Wenn die Sonne sinkt
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In der Zillbach.

Was für die Hohenzollern die Schorfheide bedeutet, das ist für die weidlustigen Fürsten von Sachsen-Weimar-Eisenach stets die Zillbach zwischen Werra und Vorderrhön gewesen. Hier hielten sie ihre Galajagden ab und führten ihre hohen Gäste herüber. Hier auch streift mit Vorliebe Kaiser Wilhelm II. durch den morgendlichen Wald zur nervenanspannenden Springjagd auf den balzenden Auerhahn. Die Zillbach, wie das schöne Waldglied schlankweg geheißen wird, ist nicht nur durch ihren Hochwildbestand, ihren Reichtum an Auerwild eine Freude des Jägers, auch die wahrhaft königlichen Wälder üben einen mächtigen Reiz aus, die so feierlich über den bergigen Grund rauschen, den manch quellenreicher Bach durchströmt. Auch alte Sagen haben hier noch sichere Heimstatt, und mit wuchtigen Schritten ging wiederholt hier die Kriegsfurie entlang. Linksufrig der Werra breitet sich die Zillbach in einer Länge von dritthalb Stunden aus. Ihre Breite betragt ungefähr zwei Stunden. Das grüne Waldtal der Schwarzbach teilt sie in die große (nördliche) und kleine (südliche) Zillbach. Nach der Werra hin begrenzen den Gesamtforst die Ortschaften: Wernshausen, Schwallungen und das von der Ruine Maienluft überragte, originelle meiningische Städtchen Wasungen. Wer hätte nicht schon von Wasunger Tabak gehört? Der »Wasunger Arie«? Vor allem aber von den närrischen »Wasunger Streichen«? Durch Jahrhunderte hindurch mußte der bedauernswerte Ort als Zielscheibe des Spottes auf und ab im Werragrund gelten. Wasungen teilte das tragikomische Geschick mit Addern, Schilda, Schöppenstedt, Krähwinkel wie Kochem an der Mosel. Seine angedichteten Narreteien füllten schließlich Bände. Das haben die Wasunger mit Recht denn auch übelgenommen, und als vor einigen Jahren 'mal ein fürwitziger Fremder hier in einem Gasthaus einkehrte und voll Übermut um einen echten Wasunger Streich bat – da ist ihm denn auch einer zuteil geworden, daß er sein dummes Gesicht am andern Morgen nicht hätte mögen einem Photographen preisgeben. In dem Rosagrund, welcher den Nordsaum der Zillbach begleitet, kann man noch heute zwischen verfallenen Ruinen von alter Ritterzeit und auch Klosterpoesie träumen, und folgt man dem Grund noch höher hinan, so erreicht man zuletzt das in einem Talkessel versteckte Roßdorf, hinter dem der kahle Nebelberg still in den blauen Himmel steigt. Am 4. Juli 1866 rangen auch hier um den Besitz des Nebelberges brave Bayern und Preußen. Es war ein gar grimmer Kampf deutscher Brüder, und gar viele mußten da ihr Herzblut lassen. Neben der hochliegenden Kirche von Roßdorf, im Angesicht des Nebelberges, erheben sich die Hügel, welche die irdischen Reste der gefallenen Helden decken.

