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11.

Jarnegan lehnte sich im Wagen zurück und suchte seine teure Krawatte zurechtzurücken. Der Knoten verschnürte sich immer zu früh. Da packte er sie mit beiden Händen und riß sie herunter, als wäre sie ein Strang. »Zur Hölle mit dem verdammten Fetzen! Wer in aller Welt mag nur die Krawatten erfunden haben? Sicher irgendein Cakesfresser.« Er krümmte seine Schultern. »Bei Gott, noch ein solcher Film und ich bin ein toter Ire!« Er tappte mit der Hand nach dem Behälter am Wagenschlag und fand eine silberne Flasche. Dann knipste er das Licht ab und leerte sie. Er schüttelte sich heftig. – »Das verdammte Zeug könnte einen toten Neger zum zweitenmal umbringen. Aber es ist das Beste, was man zu kaufen kriegt. Dieser Alkoholschmuggler sollte Filmregisseur werden, er ist ein abgefeimter Schurke.« Er rieb sich die Augen, als ihm die Flüssigkeit zu Kopf stieg. »Wohin, in Teufels Namen, fahre ich eigentlich? Ich habe keine Lust, zu diesem elenden Souper zu gehen. Alle die verfluchten Lauskerle sind dabei.« Er überlegte ernstlich. Jarnegan trank eine chemische Zusammensetzung, die ihn jedesmal, wenn er zuviel trank, höllische Qualen erdulden ließ. Doch unbekümmert um dieses Leiden, war er darauf versessen, sich immer auf einmal für mehrere Tage zu betrinken. Zu solchen Zeiten war sein Geist immer ein unbeschriebenes Blatt Papier, darauf nur sein Trieb zur Unterwelt stand. Die Chinesen waren dann seine Lieblingsgesellschaft. Jedesmal, wenn er mehr als zwei Tage betrunken war, fuhr er ins Chinesenviertel von San Francisco. Dort wirkte das Temperament der gelben Bürger beschwichtigend auf ihn ein. Gewitzigt im wilden Kampf mit dem Leben, hatte er längst das Nutzlose dieses Kampfes eingesehen.

»He –« brüllte er. Der chinesische Chauffeur wandte sich rasch um und bremste. »Ist das alles, was es in dieser verdammten Karre zum Trinken gibt?«

»Nein – nein, Mista Jarlegan. Andere Seite auch.« Er machte eine Geste.

Jarnegan langte zwei Pinteflaschen heraus. »Heia heia – hier ist Vergessen für Regisseure und Sträflinge.« Der Inhalt der ersten Flasche gluckste seinen mächtigen Schlund hinab.

Er rülpste, wischte sich den Mund mit der knochigen Hand ab. »Heiliger Gott im Purgatorium, was für ein Hundsgebräu – beim Himmel – ärger als eine schmalzige Vettel mit Asthma.« Er warf die leere Flasche auf den Boden.

Der undurchdringliche Chinese grinste über die Stimmung seines Herrn. Jarnegans Schläfen hämmerten qualvoll.

»God-damn – hoffentlich versaufe ich mich nicht wieder – Jesus, heute abend will ich mich nicht betrinken – nur halb – ich werde auf meinen Schädel aufpassen und wenn ich ihn aufknacken müßte.« Er rieb sich die Schläfen. Die Augen fielen ihm zu – er brummte: »Ist das aber eine blöde Sache, das Filmen. – In Sand schreibt man mit seinem eig'nen Herzblut – die erste nichtsnutzige kleine Welle und das ganze ist fortgeschwemmt – man macht sich einen Sackvoll Geld und stirbt und wird vergessen –«

Er tirilierte:

»Die Würmer, sie kriechen ein und aus
Du sitzt in der Patsche, welch ein Graus –
Fühlst sie in Aug' und Ohr dir schleichen
Und Eier legen in deine Weichen –«

Seine Augen weiteten sich, er beugte sich vor und hob den letzten Rest an seine Lippen.

