Wenn die Sonne sinkt
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Sommerzauber.

Wie ein großes stilles, schwüles Träumen ist es über die Welt gekommen. Die Natur hält gleichsam den Atem an, als fürchte sie irgend ein schlummerndes Geheimnis aufzuwecken. Kein Lufthauch bewegt die Blätter. Regungslos starren die Wipfel in den blauseidenen Himmel, über den es silbrig von Dunst und Glut flirrt und flimmert. Alles Leben geht so schwer drunten im Lande hin. Sommerzauber ist angebrochen und hält alles Lebende und Sprossende in der Natur mit unsichtbaren Armen in seinem Banne. Müde schleichen die Wasser dahin, als wollten sie nächstens überhaupt ihre Reise hinab in die Tiefebene einstellen. Die Stille der Gärten wird nur noch für Augenblicke aufgestört, wenn ein grüner Apfel sich regendurstig vom Aste löst und mit leichtem Aufprall niederfällt. Drinnen im Walde aber meint man bei jeder Wegbiegung dem gespenstischen Schweigen zu begegnen, wie es der Seher Böcklin uns mit Märchenaugen malte. Aus dieser einschläfernden Stille sehne ich mich hinaus, hinauf zu den Höhen des Bergwaldes, über welche doch selbst in den Tagen tiefsten Sommerzaubers leicht bewegte Luft dahinstreicht, die uns, wenn wir die Augen schließen, wohl glauben machen kann, wir lehnten an der Reeling eines Schiffes, das uns über leichtschaukelnde Wellen hinaus in uferlose Fernen trüge.

So bin ich denn empor in die höhere Bergwelt gestiegen, in aller Morgenfrühe, da soeben Frau Sonne sich noch ein wenig schlaftrunken aus ihrem wie Purpurkissen und Rosen glühenden Lager erhob. Ein eigenartiges Empfinden beschleicht einen, wenn man beim Erwachen des jungen Tages durch die totenstillen, sauberen Straßen eines Städtleins allein seinen Weg nimmt. Jeder Schritt scheint die spitzgiebeligen Häuser aus ihrer behaglichen Ruhe aufzustören, ja man meint zuweilen, daß sie sich heimlich anstießen und zuflüsterten: »Natürlich! Immer etwas extra! Als ob der nicht warten könnte, wenn ein vernünftiger Mensch von Wohlerzogenheit sich aus dem Bette erhebt? Lächerlich!« – Und »Lächerlich!« hallt es die Gassen auf und nieder. Dann schlafen die Häuser wieder ein, die Normaluhr auf dem Marktplätze gähnt ein paarmal kräftig, da sie nun seit einem Jahrzehnte zu unfreiwilliger Ruhe verdammt worden ist, indem ja alles so normal sich im Städtlein abspielt, daß eine Regulierung nur Widerspruch erwecken dürfte. Im Geiste sehe ich meine lieben Mitbürger in ihren Ruhehäfen sich von der garstigen Welt Bedrängnis und dem gewohnten »Deputat« Lagerbier ausruhen; keine Gardinenpredigt zetert durch die Fensterladen, keine Rauchsäule kräuselt sich über den Dächern empor. Alles schläft. Europa hat Ruhe. Und wenn man endlich die Augen in den neuen Tag aufschlägt, dann rollt die Sonne bereits ein paar Stunden über die heimischen Waldberge dahin, das Tagwerk hebt wieder an, und mit ihm die heiligen Pflichten der Morgen-, Mittag-, Dämmer- und Abendschoppen.

Längs des östlichen Waldgebirgssaumes trägt mich der erste Morgenzug ein Stück entlang. In den Schubfenstern der Dorfsiedelungen glüht die Sonne wie in Feuerfunken; der leichte Dunst, welcher noch über feuchter Niederung schwebt, beginnt sich zu regen. Immer sieghafter wirkt das Himmelsgestirn in Tiefen und Fernen. Wie ein Helles Klingen scheint es von Berg zu Berg zu tönen: Auf, auf! Ein neuer Tag ward uns geschenkt! Und durch die Wälder geht ein feierliches Rauschen.