In der großen Zillbach finden wir den Bach, welcher einst diesem Jagdgrund den Namen lieh, sowie das Dorf Zillbach. Ein echtes, welteinsames Walddorf, welches auch das großherzogliche Jagdschlößchen sowie die Oberförsterei umfaßt, in welch letzterer bisher der Sohn des früheren Wartburgkommandanten von Arnswald saß. Aus dem Dorf Zillbach wanderte im Jahre 1739 ein gewisser Simon Schenk hinüber nach Ruhla im Thüringer Wald, dort den Beschlag der Pfeifenköpfe einzuführen. Er hatte damit den Grundstein zu einer Industrie gelegt, deren Erzeugnisse heute über alle Meere gehen. Denn Ruhla versorgt längst die ganze Welt mit Pfeifen und Zigarrenspitzen, wenn auch der Geschmack an dem Meerschaum bedeutend verloren ging. Inmitten der Großen Zillbach finden wir auch eine schone Waldeshalde, »Die zehn Buchen« genannt. Manch lustig Weidmannsfest ist hier schon unter den schattenden Wipfeln gefeiert worden. Trotzdem soll es hier nicht ganz geheuer sein. Ein Bäuerlein weiß davon zu erzählen. Das hatte in Wasungen einen langwierigen und kostspieligen Prozeß gegen seine Eltern beendet und – verloren. Als es nun so unter den Buchen hinschritt, verfluchte es sein verfehltes Leben, schimpfte auf Eltern, das Gericht und wünschte sich laut einen Strick, dem Dasein ein Ende zu machen. Und plötzlich lag vor ihm auf dem Waldplatz ein neuer und sehr geeigneter Strick. Da erschrak das Bäuerlein denn doch sehr heftig. Im weiten Bogen schlich es furchtsam um das erbetene Geschenk, trollte dann nach Haus und gelobte sich heimlich, von Stund' an ein besserer Mensch zu werden. Auch sonst lebt und webt es in der Zillbach von Sagen und Mären. Denn auch die Otterkönigin haust noch hier, und wer ihr goldenes Krönlein erhascht, das am Ufer liegt, während sie in einer Wasserlache badet, der wird unermeßlich reich. Ich bin des öfteren durch die Zillbach einsam oder mit einem guten Wanderfreund gezogen. Wir hoben weder einen Schatz, noch blinkte uns das Krönlein der Otterkönigin entgegen. Was wir aber fanden, das waren Stunden unendlichen Friedens, in unseren Tagen des Kampfes und der Unrast auch ein Glück, das uns diese Stunden heimlich segnen ließ. Tiefe Einsamkeit umrauscht den Jagdgrund der Zillbach. Durch stille Wälder, wechselnd in Laub- und Nadelholz, geht es hin. Zuweilen streift scheues Wild vorbei, ein Auerhahn steigt auf und fällt dann wieder plump in das schützende Dickicht hinein. Manchmal grüßt die schwebende Rauchwolke eines Kohlenmeilers zwischen den Stämmen. Und dann klimmen wir langsam eine Höhe hinan, um von gerodeter Kuppe Umschau zu halten, hier hinab in den lachenden Werragrund mit seinen ausgestreuten Ortschaften, Ruinen und Schlössern, dort hinüber zu den Basaltriesen der Hohen Rhön, über deren ernste, dunkle Gipfel leichte Sommerwölkchen südwärts schwimmen.

Der kundige Wanderer sucht wohl auch von einer jener Höhen im Westen der Zillbach der Berge Kranz, welche das kunstfrohe Meiningen einsäumen, die »Harfenstadt«, wie sie einmal Jean Paul um ihrer Form willen nannte. Die anmutige Residenzstadt, von wo aus vor Jahrzehnten der deutschen Schauspielkunst neue Bahnen gewiesen wurden, liegt ja nicht allzuweit von der Zillbach. (Dort, in seiner Heimat, lebt nun wieder Rudolf Baumbach, der fahrende Spielmann und Gemeindepoet der feuchtfröhlichen Waldgemeine Gabelbach bei Ilmenau, heute ein gebrochener, vom Schicksal schwer geprüfter Mann. In sehnsuchtsvollen Liedern hat er immer wieder sein grünes Werratal besungen und selbst fern am Gestade der blauen Adria zog es ihn schmerzlich-süß gar oft hierher zurück, und altthüringer Kinderreime, die er einst selbst auf den Gassen mitgesungen, stiegen in seinem Herzen wieder auf. »Daheim, daheim ist doch daheim!«) Hier am Westrand der Zillbach hoben einst auch majestätische Buchen ihre Wipfel empor. Jetzt findet man beim Dorf Eckardts nur noch die Kiefer. Das aber soll folgende Ursache haben. Einmal wurde ein junges Mädchen als Hexe angeklagt und durch das Zentgericht zu Friedelshausen zum Feuertod verurteilt. Alles Bitten und Flehen half da nichts. Als es nun auf seinem letzten Gang beim Dorf Eckardts die Zillbach entlang schritt, da bat es unter Tränen, Gott möge zum Zeichen seiner Unschuld ein Wunder tun und die Wipfel verdorren lassen. Das ist denn auch geschehen. Seitdem will hier, nach der Sage, keine Buche mehr gedeihen, und die Kiefer trat die Herrschaft an. Lange Jahre war auf den morgenfrischen Streifzügen durch den weiten Zillbacher Forst der weimarische Oberförster Kallenbach dem Kaiser ein treubewährter Führer, der auch manch Zeichen kaiserlicher Huld und Anerkennung empfing. Maler Schmidt in Weimar hat damals ein sehr wirksames Bild geschaffen, welches seitdem durch Vervielfältigungen in weiten Kreisen bekannt geworden ist. Es zeigt den jugendlichen Herrscher im schmucken Jagdkostüm, die Büchse schußbereit in den Händen, begleitet vom Oberförster Kallenbach, einer ganz prächtigen, dunkelbärtigen Mannesgestalt. Mit gespannten Blicken, vorsichtig, schreiten beide durch den wirren Hochwald, über den der erste fahle Tagesschein einen schwachen Schimmer breitet.