Geräuschvoll gurgelte er ihn seine Kehle hinunter. Schmerzwellen gingen von seinen Schläfen aus, trafen in seinem Hinterkopf zusammen und rieselten dann sein Rückgrat hinunter. »Himmelherrgott – was für ein nichtsnutziger Schweinekerl bin ich – was ich anrühre, verwandelt sich in Asche – ich bringe die Rosen zum Welken, beim Himmel – ich bin eine Seele in Glut – ich werde unbefriedigt sterben. Ich bin eine geschlechtstolle Metze und mein Mann ist ein Eunuch.« Die Namen der verschiedenen Mädchen flitzten durch sein Hirn – Ethel Slayden – Cherry Lindal – Mary Regan – Hope Devine – Arvie Alan – Pauline Clare – seine Gedanken verweilten bei Pauline. – »Vielleicht gehe ich hin – nein – ich hab' genug von ihr – ich will nichts vom Film wissen.« Evelyn Wells – eine nette kleine Witwe – nein – ich müßte ihre verdammten Rangen anhören – es heißt aufwachen, bevor sie schlafen gehen – die Blage – sie dünkt sich was – aber sie ist nicht die einzige Mutter im Film. – Daisy Carol – das arme Kind – ich darf jetzt nicht rührselig werden – Velma Irvin ist ein gutes Geschöpf – heute nachts geht sie mit Jimmy aus – Armer Schlucker, dieser Jimmy – er glaubt noch an den Nikolo und alles das –« Er lachte über den Humor, der darin lag. »Aber verdammt, ich liebe das Mädchen – sie ist so verflucht edel – ›Ich brauche nur dich allein, Jack – du bist der größte Baum im ganzen Wald.‹ – Das war hübsch – beklagte sich nie – bat nie um etwas und wollte mir immer Kleinigkeiten schenken – dieser gottverdammte Geologe stieß auf Goldstaub, als er sie fing – hatte nicht das Hirn, um es zu verstehen – wie hübsch sagte sie nur: ›Ich habe dich schätzen gelernt Jack, – der große Mann kam die Straße hinunter und ich wußte es nicht, Jack – du hast Äpfel zum Mond hinauf geworfen, Jack und ich hörte, wie sie die Krater hinunter rollten – Himmel, ich wäre glücklicher gewesen im alten Missouri, wenn ich gewußt hätte, daß ich dich treffen werde, Jack – nur für einen Abend – ein Jahr –‹ Herrgott, sie ist ein liebes Ding – ihr Lächeln ist Musik –« Er befahl:

»Fahr' nach Hause.« Der Lenker nickte.

Jarnegan dachte mit wachem Sinn: »Es wäre ein großer Gedanke, Schönheiten auf einer Insel zu züchten – und die verflixte Insel würde mir gehören. Zum Teufel, ich wollte, ich hätte einen Beruf, bei dem man seinen Kopf gebrauchen kann. Dieses hundsverfluchte Regieführen trifft auch ein Lausejunge. Herrgott, ich darf mich heute Abend nicht betrinken. Das letzte Mal bin ich fast daran krepiert – zehn Tage lang. Der Chink mixte Getränke, mixte und rollte Zigaretten – Weiber gingen aus und ein – Männer ringsherum – der verflixte Ort, eine Provinzstation – sie tranken sogar Essig – am elften Tag hatte ich Mühlsteine im Kopf – aber nie wieder!«

Es wurde ihm leichter zumute, er sang fröhlich:

»Hei, man nennt mich Sam McCall –
Und ich bin aus Donegal – Donegal.
Hei, man nennt mich Sam McCall – Sam McCall –
Und ich bin der größte Hengst, der jemals stand im Stall –
Stand im Stall –
Stieß die Bretterwände ein
Und begann wie toll zu schrei'n –
Und nun bin ich ohne Stall – ohne Stall.

Wer zum Teufel braucht 'nen Stall –
Grünt das Feld doch überall –
Überall –
Jedes Stütchen lacht und singt,
Bei der Lust, die Sam ihm bringt –
Dummer Fall –
Dummer Fall –
Dummer Fall –

War als Mädel frisch und drall,
Doch Mama und Papa
Steckten mich ins Zelt und ließen nicht zum Ball,
Nicht zum Ball –
Denn sie haben wohl gewußt,
Kost' ich Lenz- und Liebeslust,
Jedes Mädel kommt zu Fall in Donegal –
Donegal –

Und als Barnum nach Dublin kam,
Verging mein Vater fast vor Gram,
Denn da wurde Zirkusstrolch aus Sam McCall –
Sam McCall.«

Der Wagen holperte und der Sänger wurde nach vorne geschuppst.

