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11

InitialSpäter saßen Heinz Heide und dieser Mann gemeinsam unter der Lampe, und der Verwalter bediente. Der Mann saß auf seinem Stuhl recht unsanft, er saß steif wie ein Pastor. Er machte den Eindruck eines propperen saubern Mittelständlers, der vor Luxus eine puritanische Scheu hat und seine Kleider jeden Tag selber bürstet. Auch seine Hände, wie sie so ruhig und artig hinter dem Teller lagen, und seine Art, viel Wasser in den Wein zu gießen, das Fleisch in kleine Stückchen zu teilen und Brot in die Sauce zu tunken, am allermeisten aber seine höfliche Aufmerksamkeit für jedes Wort, das der andere in seiner überlegenen Fassung sprach, nahmen für ihn ein. Geradezu rührend aber war die schwarze Krawatte des Mannes, die aus einem schneeweißen Kragen niederfloß. Denn diese Krawatte wies kein Pünktchen Staub auf, und es war niedlich, wie trotzdem die Hände des Mannes immer darauf hintippten, sie waren voll Befürchtung, es habe sich eine Brotkrume oder ein Tortenkorn darauf verloren.

Der Verwalter war über die Ankunft des Mannes in eine kindische Freude gekommen. Er ging in einemfort aus und ein, als käme die Freude damit erst recht zur Lebendigkeit, und schmunzelte, wenn er die beiden Herren einträchtig zusammensitzen sah. Als er nun wieder einmal hinausgegangen war, benutzte Heinz Heide den Augenblick und faßte den Mann am Arme und mit einem zähen Anschauen am Auge. Er berührte ihn mit diesem Blick, aber weil darin ein Stück Zärtlichkeit lag, mußte sich der Mann davon abwenden, halb töricht, halb verschämt. Viel Schamgefühl war in dieser Wendung.

Schnell darauf aber redeten die Zwei. Plötzlich konnten sie es. Es kam ihnen plötzlich ein Wust von Dingen zwischen ihre Stühle, die Dinge hüpften ihnen zu, sie nahmen sie in die Hände, blickten darein und redeten nun davon. Dabei vermieden sie es mit sicherem Takt, an Dinge zu tappen, die dem einen oder anderen von ihnen unbehaglich sein könnten, und wiederholten daher auch nicht die Überraschung, die den einen erfaßt hatte, als er die Tür aufgestoßen, und die bewegte Pose, mit welcher der andere hinter der Lampe hervorgesprungen war.

Wie lange Heinz schon da sei? fragte der Mann. Er hatte eine freundliche Stimme, die Stimme eines Bettlers, der höflich dankt, wenn er nichts bekommt. Während Heinz Heide wie in gegossenem Metall sprach, mit einer gewissen Härte: er sei seit ein paar Monaten da.

Der Bruder sagte: »Ach?« Er hielt die Hände in den Westentaschen, – im Sommer sei es wohl schön auf den Bergen! – Er war ein Mann, der seit vielen Jahren in Minen arbeitete, aber – oh, wie vergönne er es jedem anderen in der kühlen Luft, am Walde zu sein!

Ob der Bruder wisse, daß der alte Lamoral gestorben sei?

»Was, der alte Lamoral?!« Die Antwort auf die zutunlich gestellte Frage gab ein so inniges Interesse an des alten Lamorals Tode zum besten, daß es unbegreiflich war, warum die Zwei nun plötzlich wieder schweigen mußten. Es war gewiß, ein jeder suchte irgend ein Ding auf seinem Schoße oder in der Luft, und keiner fand es. Sie rauchten, der Rauch stieg ihnen vor den Mund, er wurde eine dicke Wolke, die ihnen den Mund zustopfte.

