Wenn die Sonne sinkt
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Frühlingssegen.

Wer ein rechtes Sonntagskind ist und das Herz auf dem rechten Fleck hat, dem steigen jetzt aus allen Tiefen, aus Baum und Busch, aus Fels und Moos Wunder herauf; jeder Atemzug der Erde öffnet unzählige Augen zum Lichte, jeder Sonnengruß küßt ungezählte Keime wach. Zwischen Himmel und Erde ist alles mit Werdekraft erfüllt. Auch in das trübste Menschenherz stiehlt sich ein Hauch sieghaften Lenzesgrußes. Frühlingssegen bebt durch das deutsche Gemüt. Kalender, Amseln und wachsende Tageshelle künden uns den Frühling an. Horche an den Stämmen der Waldriesen, wie es drinnen rauscht und geheimnisvoll hinansteigt, beuge dein Ohr zur Erde, und du vernimmst ganz von ferne den weichen Fußtritt des Frühlings, und dann schaue in die Augen derer, welche dir draußen begegnen: aus jedem einzelnen grüßt es dich in schwer verhaltener Hoffnung und Wonne. Frühlingssegen!

In der wachsenden Erwartung dessen, das da kommen soll, liegt ein unbeschreiblicher Reiz. Als ich ein Kind war, als ich die ersten Male mit klopfendem Herzen mäuschenstill im Theater saß, da wog die halbe Stunde Wartens, ehe sich die Gardine hob, fast den Genuß auf, den mir dann das Spiel selbst bot. Das Stimmen der Instrumente, das Rauschen und Rascheln, Flüstern und Tuscheln, die mich von der bunten Welt noch trennende Leinwand, dies alles steigerte die Phantasie bis zum Siedepunkte. Ein Sonnabend Abend in kleinen Städten, wenn die Straßen reingefegt im letzten Tagesscheine liegen, da und dort plaudernde Gruppen halten, Spiel und Lachen verstummt, und die Kinder auf der Steintreppe sitzen und des kommenden Sonntags gedenken: auch diese Stunde löst ähnliche Empfindungen aus.

Draußen stimmen jetzt hunderte kleiner Wald- und Gartenmusikanten ihre Instrumente; aus Erde und Blätterwerk, Moos und Gestein steigt ein Düften herauf, ahnungsvoll, kraftstrotzend, lebensheischend, lustverheißend. Auf mächtigen Wogen braust die Lenzsinfonie einher, Donner und Regen begleiten den Jubelgesang. Empor schnellt die Gardine: Deutschland feiert seinen Frühling wieder!

Nun ist die Zeit des Wanderns gekommen. Wohl glänzen die oberen Berge noch im schimmernden Weiß des winterlichen Schmuckes, aber Sonne und Märzwind arbeiten lustig Hand in Hand an dem Zerstörungswerke. Mißmutig zieht sich der Winter immer weiter zurück. Drunten im Lande wandelt der Lenz schon flötend unter den keimenden Baumwipfeln hin, und Mädchenlachen kichert dazwischen.

Gemächlich schlendere ich durch das kleine Bergstädtchen. Da und dort steht ein Fenster auf, die linde Luft hineinzulassen. Man hört singen, Menschenstimmen in den vielfenstrigen Stübchen, Vogelstimmen aus den winzigen Bauern, die nun wieder draußen die Fronten der Häuser bedecken. Die Menschen, an denen man vorüberkommt, sehen so freudig aus, man möchte sich stumm die Hände reichen und ewigen Frieden schwören. Schon liegen die letzten Hütten hinter mir. Erst sacht, dann steiler sich hebend, steigt der Bergwald an. Zaunkönig, Drosseln, Finken und Meisen sind bereits tüchtig bei der Arbeit. Dazwischen schrillt zuweilen der helle Ton des Eichelhähers. Zwischen dem Immergrün der Tannen und Fichten hebt die Lärche sich schüchtern wieder mit jungem Spitzenkleide hervor. Auch die Birke zeigt ein unruhiges Wesen. Sie schüttelt zuweilen ihr wallendes Haar und dann stäubt es leise nieder. Von allen Seiten rauschen mir in jugendlicher Hast die erwachten Wildwasser entgegen! Wie sie sich gleichsam überstürzen in Sang und Rede! Eins will's dem andern zuvortun. Das ist ein Stürmen und Drängen, Jauchzen und Kichern! Das klingt von den Felswänden zurück und hallt lebenweckend durch die engen Täler und Schluchten. Die Bäume reiben sich den langen, lastenden Winterschlaf aus den Wipfeln, und einer rauscht dem andern die Kunde zu: Wach auf! Der Frühling ist wieder da!