»Hui, du Schlitzauge!« Der Lenker grinste, ohne sich umzudrehen.

Durch die Bäume sah Jarnegan die Lichter seines Hauses. Der Chauffeur fuhr langsam die sich krümmende Straße hinauf.

Mit brummendem Kopf erklomm Jarnegan die Treppe und dachte dabei: »Was mach' ich jetzt? Das Haus steckt voll von toten Iren – wie eine Leichenkammer.« Charlie öffnete die Tür.

»Hör' mal, Charlie, komm' du mit Konfucius ins Bibliothekzimmer. Bring' was zum Trinken mit. Sag' dem Burschen, er soll mit dem Wagen warten – gib ihm was hinunter.« Jarnegan schritt der Hall zu und blieb stehen, als er mit der Schulter den Rahmen eines Bildes streifte, auf dem zwölf Schafe blökten und im Schnee erfroren. In der Nähe erwarteten zwei Hunde ihr Ende. Weit und breit der weiße Tod. Durch qualmenden Dunst war ein schneebedecktes Kreuz auf einem Hügel zu sehen. Das Bild reizte Jarnegan zu wildem Spott. Er hatte es im Rausch gekauft.

Bild: ihály Biró

Ohne sich weiter darum zu kümmern, stand er da, hielt den Kopf gesenkt.

»Klingle mir Cherry an, Charlie, schick' den Burschen – nein – lass' sie mit einem Taxi holen. Ich will nicht, daß mein Wagen noch vor dem Studioklub herumsteht.«

Charlie schoß mit einem »Bitte serr, bitte serr« davon.

Ohne sich um die Gobelins, Bilder und Teppiche zu scheren, stürzte er ins Bibliothekszimmer. Dort angelangt, nahm er ein Buch vom Tisch. Er warf einen Blick auf den Rücken, schleuderte es dann fort. Er starrte in das knisternde Reisigfeuer, als Konfucius mit einem Tablett eintrat, auf dem Getränke und ein Eiskübel standen.

»Schenk' mir rasch ein, Fuke«, befahl er.

Der Bursche schenkte ein, Jarnegan spülte es hinunter.

Er schenkte von neuem ein, Jarnegan verschluckte es eben so rasch. Wieder nahm er ein Glas aus der Hand von Konfucius und leerte es in einem Zug. Er rülpste und griff in seine Hosentaschen nach einem Taschentuch. In der Tasche raschelte etwas. Es war ein zerknüllter Brief. Er entfaltete ihn und entzifferte die mit kindischer Unsicherheit hingekritzelten Sätze:

»Lieber großer Jack!

Ich hatte vergangene Nacht einen allerliebsten Traum von Dir. Ich war so müde, daß ich lange keinen Schlaf fand. Dann auf einmal kauerte ich mich eng an Dich, wie an den Abhang eines Berges in der Sonne. Es war mir so warm. Dann erwachte ich und du warst nicht da. Die Pflegerin sagte mir, Du wärst hier gewesen, während ich schlief und bist wieder fortgegangen. Schande über Dich!

Ich schwöre Dir, Jack, was ich Dir immer sagte, ist wahr. Bei Gott es ist wahr. Ich konnte mir nicht helfen. Er war nahe daran, mich zu töten, lieber Jack – Du weißt nicht, wie wehe er mir tat. Aber trotzdem, Du lieber alter Bär. Du, der Doktor sagt, ich werde bald wieder ganz hergestellt sein, wenn keine Blutvergiftung oder dergleichen eintritt. Jack, lieber Jack, ich liebe keinen anderen als nur Dich. Wie könnte es auch anders sein? Oh, wenn Du weggehst, sieht der Doktor selbst so ganz Dir ähnlich – –«

Er legte den Brief zusammen und starrte ins Feuer, dann warf er das Blatt in die Flammen. »Arme kleine Daisy.« Er seufzte und wandte sich wieder dem Trank zu.

Mit der aufwallenden Leidenschaft in Herz und Hirn, mit dem prächtigen Körper, in dem das Fieber brannte und mit dem alkoholdurchtränkten Kopf wanderte er zu all den Brücken zurück, die er je gekreuzt hatte – –

Cherry Lindal in New York – jedermanns Spielzeug. Er gedachte der Nacht, in der er sie zuerst getroffen hatte – vor fünf Jahren. Eine wilde Lust kam über ihn. Vor fünf Jahren – das Verrauschen der Jahre tat ihm weh. Eine kleine Mahagoniuhr schlug. »Räum' die Uhr weg, Fuke.« Der folgsame Diener trug sie hinaus.