Luisenthal! Allein stehe ich noch am Bahnhofe und sehe den Zug um die nächste Waldecke entschwinden. Sein Gebimmel und eine leichte Rauchfahne deuten noch den Weg an, den er genommen. Vor mir, von allen Schönheitsschauern junger Morgenpracht übergossen, öffnet sich der Ohragrund, dessen Quellfäden unterhalb des Rennstieges bei Oberhof im Waldesdüster sich bergen. Links am Eingang des majestätisch sich aufbauenden Grundes ruht unter starken Baumwipfeln Gasthaus Luisenthal, wo das Tal sich scheinbar schließt, baut sich höchst malerisch Dorf Stutzhaus auf. Mit steiler, dunkel dräuender Wand steigt dicht an Luisenthal der ernste Kienberg empor, zu dessen Grat ich nun hinanklimme, nachdem mich das Gasthaus, wie so manchmal, wieder freundlich bewirtete.

Nicht jedem mag dieser Aufstieg zum Kienberg, der so unvermittelt hoch aus dem Flachland sich wie ein Ungetüm erhebt, besonderes Vergnügen bereiten, denn er setzt Beinschwung und Lungenkraft voraus. Droben aber winkt frischer Morgenhauch. Da soll mir der Wind Freiheit in die Seele blasen und der Hochwald sein Harfenlied von wiedererstandener Sommerpracht singen. Und schon wandere ich droben als ein Einsamer in unsagbare Morgenschönheit hinein. Es ist, als seien alle Tore des weiten Himmels mir geöffnet. Der Vogelsang wird zu Engelschören, Hunderte von Bergaltären flammen, wie vom heiligen Hauche berührt, lohend auf. Natur hält ihren Morgengottesdienst. Wo liegt in solcher Stunde die arme Welt mit all ihren Sorgen, ihren Lüsten und Irrungen?

Wo ein von rotem Fingerhut überblühter freier Schlag sich öffnet, da schweift das Auge über ferne Bergwellen, hier bis zum Inselberge, dort bis zum Schneekopfe und seinen Trabanten. Einmal auch trifft der Blick in die Tiefe. Da ruht wie in enger grüner Muschel eingeschlossen Dorf Schwarzwald mit seinen Hütten, und das Auge vermag den Lauf der Ohra mit ihren Nebenbächen bis hinan zum Rennstieg zu verfolgen. Dann wieder summender Hochwald, vom scharfen Rufe des Eichelhähers für Minuten aus seinen Träumen aufgeschreckt. Als wieder einmal eine sonnige Waldeshalle mir winkt, da werfe ich mich in das zitternde Gras und lasse den Sommerzauber dieses Tages über mich ergehen. In solchen Stunden spricht die Ewigkeit zu einem Menschenherzen. Das tiefe Wort »von Erde zur Erde«, die Erkenntnis, daß diese schrankenlose Weite und Bläue einstmals die sehnende Seele wird wieder in sich aufnehmen, freudvoll wird es uns zur Gewißheit. Sich auflösen, Verschmelzen mit dem All, wieder eins werden mit all dem, was unsere Seele mit Schönheitsschauern füllt, wie ein reines Glücksgefühl übermannt es uns.

Sommerzauber! Um mich herum gaukeln Schmetterlinge in allen Farben leuchtend von Blume zu Blume, selber tändelnde Blütengeschöpfe, welche ein Sonnenstrahl zu flüchtigem Leben weckt, die sich baden müssen in Licht und Wärme, schillernde Traumbilder, zwischen deren Morgen und Abend das Dasein beschlossen liegt: Erwachen, Liebe und Tod. Echte Sonnenkinder, welche lachend aus der Welt fahren! Dazu summt es um mich, über mir; man weiß nicht recht, zieht es durch die Lüfte, weht es durch die Kronen des Hochwaldes, der so feierlich rings um die Halde Wache hält. Wie dieses geheimnisvolle Leben doch mehr uns die Schleier lüftet denn alles wilde Weltgetriebe drunten in der Tiefe! Ganz in der Ferne, wo der Himmel sich silbergrau auf die Erde zu legen scheint, da wohnen rastlos schaffende Menschen, da windet sich der Eisenweg von Land zu Land, da dröhnt Menschenarbeit, schwirren die Fäden aller Begierden durcheinander; man meint den lauten Pulsschlag alles Seins zu vernehmen: droben auf sonnenbeschienener, schweigender Waldeshalle aber spricht ein anderer Mund doch zu uns. Sonnenzauber!