Da kam Heinz Heide auf den Gedanken, Champagner bringen zu lassen. Er lud den Verwalter ein, mitzutrinken. »Freund meines Hauses,« sagte er, »mache uns das Vergnügen!«

Und nun fuhr etwas Eigentümliches in Heinz Heide; wer ihn von früher her kannte, erkannte ihn nicht mehr. Er begann zu trinken und erzählte auf gut Glück lustige, teilweise sogar anzügliche Dinge. Er ließ keinen zu Wort kommen, er redete unausgesetzt und trank dabei. Unter anderem erzählte er von einem Mädchen in Ochsenweide, dem er und der Bruder nachgestellt hatten, und von einem Bauernjungen, der ihnen gezeigt, wie man die Bremsenfliegen martert. »Man steckt ihnen hinten einen Strohhalm in den Leib, – hu, wie sie fliegen; sie fallen kein Kalb mehr an!«

Der Verwalter schenkte ihm aufmerksam ein, einmal ließ er den Verwalter leben. »Freund meines Hauses,« rief er, » ad multos annos!« Er fuhr aber schnell wieder fort, den Mann mit der schwarzen Krawatte so sehr mit seinen rohen Augen und mit Geschichten von Dirnen und von Abscheulichen zu belästigen, daß es dem Manne schwer ins Herz fiel.

Der Verwalter aber war der Ehre voll, er trug sie um den Hals wie eine Almkuh den Kranz; wenn er den hagern Hals wackelte, kicherte die hohe Ehre. Er rieb sich die Hände über Heinz Heides Geschichten und lachte zu allen; er lachte wie ein Verzweifelter, dem jemand in der letzten Minute den Revolver von der Schläfe reißt und sagt: ›ist nicht mehr notwendig.‹

Zu dem Manne mit der schwarzen Krawatte aber, der den Champagner ablehnte wie ein disziplinierter Magenkranker, schüttelte er anerkennend den Kopf. Wie anerkennenswert! sagte der Kopf. Und dann machte er ein paar rührungsvolle Phrasen, die er mit tremolierender Stimme vortrug. Es sei das Schönste, in das Vaterhaus zurückzukehren, – gewissermaßen in die Arme eines großmütigen Bruders, – und so weiter.

Als diese Schamlosigkeit keinen Anklang fand, wurde er listig. Er zog sich in eine unverschämte Heimlichkeit zurück und fragte, den Kopf tief im Kragen verborgen, woher denn der Herr Wolf nun käme?

»Aus Griechenland,« antwortete der Mann gütig. Er nahm die Impertinenz gar nicht übel.

»Aus Griechenland?« Der Herr habe dort jedenfalls Geschäfte, die ihn dorthin ...?

Der Mann sah ihn mit einem freundlichen Auge an. »Ich habe das Grab meiner Frau besucht,« sagte er tonlos.

Nun ging der Verwalter hinter einem Sarge. Er ging im schwarzen Rock, mit tief gesenktem Schmerzenshaupt, er schluckte öffentlich eine Träne und faltete die Hände.

»Hm,« sagte Heinz Heide nach einer Pause. Der Bruder möge verzeihen, wenn er ihn nicht in dieser trüben Erinnerung lasse. Er sei auch einmal in Griechenland gewesen, und auf der Rückfahrt ereignete sich etwas Merkwürdiges. »Ich muß das erzählen, es ist mir niemals mehr Ähnliches passiert!« Man gebe zu, er sei kein Spekulant, und übrigens reiste er zum Vergnügen. »Da war aber ein Franzose auf dem Schiff, ein älterer Mann, sehr zuvorkommend, – nach seinen Andeutungen mußte er ziemlichen Einfluß bei der Regierung haben. Wir treffen einander, zufällig, – es ist gerade der russisch-japanische Krieg. Man redet da, der eine sagt, er sei für den Krieg überhaupt, der andere sagt, der Krieg sei ein Beweis von Unzivilisation, – kurz und gut, wir reden. – Und nun, ein paar Tage darauf, kommt ein anderer Mann auf mich zu, verbeugt sich, –: ›Soundso.‹ Sehr angenehm! sage ich. – Ob ich ein Deutscher bin? Ich lache, mag er mich dafür halten! Ob ich mit dem Franzosen näher bekannt bin?«

Heinz Heide trank sein Glas aus, er sah durch das Glas den Verwalter aufspitzen wie einen gepürschten Hasen, und den Mann mit der schwarzen Krawatte weich werden wie eine Semmel; er verwandelte sich aus einem Achteck in einen Kreis.