Alte Kinderspiele treten wieder in ihre Rechte; bald schöpfen in der Osternacht die Dorfschönen schweigend das gesegnete Wasser, das ihnen Jugend erhält und Schönheit bringt. Ostereier leuchten aus dem Busch und Rasen den suchenden Kindern entgegen, und in der alten Lutherstadt Eisenach rüstet sich alt und jung zum »Sommergewinn« zu der Austreibung des Winters und dem feierlichen Einzuge des Frühlings. Dort hinter den blauen Bergen sehe ich jetzt in einer Einsenkung die Türme und Zinnen der Wartburg, der Burg des Lichtes und der deutschen Gewissensfreiheit aufragen. Lachend gleist die Sonne über das alte Gemäuer. Ich meine das kleine Burggärtlein zu schauen, an dessen Mauerrand es sich so herrlich träumen und sinnieren läßt. Zu den Füßen der ehrwürdigen Feste ruht Eisenach, die stolz aufstrebende Thüringer Bergstadt. Am Sonntag Lätare füllt Jubel und Musik ihre Straßen. Da feiert die Stadt ihren »Sommergewinn«. Ein Stück seitlich des wie ein Luftgebilde auf den blauen Himmel hingebeizten Wartburgbildes steigt der zackige Hörselberg ernst herauf. Ich sehe die Felsnase, unter deren überhängender Klippe sich der Eingang zur Venushöhle birgt, in die einst Tannhäuser hineinschritt, bis ihn die Sehnsucht faßte nach Menschenrede, nach dem Duft der Erdscholle, nach Lerchenwirbel, nach den Wundern des erwachenden deutschen Frühlings.

Wieder hat mich der Hochwald aufgenommen. Knacken im Dickicht und verhallendes Stampfen sagt mir, daß ich einen Trupp Rotwild in die Flucht schlug. Dort drüben über den freien Schlag nimmt es jetzt seinen Weg. Dann ist es verschwunden. Wieder umsprudeln mich Quellen, das leuchtende Moos sendet wie einen feinen Gruß der Erde herbfrischen Duft herauf, über mir in den Wipfeln spielt ein rotes Eichhornpaar. Dazu gesellt sich der Wechselgesang zweier Finken. Und als ich mich in täuschenden Tönen dazwischen mische, lassen die beiden kleinen Helden ihre süßen, schmetternden Stimmen noch sieghafter durch den sonnendurchleuchteten Wald hallen.

Zu meinen Füßen ruht Schloß Reinhardsbrunn, von Teichen, Lindenwipfeln und düsteren Bergen in einem dreifachen Kranze umschlossen. Zu allen Zeiten bist du schön! Und heute so recht ein Ort zum Träumen! Einst eine stolze Abtei und zugleich die Gruft der Thüringer Landgrafen, dann ein schlichtes Jagdhaus; durch Fürstenwort zu neuer Herrlichkeit erwacht, ein schimmernder Sommersitz der Herzöge, die so gern hier weilten, wenn Sommerglut draußen auf Land und Städten schwelte. Allen voran war Reinhardsbrunn der Lieblingssitz des »letzten Koburgers«, wie er sich selbst mit Vorliebe nannte, Herzog Ernst des Zweiten. Reinhardsbrunn und seine wildreichen Wälder waren ihm fest ans Herz gewachsen. Hier kehrte er zur Sommerszeit ein, von hier aus ging's hinauf in den Hochwald, und war die Jagd vorüber, so sah der mitteilsame Fürst, der so unerschrocken urteilte, der Freimut auch an seinen Gästen achtete, dem jeder Byzantinismus zuwider war, mit Vorliebe bei Tafel Männer der Künste und Wissenschaften. War er selbst doch einer der hinreißendsten Plauderer, der geistvoll, sprühend, vor einem freien Ausdruck nicht zurückscheuend, seine Gäste bis zuletzt zu fesseln und zu ermuntern wußte. Zur Sommerszeit kam er alljährlich nach Reinhardsbrunn, zur Sommerszeit kehrte er hier auch ein, als die Schwingen des Todes über seinem Haupte rauschten. Als die Linden dufteten, unter deren Schatten er so manchmal bei fröhlicher Tafel inmitten seiner Gäste geweilt, nahm Herzog Ernst Abschied von dieser Welt. In der Morgenfrühe eines schwülen Sommertages trugen seine Grünröcke ihn im feierlichen Geleite unter den trauernden Wipfeln der Waldstraße bis zur nächsten Bahnstelle Schnepfenthal, von wo der »letzte Koburger« wieder in die Heimat zurückkehrte, nach Koburg, mit dem er durch tausend trübe und frohe Erinnerungen verknüpft war. Seit zwei Jahren erhebt sich in Front des hellen Schloßbaues das Erzbildnis des Herzogs, im Jägerrock, wie ihn dieses liebliche Waldtal so oft schauen durfte. Seine nun auch heimgegangene Gemahlin hat es ihm setzen lassen.