Die Hochstraße hin! Wie Riesengrenadiere stehen zu Seiten die Tannen. Sie blicken hinüber nach der runden Kuppe des Schloßberges, hinter dem sich Thüringens immer stattlicher emporwachsender Luftkurort Oberhof verbirgt, der wie über Nacht seine anheimelnde Poesie eines echten Gebirgsdorfes abstreifte, aus einer einsamen Siedelung armer Holzhauer sich in ein völlig modernes Luxusbad wandelte. Dort drüben wedelnde Trinkgeldersklaven, ein Durcheinander von Karossen, Menschen, Flirt, Talmi, Reichtum und Lüge – und ich wandele einsam über das Bergland hin und halte mit der Sonne, mit allem, was da singt und klingt, webt und rauscht, Zwiesprach und meine Seele hat ihren Feiertag gefunden.

Hinab in die Tiefe! Zwischen eng zusammengerückten Waldbergen ruht wie ein Geheimnis eine düstere Schlucht. Als ich sie vor zwei Jahrzehnten zum ersten Male gegen Abend durchwanderte, als das, was mir Umwohner älteren Jahrganges an Erinnerungen halb flüsternd erzählt hatten, in dieser Stunde Fleisch und Blut zu bekommen schien, da kam es wie eine Scheu über mich, und ich meinte, jeden Augenblick müsse eine von den verwegenen Gestalten aus dem Gewirr der bemoosten Gesteinhalden hervortreten. Manchmal hallte es wie ein Schrei durch den düsteren Grund, ein Schuß weckte fernes Echo, Kichern und Höhnen drang an mein Ohr, dazu gluckerte der Bach mir hart zur Seite, Wild brach durch das Dickicht, und hoch durch die dunklen Baumkronen harfte der Abendwind.

Die tiefe, wilde Poesie der Lütsche hielt mich in ihrem Banne. Heute bricht von allen Seiten goldener Sonnenschein zwischen Fels und Waldstämmen hindurch. Und dennoch kommt jenes Empfinden wieder ganz leise heran. Es schaut mich wie mit großen, offenen Augen an und scheint zu sagen: Was sind ein paar Jahrzehnte? Was hier kam und ging, wird noch auf lange hinaus spukhaft in diesem Waldrevier sein Wesen treiben. Denn es ging um Heimat und endete mit Mut!

Ja, der Lütschegrund hat seine schweren Geheimnisse! Die sie kannten, sind heimatlos in alle Winde fortgegangen oder der grüne Rasen deckt sie. Diese Erinnerungen und die eigenartige landschaftliche Szenerie leihen gemeinschaftlich dem engen Tale, das die Lütsche durchflüstert, den Stimmungsgehalt. Ein wildes, zum Teil uralt bemoostes Trümmerfeld, wohin auch der Blick irrt. Denn ehe noch Geschichte gemacht und aufgezeichnet wurde, blühte an diesen tannenbesetzten, steilen Hängen des Tales bereits die Gewinnung ausgezeichneter Mühlsteine. Ein Beweis für diese Annahme bietet die Auffindung von Mühlsteinen in der vorgeschichtlichen Befestigung auf den Reinsbergen oberhalb Plaue im Tale der Wilden Gera, Steine, welche in dieser Beschaffenheit (Porphyr mit scharfen Quarzkristallen) bis heute nur in den Steinbrüchen des Lütschegrundes gewonnen wurden. Durch Jahrtausende hat diese Industrie bis heute hier geblüht. Ihre Erzeugnisse wanderten weit hinaus in die Welt. Von den Hängen aber rollte man Geröll und Schutt. Das schuf neue Vorberge und türmte künstliche Mauern im Tale auf, über welche dann die Natur liebend einen grünen Mantel legte. In dem weltentrückten Waldwinkel, der sich dort zeigt, wo die Lütsche aus dem engen Tale tritt, um sich nun seitwärts nach dem Geratale zu wenden, da lagen bis zum Jahre 1864 die wenigen Hütten des Walddorfes Lütsche. Was hier fern vom Weltgetriebe hauste, ging tagsüber als Steinbrecher oder Holzhauer armseligem Tageslohn nach. Wenn aber die Nacht sich über die stillen Berge niedersenkte, dann ward es noch einmal geräuschlos-lebendig in dem Waldneste. Dann ging's in den Wald, dem Reichtum an Edelwild mit der Büchse nachzustellen. Wilddieberei und Holzraub blühten in der »Lütsche«, wie der Ort im Lande nur allgemein hieß. Doch nur selten ward es den Beamten möglich, den Übeltätern auf die Spur zu kommen. Verräter gab es nicht in der Lütsche. Es herrschte Korpsgeist. Denn man machte gemeinsame Sache. Der Wald war ja so groß, predigte Freiheit, und der Fürst war ein reicher Mann!