»Und wie ich nun sage, ja, ich sei bekannt, wird der Mann wie eine Wanze, er sitzt auf meiner Gurgel, »hunderttausend Franks, wenn Sie mir die Bestellung auf unsere Kanonen verschaffen!« würgt er mich, »hunderttausend –!«

Während dieser Worte hatte sich der Mann mit der schwarzen Krawatte plötzlich ein Glas vollgegossen und es in einer fieberhaften Aufregung hinuntergestürzt; nun schlug er die Hand auf den Tisch: »Und –?«

Heinz Heide lächelte. »Ich machte dem Manne begreiflich –«

»Du warst so dumm!?« schrie ihn der Mann an.

Er sei nicht so dumm gewesen, lächelte Heinz Heide. Der Franzose nahm bereitwillig fünfzigtausend und ich – »ich kaufte mir eine russische Fürstin für vierzehn Tage, um das Geld wieder an Rußland zurückzubringen.« Er habe viel über die gelbe Gefahr gelacht, – man werde zugestehen, es sei dies ein seltenes Reiseerlebnis.

Da fiel aber der Mann mit der schwarzen Krawatte in Heinz Heides Gelächter wie eine Bombe ins Wasser. Das sei gar nichts gegen Amerika! »Gegen Amerika ist das eine Bagatelle! – In Amerika –!« Er stürzte wieder ein Glas Champagner hinab, immerfort hielt er die dicke Flasche in seiner Linken. »In Amerika –! ha,« er schaute die Zuhörer mit gestielten Augen an und rückte auf dem Stuhle. Aus dem Stuhl kroch ihm ein Schwarm von Ameisen in den Leib, sie kletterten ihm die Wirbelsäule empor, der Kopf machte einen Luftsprung, die Adern wurden lebendig wie die Radien einer Telephonzentrale, wenn der Strom kommt. Dabei verloren seine Hände, während er redete, ihr Pastorales, sie langten über fünf Erdteile hin und suchten wie die Hände eines Hypnotiseurs nach den Goldadern. – Sein erstes Glück habe er mit der Exploitierung von Staatswäldern gemacht. »Fax und Peer und ich, wir unterhandelten mit Mr. Whitemann von der Regierung. War ein Schmutzian, Mr. Whitemann, aber Fax war ihm über!« Drei Jahre lebten sie da in der Wildnis, »wie ein Tier lebt man da! Gibt nur eines: die Niggers schinden! Huit, huit, – die Bestien schwitzen anders als hier!«

Er fuhr sich in das schüttere Haar und langte fieberig nach dem Glase. Da sah der Verwalter, die Flasche war leer. »Ho,« rief er und knackte einen Draht ab. »Bum« machte es, der Korken flog wie in einem ordinären Restaurant in die Decke.

»Wie gesagt, das Holz lag da wie ein Staat erschlagener Schlangen. Amerikanische Eiche! In drei Jahren, – es schwimmt schon übergeben im Wasser! – hat ein jeder von uns eine halbe Million Dollars!« – Fax nun, der habe jetzt sein schmieriges Hemd ausgezogen, er hatte Sehnsucht nach dem Frack, – »was machen wir nun mit dem Gelde?« –

»Sakrament!« schlug er auf den Tisch, daß die Gläser klirrten, – »in Philadelphia haben wir ein Haus gemietet! Trupp Dienerschaft, Koch, – was wünschen die Herren? Ja, was soll ich gleich sagen? Schwalbennester, Nachtigallzungen, – was uns einfällt! – Aber Fax, ein unternehmungslustiger Mann, –«

