Wenn die Sonne sinkt
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Starke Mächte.

Auch der blanke Neid mußte es der Familie Meißner lassen, daß sie ein kraftvolles Geschlecht darstellte. Tief drinnen im Hochwalde ragten über einem engen Talgrunde Mauern wild geborstener Felsgebilde empor, die Falkensteine. In den Namen dieser Porphyrriesen lag ein Stück Jugendgeschichte der Mutter Meißner. Sie war ein strammes Mädchen von vierzehn Jahren gewesen, da hatte ihr Vater, ein Unterförster, sie gar manchmal an Seilen über den schwindelnden Grund in die Tiefe hinabgelassen, um die Nester der in den Felsriffen horstenden Falken auszunehmen. Sie hatte nie dabei gebebt, trotzdem ihr Leben mehr denn einmal in Gefahr geschwebt hatte. Von diesen Erlebnissen erzählte die tapfere Frau gern zuweilen, wenn die Rede auf frühere Zeiten kam. Und weil an ihr alles Feuer und Spannkraft gewesen, so hatte sie sich denn auch den stärksten Mann des Dorfes geheiratet, den Holzhändler Meißner. Der nahm es an Kraft mit jedem auf. Blitzweiß leuchteten ein paar volle Reihen Zähne ihm zwischen den derben Lippen. Mit diesen Zähnen hatte er einmal im Gemeindewirtshaus eine tolle Wette glänzend gewonnen. Keiner hatte es ihm glauben wollen, daß er einen Tisch mit seinen Zähnen heben könne. Da hatte er den Rock rasch abgeworfen, hatte plötzlich den kleinen Schneider, ein etwas verwachsenes Lebewesen, ergriffen und lachend auf den Tisch gesetzt, um nun letzteren mit seinen Zähnen langsam in die Luft zu heben. Tisch und Schneiderlein! Seit dieser Stunde war sein Ansehen im Dorfe noch mehr gestiegen.

Nur eine einzige Tochter war dem starken Ehepaar geschenkt worden: Marsilia. Auf diesen etwas seltsamen Namen hatte Frau Meißner trotz des anfänglichen Widerspruches ihres Mannes fest beharrt, und da es in der Stunde war, da sie den starken Mann zum Vater gemacht hatte, so willigte er ein, und die junge Mutter sah ihren Traum erfüllt, der einst beim Lesen eines spannenden Romans in ihr aufgestiegen war. Trotz des romantischen Namens wuchs Marsilia als ein starkes Wesen empor, mit langen blonden Flechten, blauäugig, in einer prachtvollen Leibesschöne und -stärke, welche jeden Bildhauer in Entzücken versetzt haben würde.

Starken Leibes wie starker, heißer Sinne war Marsilia. Sie war der Tapfersten eine in harter Arbeit. Doch die Arbeit allein genügte ihr nicht. Mehr! mehr! rief es in ihr. Auch die Männer des Dorfes ließen sie gleichgültig. Sie war Sonntags die Erste und Letzte auf dem Tanzboden, wie eine Bacchantin stürmte sie im Tanze einher, so daß mancher Bursche sich hütete, zum zweiten Male die wilde Marsilia aufzufordern. Mit jedem tiefen Atemzuge trank sie gleichsam das Leben vor sich wie die Luft ein. Wenn sie aber daheim dann in der Morgenfrühe auf ihr Lager sank, da kam es wohl vor, daß heiße Tränen aus ihren Augen brachen, daß sie im wilden Schmerze sich in die Kissen bohrte, wenn das erhitzte Blut sie wie ein hochwallendes Meer faßte, rüttelte, zu verschlingen drohte. Sie suchte in der Welt etwas, ohne bisher es gefunden zu haben. Sie blieb eine Hoffende.

Eines Tages mußte das Große, Befreiende in ihr Leben treten, eine Fackel mußte sich entzünden, welche alles, was sie umgab, mit flutendem Lichte füllte, eine ungeheure Helle in ihre Seele brächte. Und dieser Tag kam, die Stunde, da sie sehend ward.

