – und verkrümmt wie eine sturmzerfetzte Vogelscheuche in einem Kornfeld von Ohio. Er wußte, daß Gewissen nur Gewohnheitssache war. Niemals hatte er auch nur einen Augenblick Mitleid mit Japper gehabt. Immer kam ihm der Gedanke – wie eine in den Lehrjahren aufgenommene Weisheit – »Es geschah ihm recht, er war ein Streikbrecher.«

Arbeiter fanden in ihm stets einen wohlwollenden Freund; wenn sie streikten, so hatten sie ihren Grund dazu. Was er an ihnen liebte, war der Aufruhr in seiner eigenen Seele.


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