»Ein Gläschen, gnädiger Herr?«

Er leerte es sofort, – »machen wir etwas anderes! sagt Fax. Er meinte, gewisse Sorten von Weibern, wie die Rumänin, die Wienerin, sind drüben gut gezahlt, und er habe Konnexionen. Peer aber macht Einwendungen. Die Konsulate, sagt er, sind wie die englischen Polizisten darauf. Er säße lieber auf einer halben Million mit der eigenen Hose als auf einer ganzen mit der fremden. – Gut! sagt Fax, dann machen wir's so: wir addieren unsere Weiber, drei plus drei plus vier, – ein paar kaufen wir dazu, – ob wir verstehen? – –«

» Orpo di Diana!« krähte der Verwalter.

Und nun lachte auch der Mann mit der schwarzen Krawatte. Seine Zähne waren schön weiß, aber weil die Lippen darüber und darunter sich spreizten, hatten diese Zähne etwas Tierisches. Man konnte sich vorstellen, wie sie in ein blutiges Beefsteak bissen oder in einen weißen Frauennacken. Und während er lachte, bewegte er seine Hand, die auf dem aufgestellten Ellbogen saß, immerwährend so, als werfe er sie wie einen Tintenfisch, so weich, so fingerig und schwammig, aus dem Gelenke.

»Und das war ein prachtvoller Gedanke! Wir sahen zum Fenster hinaus, die Geldbeutel aller fünf Erdteile spazierten zu uns herein!«

Aber es habe da, warf er die Hand aus dem Gelenke, eine komische Geschichte sich zugetragen, »an dieser Geschichte sieht man am besten, was man drüben wagen kann. – Die anderen Weiber, – niente paura! – die fügten sich mit Vergnügen. Die Titsy aber, das war die hübscheste vom Fax, – nichts zu machen gegen ihre Aversion! Es war da ein Sofioter Knabe, Michraipulos hieß er, der war versessen darauf, – nicht dazuzubringen! Szenen machte sie; ich nehme Gift! schrie sie –«

»Hm,« machte Heinz Heide.

»Fax versuchte es zuerst mit Güte. Titsy, sagte er, lieber Schatz, – sie solle bedenken, der Balkanparalytiker zahle, was sie verlange, – du kannst sagen: dreitausend, viertausend! –«

»Hm,« knurrte Heinz Heide.

»Ich nehme Gift!« schreit sie. Der Fax aber ist einer von: entweder – oder! Er wußte, der Michraipulos wartete vor der Türe wie ein heißhungriger Hai. Titsy, sagt er, er hat so ein Miniaturrevolverchen im Vorrat, ich bin ein gutmütiger Mensch, – aber wegen so einer lumpigen Tugend –«

In diesem Augenblicke schüttelte Heinz Heide den Tisch, der Tisch bäumte sich unter den Gläsern, die Flaschen fielen um, der Mann und der Verwalter erschraken fürchterlich.

»Ja,« kam Heinz Heide hinter dem Tisch hervor, »ein richtiger Mann muß in der Welt herum!« Er ging, die Hände in den Hosentaschen, geräuschvoll im Zimmer auf und ab, während der Mann und der Verwalter auf den Tisch blickten. – Aber, ob es nicht wahr sei, in jedem Menschen steckt eine unheilbare Krankheit? »Heute bist du auf einer indischen Insel, alle Genüsse sind um dich herum, kein Europäer kontrolliert dich, – aber da drinnen ruft etwas: ich will heim!«

Sofort nickte der Verwalter wie ein schnell Bekehrter. »Ja, so ist es!« Und auch der Mann mit der schwarzen Krawatte stieg im Augenblick von der Höhe seiner Abenteuer mit sicheren Beinen in das deutsche Gemüt herab. »So ist es! Das ist wahr!« senkte er den Kopf. Er stellte das Sektglas beiseite, er verwandelte sich im Nu aus einem Grönlandaal in einen bürgerlichen Hecht, die Besinnung überkam ihn wie die Morgenröte einen Bezechten, in seine Hände fiel das Pastorale zurück, der Anzug kräuselte und wand sich, bis der proppere Mittelständler wieder daruntersteckte.