An einem Juliabend war's, als von einer Bergmatte der letzte Heuwagen Meißners heimschwankte. Hoch droben, die prächtigen Glieder zur Ruhe aufgelöst, lag Marsilia in dem schwerduftenden Heu, die Augen ruhig in die Ferne gerichtet. Und da auf einmal, sie wußte selbst nicht, welche Macht sie dazu zwang, mußte sie hinauf zur Kante des umbuschten Hohlweges blicken, als bannte eine unbekannte Macht ihre Augen dort empor. Und da hielt einer zwischen dem Buschwerk fest die grauen, scharfen Augen auf das herrliche Frauenbild gerichtet, als könne er sich nicht losreißen von der Erscheinung, Da trafen sich beider Augen, nur einen Herzschlag lang. Aber es war ein Augenblick, der über beide entschied.

Marsilia war unter diesem Blick heimlich zusammengezuckt. Unwillkürlich richtete sie sich etwas empor, ihre bequeme Lage ändernd. Doch ehe der Wagen gänzlich in dem Hohlweg verschwand, streifte noch einmal ihr Blick hinauf zu dem jungen, rötlichblonden Jägersmanne. Und als hätte er nur noch auf diesen stummen Gruß gewartet, so nickte er jetzt bedeutsam dem Mädchen zu und war im nächsten Augenblicke zwischen dem Gebüsch verschwunden. Marsilia aber fühlte, wie es wie ein trunkener Schauer ihr über den Leib fuhr.

Der Wagen näherte sich bereits dem Dorfe, da richtete sie endlich an den Wagenlenker das Wort:

»Du, Henner, wer war denn das vorhin?«

»Wo denn?«

»Na, am Frankenweg! Wo's 'nunter geht!«

»Hab' nichts gesehn!«

»Der im Jägerrock! So halbrotes Haar!«

»He! Das ist ja der neue Forstassessor!«

Die Besorgung im nahen Nachbardorfe war gar nicht so dringlich. Marsilia aber hatte sich nicht abhalten lassen, sie noch diesen Abend auszurichten. Nun sie heimschritt, hielt sie die an dem Forsthause vorüberführende Straße inne. Unterwegs hatte sie ein paar Heckenrosen an ihren Busen gesteckt. So näherte sie sich dem Hause. Immer langsamer ward ihr Schritt. Und dann fühlte sie wieder den Blick auf sich ruhen, der vor ein paar Stunden sie jählings aufgeschreckt hatte. Er stand am Gartenzaune. Der Mond beleuchtete sein ernstes Gesicht, das sich scharf abhob.

Sie tat so, als wollte sie vorübergehen, hielt jedoch sofort inne, da er sie anredete.

»Guten Abend!« Er trat ein paar Schritte vor und reichte ihr seine Hand, in welche sie wie mechanisch einschlug. »Ich wußte,« fuhr er fort, »daß ich Sie heute noch wiedersehen würde.«

»Sie wußten –« Unsicher, fragend schaute sie nun in sein Gesicht. Er ließ ihre Hand nicht frei, da er nur entgegnete:

»Ja gewiß! Als ich Sie heute zum ersten Male vorüberfahren sah, da – ich weiß selbst nicht, wie es kam, da war es mir, als hätten wir nur aufeinander gewartet, daß wir uns die Hände reichten, wie wir es nun tun.«

Sie versuchte, ihm die Hand zu entziehen. Da aber ging wieder dieses eigene Leuchten aus seinen Augen in die ihrigen hinüber – und willenlos ließ sie ihm ihre Hand.

»Ich muß heim,« flüsterte sie, »man wartet auf mich.«

»Ich habe auch mit Sehnen auf Sie gewartet. Seien Sie nicht grausam. Der Abend ist schön. Wir gehen ein bißchen hier auf und nieder. Um diese Stunde kommt niemand mehr aus dem Dorfe vorüber.«

Vom Kirchturm schlug es bereits zehn, da Marsilia sich trennte.

