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14.

Jarnegan ging in sein Schlafzimmer und rief Konfucius.

»Ich will jetzt ein paar Stunden nicht ausgehen – bring' ein ordentliches Maß Schnaps.«

Sein trotziger Mut fiel wie ein abgetragener! Handschuh von ihm. Er war jetzt das, was die Frauen in ihm liebten – das verprügelte Kind, das nie ein Großer geworden war.

Ohne sich um das Glas zu scheren, hob er die Karaffe an den Mund. »Da nützt kein Leugnen«, dachte er. »Es ist, als wollte man mit dem Finger ein Loch ins Wasser bohren. Cherry hat es gesagt. – Nun, ich lass' diese ganze verdammte Stadt stehen – ich laufe so weit, daß es zehn Dollar kosten wird, mir eine Postkarte zu schreiben. Ich stöbere mir irgendeine Insel im Pazifik auf – wo die Mädchen gelbe Haare haben und Augen, grün wie Gras – ich lass' den ganzen Krempel hier Hegen und sage diesen Halbmenschen Valet.«

Er blieb den ganzen Tag im Zimmer und trank beharrlich.

Mit zwei Stunden Verspätung traf er in Falons Wohnung ein. Die Stirne gefurcht, taumelte er ein wenig beim Eintreten. Dann stand er fest.

»Er ist in streitbarer Laune«, dachte Jimmy, als er ihn mit Velma und Cherry begrüßte.

»Bedaure, Jimmy«, entschuldigte er sich. »Brütete zu lange über einer Flasche.«

Er ließ seinen Blick rasch durchs Zimmer schweifen.

»Ist es nicht gemütlich hier?« fragte Cherry.

Jarnegan sah zu dem gelben und schwarzen Bild der Kathedrale von Reims hinauf.

»Gott, ja – man fühlt sich im Hause eines Großkaufmanns. Jimmy sucht sich immer so verteufelt hübsche Wohnungen aus. Es fehlt nur noch das Bild des Präsidenten.« Er warf seinen Hut auf ein Sofa.

»Ich hab' auch eine hübsche Aussicht auf den Hollywood Boulevard«, sagte Jimmy.

»Der Teufel soll ihn holen!« Jarnegan versuchte zu lächeln. Sein Diener schob ihm einen Stuhl hin. Er setzte sich und begann die Sessellehne mit seiner flachen Hand zu schlagen.

»Nun, was hört man Neues?« fragte er.

Die Drei sahen einander an, als wüßten sie nicht, was sie sagen sollten.

Er fragte wieder: »Wann ist das Begräbnis?«

»Morgen«, erwiderte Jimmy.

»Morgen?« wiederholte Jarnegan. »Morgen ist es aus mit Daisy – oder nein – gestern war es schon aus.«

»Oder es begann erst«, zögerte Velma.

»Sprich nicht in Rätseln, Mädel«, schnarrte der Regisseur.

Der Diener meldete das Abendessen an.

»Ich hab' jetzt keinen Hunger, aber ich setz' mich zu euch und trinke was«, sagte Jarnegan, sich erhebend. Er nahm aufs Geratewohl eine Zeitung, blätterte gleichgültig darin, bis er auf die Filmrubrik stieß. Ein Leitartikel fiel ihm ins Auge. – –

BERNARD MIT DER REGIE VON
»LEIDENDE FRAUEN« BETRAUT.

Angestellte der Tru-Art kündigen seine Berufung an.
Jack Jarnegans Zurücksetzung wird nicht begründet.
Krisengerüchte in Hollywood.
Anspielungen auf den Sittenparagraphen.

Die Betrauung von Edward Bernard mit der Regie des großen Ehefilms der Tru-Art »Leidende Frauen« wirkt in der ganzen Branche wie eine Bombe. Gründe werden keine namhaft gemacht. Vor einigen Tagen erst hieß es offiziell, daß der Film von Jack Jarnegan inszeniert werde. Die gesamte Filmwelt zerbricht sich den Kopf darüber, warum die Kombination Jarnegan derart unvermittelt rückgängig gemacht wurde.

