Wenn die Sonne sinkt
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Der Einspänner.

Auf und ab im Dorfe hieß der lange Friedel nur noch bei alt und jung der Einspänner. Das Thüringer Waldvölkchen ist ja ohnehin so leicht und gern geneigt, jedwedem irgend einen Spitznamen anzuhängen, sei es, um damit seine Herkunft, sein Gewerbe oder auch irgend eine Eigenart des Betreffenden zu bezeichnen. Daß dabei der lose Schalk und die übermütige Spottsucht nicht zu kurz kommen, ist selbstverständlich. Der lange Friedel aber trug in diesem Falle selbst die Schuld daran.

Wie oft hatte er im Wirtshause, wenn die Männer mit den langen Pfeifen sich um ihn scharten, zu horchen, was er heute wieder im Walde gesehen – er war Waldwart oder Kreiser, wie sie im Thüringer Walde sagen – auf den Tisch geschlagen und dann mit erhobener Stimme verkündet:

»Es ist ein Unsinn, zu heiraten! Einspänner muß man bleiben! Da bleibt man ein vernünftiger Kerl! Die Liebe! Nun ja, die ist gut für die Grünlinge; wer aber ein Mann geworden, der soll sich vor den Weibern hüten. Der Teufel hat sie alle gemacht!« Und wenn dann ein verlegenes Murmeln, ein verhaltener Widerspruch sich im Kreise geltend machen wollte, dann schlug er nochmals auf den Tisch, diesmal noch wuchtiger, und fuhr fort: »Wollt ihr's etwa leugnen? Unter dem Pantoffel steht ihr allesamt! Hahaha! Das könnte mir passieren! Die stärksten Männer kriechen vor einer Frau mit gutgeschmiertem Mundwerk in das nächste Mauseloch. Das ist nun mal so! Ich habe als Bursche bei einem General gedient; er war ein baumlanger Kerl, und seine Regimenter zitterten vor ihm. Wenn daheim aber seine Exzellenz schon von weitem die Stimme der Alten hörte, da sah er sich verängstigt nach einem Mauseloch um, um ihren Angriffen zu entwischen. Nee, das sollte mir einfallen, mich von den Weibsleuten unterkriegen zu lassen! Das überlasse ich euch!« Und er trank siegesgewiß seinen Krug aus und reichte ihn dann dem Wirte zum Frischfüllen. Die Tafelrunde aber schwieg. Es war das einzigste Thema an der Wirtstafel, das niemals von ihnen weiter ausgesponnen wurde.

Der lange Friedel hatte eben seine eigene Logik. Er haßte ja die Weiber nicht, doch er mied sie, wo er nur konnte, als fürchte er ihren heimlichen Zauber. Dafür aber war er ein merkwürdig großer Kinderfreund. Sein Häuschen lag dicht am Hochwalde, einen Büchsenschuß von dem Dorfe entfernt. Da hauste er allein. Vormittags kam eine alte Witfrau aus dem Dorfe und besorgte das Nötigste in der Wirtschaft. Da er tagsüber im Walde zu tun hatte, so nahm er die einzige warme Mahlzeit des Tages abends im Wirtshause, wo er ein Abkommen getroffen hatte, für ein Billiges ein. Das nächste Haus von ihm nach dem Dorfe zu gehörte einem jungen Weibe, deren Mann vor Jahresfrist beim Zapfensteigen (Herunterholen von Fichtenzapfen für die Samenhandlung der Kreisstadt) tödlich abgestürzt war. Sie lebte dort allein mit einem vierjährigen Mädchen und ernährte sich und das Kind von Handarbeiten, welche sie für eine Puppenfabrik des Walddorfes ausführte. Wenn die Veronika Gläser durch das Dorf schritt, erhobenen Hauptes und mit einem federnden Gang, der verriet, welche gute Tänzerin sie einst gewesen war, dann blickte so manches Mannesauge ihr nicht ohne heimliche Bewunderung nach, und so mancher, der daheim unter der Fuchtel seines Weibes seufzte, malte sich die Lust aus, mit diesem hübschen Weibe durch das Leben gehen zu dürfen. Ihr Kindlein aber mit den blonden Haaren und tiefblauen Augen glich einem vom Himmel niedergestiegenen Engel. Wenn der lange Friedel das Kind am Gartenzaune erblickte, dann blieb er regelmäßig stehen und scherzte mit ihm. Oft lief ihm die Kleine schon ein Stück die Straße entgegen, und dann nahm er sie bei der Hand und geleitete sie bis vor das Haus. »Onkel Friedel« saß fest im Herzen der kleinen Martha. Noch fester aber seit jenen Tagen, da er ihr in einem selbstgefertigten Häuschen eine Eichkatze ans dem Walde mitgebracht hatte. Da war Martha ihm stürmisch um den Hals gefallen und hatte ihn herzhaft abgeküßt. »Du bist doch der allerbeste Onkel!« hatte sie in jauchzender Freude ausgerufen. Und als der lange Friedel dann die Kleine vorsichtig wieder zur Erde niedergelassen hatte, da sah er in die dunklen Augen von Frau Veronika, die in der Haustür stand und ihn gar freundlich anlächelte.

