Wenn die Sonne sinkt
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Die Wildkatze.

Über dem eng sich hinauf schluchtenden Waldtale ruht die feierliche Stille eines klaren, heißen Sommernachmittages. Fast unbeweglich steht die Luft. Ein heimliches Flimmern scheint über die Wipfel der Eichen und Buchen hinzugehen, welche bis in den Grund hinab das Tal einhüllen. Da und dort blickt aus den grünen Wänden ein Stück rotliegendes Gestein heraus, während hoch über den Waldrändern droben in zerrissenen Schroffen und Zinnen wild und malerisch Felshänge zum Tale niedergrüßen.

Über einen dieser rauhen Felsaltane wölbt sich ein starker, wilder Holunderbusch, dessen rote Beeren in der Sonne gleißen und leuchten. Und noch ein anderes gleißt und schimmert in dieser versonnenen Einsamkeit. Das sind die grünlich schimmernden Augen und roten Lippen eines jungen Mädchens, das da lang hingestreckt, den von wirren Haaren umschatteten Kopf in die Hände gestützt, lauernd die Blicke über das Tal und den Waldrand drüben schweifen läßt. Die spitzen, weißen Zähne nagen an einem grünen Pflanzenstengel. Dann und wann schließt die Schöne die fast runden Augen. Dann leuchtet nur noch die halbentblößte Brust, von welcher das tief ausgeschnittene Hemd nachlässig hinabgeglitten ist. Es muß wohl wie Sommerträumen über das junge Weib gekommen sein. Zuweilen stiegt ein eigenes Lächeln über das stark gebräunte Gesicht. Und dann schließt es wieder die Augen. Nur die merkwürdig feinen Nasenflügel beben, und die weiße Brust hebt sich noch stürmischer wie im ungebändigten Freiheitsdrange.

Sie wendet ein wenig seitwärts den dunkelumrahmten Kopf. Drunten in der Tiefe ruht das weite Land. Dort unten bringen sie jetzt den Segen der Felder ein. Dort unten war es beim Heuen. Der letzte Wagen war bereits auf dem Heimwege. Sie saß noch ein paar Augenblicke am Raine, sich zu verschnaufen und ihre Überkleider, die sie abgelegt hatte, wieder anzulegen. Da fühlte sie sich um den Leib gefaßt. Eine feine, weiße Hand. Ein funkelnder Ring daran. Das war die Hand des jungen adligen Sohnes der reichen Herrschaft. Heiße, girrende Worte drangen plötzlich an ihr Ohr. Ein Paar Lippen suchten ihr Gesicht. Sie wehrte sich. Vergeblich! Ein heiseres Lachen. Wieder die Hand, die jetzt ihren Kopf zwingen wollte. Da biß sie zu. Und dann floß neben dem Ringe ein rotes Bächlein zur weißen Manschette. »Wildkatze«! hörte sie es fluchen. Dann war sie frei. –

Frei von seinen züngelnden Liebesnöten, frei von Arbeit und Pflichten! Denn noch am selbigen Abend war ihr der Dienst vom Gutsinspektor schroff gekündigt worden. Da war sie vom Schloß und Hof für immer gegangen. Die Mutter war tot, der Vater ein verliederter Trunkenbold: was sollte sie noch daheim? Seine Schläge abwarten, daß sie nun vor die Tür gesetzt worden war? Ha! Lieber die Freiheit! Da und dort würde für sie schon etwas abfallen. Sie war ja nicht ungeschickt in manchen Dingen. So hatte sie ein Nomadenleben begonnen, und wenn sie mal keinen Unterschlupf fand – nun der Wald war groß, und seine Geheimnisse waren ihr seit den Kindertagen, da sie in ihm herumgestreift war, vertraut worden. In Busch und Klippen war sie seit Jahren daheim. Jede Felsenschlucht kannte sie. Sie sprang und kletterte, daß kaum ein Bursche ihr gleich tun konnte. Darum hieß sie im Dorfe allgemein nur die Wildkatze.