Jarnegan brütete –. Wann kam wieder ein Tag, an dem er sich an einem schönen Mädchen erfreuen konnte? Er schauderte zusammen, griff nach einem neuen Glas. Es war ergötzlicher, an Cherry zu denken. Eine Schande, wie sie ihn vernachlässigte – sie war noch ein blutjunges Geschöpfchen – ein zierliches kleines Fräulein – war der Schlager der Follies gewesen, als er sie aufgegabelt hatte – sie sich zu Willen machte und sein Wort brach – eine Höllenschmach – das kleine Ding war zu barmherzig veranlagt – ein fügsames kleines Küchlein – aus dem Ei gekrochen, um Köchinnen auszuhelfen. Er lächelte grimmig.

Cherry war aus einem Kurzwarengeschäft in die Follies gekommen. Auch war sie in zwei Jahren durch drei Spitäler gewandert. »Das arme Tierchen«, dachte er.

Ihr Vater war Seilhändler gewesen – ihre Mutter eine abgehärmte baskische Zigeunerin, die zur religiösen Mystikerin geworden war. »Ein nettes Zwitterding«, brummte er.

Seine Gedanken glitten zu dem kleinen spanischen Mädchen hinüber, das er auf einer Wiese geliebt hatte. Spanien, ein Panorama voller Schönheit, zog an seinen Augen vorbei. Die Erinnerung an das Mädchen lullte ihn einen Augenblick ein. Von neuem war er der Wanderer einer Zeltkarawane auf einer sonnigen Straße Spaniens.

Er packte das Glas. Der Chinese stand reglos vor dem Tablett.

»Ho, ho, Fuke«, gröhlte er – »pack' sie, wenn sie jung sind – sei brutal zu ihnen – sag' ihnen nichts – nimm sie, wo du sie findest und lass' sie liegen, wo sie liegen.«

Cherry konnte ihn gleich so vielen anderen Mädchen bezaubern, wenn er in der Stimmung war. Ihr Gesang und Tanz rührte an etwas aus fernen Jahrhunderten in seiner gallischen Seele. Er hatte ihr oft befohlen, ihn zu umwirbeln – nackt – in einem tollen römischen Fandango. Am meisten liebte er in Cherry die Zigeunerin. Wenn sie mit ihm war, machte sie immer den Fehler, die Artige zu spielen.

Jarnegan aber hatte sie zerschmettert. Nach einigen wilden Monaten mit ihm hatte sie lange nicht wieder zur Musik getanzt. Er ging nach New York und setzte ihr fünfzig Dollars in der Woche aus. Dann kam sie in den Studioklub und machte sich, an Herz und Hirn betäubt, daran, die Trümmer ihres zerschellten Lebens um sich zusammenzuklauben.

Einige Fältchen umfurchten ihre Augen. Das war alles.

Jarnegan, gleichgültig, schroff, voll Verachtung, hatte ihr oft gesagt, daß sie ein Teil seines Lebens wäre. Ein geborener Psychologe, gönnte er den Frauen jede Illusion. Aber Cherry war nur eine kleine Station seiner sturmbewegten Fahrt.

Grausam wie er war, blieb Jarnegan der einzige, der etwas – und sei es auch nur Chaos – in ihr Leben gebracht hatte.

»Herrje – bin ich verrückt – zum Teufel hinein – heda, Charlie«, brüllte er. Charlie öffnete die Tür. In seinem gelben Gesicht lag keine Spur von Sorge. Kein Wind von Leidenschaft blies durch sein Gehirn. Seine unverrückbare Miene – von der gelben Hand der Jahrhunderte gemeißelt, warf über Jarnegan den Schimmer eines augenblicklichen Friedens. Der Regisseur blickte auf seinen Diener, der in so manchen Dingen sein Meister war. Doch Jarnegan wußte darum. Er sagte – mit einem Anstrich von Ergebenheit in seiner Stimme: »Charlie, ich bin müde – wieder schwirren mir die Mädels durch den Kopf. –« Dann – als die alte Entschlossenheit wieder kam:

»Schick mir rasch Cherry her. – –«

Charlie erwiderte: »Sie nicht hier sein heute abends, Mista Jarlegan. Sie drüben in kleines Mädchen Haus. Sie anderem Mädchen gesagt, sie Ihnen sollen sagen, wenn Sie sie rufen, sie sein heute abends fort. Sie morgen wiederkommen. Mädchen sehr krank.«

Erbittert wandte sich Jarnegan ab. »All right. Himmel, immer ist jemand krank – die ganze vertrackte Welt wird zu einem Spital.«

Er wandte sich jäh um.

