Wenn die Sonne sinkt
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Das Sommerheim eines fürstlichen Künstlers.

Kunst und Wissenschaft und alles geistige Streben verdichtet sich für uns nicht allein am grünen Strand der Spree; neben Berlin darf noch eine Reihe anderer Hauptstädte rühmlichst ihr Haupt heben, ja selbst die Residenzen kleinster Thüringer Fürstentümer haben sich in der Kunstgeschichte einen ehrenvollen, hell tönenden Namen errungen. Auf dem Gebiete der Politik im Schatten stehend, gewannen sie dafür in den verschiedenen Künsten eine oft führende Stellung. Daß im Thüringer Lande, der Wiege deutschen Volksgesanges, die Musik den Vorrang stets beanspruchte, darf also nicht befremden. Aber auch sonst blühten hier zwischen Ilm und Werra frühlich alle Künste. Weimar, das einst den deutschen Parnaß versammeln durfte, hat klassischen Klang. Auf dem Kampffelde der Musik hat Meiningen unter genialer Führung seines Feldherrn Fritz Steinbach in den letzten Jahren Sieg auf Sieg errungen. Vorher aber war es das Theater, welches Meiningen über Europa hinaus einen leuchtenden Ruhm gewann. »Die Meininger« waren etwas geworden, was bis dahin noch kein Theater erträumt hatte: ein fest umgrenzter Begriff, ein Zauberwort, eine Welt voll Schönheit und Farbenfreude. Noch heute denke ich klopfenden Herzens jener Tage, da ihr Siegeszug in Berlin begann, da es wie ein Rausch und Wirbel über unsere Spreeathener kam, dem sie sich willig und staunend unterwarfen. Der Zaubermeister aber, der in die Massen seiner Künstlerschar Leben und Seele gehaucht, der Harmonie, gesättigte Farbenglut, Bilder von bisher unerhörter Treue und Schönheit geschaffen, der saß abseits in seinem waldumrauschten Ländchen und freute sich aus der Ferne des Siegeszuges seiner Treuen. Seitdem füllen Name und Tat Herzog Georgs II. von Meiningen eines der leuchtendsten Blätter in der Geschichte des deutschen Theaters.

Daß ein Fürst von so ausgesprochen künstlerischen Talenten und Eingebungen diese auch in seiner eigensten Umgebung, den Räumen seiner wechselnden Residenzen, zur Geltung bringen mußte, leuchtet ein. Dies hat denn auch Herzog Georg von Meinungen im vollsten Maße getan, und er hat damit in dem langen Zeitraum seiner Regierung nicht nur den bildenden Künsten manch schöne und ehrenvolle Aufgabe gestellt: er hat vor allem auch innerhalb seines intelligenten Ländchens das Kunsthandwerk zu hoher Blüte emporgeführt. Meininger Holzschnitzer und Kunstfachschulen genießen Ansehen im deutschen Vaterlande. Der Sinn und das Behagen an der Kunst im eigenen Hause ward damit im Meininger Lande stark gefördert, wie auch dank dem Vorangehen des Herzogs der prächtige, malerische, einheimische Holzfachwerkstil – ich nenne ihn sonst immer den »Werrastil« – in Profan- und Privatbauten wieder hoch in Ehren kam.