Seit drei Tagen hauste sie nun wieder hier droben in ihrer geheimen Felsenburg. Durch Busch und Dorn ging der Aufstieg. Kriechend hieß es die letzte Strecke zurückzulegen. Dann öffnete sich plötzlich ein gähnendes Loch. Da hinunter! Einen Gang entlang. Da hatte sie sich in der Ecke ein Lager nach und nach zurechtgemacht und die unterirdische Behausung, so weit es ging, behaglich hergerichtet. Hier fand sie niemand, da niemand sie hier droben ahnte. Eine Gemiedene und Verdammte sollte sie sein. Als ob da unten im Lande die Sünde nicht auch Haus für Haus saß. Auch im Schlosse, über dessen getürmten Dache heute eine Fahne wehte. Hahaha! Der Geburtstag des »gnädigen« jungen Herrn! So gnädig hatte er sich zu der armen Wildkatze herabgelassen! Und diese Gnade hatte sie undankbar und rauh zurückgewiesen! Sie sah wieder den Ring blitzen und wie das frische rote Blut ihm über die Manschette tropfte! Hahaha!

Da hielt sie plötzlich den Atem an. Ihre Augen öffneten sich weit. Fest und suchend hafteten sie drüben an der gegenüberliegenden Felswand des Tales, wo sich zwischen hohen Bäumen ein holpriger Weg langsam und in Windungen zur Talsohle niederzog. Hatte sie sich getäuscht? Das war doch wie der Schatten eines Mannes gewesen? Jenes Mannes, der nichts von ihr wissen wollte, der die arme Wildkatze höhnte und von sich stieß, und dem sie doch alles hingeben könnte, Leib und Seele, wenn er nur fordern würde. Dem sie es geben mußte, weil ihre ganze Erdenseligkeit davon abging. Als Kind hatte sie schon halb unbewußt empfunden, daß der Sohn des Großbauern Reinhard ihr einst gefährlich werden müßte. Auch sein Blut war stürmisch, wie das ihre, auch aus seinen Augen schoß es manchmal so wild und unstet auf, wie aus den ihrigen. Da hatte sie wohl in ihrer Dummheit gemeint und geglaubt, das Geschick habe sie beide füreinander bestimmt, bis dann mit dem Erwachen der Vernunft alles wie ein Traum zerstob. Auf dem Tanzboden hatte er sie nie berührt. Und sie hatte doch gemeint, einmal müsse die Stunde kommen, in der er sie nehmen werde und forttragen. Wohin? Was würde sie danach fragen? Ihn halten, seine Küsse trinken, alles in seinen Armen vergessen, dieses arme, grausame Leben! Weiter wollte sie nichts.

Und nun sah sie ganz genau ihn dort drüben aus dem Walde treten. Jetzt schritt er längs der roten Felswand hin, die die eine Seite des Bergpfades einsäumte. Wie straff und hurtig er ging! Seine hohe Gestalt, wie er zuweilen den Kopf aufwarf! Und nur durch eine Schlucht getrennt von ihm! Ganz allein mit ihm in dieser traumverlorenen Waldeinsamkeit! Heiß kam es über sie. Sie richtete sich ein wenig empor. Die Rechte höhlte sich vor dem Munde. Dann rief sie laut, wie von innerem Jubel angetrieben, über das Tal hinüber:

»Günther!« Und noch einmal: »Günther!!!«

Und dann blieb er wirklich stehen und ließ wie verdutzt seine Blicke wandern. Doch sie schienen ihre Gestalt noch immer nicht zu finden. Da sprang sie empor, warf die Arme jauchzend in die Luft und wiederholte nochmals den Ruf. Da zuckte er zusammen. Sie sah es ganz genau. »Günther!« schrie sie. Ihre eine Hand winkte. Sie wußte kaum selbst noch, was sie eigentlich tat. Die Sommerluft, die Einsamkeit mußten wohl daran schuld sein.

Da lachte er laut. »Wildkatze!« entgegnete er. Dann setzte er seinen Weg fort, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen.