»Verbinde mich mit Velma – sag' ihr, Jack Jarnegan wünscht sie zu sprechen.«

Charlie war fort.

Kehrte nach einer Minute zurück.

»Sie am Apparat.«

Jarnegan ergriff die Muschel.

»Hallo – Velma – Jack spricht – wie geht es Ihnen, Kleine – das ist fein. Hören Sie, mein Kind – ich bin hier verlassen wie ein Hund – Sie haben eine Verabredung – Jimmy hat mir's gesagt – wir sind heute fertig geworden – wieder ein Kunstwerk – ja – bestimmt verwende ich Sie im nächsten Film – Sie haben mein Wort – wir werden Ihnen eine Rolle schreiben lassen. –« Er machte eine Pause, während Velma sprach.

»Aber Velma – ich verlange auch etwas von Ihnen – bringen Sie dieses kleine Mädel zu mir – Sie wissen schon – Malone – so heißt sie, glaube ich – die diese Woche bei uns gearbeitet hat. Wir machen eine Viererrunde, Schatz – wir gehen zu viert irgendwohin speisen – rufen Sie Jimmy an – er wird schon wissen – all right – all right, fragen Sie sie gleich –«

Neue Pause. Jarnegans Miene wurde sanfter.

»Sie kommt, he? – fein – Charlie wird jetzt gleich ein Taxi um sie schicken.«

Jarnegan entfernte sich vom Apparat, rieb sich vergnügt die Hände. »Man bringt nicht alle Katzen auf die gleiche Weise um, bei Gott«, sagte er zu sich.

Sein Gesicht veränderte sich, seine Lippen preßten sich fester zusammen, seine Züge strafften sich. Bloß der gequälte Ausdruck seiner Augen zeugte von innerer Unruhe.

Jeder Gedanke an Cherry war verflogen.

»Ich muß auf die Kleine Eindruck machen – Donnerwetter, ist das ein hübsches Ding – na, sehen wir mal zu – Portsmouth – 'ne bessere Stadt – wen kenn' ich dort? – Ich werde sie fangen – ich hab' von ihren Leuten gehört – sie wird mir schon das Stichwort geben – Schriftstellerin – ist gut. – Ich weiß darüber zu schwatzen – Phrasendrescherei über Filmideale – Mädchenehre, die hier natürlich ebenso sicher ist wie überall in der Welt – ja sogar noch sicherer – ich werde mich darüber auslassen, wie schwer es die Stenotypistinnen bei Geschäftsleuten haben. – Vermutlich ist sie eine Katholikin – wird auf den Religionsquatsch einschnappen – ich werde ihr erzählen, wie ich dem Bock beim Altar aushalf – aber ich sage lieber nicht Bock – vielleicht hält sie den Priester für eine Ziege – ich zeige ihr die Bilder und Bücher – mir scheint, ich habe alles hier – die ganzen Sachen von Dickens – ich werde ihr meine Einsamkeit klagen – das zieht – ich sage ihr, ich bin noch auf der Suche nach der idealen Frau – dann glaubt sie, sie ist es. – Aber zum Teufel, ich werd' es schon treffen – ich hab' noch nie versagt.« Er zuckte selbstvertrauend die Achseln und griff nach dem Glase.

Als er merkte, daß Konfucius nicht im Zimmer war, brüllte er: »He, Fuke, schaff' die Leichen weg.« Konfucius stürzte um das Tablett herein. »Bring' mir meinen Hausrock – rasch!« rief ihm Jarnegan nach.

Er zog den Rock an und ging zum Haupteingang, an dem Charlie wartend stand. Nach kurzer Zeit hörte man in der Nähe einen Motor surren.