Da war ein merkwürdiges Empfinden über seine Seele geschlichen. Ihm war's, als sei er errötet. Das machte ihn wild und störrisch. Nur sich nicht vor den Weibern beugen! Keine Schwachheiten zeigen! So nickte er nur kurz der hübschen Frau zu und stürmte schneller denn sonst die Dorfstraße weiter. Frau Veronika aber sagte auch nichts. Sie lächelte nur ganz still und fein. Dann hob sie auch das Kind empor und drückte ihre schwellenden Lippen auf deren süßen Kindermund.

Der Sommer war aus dem Tale gewichen, in dem sich das Dorf zum Gebirgskamme hinanzog. Stürmischer warb der Herbst mit rauhen Stößen um die Herrschaft. Des Nachts vernahm man das weithinhallende Orgeln der Hirsche, das sich tief und die Seele aufrührend über die Waldberge Bahn brach. Goldene und blutrote Blatter tanzten über die Straße, und ab und zu vernahm man hoch in den Lüften das Geschrei vorüberziehender Wandervögel.

Heute hatte die Sitzung im Wirtshause länger denn sonst sich ausgedehnt. Ein fremder Gast war dagewesen, der sich tüchtig in der Welt umgesehen hatte. Da gab's zu erzählen und aufzuhorchen. Und dann hatte sich ein anregender Disput angeschlossen, daß mancher von den Wäldlern vergaß, was seiner daheim an liebreichen Willkommensworten harrte.

Einer der letzten, welche das Wirtshaus verließen, war der lange Friedel. Er verspürte heute auch so wenig Lust heimzukehren. Und als er am Hause der Veronika vorüberkam, da blieb er sogar stehen. Der Mond war just hinter Wolken getreten. Was ihn eigentlich stehen bleiben hieß, das wußte er wohl selbst nicht recht. Doch als er an sein einsames Haus in diesem Augenblicke dachte, da schlich ungewollt ein leiser Seufzer über seine bärtigen Lippen. Er dachte an das Eichhörnchen, die stürmische Zärtlichkeit der Kleinen und dann auch an den Blick der schönen Frau. Er war ja Einspänner geblieben, und das war sein Stolz vor dem ganzen Dorfe geblieben. Und so wollte er es auch fernerhin halten. Aber in diesem Augenblicke malte er sich die stille Freude aus, wenn daheim ihm zuweilen auch in der Dämmerung so ein Paar kleine, weiche Kinderhände um seine Knie spielten, zu ihm emporlangten, und er dürfte so ein schwaches Wurm, er, der starke Mann, auf seinen Schoß ziehen und mit ihm kosen. Lächerlich! Das konnte ja nie geschehen! Durfte nicht! Wo blieben denn da all seine Grundsätze?!

Er war bereits ein Stück seinem Hause zu, als er sich noch einmal umwandte und zurückblickte.

Just warf der Mond seinen vollen Schein über die Hütte der jungen Frau und ließ das verhangene Fenster ihrer Schlafstube mit den sauberen, weißen Vorhängen wie im Silberschimmer leuchten. Ein paar Augenblicke starrte der lange Friede! wie gebannt auf dieses Fenster; dann gab er sich förmlich einen Ruck und wandte sich seiner Behausung zu.

Aber diese Nacht wollte er die sonstige Ruhe und seinen gesunden Schlaf gar nicht finden. Wüste Träume wirrten ihm das Gehirn. Und dann auf einmal schreckte er empor.

Rief da nicht jemand seinen Namen? Klang's nicht daher wie ein Notschrei? Ihre Stimme? Unsinn! Ein paar Glas Bier mehr denn sonst, weiter nichts! Und dann der dumme Mondschein, das stille Fenster, hinter dem sie ruhte! Das war alles!

Jetzt aber sprang er doch auf. Ein Blick aus dem Fenster ... mein Gott! Rauchwolken aus dem Häuslein ... nun sogar aus dem Untergeschoß eine kleine, züngelnde Flamme. Im Nu war er in seinen Kleidern. Ein Zittern war über den so starken Mann gekommen. Dann zur Straße, hinüber im Sturmschritte!