»Leben Sie wohl, Herr Assessor!«

»Unsinn! Ich bin der Heinrich, wie Sie die Marsilia sind! Nicht wahr? Wollen wir es nicht so halten?«

Sie blieb machtlos. Sie konnte nur stumm nicken.

»Die Rosen an Ihrer Brust – wollen Sie mir sie nicht geben? Zur Erinnerung? Daß ich von Ihnen diese Nacht auch träume!«

Verwirrt löste sie die Blumen und reichte sie ihm.

»Da! nun aber lassen Sie mich gehen! Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Marsilia!«

Wie ein Zucken traf es ihn aus ihren Augen. Dann eilte sie rasch heim.

An dem neuen Herrn Forstassessor hatte die Tafelrunde des Gemeindewirtshauses keine Erwerbung gemacht. Nur selten ließ er sich einmal im Dorfe sehen. Auch im amtlichen Verkehr blieb er kurz angebunden und schweigsam. Die Mädchen meinten, daß man sich vor ihm fürchten müsse, wenn er so finster hinblickend an ihnen hinstreife. Nur eine von ihnen, kicherten sie, brauche sich nicht zu fürchten, das sei die Marsilia. Denn die halte es mit ihm, wie heimlich sie auch tue. Das gab ein Tuscheln und Höhnen! Nun konnte man der stolzen Marsilia doch endlich auch etwas anhängen, die immer so unnahbar sich gegeben hatte.

Eines Abends lag Marsilia schluchzend an der Brust des jungen Forstmannes. Ihre Hände hatten sich krampfhaft um den Hals des Geliebten geschlungen.

»Heinrich!« Es klang so wehevoll.

»Was hast du? So sprich doch, Mädchen!« Er strich ihr sanft über das volle Haar.

»Ich soll dich lassen, Heinrich!« würgte sie endlich hervor. »Das ganze Dorf neidet mich um deine Liebe. Es ist herausgekommen, wie heimlich wir es auch gehalten. Ach Gott! Zu meinem Vater haben sie es auch getragen und –.« Erneutes, wehes Aufschluchzen unterbrach ihre Stimme.

»Und? Was ist geschehen? So sprich doch!«

»Er hat mir verboten, daß ich dich wiedersehen soll. Da habe ich ihm erklärt, daß ich nicht mehr von dir lassen könnte, daß ich lieber sterben würde, als – – o, mein Gott! – – da – hat er mit der Peitsche mich wie einen Hund geschlagen – hat mich eingesperrt. Ich aber bin doch frei gekommen und nun, Heinrich, rette mich! Rette mich vor der Welt! Rette mich vor mir selber!« Wie leises Wimmern drang es jetzt leise aus ihrer Brust, da sie sich noch fester an den Geliebten klammerte.»

Still, still doch, Marsilia! Armes, liebes Mädchen! Und alles um der Liebe willen! Wir müssen stark sein, müssen unsere Liebe noch geheimer halten. Wir sind ja jung, beide! Es ist über uns gekommen wie ein Wetter aus Frühlingshimmeln. Da heißt's stille halten. Nicht den Mut verlieren. Einmal kommt auch uns eine Stunde, wo wir – weine nicht mehr! Sei gut!«

»Du wirst mir immer treu bleiben, Heinrich?« Angstvoll suchte ihr Blick den seinen.

»Was bangst du dich? Immer, Marsilia!« erwiderte er mit starker Stimme. »Bisher habe ich es dir noch nie gesagt. Nun aber, dich zu beruhigen – seit langem quält man mich von zu Hause, ich soll mir ein Mädchen suchen – heiraten – standesgemäß – Hahaha! Als ob ein liebendes Herz nach Stand und Würden frage! Ich weiß ja, daß ich dich nicht heiraten darf, aber dich lieb bis zuletzt behalten, das soll mir niemand wehren!«

Sie hielten sich beide stumm umfangen und ihre Seelen sprachen ohne Worte das Geständnis ewiger Treue.