»Führe sie in die Bibliothek«, sagte Jarnegan leise.

Er ließ sich vor dem Kamin nieder und wartete. Gleich darauf teilte sich der Vorhang und Falon trat mit den beiden Mädchen ein.

»Hello, Jimmy, my boy – hello, Velma.« Er trat mit einer artigen Bewegung zurück – wartete darauf, Dale in aller Form vorgestellt zu werden.

Velma trat näher und stellte die beiden einander vor.

»Ja, Miß Dale – ich erinnere mich vom Set her an Sie. Sie sind eine allerliebste Filmerscheinung. Ich sah gestern die Rohfilme im Projektionssaal. Sie stechen hervor«, flunkerte Jarnegan.

Dale errötete. »Ich danke Ihnen, Mister Jarnegan. Sie waren vergangene Woche furchtbar nett.«

»Das freut mich sehr. Ich gebe mir Mühe, mich zu benehmen – aber Sie wissen ja – wenn man den Kopf mit dem Filmen voll hat – und alle die Kleinigkeiten – well, ich weiß nicht, was ich ohne meinen getreuen Flügeladjutanten täte.« Dabei wandte er sich Jimmy zu. »Aber wollt ihr nicht Platz nehmen?« Er wies Velma und Falon Stühle an und nahm Dale am Arm. Ihr Körper erschauerte unter der Hitze seiner Berührung. Während sie sich setzte, streichelte er scharmant ihre Schulter. Abermals antwortete ihr Körper unbewußt.

»Ich kam gerade zur rechten Zeit in den Klub, um dir ein Taxi zu ersparen, Jack«, sagte Jimmy lächelnd.

»Fabelhaft«, lachte Jarnegan. »Du hast immer mit dem Geld der Erzeuger gespart. Will jemand von euch etwas trinken?« Er drückte auf einen Knopf.

»Charlie« – er hob die Hand. Der Diener nickte verständig. Im Nu erschien er mit einem Tablett.

Jeder wußte vom anderen, daß er trinken würde, nur über Dale war man im Zweifel. Die zwei Männer blickten auf sie. Velma sah auf Jarnegan. Ihre Blicke trafen sich.

»Ich werde Ihnen ein kleines Tränkchen brauen, Dale – Sie brauchen nichts zu sagen – trinken Sie gern Ingwerbier? – All right. Ich werde Ihnen ein ganz kleines Schlückchen Scotch dazugeben.« Sie mixte sich vorsichtig den Trank. Als sie sich über das Tablett beugte, ließ Jarnegan seinen Blick über die Umrisse ihrer Figur in dem ärmellosen, enganliegenden roten Satinkleid gleiten. Dales Blick folgte dem seinen, während er über die schlanke, scharlachrote Anmut ihres Körpers streifte.

Die drei tranken unbekümmert drauf los, sahen dann höflich auf Dale. Sie nippte an ihrem Glas, den anderen ein Bild naiver Unschuld.

»Gott – es ist so wunderbar, daß man Unschuld und Schönheit vereint in Hollywood findet«, sagte Jarnegan mit einem erstaunten Blick auf sie. »Warum konnten wir einander nicht in Ohio treffen, Miß Malone? Nein – nein –« er schüttelte den Kopf, »das ist ein leerer Traum.« Er starrte ins Feuer.

»Aber ich war in Ohio beschäftigt – und ich bin bestimmt fünfzehn oder achtzehn Jahre älter als Sie. Kämpfer altern schnell. Und ich bin ein Mann, der viele Kämpfe hinter sich hat.«

Jimmy zog sich mit Velma in eine Ecke zurück.

»Der Junge läßt mich nie im Stich«, dachte Jarnegan. »Ich muß ihm einen Regisseurposten verschaffen. Aber ich verliere ihn so ungern – wer in aller Welt soll ihn mir ersetzen?«

Er wandte sich an Dale:

»Lieben Sie Ohio?«

»Ja und nein – jetzt bin ich froh, daß ich nicht mehr dort bin.«

»So wie ich«, stimmte Jarnegan bei. »Für mich war es ein Kerker, in mehr als einem Sinne. – Ihre Eltern leben noch dort?«

»Nein – sie sind beide tot. Vater starb erst vor kurzem und da entschloß ich mich, hierherzukommen.«

»Hieß er nicht Jerry Malone?« riet Jarnegan.