O, mein Gott! Schon hatte das bisher schwelende Feuer weiter um sich gegriffen. Es drang aus den Fugen der Tür und den Fenstern des Untergeschosses, Der lange Friedel raste weiter zum Dorfe hin. Beim nächsten Nachbar donnerte er gegen die Fenster, beim zweiten ebenso. Er brüllte wie ein Tier!

»Heraus, heraus! Feuer!! Bei der Veronika brennt's!« Und als er bestimmt wußte, daß man ihn gehört, daß Leben im Dorfe erwachte, da kehrte er fliegenden Atems zurück zum Hause der jungen Frau. Oben am Fenster stand sie im weißen Nachthemd, in all ihrem Schrecken und der sich im Antlitz malenden Angst fast doppelt schon. Sie hob die weißen Arme jammernd empor, als wollte sie vom Himmel Schutz und Hilfe fordern.

Und jetzt hatte sie den langen Friedel erkannt. Da schrie sie in herzbrechenden Tönen:

»Erbarmt Euch! Ich kann nicht mehr heraus! Die Treppe brennt! Mein Kind!!«

»Wo steht die Leiter?« Er stieß es bebend heraus.

»Hinter dem Hause! O, mein Gott! O, mein Gott!«

Aber da brach er schon hinter dem brennenden Hause hervor. Er warf die Leiter an die Wand. Rauch und aufschlagende Flammen begannen an ihm herumzuwirbeln. Nun war er oben am Fenster.

»Kommen Sie, Veronika!«

»Nein, nein, erst das Kind!« Sie hob das weinende, zitternde Kind von der Diele auf und legte es ihm in den Arm.

»Onkel Friedel! Onkel Friedel!«

»Ja, ja, Mädel, komm!«

Er schwang sich die Leiter hinab und reichte die Kleine an einige Weiber, die sich bereits drunten jammernd versammelt hatten.

»Das Heulen nützt nichts. Anfassen!!! Retten, was noch zu retten ist!«

Er blickte hinauf. Da stand noch immer händeringend Frau Veronika. Doch als sie das Kind nun gerettet wußte, da ging es wie Lächeln über ihr Gesicht. Im nächsten Augenblick drang der dumpfe Krach der zusammenstürzenden Treppe aus dem Hause. Zugleich schlugen aus dem Nebenfenster droben die ersten Flammen heraus. Frau Veronika schien noch einmal wie Lebewohl zu winken; dann verhüllten Rauch und Trümmerstaub ihre weiße Gestalt. Doch schon hatte der lange Friedel wieder die Leiter bestiegen.

»Laßt ab, Ihr werdet selbst erschlagen!« so tönte es hinter ihm drein. Doch er achtete der Worte noch der Gefahr nicht. Schon hing er wieder droben am Fensterkreuz.

»Veronika! Frau Veronika!«

Er schrie wie ein weidwundes Tier. Doch keine Antwort erfolgte. Die Frau war bereits leblos in der Stube zusammengebrochen. Aus der Fensteröffnung, wo sie noch eben gestanden, schlugen die ersten roten Flammen heraus. Da ... ein Sprung in das brennende Gemach! ... Alles hielt auf der Straße den Atem an, während just die Feuerspritze aus dem Dorfe herangerasselt kam. Da aber tauchte der lange Friedel auf. Über seine starke Schulter hatte er das leblose Weib gelegt. Nun aus dem Fenster durch Rauch und Dunst. Die Leiter unter die Füße. Dann langsam, sorglich, fest Schritt auf Schritt herab.

Weiber umschrien ihn. Alles suchte sich heranzudrängen. Er aber hielt wie ein Raubtier, das seine Beute zu verteidigen gedenkt, nur für ein paar Herzschläge inne; dann schritt er mit dem jungen Weibe nach seiner nahen Behausung.

Da legte er Frau Veronika auf das Sofa; er beugte sich über sie, strich ihr leise über das wallende Haar und rief sie bei ihrem Namen. Dann tastete zögernd und keusch seine Hand über ihren weichen, weißen Busen nach dem Herzen. Da war noch Leben drinnen! Gott sei Dank!

Nach einer kleinen Weile schlug sie langsam ihre Augen auf. Wie irrend gingen diese in dem fremden Raum herum. Endlich blieben sie auf dem Manne haften, der noch immer ihre Hand in der seinen hielt, der so traurig und wieder froh ihr ins Auge schaute, der da reden wollte und kein Wort über die Lippen brachte.