Jarnegan erfreut sich in der Branche seit Jahren eines guten Namens als der erfolgreichste Regisseur von Familien- und Ehebruchsfilmen. Bernard hat sich nie in größeren Sachen als Wildwestdramen versucht. Jarnegan begann seinerzeit als Bernards Hilfsregisseur.

Jarnegan erhob sich von seinem Sitz. Im Zimmer wurde es dunkler.

»Gott verdamme sein Herz. Ich schicke ihn dorthin, wo er hingehört! Geht euch das ein? Sie wollen mich dem Kerl zuliebe absägen! Verdammt, warum hat das dumme Ding meinen Namen geschrien? Möglich, daß Bernard die Pflegerin und den Arzt bestochen hat! War ich aber ein Dämelack! Bei Gott! Ich erwürge ihn – ich – ich – verflucht sei seine tückische Seele! Der Saukerl! Er hat mir schon genug eingebrockt. Ich werde ihm seinen Trödlerhumor austreiben – ich renne ihm meine Faust durchs Herz!«

Jarnegan sprach laut – die Zeitung knisterte in seiner Hand. Alle drei blickten auf ihn.

»Geht euch das ein?« schmetterte er. »Bernard kriegt die Regie von meinem Film. Ich klage diese Juden ein – diese Christusmörder! Bei Gott! Diese Juden machen mich zum Bock. Sie wissen, daß ich unschuldig bin. Ich habe die Kleine nie mit einem Finger berührt. Ich gab dieser verrückten alten Tante noch Ratschläge und versorgte sie mit Geld. Jemand bestach die Pflegerin – entweder die Juden oder Bernard – sie alle stecken unter einer Decke.«

»Sie können dir nichts nachweisen, Jack«, murmele Cherry.

»Das ist das Verflixte dran«, erklärte Jarnegan. »Wenn das Mädel noch lebte oder der Tante nicht die Lungen ausgegangen wären! Vielleicht ist es besser, wenn die Tante abschiebt. Sie ist imstande und beschwört, daß ich es war. Sie war immer wie närrisch auf das liebe Geld.«

Ein hysterischer Lachanfall kam über Jarnegan. »Aber den Bernard krieg' ich dran. Und auch diesen Leedman krieg' ich dran – ich werde ihnen die Schädel wie zwei Ostereier aneinander schlagen. Ich werde einen Film im Weißen Haus drehen, mit ihnen als Statisten. Ich werde ihnen zeigen, mit wem sie ihren Spaß treiben, meiner Treu, ich werd's ihnen zeigen! Ich drehe einen Reisefilm von hier zum Mond. Ich mache einen Film, in dem der Papst Drillinge kriegt. Ich werde die Heilige Jungfrau präsentieren, wie sie vom Heiligen Geist empfängt. Ich drehe einen Film ohne ein einziges Weib. Hoho, ich werde den Lumpen zeigen, wer ich bin und was ich kann – jetzt haben sie mir die Sporen gegeben!«

Er trat hastig ans Fenster und starrte auf den sich meilenweit erstreckenden lichtüberfluteten Boulevard hinaus. »Verbinde mich mit dem Bulletin – verlange Patsy Brannigan – –«

Er stürzte ans Telephon – –

»Hallo, Patsy – nimm die Beine in die Hand und schieß' her. Ich brauche dich.«

»All right, Jack«, kam es zurück.

»Wenn Patsy Brannigan kommt, geht ihr alle mit mir zu Leedmans Gesellschaftsabend. Mit mir wollen die Schufte Verträge machen und sie brechen. Nein! Bei mir verfängt ihr Sittenparagraph nicht. Ihr wißt, wie sie es mit dem armen George Nash getrieben haben. Nehmen ihn auf fünf Jahre – bringen ihn dann mit einem Mädel ins Gerede und drehen ihm einen Strick aus dem Sittenparagraphen. Unsittlicher Lebenswandel. Die Läuse!«

»Bring mir was zum Trinken, Fuke«, befahl er dem kleinen Gelben, der ihn eifrig bediente. Konfucius lief um Schnaps und Jarnegan folgte ihm mit den Blicken.