Mit starren Augen, wie gebannt, blickte sie ihm nach, bis seine Gestalt wieder im Waldesschatten eintrat und verschwand. Da brach sie auf der Felsenplatte zusammen. Ihre irrenden Hände wühlten sich in die nackte Brust ein, sie rauften im Haar, und endlich schlug ihr Kopf nieder in die vor sich hingeworfenen Arme, und sie brach in leises Wimmern aus, während ihr Leib wie von Fiebern geschüttelt zuckte und sich wand. – – – –

Ein paar Wochen später feierte das Dorf, aus dem die Wildkatze stammte, Erntefest. Im Wirtshaus ging es diesen Abend hoch her. Pauken und Trompeten lärmten, mit blitzenden Augen und geröteten Wangen schwangen sich die Paare im wilden Reigen durch den mit Girlanden und Fahnen geschmückten Saal. Langsam sank unterdessen draußen der Abend auf das Land und die Hütten. Als es ganz dunkel geworden war, da sah man seitwärts draußen eine phantastisch gekleidete Mädchengestalt an einem der Fenster stehen und mit heißen Augen dem Tanze drinnen folgen. Es war die Wildkatze. Ein paar Burschen hatten sie bereits erkannt. Ihre lachende Aufforderung, sich doch auch unter das tanzende Volk zu mischen, hatte sie abweisend und mit finsterer Miene beantwortet.

Sie hatte nur Augen für den einen, und wenn der sie nicht holen würde, so würde sie draußen harren und harren, bis der Morgen tagte, um dann wieder hinauf in die Berge zu steigen. Dieser eine aber sah sie nicht, ahnte wohl kaum ihre Gegenwart. Der hatte nur ein Mädchen im Auge, das an der Seite eines anderen saß, ab und zu jedoch zu ihm hinüberschielte, als wollte es damit sein stilles Einverständnis ihm bekunden. Der Bursche an ihrer Seite nagte finster an der Unterlippe und schien offenbar Lust zu verspüren, den geheimen Gegner zur Rede zu stellen.

Wieder hatte er seine Tänzerin zum Platze geführt, als Günther auf diese zutrat, um sie nun selbst aufzufordern. Doch der Begleiter schien es ihm zu verweigern. Die Wildkatze sah nur, daß Günther ein paar spöttische Worte dem Rivalen schien zuzuschleudern, und daß dieser aufsprang, den vor ihm Stehenden zu packen. Doch die Umgebung hinderte ihn daran. Es gab ein kurzes Wortgemenge, bis die wieder ansetzenden Töne Frieden und Ruhe brachten.

Der Wildkatze war es, als würge eine unsichtbare Hand ihr am Halse. Hier stand sie nun seit Stunden, und jede Fiber schlug dem Manne entgegen, der da drinnen suchte höhnisch das Mädchen eines andern sich zu erobern. Immer heftiger rang sich in ihr der Entschluß empor, die Flucht zu ergreifen, diese Stätte zu verlassen, deren Bilder ihr bald die Tränen in die Augen trieben. Schon war sie ein Stück die Straße nach dem nahen Walde langsam hinabgeschritten, da schlug erneuter, wilder Lärm an ihr Ohr. Vor der Tür des Wirtshauses war sichtlich ein harter Kampf entstanden. Wachsende Stimmen, dumpfe Laute und gellende Weiberrufe! Im Nu war sie heran. Jetzt erblickte sie mitten im Gewoge Günther im Ringen mit dem Burschen, dessen Schöne verzweifelnd die Hände wand und immer aufs neue die Hilfe der Umstehenden anrief.

Da mit einem Male blitzte etwas Blankes, Scharfes durch die matt von einer Lampe erhellte Luft. Dann ein gellender Schrei. Die Wildkatze sah, wie der Bursche mit einem Schrei zurücktaumelte, endlich prall niederfiel. »Er ist gestochen! Faßt ihn! Mörder!« So wirbelte es durcheinander, während ein Teil der Zuschauer sich eng um den Sterbenden scharte, der mit zackigen Bewegungen wie nach Luft und Leben zu greifen schien.

Starr, versteint hielt noch immer Günther in der Nähe. Da fühlte er mit einem Ruck seine Hand erfaßt. Die Wildkatze stand dicht neben ihm.

