Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7.

Jarnegan filmte eine große Tanzsaalszene. Die Ausstattung war von blendendem Prunk. Riesenleuchter glitzerten überall. Von weit oben schüttete ein Meteor von Licht seine gleißenden Fluten aus, die selbst den Sonnenschein ertränkt hätten. Ein Pfiff schrillte. Ein Elektriker knipste an einem Schalter, die Lichter erloschen.

Der Pfiff ertönte von neuem, eine Stimme dröhnte durchs Megaphon. – »Noch einmal proben – Licht!« Lichtströme ergossen sich. »Stundenlang kann diese Plage dauern«, sagte June, eine kleine Statistin mit sommersprossenbesätem Gesicht zu Dale Malone, »alles muß wie am Schnürchen gehen, bevor Jarnegan kommt.«

Härte lag über dem Gesicht des Hilfsregisseurs Jimmy Falon. Seine Augen rollten blutunterlaufen. Er warf Befehle hin. Er spielte die Rolle dessen, der er war – des bestbezahlten Hilfsregisseurs der Branche. Die Erzeuger behielten Falon scharf im Auge, da Jarnegan als der Regisseur bekannt war, der niemals einen finanziellen Mißerfolg hatte. Seine Arbeitsweise wurde von den anderen Regisseuren nachgeahmt. Doch Jarnegan wußte in seinem Werk als durchtriebener Alchimist Gefühl und Pathos, Lächeln und Tränen, Einsamkeit und Verlassenheit zu mischen. Wenn sich ein Regisseur Genie aneignen kann, was eine vielumstrittene Frage ist, so war Jarnegan einer, dem es gelang. Wenn nicht, dann war er von Haus aus ein Genie durch seine Fähigkeit, das Leben aufzusaugen, durch seine Rabelaissche Wucht und seine Intuition, die so unfehlbar war wie die siderische Zeit.

Erworbene Kräfte verschärften seine starren Umrisse. Der mutige Soldat war nun der befehlende General geworden. Der Held des Glückes stand nun an der Spitze eines Heeres. Er hatte rasch und viel gelernt. In einem Spiel, dessen meiste Spieler ungeschickte Glücksschmiede waren, stand Jarnegan nun allein und am höchsten. Unmoralisch wie ein Adler und nicht weniger unbekümmert, war sein Blick ebenso scharf und durchdringend. Falon erklärte oft, daß Jarnegan auch im Rücken Augen hätte. In einem Fach, wo fast alles schwindelte, um der Wahrheit auszuweichen, war Jarnegan offen bis zur Brutalität. Er brach sein gegebenes Wort nie, außer wenn er mit jungen Frauen zu tun hatte. Auch hier war er der Beherrscher seines Kreises.

Da er selbst aus dem Nichts emporgewachsen war, bewahrte er trotz seines grenzenlosen Zynismus einen Anstrich von Zärtlichkeit für die Niedrigen des Lebens. Nur daß er sie hinter einem schroffen Äußeren verbarg. Bloß wenige und meist nur junge Frauen vermochten es, ihm jemals nahezukommen. In seinen Worten und äußeren Handlungen trug er Haß gegen den Mob zur Schau. Aber die einzelnen aus diesem Mob warf er mit Mitleid und Verständnis auf die Leinwand.

»Ich hätte Schriftsteller werden sollen,« sagte er einmal zu Falon, »dann könnte ich auf dem Papier mit ihren billigen Herzen spielen.« Und dann mit einem tiefen Seufzer: »Aber verflucht, ich kann keine zwei Worte richtig schreiben.«

Einmal unterhielt er sich lange mit einer alten Frau, die als Statistin bei ihm arbeitete. Ihre Schultern waren gebeugt, ihr Gesicht von Kummer zerfressen. Falon begleitete sie am selben Abend nach Hause und schaute sich zwischendurch ihre jämmerliche Behausung an. Jarnegan schickte ihr von nun an jede Woche dreißig Dollar. Voll Dankbarkeit im Herzen bat die alte Frau, von ihm empfangen zu werden. Er schlug es aus.

Als er ein andermal mit Falon die Main Street hinunterspazierte, näherte sich ihm ein betrunkener und verkrüppelter Bettler. Falon warf Jarnegan einen raschen Blick zu und sah, wie es um die Winkel seines schmalen Mundes zuckte. Jarnegan legte dem Mann eine Goldmünze in die Hand und schob ihn beiseite. »Warum diese Mißgeburten gerade auf mich verfallen?!«

Bild: ihály Biró

Falon schwitzte wie ein Faßbinder, während er die Szene für seinen Meister stellte. Darauf bedacht, die Komparserie richtig zu verteilen und zu einem Ganzen zu verschmelzen, flitzte er hin und her, als hinge das Schicksal der Welt von seinem Tun und Treiben ab.

In der Höhe surrten und summten die glühenden Lichtkugeln eintönig wie ein Schwarm wilder Bienen.

Einige Männer schoben große Scheinwerfer vor das Podium. In einer Ecke der erhöhten Plattform machten sich zwei Operateure und ihre Gehilfen zu schaffen. Vor dem Set wurden Stühle aufgestellt, in der Mitte ragte ein hoher Sessel, auf dessen Rücklehne in großen Buchstaben »Mister Jarnegan« zu lesen war. Der Regisseur saß oft in diesem Stuhl, den Kopf in seine klobigen Hände gestützt, in sich versunken, unbekümmert um alles, was um ihn her vorging. Im Banne seiner Stimmung verhielten sich alle mäuschenstill. Oft, wenn die Apparate ratterten und die Geige schluchzte, saß er so da, schweigsam und die Hände vor den Augen.