Endlich entschloß sich die gothaische Regierung dazu, das ganze Dorf anzukaufen, um es dann dem Erdboden gleichzumachen. So geschah es denn auch im Jahre 1867. Ein Teil der heimatlosen Lütscher wanderte weit hinaus, andere gingen sogar über das große Wasser, wohl in der Hoffnung, daß ihnen drüben vielleicht die hier vergällte Freiheit winken könne.

Den letzten Schultheiß von Lütsche aber trieb es nicht in die Ferne. Ihm war's, als müsse er nachbarlich bei der vernichteten Heimat aushalten, bis auch deren letzter Stein unter Moos und Gestrüpp versunken sei. Wache wollte er halten über das Grab seines Dorfes, festhalten aber auch an dem, was einst die Furcht der hohen Herren ausgemacht hatte. In ihm sollte sich der ganze Stolz, die volle Wildheit der Lütscher bis zuletzt noch verkörpern. Ihr letzter Schultheiß gedachte mit Ehren einmal aus der Welt zu scheiden.

So war er nach dem nahen Gräfenroda gezogen, wo er sich mit den von der Regierung erhaltenen Mitteln ein Haus erstand und nebenbei Holzhandel trieb. Er war ein hochgewachsener, schöner Mann mit weißem Haar. Aufrecht schritt er einher. Kein Sonntag, an welchem er nicht seinen Platz in dem Gotteshause einnahm, um dann nach Schluß draußen am Portal dem Pfarrer noch die Hand dankend zu drücken, wohl auch noch ein Stück ihn zu begleiten, über den Inhalt der Predigt Meinungen auszutauschen. Seinem Dorfe hatte man ein unrühmliches Ende bereitet, um so stolzer mußte der letzte Schultheiß den Kopf tragen. Und das tat er, so daß mancher dem ernsten Greise nachsah und sich seiner Erscheinung freute.

An einem Sonnabend war's. Die Sonne war bereits nieder, als ein Paar Schüsse droben im Hochwalde das Echo der Berge wecken. Ein Kapitalhirsch ist in einer Dickung zusammengebrochen. Der letzte Schultheiß der Lütsche und der Scherenschleifer von Frankenhain halten vor dem verendeten Tiere und freuen sich der Beute. Dann schütteln sie sich die Hände.

»Morgen früh also!« flüstert der Alte.

»Ich komme, Schultheiß!« erwidert der Scherenschleifer.

Dann raschelt es in dem Dickicht. Nach beiden Seiten sind die Wilderer entschwunden.

Sonntagmorgen. Aus den Tälern hallen verworren die ersten Glockenklänge. Droben im Dickicht knien wieder beide und beginnen das edle Tier auszuwirken. Sie merken in der Erregung nicht, daß zwei Paar Augen jetzt auf ihnen ruhen, daß zwei Büchsenläufe auf sie gerichtet sind. Dann ertönt der Anruf. Kurz und scharf.

Der Scherenschleifer hat Glück. Obwohl erkannt, entzieht ein Seitensprung ihn den Beamten. Der letzte Schultheiß der Lütsche ist auch aufgesprungen. Seine Hand greift nach der Waffe. Sein weißes Haar bäumt sich. Wild ist der Blick, mit dem er die Mörder seiner Ehre mißt.

»Ergebt Euch, Schultheiß!« so tönt's ihm entgegen.

Noch ein langer Blick des Alten. Dann wendet er sich um.