»Wo ist Martha? Martha?«

»Ruhe, Ruhe, liebe Frau Veronika! Martha ist in guten Händen und gesund!«

»Ist's wahr? O, mein Gott, es war so schrecklich!«

Ihr Blick glitt an ihr selbst hinab. Und ein Erröten lief über sie. Da sprang der lange Friedel auf und eilte nach der Wand. Gleich darauf hatte er seinen weiten Lodenmantel über ihre bebende Gestalt geworfen.

»Nun ist ja alles gut!« flüsterte er ihr zu.

Sie schüttelte sich noch einmal. Plötzlich aber erhob sie sich halb und dann, ehe er es nur verhindern konnte, schlang sie ihre weißen, vollen Arme um seinen Hals, wie es damals die kleine Martha mit ihm gemacht hatte, und dann preßte sie ihre zuckenden Lippen auf seinen Mund. Und der lange Friedel hielt still. – –

Als der Morgen herauf war, ist Frau Veronika zu einer guten Frau Pate vorderhand gezogen. Mildtätigkeit hat ihr für die erste Zeit ausgeholfen. Denn von ihrer Habe war fast nichts gerettet worden. Der lange Friedel hat sich von dem Tage weder im Dorfe, noch im Wirtshause mehr sehen lassen. Selbst bei Frau Veronika nicht. Die einen behaupteten, daß er zu stolz sei, Dank anzunehmen, die anderen aber sagten gar nichts. Die munkelten nur allerlei. Darin aber war das ganze Dorf einig, daß man auf den langen Friedel stolz sein dürfe; denn er habe etwas vollbracht, was dem Dorfe nur zur Ehre gereiche. Und darein stimmten sogar sämtliche Weiber, trotzdem sie die schlimme Gesinnung des harten Mannes wohl kannten. Die Nachricht von der kühnen Doppelrettung drang auch zu den Ohren des Landrats, und noch vor der Kirmse prangte im Knopfloch des langen Friedels die Rettungsmedaille am Bande.

Die Kirmse hatte diesmal einen recht frohen Verlauf genommen. Doch auch hierbei hatte der lange Friedel sich nicht blicken lassen. Der war nur noch im Walde zu finden. Und wer ihn dort einmal getroffen, der mußte mancherlei dabei denken. Denn fast wie tiefsinnig sah man dort unter den Bäumen den Waldwart einherschreiten; zuweilen auch blieb er stehen und starrte steif in den Himmel. Er hielt mit sich und seinen Grundsätzen strenge Abrechnung.

Als er eines Abends wieder mal vor der Brandstätte der Veronika vorüberkam, da sah er sie selbst in Trauer vor den Trümmern ihres Hauses stehen. Als sie ihn jetzt bemerkte, da glitt ein tiefes Rot über ihr schönes Gesicht. Ja, er meinte wohl, daß ein leichtes Zittern über sie gekommen sei. Nun wandte sie sich langsam nach ihm um. Sie schien reden zu wollen; doch er hinderte sie daran. Aus seinen Augen brach es wie ein Leuchten, das sie noch nie so schön an ihm gesehen hatte. »Veronika!« sagte er endlich, »es lohnt sich nicht recht mehr, daß Ihr das Haus wieder aufbaut.«

»Aber ...« Sie stockte, denn sie fühlte seinen Blick brennend auf sich ruhen. »Ich kann doch unmöglich auf der Straße bleiben. Wenn ich aus der Brandkasse mein Geld wieder habe, dann ...«

Er ließ sie aber heute nicht weiter sprechen.

»Unsinn! Ich hab's mir überlegt ... anders! Schon einmal trug ich Euch in mein Haus ... seitdem ist's mir da drinnen so still und einsam geworden ... wenn Ihr Euch dazu verstündet, so trüge ich Euch noch einmal dort' drüben hinein, dann aber, um Euch für immer dort zu behalten. Aber Ihr werdet mich jetzt auslachen. Gelt?«

Frau Veronika hat gelacht; aber es klang anders denn Spott und Verdruß. Sie hat es geduldet, daß er sie vor sein Haus noch an diesem Abend führte, und dann nahm er sie abermals auf seinen starken Arm und trug sie über die Schwelle. Und diesmal küßte er sie zuerst. – –

Aus dem Einspänner ist ein Zweispänner geworden. Der lange Friedel schlägt auch gar nicht mehr auf den Tisch des Wirtshauses und schimpft über die Weiber; denn er läßt sich überhaupt seit langen Wochen nicht mehr dort sehen. Er hat daheim mit seiner schönen Veronika so entsetzlich viel zu reden und zu philosophieren, daß er sogar jetzt zuweilen seine Rundgänge durch den Wald abkürzen muß.


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