Dann erhob er sich immer mit einem jähen Ruck, warf die rechte Hand blitzschnell in die Höhe und rief: »Schluß!« Die Apparate verstummten. Jarnegan erteilte eine Weisung, setzte sich dann mit der Hand vor den halbgeschlossenen, aber dennoch alles überblickenden Augen wieder hin.

Hinter den Palmen versteckt, spielte eine kleine Musikkapelle, die eigens für diesen Film engagiert worden war. Jarnegan hielt einen greisen Geigenspieler in ständigem Lohn, der wie ein Gemälde von Old Bull aussah. Mit gekrümmtem Rücken, die Geige unterm Arm, humpelte er umher. Das Musikverständnis des Regisseurs war ein intuitives, urwüchsig wie er selbst.

Mehr als einmal trat er an das Zerrbild des Old Bull heran und sagte: »Spiel' mir so ein paarmal ›My Old Kentucky Home‹ und zweimal die Zeile ›Der Tag geht hin, wie ein Schatten übers Herz‹.« Aus einem Kunterbunt von Volksliedern griff er ein bestimmtes heraus, das er liebte. Er konnte es nie richtig summen oder singen, ließ es aber während einer gefühlvollen Szene wieder und wieder spielen: »Was ich nur tu'.« Nachdem die Szene vorbei war, brummte er gewöhnlich: »Was ich nur tu-tu-tu-tu-tu-tu-tu, wenn du so fern von mir.« Ein zweites seiner Lieblingslieder war: »Aus dem Land azurner Fluten.« Er summte die erste Zeile richtig und fügte dann hinzu:

»Kam 'ne Indianerin, –
Ihr Leben war voll Kummer,
Doch ohne Bange ihr Sinn.«

Jarnegan mit seinem Herzen ohne Bange verweilte immer bei der letzten Zeile.

Als die Gruppen gestellt waren, ging Falon zu den zwei Extra-Girls. »June, mein Täubchen – hier – stellen Sie sich hier zu den Musikern und hören Sie dem Spiel zu – seien Sie ein braves Mädchen« – zärtlich faßte er Dale am Arm: »Und Sie, Miß Malone, bitte tanzen Sie mit.« – Er rief einen feschen jungen Mann herbei – »vielleicht mit Harry. – Kommen Sie, Harry, tanzen Sie mal mit dieser jungen Dame.«

Unermüdlich und barsch-höflich trat Falon vor und zurück und betrachtete die Gruppe.

»Noch immer nicht gut«, schrie er und vertauschte einige Paare. »Stellt euch so in der Mitte auf, daß die Kamera vor Miß Clare frei bleibt, wenn sie mit Slokum hereinkommt.« Dann zu den Musikern gewandt: »Wir brauchen einen langsamen Walzer. – Spielt einmal ›What'll I do?‹ und daß ihr mir euer Herz hineinlegt.« Er winkte dem alten Musikus: »Nehmen Sie sich den Stuhl neben Mr. Jarnegan und spielten Sie mit.« Dann schnalzte er einem Gehilfen mit den Fingern: »Spring hinauf und sag Miß Clare, daß die Szene fertig ist.« Er hob die Hand gegen die Musiker: »Hört jetzt mit dem Spielen auf, bis sie kommt – fangt wieder an, wenn Mr. Jarnegan die Bühne betritt.« Falon trat zu Dale und spielte nervös mit seiner großen Füllfeder.

Pauline Clare kam, Dale beobachtete sie gespannt – ein Traumbild voll Anmut und sinnlichem Reiz über allen Linien ihres schmiegsamen Körpers. Selbst die dicke Schminkschichte vermochte nicht das Samtgewebe ihrer Haut zu verdecken. Sie nickte und sagte leise zu Falon: »Hallo Jimmy – ist der König angekommen?«

»Ja«, erwiderte Falon. »Er wartet.« Er wandte sich um: »Geh' doch und sag' Herrn Jarnegan, alles sei bereit.« Der Gehilfe stürzte davon.

Auf dem Set kam Spannung über alle. Voll Gefühl spielte die Bande »What'll I do?«. Nichts regte sich.

Jack Jarnegan erschien und stellte sich dem Apparat gegenüber auf. Um seine schmalen Lippen spielte ein sardonisches Lächeln, als er die dreihundert prächtig gekleideten Frauen und tadellos angezogenen Männer überblickte. Ohne die geringste Anteilnahme streifte sein Blick die ganze Versammlung. Er überquerte die Plattform, änderte die Gruppierung um Pauline Clare.

»Hello, Mr. Jarnegan« – begrüßte sie ihn herzlich.

»Hello« – gab er geistesabwesend zurück.

Überall in Hollywood nannten ihn die Leute Jack. Auf dem Set sprach ihn ein jeder mit Mister an. Man hielt streng darauf.

Jarnegan war unabhängiger Regisseur. Er lehnte es ab, mit irgendeiner Gesellschaft einen langfristigen Vertrag einzugehen. Für die Regie eines Films bekam er fünfundsiebzigtausend Dollar. Wenn die Herstellung des Films mehr als zehn Wochen in Anspruch nahm, bekam er zehntausend für jede weitere Woche. In seinen finanziellen Gebarungen mit den Erzeugern war er rücksichtslos wie ein Blutsauger. »Wenn ich nichts mehr leistete, würdet ihr mich wie eine ausgepreßte Zitronenschale wegschmeißen. So lange ich also etwas leiste, verlange ich, was mir gebührt.«

Und er bekam es auch immer.


 << zurück weiter >>