»Dieser Chink ist ein brillanter Bursche – ich lasse ihn nach China schwimmen und mir ein Weib verschaffen. Er wird's tun – –«

Sein Tonfall änderte sich. »Diese Chinks sind die einzigen Freunde, die ich habe. Dieser kleine Teufel brachte mir einmal ein Geschenk, und ich weiß, daß er sich's nicht leisten konnte. Dieser gute alte Plattfuß, dieser Charlie würde einen mit Selchfleisch gefütterten Juden für mich auffressen.«

Er blickte um sich.

»Patsy Brannigan, das ist mein Mann – wir werden den Kerlen heimleuchten. Die Brannigans, die taugen zu so was. Irische Spezialität – heimatliche Fechsung. Sie sind meine Kumpane. Sie lieben mich. Sie wissen, daß ich ein großer Künstler bin, bei Gott, und nicht ein Buchhalter mit Bühnenkenntnissen – und ich habe bis heute noch keinen einzigen anständigen Film gedreht – aber ich kenne den Hokuspokus – ich kann eine Frau den Kittel so aufraffen lassen, daß der Papst Spazierlust kriegt – ich kenne das Zeug – und sie wissen, daß ich's kenne. Sie geben mir im nächsten Jahr eine halbe Million oder ich drehe überhaupt keinen Film mehr – ich nicht. – Ich geh' zurück zum Trampolin oder zum Stemmen – ich kann ein Pferd in die Höhe heben – ich leg' einen Bären – ich bin kein Süßholzraspler von einem Regisseur – ich bin ein Mann. Hör' zu, Cherry – ich will dir etwas sagen – du bist zu hübsch für mich. Ich möchte dich in einem Rahmen haben – mit Matratzen ringsum. Und du Velma – die einzige Frucht, die sie in Utah nicht pflückten – ich möchte meinen Anteil an der Hölle losschlagen und dir vom Erlös ein Häuschen in Georgia kaufen.«

Konfucius stand mit einem Tablett voll Schnaps vor ihm. Er nahm zwei Gläser.

»Trag's herum, Fuke – ich will nicht allein trinken – –«

Jeder nahm ein Glas vom Tablett und nippte daran. Jarnegan leerte beide Gläser und schnalzte mit den Fingern. Konfucius kam eilig mit einem frischen Tablett gelaufen. Wieder nahm er zwei Gläser, trank sie aus – rülpste – warf den Kopf zurück – –

»Jesus, was das für ein Tag ist – man könnte glauben, ich habe die zwölf Apostel ermordet, weil sie Leedman vergewaltigt haben. Aber sie werden mich nicht klein kriegen, beim Teufel – sie haben es schon früher versucht – aber es gelang ihnen auch damals nicht. Gib ein frisches Glas her, Fuke.«

Er sah auf die Tür. »Wartet, bis Patsy kommt. Wir machen einen Krawall, daß der Teufel Angst bekommt. Er wird glauben, wir haben einen Zyklon aus einer Schachtel losgelassen – –«

Cherry trat einen Schritt vor und nahm das leere Glas aus seiner Hand.

»Du bist ein braves Mädelchen – da bist treu und lieb zu mir, he kleiner Kumpan – meine kleine Goldgräberin scharrt nicht viel Gold mehr aus mir – die Ader ist nichtsnutz – die Dirnen haben schon das ganze Gold aus mir herausgeklaubt. Ich möchte gern nett sein, Schatz – aber du weißt, wie es ist – ich muß mich meiner Haut wehren – die Leute lieben keine Leute, die sie nicht quälen können – aber wo zum Teufel bleibt Brannigan?«

Er packte die Stuhllehne. Über sein Gesicht kam ein Ausdruck von Entschlossenheit und aus seinem Hirn ging ein Befehl an sein Herz. Die Sprechlust verging ihm. Ein träumerisches Sinnen befiel sein Gemüt.