»Komm! Komm! Sonst fassen sie dich!« Er schaute ihr wie abwesend ins Gesicht. Er schien noch immer ihren Warnungsruf nicht zu verstehen. Da hatte sie ihn noch fester gepackt und zerrte ihn aus dem wirrenden Knäuel heraus, bis beide im Schatten eines alten Baumes hielten. »Jede Minute kann dir die Freiheit kosten! Ich führe dich! Komm mit!«

»Was willst du mit mir?«

»Dich retten!« Ein tiefer, heißquellender Blick suchte sein Gesicht. Da ließ er sich ruhig führen. Erst ein paar Schritte noch langsam, dann aber in fliegender Eile, bis das Dorf weit hinter ihnen lag. Hinauf in den Bergwald ging die Flucht. –

Marienfäden zogen durch die goldige Herbstluft. Drunten im Lande glühten die rotwangigen Äpfel in den Bäumen, der Wein reifte an den Spalieren der Häuser. Wie ein Singen und Klingen erklang das heimliche Wehen der Winde. Aus der Höhle war soeben die Wildkatze herausgekommen und hatte sich auf ihrem Lieblingssitz über dem Tale niedergelassen. Wie in Blut und Gold lag der weite Wald getaucht.

»Er schläft!« flüsterte sie. Dann kreuzte sie wie zum Gebet die Arme über der Brust, die sich in heimlicher Freude stürmisch hob und senkte. »Mein, mein! Nun doch mein! Ganz mir gehörig! Mit Leib und Seele!« Sie schloß halb wie in Seligkeit die Augen für ein paar Herzensschläge lang. Dann blickte sie wieder verträumt über das Waldtal hinaus. Acht Tage hielt sie nun den Geliebten vor aller Welt verborgen. Seit jener Schreckenstat war das ganze Dorf auf den Beinen gewesen, den Mörder aufzusuchen. Allerlei Gerüchte schwirrten einher. Der Staatsanwalt stand mit leeren Händen dabei und setzte schließlich eine hohe Belohnung für die Ergreifung des Schuldigen aus. Doch kein Tag brachte die Lösung des Geheimnisses. Günther Reinhard blieb verschwunden.

Auf einmal stutzte die Wildkatze. Ihr feines Gehör hatte leises Zusammenschlagen von Büschen vernommen. Auch wie ein verhaltenes Gemurmel war es aus dem Walde hinter ihrem Rücken gekommen. Im Nu war sie aufgesprungen und kroch nun auf allen Vieren in das Gewirr, das ihren Schlupfwinkel barg. Nur wenige Sekunden, und dann glitt ihr Leib wie ein Schatten hinab in die Höhle. Sie warf sich über den noch immer schlafenden Burschen, sie bedeckte ihn mit zehrenden Küssen, dann riß sie ihn jäh empor.

»Auf, auf, Günther! Du bist verloren, wenn nicht ein Zufall uns gnädig ist!«

Er blickte sie wie fassungslos an. Doch sie drängte zum Aufbruch. »Du mußt hinaus! Sie sind schon nahe. Der Jäger von der Schloßherrschaft führt die Rotte. Das ist sein Werk! Blut will Blut!«

Ein eiserner, grimmiger Zug stand jetzt in ihrem Gesicht.

Schon waren sie in die Höhe geklettert und krochen zu dem Holunderbusche auf der Felsplatte. Da tönten Stimmen hinter ihnen. »Wir haben sie! Gefangen! Nun gibt's kein Entwischen! Die Höhle ist leer! Draußen sind sie!«

Stieren Auges hielt die Wildkatze den Blick auf das Gebüsch geheftet. Marternde Seelenangst spiegelte sich in ihrem Gesicht. Jetzt vernahm man ganz deutlich das Herannahen von Tritten. Da schlug sie noch einmal ihre Arme um den Burschen. Ihre Brust drängte sich dicht an ihn, ihre Lippen saugten sich noch einmal an den seinen fest. »Dich sollen sie nicht kriegen! Sie wollen dich töten! Nimmermehr! Geh' in die Freiheit! Leb' wohl! Für immer, für immer, Günther! So heiß hat dich keine geliebt denn ich!« Im nächsten Augenblick hatte sie ihn mit einem kurzen Ruck rückwärts über die Felskante gestürzt. Dann ganz unten in der Tiefe ein hartes Aufklatschen. Dann war alles still. Sie warf sich nieder und wühlte das Gesicht in die zuckenden Hände. So fanden sie die Häscher. Den sie aber suchten, der stand bereits vor dem ewigen Richter.


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