Noch ein letzter Anruf. Da setzt der Angerufene zur Flucht an. Ein Doppelschuß ist die Antwort. Dann sinkt der letzte Schulze der Lütsche zu Tode getroffen in das taufeuchte Moos nieder, während drunten die Glocken zur Kirche rufen. Mit seinem Blute hat er die Geschichte der Heimat besiegelt. Das ist das Ende der Lütsche und ihres letzten Schulzen. – –

Sonnenlichter spielen durch die Wipfel nieder, huschen wie lachendes Kindervolk zwischen den Stämmen einher, glitzern auf den kahlen Gesteinhalden, an denen armselige Wetterhäuschen für die Steinbrecher kleben, und streuen blitzende Funken über die blanken Wellen des Wildwassers, aus dessen Wellen ab und zu eine Forelle aufspringt. Das Picken und Schürfen in den Steinbrüchen, die da und dort hoch zwischen den Baumkronen hervorschimmern, ist verstummt. Nur der Bach rauscht, dann und wann streicht leise singend ein Vogel vorüber. Wie verwunschen mutet alles an. Sommerzauber und Mittagszauber einen sich in dieser Stunde. Langsam schreite ich weiter. Nun öffnet sich etwas das Tal. Die Waldriesen rechts und links treten ein wenig zurück und geben einem Riesendreieck Raum. Das ist die Stelle, auf welcher sich einst das Dorf Lütsche erhob.

Wie oft bin ich einst in dieser Wildnis herumgestreift. Nun sehe ich, daß die Natur wie tröstend noch mehr inzwischen in ihr stilles Bereich aufnahm. Über die Grundmauern, welche damals noch kümmerlich aus der Erde ragten, hat sich ein grüner Mantel gebreitet; Blumen leuchten darüber und Schmetterlinge unterhalten sich mit ihnen. Noch aber rieselt der abgezweigte Mühlgraben; zwischen dem Gewirr von wilden Rosen und Beerengesträuch wuchern entartet allerlei Gartensträucher, die einstens die kleinen Vorgärten der Lütsche wohl zierten. Sonst nur Schweigen und Vergessen, das um diese flimmernde Mittagsstunde fast gespenstig berührt. So mögen wohl alle Stätten wirken, auf denen einmal Menschen durch Geschlechter hindurch kamen und gingen.

Zur Rechten zieht sich der Walsberg (Waldberg) in sanft geschwungenem Bogen hinüber nach dem Tale der Wilden Gera, welche zwischen ihm und dem Dörrberg aus einem engeren Tale tritt, um nun über Gräfenroda nach Plaue zu strömen, sich hier mit der Zahmen Gera zu vereinigen. Auf dem Walsberge steht noch hoch droben in verträumter Waldwildnis ein bemooster Stein, der erzählt, daß hier einst der letzte Bär dieser Gegend erlegt worden ist. Ich entsinne mich noch der Stunde, da ich auf einsamer Wanderung das sonderbare Denkmal wieder aus dem Erdreich befreite und aufrichtete.

Eine halbe Stunde später halte ich Einkehr im Dörrberger Hammer, einer wahrhaft anheimelnden Raststätte, mit der mich Jahrzehnte Erinnerungen verbinden. Oberförsterei, Sägemühle und Gasthaus bilden hier eine kleine Kolonie. Der Blick fliegt von hier hin auf das von mächtigen Bergen eingefaßte Tal, das sich zum Hauptgebirgsstock emporschluchtet. Und wie immer, werde ich hier mit Freundlichkeit empfangen. Verwehte Stunden, verwehtes Glück, alles taucht wieder vor mir auf. Wer tief sein Herz will in die stillen Freuden und den Frieden einer erhabenen Natur versenken, der halte hier Einkehr. Das hat auch ein anderer an sich erfahren, den die Stürme der Hauptstadt stark geschüttelt, der sich aus Lüge und Unnatur zurücksehnte nach einem frischen Trunk von Wahrheit und Freiheit, der hier wieder jauchzen und glauben lernte: Fritz Lienhard. Er hat seit langem und für lange hier seinen Wohnsitz aufgeschlagen, damit das Rauschen Thüringer Wälder das verwundete Herz des so deutsch fühlenden Elsässers wieder gesunden lasse. Droben in einem traulichen Heim, inmitten von Bergen und himmelsuchenden Waldwipfeln haust er allein. Dort habe ich ihn jüngst kennen gelernt, und in der tiefen Liebe zum Thüringer Walde fanden sich unsere Herzen rasch zusammen.


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