»Laßt euch nicht einreden, Kinder, daß bei mir nicht alles in Ordnung ist – Jimmy weiß besser Bescheid – Sie können sich nicht an mich heranmachen, das ist alles – ich habe eine Blume in meiner Seele und habe eine Mauer darum gebaut, bei Gott. Was ist mit dem anderen kleinen Mädel? Mit dem, das in Ohnmacht fiel – sie kam aus Ohio zu mir – beim Himmel – der große Wolkenbläser versucht gutzumachen, was er in meinem Leben verhunzt hat, als ich noch ein Bursche war. Hängt euch an mich, Mädels, wir wälzen uns durch die Wolken – wir plumpsen in den Mond hinein – wir klauben die Sterne zusammen und werfen sie gegen die Adler – ersticken sie mit Sternstaub. Ich bin ein Säufer und Tunichtgut – aber ich liebe die Frauen. Ich bin der größte Regisseur der Welt und ich bin ein Quacksalber – ich bin ein Wrack – und eine Laus – und ein Tiger mit zwei Schwänzen. Dinge kommen aus der Luft zu mir – ich kann ein Pferd stemmen oder tausend Fuß tief springen – oder einen Gesellschaftsfilm drehen. Keiner von den anderen kann das. Sie können nur ihr Geld zählen. Alle diese lausigen, beschränkten Buchhalter. Ich bin ein Hanswurst aus Cork und habe Dublin in meiner Westentasche. Nimm noch ein Glas, Jimmy – –«

»Nein, heute abend nicht mehr, Mr. Jarnegan.«

»Du hast recht – du bleibst nüchtern – ich trink' ja so für alle Hilfsregisseure von Hollywood – –«

Konfucius öffnete die Tür. Ein Mann, größer als Jarnegan, trat ein. Er war mager und sonngebräunt. Das Gesicht glattrasiert und klobig. Wie Jarnegan, wippte er ein wenig beim Gehen – Kopf und Schultern vorgestreckt. Der kleine Finger seiner linken Hand fehlte. Eine Maschine in der Nagelfabrik hatte ihn zerschmettert. Der Mann war Patsy Brannigan.

Jarnegan umarmte ihn. Tränen traten in seine Augen.

»Herrgott, ich bin betrunken und sentimental. Wo steckst du die ganze Zeit, Alter? Du meidest mich wie ein Speisewagen den Tramp, – und ich fühle mich einsam – du alte Dickhaut.«

»Ich war beschäftigt, Jack. Du weißt doch, wie es ist«, lachte Brannigan.

»Gewiß, das ist alles wahr – was Neues, Patsy?«

»Ach, nichts – jeder beißt in dieser Stadt ins Gras. Soeben habe ich einen Mann zum Report geschickt. Die Tante der Daisy Carol ist abgekratzt«, erklärte Brannigan.

»Das ist gescheit. Die alle Vettel«, wetterte Jarnegan.

»Sei deiner Sache nicht so sicher, Jack. Evans kam mit dem Report zurück und erzählte mir, die alte Schachtel soll dich in den letzten Zügen beschworen haben, du sollst nichts mehr mit kleinen Mädchen anfangen.«

Jarnegan trat einen Schritt zurück. – –

»Was, Himmelkruzifix, hat sie mich beschworen?« stieß er hervor.

»Ja –« antwortete Patsy. »Natürlich können die Blätter davon keinen Gebrauch machen – well – aber der Tratsch wird nicht verstummen – –«

Jarnegan legte seine Hand um Patsys Arm. Seine Stimme wurde weicher – –

»Ich wußte, daß du kommst. Du große alte Dickhaut. Ich brauche dich, Patsy. Jene machen sich daran, mich ans Kreuz zu schlagen. Ich will, daß du mitkommst. Bei Leedman tragen wir es aus – wir werden das erwählte Volk auf Tragbahren hinausbefördern! Sie fallen über mich her wegen der Carol. Das ist ihre letzte Finte, mich zu kriegen. Und du weißt, Patsy, wenn ich schuldig wäre – du wüßtest darum. Dir und Jerry würde ich nichts verschweigen. Ich tat es niemals – –«

Er wandte sich ab.

»Jimmy, komm mit mir und Patsy. Du, Fuke, folgst uns mit den Mädchen.«

»So wird's gemacht«, lachte Jimmy. »Wir ziehen ihnen die Haut übers Ohr, daß es nur so seine Art haben wird.«

Ein Flimmern von Heiterkeit lief über Jarnegans Gesicht, als sie aus dem Hause traten.


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