»Nein – sein Name war Patrick«, erwiderte Dale ein wenig verwundert.

»Aber mir scheint, ich erinnere mich an ihn. Vor langen Jahren kam ich sehr häufig nach Portsmouth.«

»Ich habe ihn von Ihnen sprechen hören«, sagte Dale.

Jarnegan lachte. »Eine Menge Leute sprechen da drüben von mir. Ich bin der Kerl, den sie für einen Tolpatsch hielten und der das Rennen gewann – aber viele Leute sagen mir natürlich nichts Gutes nach.«

»Vater hat immer schön von Ihnen gesprochen. Ich erinnere mich an einen Winterabend, an dem er lange von Ihnen sprach – es stand etwas in den Zeitungen.«

»Warum sind Sie nicht auf dem Set zu mir gekommen, um mit mir über Ohio zu plaudern?« fragte er.

»Wie durfte ich es?« sagte sie zaghaft. »Ich hatte Angst vor Ihnen.« Dale errötete. »Jetzt sind Sie so ganz anders.«

»Vor mir brauchen Sie niemals Angst zu haben – ich habe mein Lebtag nur noch einen gebissen – und auch der starb nicht daran.«

Velma und Jimmy plauderten weitab.

Dale lächelte.

Seinem Hellblick war es klar, daß Dale ihn liebte. Ein Gesetz, das über ihm stand, hatte es so bestimmt – jetzt hieß es Sanftmut zeigen – sie hatte jüngst ihren Vater verloren. Aus der tiefen Quelle seines Lebens schöpfte er einen Tropfen Mitleid – das arme Ding – man war am Anfang immer so verteufelt einsam in Kalifornien, – eine gelinde Wehmut überkam ihn – er dachte zurück.

Er stand mit dem Rücken zum Kamin – die Arme verschränkt – die starken Muskeln seiner Schultern schwellten den seidenen Rock.

Dale, kaum bis an seinen Bizeps reichend, hatte ein Gefühl sonderbarer Geborgenheit – spürte einen unwiderstehlichen Zwang in ihrem schönen Körper.

»Kennen Sie die Brannigans – aus Ironton?« fragte er.

»Ich habe von beiden gehört. Der eine ist hier bei einer Zeitung, nicht wahr?«

»Ja – Patsy –« antwortete Jarnegan. »Beim ›Bulletin‹.«

Eine Pause entstand. Dale rieb sich die Schläfe.

»Hat Ihnen das Bier nicht bekommen?« fragte Jarnegan besorgt.

»Nein, nein,« lachte Dale, »es brummt mir bloß ein wenig der Kopf.«

»Ich wollte, es wär' auch bei mir so – mir verursacht das Trinken Erdbeben im Kopf.« Während Dale ins Feuer blickte, merkte der Regisseur die Sehnsucht in ihrem Blick.

Er senkte die Arme.

»Ich bin sicher, daß ich mehr als einmal mit Ihrem Vater in Portsmouth sprach – er war ein stattlicher Mann, nicht wahr? – eher breitschultrig –« riet der Regisseur weiter.

»Nein,« erwiderte Dale, »er war ungefähr so groß wie Sie und hatte ein hölzernes Bein.« Sie sah zu ihm auf. – »Sie erinnern mich ein wenig an ihn.«

»Na, na –«, sagte er mit seidenweicher Stimme. »Ich hoffe, die Erinnerung ist eine angenehme.« Er legte den Arm sanft um sie. Sie rührte sich nicht. Der Scharfblick Jarnegans las die Einsamkeit in ihrem Gesicht und wußte, daß sie sich nicht rühren würde.

Er drückte sie leise an sich und sagte: »Armes kleines Mädchen – Sie brauchen einen Beschützer – aber ich nehme an, Sie haben einen braven, jungen Liebhaber da drüben in Portsmouth – alle Mädchen von Ohio haben Verehrer.«

Wieder blickte Dale zu ihm hinauf: »Nein – Sie irren.«

»Niemals einen gehabt?« fragte er doppelsinnig.