Fein geläuterten Kunstgeschmack atmen alle Besitzungen des Herzogs von Meiningen. Alles Schwülstige, Barocke, kokett Französierende ist da ausgemerzt. Wie das äußere Bild des greisen Fürsten so recht dem eines echten, edlen deutschen Burgherrn entspricht, so spiegelt sich auch in seinen Schlössern und waldeinsamen Jagdsitzen echt deutscher Sinn wider. Die Stile vergangener und heutiger Zeit reichen sich da die Hand. Unter den Sommersitzen Georgs II. nimmt Altenstein am Westhange des Thüringer Waldes den Vorrang ein. Sein Park, seine Lage lassen ihn als eine der schönsten Sommerresidenzen Deutschlands erscheinen. Auf jäh niederfallenden Dolomitklippen sich erhebend, umrauscht von einem weiten Mantel stolzer Waldberge, blickt es hinab zum weitgezogenen, von Ortschaften, übertupften Werratale, hinüber zu den still und feierlich aufragenden, blau umdämmerten Kuppen und Gipfeln der Hohen Rhön. Es ist in der Tat ein Stückchen Paradies, ein Zaubersitz von bannender Schönheit. Es war vor wenigen Wochen, als ich wieder einmal über das Gebirge hinüber nach Altenstein zog. Blühen, Grünen und Singen ringsumher. Von den Berghängen scholl das melodische Geläut der Rinderherden, und die Wildwasser taumelten wie trunken ob all der blühenden Schönheit talab den Landen zu. Auf dem Inselberge, unserem »Thüringer Rigi«, ward kurze Rast gemacht. Dann ging es auf dem vergrasten Rennstieg, dem uralten Grenzpfade zwischen Thüringen und Franken, weiter. Tiefste Waldeinsamkeit, von Höhenluft umwittert! Nach einer guten Stunde berührt man einen der Dreiherrensteine, jener Grenzzeichen, welche die Politische Hoheit dreier sich berührenden Länder kennzeichnen, hier: Meiningen, Gotha und Preußen (Hessen). Scheffel hat in seinem frischen Gedichte »Der Rennstieg« (»Frau Aventiure«) just diesen Stein köstlich besungen, auf dem nach vollzogenem Grenzumritte die drei Abgesandten gemeinsam sitzen, aus einer Schüssel essen, doch ihre Füße auf des eigenen Landesherrn Gebiet dabei setzen. Auch eine wehmütige Erinnerung ruft dieser Stein wach. Der im tiefsten Elende umgekommene Thüringer Komponist Ludwig Böhnert belegte seine Oper mit dem Namen »Der Dreiherrenstein«. Der Schauplatz ihrer Handlung ist in dieser Gegend zu suchen.

Noch ein Stück waldumrauschten Rennstiegs weiter und dann links seitlich hinab in ein immer glänzender sich aufrollendes, tief eingerissenes Tal. Der Steinbach durchplätschert es, und am Ende winkt mit malerischen Fachwerkhütten das Dorf gleichen Namens. Funkensprühen und Hammerschlag hier Haus für Haus! Steinbach ist eine der vielen Thüringer Stätten der Eisenindustrie, deren Erzeugnisse dann als »Solinger Ware« in die Welt gehen. Die Berglehne empor, über die alte Lutherstraße fort, auf welcher einst der Reformator aufgehoben und nach der Wartburg geführt wurde, und dann umfängt uns der Park von Altenstein. An dem hübschen Gasthause vorüber, längs der Hofgärtnerei hin, und vor uns öffnet sich eine freie, von Baumgruppen eingefaßte Rasenfläche, Blumenteppiche leuchten herüber, eine hohe Wassersäule steigt leis singend empor, Terrassen, Steinbilder, blütenüberwucherte Wandelgänge, efeuumschlungene Ruinenreste, sanft geschwungene Seitentäler, Wipfel an Wipfel gedrängt, blaue, sehnsuchtweckende, ferne Höhenzüge ... und inmitten dieses berückenden Bildes: Schloß Altenstein!

Es ist ein Meisterwerk des jetzt in Karlsruhe lebenden Professors Albert Neumeister, eines Kindes des Landes Meiningen, dem dieses eine Reihe fesselnder Kunstschöpfungen verdankt. Der giebelreiche Abschluß nach oben zeigt den Tudorstil (Eselrückenbogen); sonst aber machen sich deutsche und flämische Einflüsse geltend.

Über die Terrasse fort gelangt man in ein luftiges Vestibül des Erdgeschosses, welches einen Gartensaal, Audienz- und Fremdenzimmer und Räume für die Dienerschaft umschließt. Ein verdeckter Gang führt hinter dem Schlosse zur Küche, die in den Felsen eingebaut ist, welcher die Reste des eigentlichen Altensteins auf seinem Scheitel trägt. Sämtliche Räume des Schlosses – ausgenommen die englischen Gemächer der Gemahlin des Fürsten, Freifrau von Heldburg – sind im Stil deutscher Renaissance ausgeführt. Das in glühenden Farben leuchtende Treppenhaus und der herrliche Speisesaal, geschmückt mit Phantasiemalereien des Malers und Dichters Arthur Fitger in Bremen, sowie der Gesellschaftssaal im oberen Stockwerke bilden Hauptglanzpunkte des Schlosses. Charakteristisch für alle diese Räume ist der schwarze Grundton gebeizten Holzes im wirksamen Gegensatze zu den lichten Decken. Alle Künste und Kunsthandwerke wetteiferten in der reichen und doch so deutsch anheimelnden Ausschmückung dieser Säle und Privatgemächer. Und von allen Seiten nicken durch die Fenster schwankende Baumwipfel, dringen Blütenduft und Vogelsang herein, blaut eine leuchtende Ferne, in welche sich der Blick weit hinaus verlieren kann.