Wenn ich die mir einst so lieb gewordene Fürstengestalt da unten in schwermütigen Herbsttagen einsam ragen sah, während jeder Windstoß die bunten, sonnenmüden Blätter von den Parkbäumen niederfegte, da schien es mir oft, als lausche der Herzog auf, ob nicht Hornruf durch die Täler herüberklänge. Da schien es mir, als ginge es wie Leben durch die Gestalt, die Hand griff wieder zur Büchse, der Arm straffte sich, aus den klugen Augen bräche das alte Feuer wieder herauf. Den Blick hinüber zur grünen Bergkette gewandt, segnete er seinen Wald, sein Wild, sein schönes Thüringer Land. Mit ihm ging der letzte deutsche Fürst für die Doppellande Koburg-Gotha hin. Wenn wieder die Linden im Park zu Reinhardsbrunn duften, unter denen einst die Mönche wandelten, da wird der junge Herzog Einzug halten, das deutsche Erbe anzutreten. Vertrauend und zutunlich, wie es der Eigenart des Thüringer Volksstammes entspricht, wird ihn das Land diesseits wie jenseits des Rennstieges empfangen. Und wenn er Einkehr in Reinhardsbrunn hält, unter dem Rauschen der Wasser, dem Sange der Vögel, wird der letzte Koburger sich aufrecken auf seinem Rasenplan und den Nachfolger segnen, daß er ein deutscher Mann werde, furchtlos und treu. Um der Lande willen, von denen Abschied zu nehmen ihm so schwer geworden.

Frühlingssegen! Er weht auch heute durch das stille Friedrichroda, über seine ernsten Waldberge, seine lichtgrünen Wiesen, durch welche der Bach zwischen weißglänzenden Wäschestücken herniederquirlt. Was so lange vernagelt, verschlossen, verhangen war – heut ist alles weit geöffnet. Damit der frische Märzwind hindurchfege, in jeden Winkel fahre, in jedes Fenster sause. Die Götter und Göttinnen in den Vorgärten sind erwacht und suchen ängstlich die ohnehin nur kümmerliche Bekleidung wieder stilvoll zu glätten und zu ordnen, nachdem die unfrohe Strohhülle endlich gefallen ist. Mit ihren weißen Augen blicken sie erstaunt in den deutschen Frühlingshimmel, vielleicht auch »das Land der Griechen mit der Seele suchend«. Denn das Klopfen, Hantieren, Rücken und Scheuern will sich gar nicht recht in die große Frühlingssinfonie einfügen. Thüringens gefeiertster Luftkurort ist emsig bei der Toilette. Denn nach dem Kalender ist diesmal nicht zu rechnen. Ein wunderlicher Geselle! Hat er doch Pfingsten fast in den Sommer hineingerückt! Mit den Zugvögeln aus dem Süden wandern auch bereits die ersten Stadtschwalben in das stille Reinhardsbrunner Tal hinein, den frischen Würzhauch der Bergwälder in lang ersehnten Zügen zu trinken. Da heißt es sich sputen.

Durch die auf und ab führenden Berggassen schlendere ich dahin. Wie eine Revolution ist es über den Ort gekommen. Freund meidet bereits den Freund. An die Gewehre! Auf die Schanze! So hallt unhörbar der Ruf. Der Frühling ist da! Vor mir tänzelt ein junges Weib die Gasse empor. Unter jedem Arm wippt ein frisch duftender Blechkuchen. Ein paar halbwüchsige Jungen strolchen hinterher. Sie gucken sich zuweilen bedeutsam an und lecken sich über die Mundwinkel. Den Weg nach Hause verfehlen sie sicherlich nicht. Und dazu singt und klingt es von allen Zweigen am Wege. Frühlingssegen!


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