»Nur Freunde«, antwortete sie treuherzig – und fügte sonderbar drollig hinzu: »Sonst niemals einen.«

Jarnegan fühlte die Schlacht gewonnen und zog seinen Arm weg. Fragte: »Noch ein Gläschen?«

»Nein, danke«, wehrte sie ab. »Lieber nicht.«

Er drängte sie nicht, sondern rief zu Jimmy hin: »Kommt, Kinder, die Getränke warten – Miß Malone und ich haben uns soeben angefreundet.«

Velma und Falon schlossen sich Jarnegan beim Trinken an.

»Ihr habt doch gegessen, Kinder? Ich glaube, ich werde Miß Malone begleiten und irgendwo auf dem Ventura Boulevard zu Abend essen – ich habe jetzt keine Lust dazu.«

Velma wandte sich zu Jarnegan und fragte laut:

»Aber Sie geben ihr nicht meine Rolle im nächsten Film – nicht wahr, Jack?«

»Nein, meine Beste – ich werde nächstens die ›Sieben törichten Jungfrauen‹ drehen und da kriegt ihr alle eine Rolle.«

Velma flüsterte ihm zu … »Wie wollen Sie in Hollywood sieben Jungfrauen zusammenbekommen?«

»Wir werden ein paar prominente Männer nehmen – und Charlie Chaplin«, antwortete er.

Langsam schritt Dale mit ihnen der Türe zu. Von der Kraft seiner Persönlichkeit fortgerissen, merkte sie gar nicht, daß Jarnegan es als ganz selbstverständlich auffaßte, daß sie zusammen weggingen.

Dann in der Limousine, während der Fahrt den Ventura Boulevard entlang schlug Jarnegans Stimmung um und wieder um, wie das Aprilwetter in Ohio. Er war glücklich, daß er Jugend und Schönheit neben sich hatte. Er dachte an Alice Toren – das Mädchen an seiner Seite sah ihr ähnlich – nur daß ihm deren Vitalität fehlte – aber Alice war tot. Von hundert Männern vernichtet – und dieses Frauchen hier war frisch … aber Alice hatte auch etwas in sich gehabt …

Der Wagen erklomm die Hügel. Er blickte hinunter ins San-Fernando-Tal. Die riesenhafte Landstrecke, seit Jahrhunderten von der Sonne überglüht, lag jetzt da, ein vom Mond durchfiltertes Tal.

Das Bild rührte ihn. Er fragte sich, wo jetzt Jonathan, der Spender des Lebens, sein mochte – ein komischer alter Kauz – er fragte sich, ob die Ufer des Salzsees zu erzählen wüßten, wo er war … Ein Licht, weit oben in den Bergen, fesselte seinen Blick … das mußte der Wilsonberg sein – er sah durchs Fenster zum Mars hinauf – er war rot – so hatte es ihm jemand erzählt. Ein Stückchen Mond, gekrümmt wie die Kufe einer Kinderwiege, stieß hinterm Berg hervor – auch Dale genoß den Anblick. Unbewußt rückte sie ihm näher, um die rote Mondsichel besser zu sehen. Er berührte sie sanft und fiel in seine frühere Stimmung zurück.

Er fragte sich, wohin Daisy, wenn sie stürbe, gehen würde – vielleicht würde sie auf dem Mond weiterleben. Wenn der alte Jonathan recht hatte – ja wenn er recht hatte – so besaß Daisy bestimmt die Seele der Duse – Quatsch – die Duse war noch nicht so lange tot … vielleicht die der Alice Toren – Quatsch – die beiden waren so verschieden … eine geraume Zeit spielte er mit dem Gedanken. Als sie wieder beim Studioklub ankamen, half er Dale aus dem Wagen und sagte:

»Gute Nacht, Kindchen … ich werde Sie noch wiedersehen – es war mir ein Vergnügen.«

»Mir auch,« entgegnete Dale mild … »es war recht hübsch.«

Sie fand lange keinen Schlaf. In Portsmouth hatte jedermann davon erzählt, was für ein schrecklicher Mensch Jack Jarnegan war – ihre irischen Freunde hatten alle Erzählungen von ihm mit dem Satz beendet: »Der, der früher Jack Muldoon hieß.« Aber sie empfand es anders. Sie hatte den Löwen in der Stimmung eines Lammes angetroffen. Lange dachte sie über ihn nach.

Jarnegan kehrte in seine Wohnung zurück und saß bis tief in die Nacht hinein da – reichlich trinkend – brütend.

Endlich ging er schlafen.


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