Und was birgt dann noch der stundenweite Waldpark an Schönheiten, Fernsichten, auch an sogenannten »Überraschungen« einer Zeit, deren Geschmack heute längst durch einen gesünderen Sinn verdrängt wurde! Da ist die sentimentale Ritterkapelle, die in einem Felsen heimlich klingende Äolsharfe, das lachende chinesische Häuschen mit lustig bewegten Glasglöckchen – Überbleibsel einer süßlich empfindenden Zeit, da man noch in Reifrock und Puderperücke einherschritt und galante Verschen drechselte. Prächtig wirkt das Morgentor, eine Felsbastei, von welcher sich ein köstlicher Blick auf das Gebirge, Bad Liebenstein zu Füßen und das heitere Werratal eröffnet. Unter diesen Felsklippen birgt sich die bekannte Altensteiner Höhle mit Wasserfall, Kahnfahrt und interessanten Felskammern. Stundenlang vermag man im Parke zu Altenstein umherzuwandern und wird nicht müde, sich der immer neu erschließenden Schönheiten zu freuen.

Uralter Herrensitz ist hier. Einst saßen hier die Frankensteiner, abwechselnd mit den Herren von Stein. Am 10. Dezember 1492 kam Altenstein dann in die Hände des Türknechts (Kammerherrn) Hans Hund von Wenckheim. Um der Treue willen – der Sage nach – trug jeder dieses Geschlechtes den Namen Hund. Ein Hund von Wenckheim war es auch (Burkhard II.), welcher in Gemeinschaft mit dem Schloßhauptmann Hans von Berlepsch am 4. Mai 1521 Dr. Martin Luther unweit Altenstein aufhob. Reich und fesselnd ist die Geschichte der Hunde von Wenckheim. Erhard Friedrich beschloß den langen Reigen derselben. Ein Verdienst von ihm bleibt auch, daß er energisch den furchtbaren Hexenprozessen seiner Vorfahren ein Ende machte. Er starb am 8. Juli 1722, und seine feierliche Beisetzung fand am 13. Dezember in der Kirche von Schweina statt. Nach ergreifender Ansprache eines Anverwandten trat ein Trauerherold hervor, zerbrach Schild und Schwert der Hunde von Wenckheim und warf sie mit anderen Insignien hinab in die Erbgruft des ausgestorbenen Geschlechtes. Als Burg Altenstein verfallen war, hatte man dicht dabei 1557 ein neues Schloß erbaut. Am 27. April 1733 aber sollte dies in Flammen aufgehen. Die Rache eines Jägerburschen hatte die Brandfackel hineingeschleudert. Dabei ging gar viel Ehrwürdiges und Unersetzliches verloren. Herzog Anton Ulrich – Altenstein war nach dem Erlöschen des Mannesstammes der Hunde an das Haus Meiningen gefallen – ließ nun durch den Wiener Baumeister Rossini sich einen neuen Sommersitz errichten. Er selbst ging auf Reisen lange hinaus. Als er nun 1737 nach Altenstein zurückkehrte und sah, daß Rossini die Hauptfront des Schlosses dem Garten zugewandt hatte, anstatt dem Werratale zu, da kehrte er ergrimmt Altenstein den Rücken und ist dann auch nie wieder droben gewesen. Es war nur ein in schlichtesten Formen gehaltener, weiß getünchter Bau gewesen, der erst 1889 dem neuen stattlichen Schlosse weichen mußte. Auch dieses kehrt der lachenden Tallandschaft den Rücken. Nur seitwärts erschließt ein malerischer Anbau den entzückendsten Blick über terrassenförmig niedersteigende Laubgänge, Baumwipfel und duftende Bosketts in die farbenreiche Ferne.

Hier oben im Zauberreiche von Altenstein weilt das herzogliche Paar am liebsten. Altenstein ward das Lieblingskind des fürstlichen Künstlers. Wenn die Buchen grünen, hält der greise Landesherr hier seinen Einzug und verläßt erst zögernd wieder beim ersten Fallen des Laubes die ihm ans Herz gewachsene Stätte. Fern der lauten Welt und doch durch Tausende heimlicher Fühlfäden mit ihr verbunden! Tief im Grunde des weiten, lachenden Werratales sieht er von seinem Sommersitze aus das Dampfroß zwischen blitzenden Teichen, blühenden Ortschaften auf und nieder jagen zwischen Nord und Süd, Länder verbindend, die er einst alle mit dem Ruhme seiner künstlerischen Taten füllte.


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