Wenige Tage darauf, als der Forstassessor spät aus dem Walde heimkehrte, lag auf dem Boden seines Zimmers, sichtlich durch das offene Fenster hineingeschleudert, ein Brief. Wie von Ahnungen erfaßt, öffnete er ihn unter leichtem Zittern. Er enthielt nur wenige Zeilen.

»Mein lieber, lieber Heinrich!

Nun müssen wir doch scheiden! Man trennt mich gewaltsam von dir. Mein Vater bringt mich morgen in aller Frühe weit fort zu Verwandten, damit wir uns aus den Augen kommen. Aus den Herzen können sie uns aber doch nicht reißen. Was werden wird, weiß ich heute noch nicht. Nur daß ich dir treu bleibe. Lebe wohl und sei tausendmal geküßt von deiner armen Marsilia.«

Das war im Herbst. Marienfäden zogen bereits durch die blauen Lüfte und alle Firnen leuchteten wie schimmerndes Gold. Wer jetzt dem Forstmann im Walde begegnete, der wich am liebsten im weiten Bogen aus. Finster, in sich gekehrt, schritt er einsam dahin. Nun hatte er auch den letzten Verkehr mit dem Dorfe abgebrochen. Selbst die lauten Freuden der Kirmse lockten ihn nicht hinab unter die lustig feiernde Gemeinde. Tagsüber lag das Forsthaus totenstill und verlassen. Erst wenn die Nacht längst auf die Waldberge sich niedergesenkt hatte, dann kehrte der einsame Bewohner wieder heim. Von Marsilia hatte er kein Wort wieder vernommen.

Die Schwelle zum neuen Jahre war seit ein paar Tagen überschritten. Eisiger Ostwind heulte durch die aufstöhnenden Wälder und türmte blendende Schneewälle immer höher. Scharf geschnitten stand die Mondsichel am Himmel. Den Hund zur Seite, den einzigen Gefährten seiner Einsamkeit, kehrte der Assessor schweren Trittes aus den Bergen heim. Unweit seines tief verschneiten Hauses hob plötzlich der Hund zu schnobern an. Dann rannte er voran, um gleich darauf einen kurzen Laut auszustoßen.

»Kusch dich! Was hast du denn?«

Der Hund hielt vor der Haustür und gab einen halb winselnden, halb freudigen Ton von sich.

Im nächsten Augenblick war auch der Forstmann heran. Auf den steineren Stufen seiner Haustür hockte eine vermummte, weibliche Gestalt. Sie mußte wohl bereits lange hier gesessen haben, denn der sacht rieselnde Schnee deckte schon ihre Füße vollständig zu.

Wie von einer Ahnung ergriffen, ging ein Beben durch die starke Mannesgestalt. Er beugte sich nieder und dann schrie er wie ein weidwundes Tier:

»Marsilia!«

Und als ob die hier Kauernde nur auf dieses Erlösungszeichen gewartet, so schlug sie jetzt das Tuch ein wenig zurück und hauchte mit matt jubelnder Stimme:

»Heinrich! Kommst du endlich? Ach, mich fror so nach dir!«

»Du hier?« Er richtete sie auf. Er preßte sie an sich, warmes Leben ihrem Leben zu geben.

»Nur noch einmal wollte ich dich sehen, Heinrich, ehe sie mich gemordet haben. Ich bin geflüchtet. Seit gestern bin ich zu Fuß – hierher trieb es mich, wo wir so glücklich einst waren – so glücklich! Nimm mich auf, Lieber – nimm, mich friert so – sehr.«

Da schloß und stieß er die Tür auf. Dann hob er die Zitternde auf seinen Arm und trug sie in sein Haus.

Am nächsten Morgen pochte eine Fiebernde an das Haus des starken Meißner. Zwei Wochen später trug man Marsilia hinaus auf den Gottesacker an der Berglehne. Fast das ganze Dorf gab ihr das Geleite. Nur einer blieb fern. Dieser eine hat sich dann bald versetzen lassen und hat niemals geheiratet. Er ist ein Einsamer mit seinen Erinnerungen geblieben.


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