Zu den edelsten Freuden eines weidgerechten deutschen Mannes zählt voran auch die Balzjagd. Sie ist in Wahrheit noch ein Vergnügen, das nur der Deutsche pflegt. Und darum ist sie auch der viele Wochen vorangehenden, oft recht empfindlichen Mühen und Opfer wert, Strapazen und aufregende Stunden, von denen freilich die mit ihrer Zeit so knapp bemessenen hohen Herren nichts zu spüren und zu kosten bekommen. Dies alles besorgen oft sechs Wochen lang vorher Waldläufer, Unter- und Oberförster, bis die festen Balzplätze bekannt sind, und man über die Zahl der alten und jungen Auerhähne aufs genaueste unterrichtet ist. Das aber kostet müde Beine, lange Märsche, Verzicht auf die Nachtruhe all die Zeit über, während welcher die Hähne »verhört« werden. Dazu das oft recht Ungemütliche von Frost, Sturm, Schnee und Eisschauer! Wie gar oft vergeblich muß der Weidmann vor Tagesanbruch hinaus in den Wald, gegen das Wetter ankämpfend hinan die Höhen steigen, um nach Stunden ohne jeden Erfolg heimzukehren. Kein Urhahn ließ sich hören, noch sehen! Und doch locken ihn jeden Morgen wieder aufs neue die Freuden und Verdrießlichkeiten solch einsamer Frühpirsch, fühlt er den Zauber wonniger Art, hinauf im Frühlicht zum Balzplatz zu steigen, während drunten noch die Welt im tiefen Schlummer liegt. Denn ein echter Jäger ist auch ein Stück Poet, vermag er es auch nicht, sein heiß quellendes Empfinden in rechte Worte zu kleiden. Die herbe Schönheit solcher Morgen kennt nur er; ihm rauschen die Stimmen des Waldes verständlich zu, nur sein Auge schaut Dinge in der Natur, welche vieltausend anderen verschlossen und unsichtbar bleiben. Und welch gefällige Freude dann, welch Hochgefühl und Triumph, wenn eines Morgens doch der alte Urhahn nieder in das Heidekraut sinkt! Dann ist alles vergessen, was an Mühseligkeiten und getäuschten Hoffnungen zurückliegt. – Wie der Edelhirsch nur in kalten sternklaren Herbstnächten seinen gewaltigen Brunftschrei über die erschauernden Wälder erschallen läßt, so balzt auch der Auerhahn nur im bitterkalten Frühmorgen, wenn noch die Nebelschleier über den Tälern wogen und Rauhfrost Moos und Matte deckt. Es ist Jägerregel, zuerst die alten Hähne abzuschießen, da sie es sind, welche die jüngeren so lange verscheuchen, zum Abstehen bringen. Die rechte Balzjagd hebt eigentlich schon Anfang März an. Wenn die hohen Herren im April, oft noch im Mai kommen, ist der Auerhahn bereits unruhig geworden. Es ist dann der grünen Farbe nicht immer leicht gemacht, die Anerkennung der gefürsteten Jäger noch zu gewinnen. – Von seinem Salonwagen aus legt der Kaiser erst ein Stück Weges im leichten Jagdwagen zurück. Dann geht's zu Fuß mit dem begleitenden Oberförster weiter durch dämmernden Hochwald. Je näher dem Balzplatz, je vorsichtiger, lautloser! Da – mitten durch das heilige Schweigen der sacht weichenden Nacht ein leises Schnalzen drüben von der Bergwand! Das ist er! Näher wird herangepirscht. Jetzt vernimmt das Ohr deutlich den Hauptschlag, dem das seltsame Schleifen folgt, wobei der verzückte Hahn die Lichter schließt und die Unterkiefer über das Gehör legt, so daß er blind und taub für ein paar Sekunden bleibt. Währenddem gilt es ebenso viele Sprünge vorwärts zu machen. Dann festgerammt stehen! Neuer Ruf, Schleifen – drei Sprünge! Von Baum zu Baum! Jetzt endlich zeichnet sich droben im Gezweig der Hahn deutlich gegen den kalten Himmel ab. Vorsicht, daß er nicht abdonnert! Aber das Büchsenlicht muß benutzt werden. Lautlos hebt der Kaiser an. Ein weithin hallender Schuß – und der Hahn quittiert mit seinem Fall. Weidmannsheil! Nun geht es zu einem anderen Balzplatz schleunigst hin und vielleicht auch noch zu einem dritten. Ist das Glück mit dem hohen Herrn, dann führt er eine Doppelbeute mit hinüber zur Wartburg, zu welcher er nun wieder zurückkehrt, während die ersten goldenen Sonnenstrahlen über die Wipfel der Zillbach stießen und das schöne Werratal füllen.


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