Das Glück, sagte er mit einem scheuen Seitenblicke nach Heinz Heide hin, lasse sich nicht von jedem einfangen; man jage darnach, wem sei es zu verübeln? Aber man komme gewöhnlich bettelarm aus der Jagd zurück, das Glück verrinnt, wie es kommt, – »und auf dieser Rückkehr –«

»Nein, – nicht erst auf dieser Rückkehr« betrachtete er wehmütig die Freskoallegorie über dem Sofa, – »auch als mir das Geld in der Hand zu einem Haufen floß, ich habe nur an dieses Haus denken können! Ich dachte, – ich sagte mir: und du kannst nicht zurück! Du kannst nicht –!«

Er ließ den Kopf auf die Tischplatte fallen.

Heinz Heide sagte, das verstehe er. »Ich verstehe das!« So etwas rotte kein Michraipulos aus!

Wie wäre es, kam er näher, wenn der Bruder im Lande bliebe?

Der Mann zuckte innerlich wie ein Erbschleicher, dem der Greis sagt: ich gehe morgen zu Gott, ich lege meine Dinge in deine Hand. Darum erhob er den Kopf noch nicht von der Tischplatte.

»Eine schöne Anstellung im Lande?« setzte sich Heinz Heide wieder an seinen Platz.

Der Mann rührte sich nicht.

»Ich will nicht sagen,« lachte Heinz Heide, »daß ich immer nur daran gedacht habe, für meinen quasi verschollenen Bruder ein warmes Nest zu finden. Aber als mir da neulich mein Freund schreibt: ich brauche einen Mann, der in der Welt herum war und vor einem großen Betriebe die Augen nicht zuklappt, –«

Nun hob der Mann mit der schwarzen Krawatte den Kopf und spitzte die Ohren, denn Heinz Heide zog einen dicken Brief aus der Tasche: – da habe er an seinen Bruder gedacht! »Diesem Mann nämlich« tippte er an den Brief, »muß in irgendeiner Weise geholfen werden, es ist ihm etwas sehr Unangenehmes passiert. – Er hat ein Gut, dreimal so groß wie –, einerlei! Weingärten und Wald; wunderbaren Wald! – Nun, allerdings, er machte eine Dummheit über der anderen! Er segelt da mit einem Frauenzimmer herum, das Frauenzimmer hat ein Kind, – so segelt er in der Welt herum, und zu Hause sitzt sein Inspektor! Oh, mein Inspektor, sagt er, ein tadelloser Mann, wie Gold! Der –« Warum der Bruder nimmer trinke?

»Danke! Danke, danke!«

»Der schreibt alle zehn Monate: Ehrerbietigst melde ich, und so weiter –« Warum der Verwalter nimmer trinke?

»Ich trinke! Oh, ich trinke!« rechtfertigte sich der Verwalter mit einem kolossalem Schluck.

»Das sind Dummheiten, nicht wahr? Notabene, – er hat nämlich auch einen komischen Bruder, der ist bald da, bald dort, vor Jahren hat er sein Erbteil verjuckt, – so, tralalala! Also da, –«

Der Mann mit der schwarzen Krawatte erhob sich; etwas unmotiviert stand er auf und stellte sich in das Dunkel vor dem Fenster.

»Da, zum Teufel hinein, da bin ich doch vorsichtig! Ich erkundige mich doch, mit wem das Frauenzimmer vorher verbandelt war, ich frage, von wem ist das Kind? – Ich passe ihr auf, wenn sie einmal verschwindet, – und ich schaue dem Inspektor auf die Finger! In drei Teufels Namen, mir kommt vor, –« – woher der Verwalter den Husten plötzlich bekomme? – Der Verwalter wurde nämlich von einem starken Krampfhusten aus der Bank förmlich emporgeworfen; huhu, hustete er und hielt die Hand vor das mohnrote Gesicht. Woher er nur den Husten habe, klopfte ihm Heinz Heide den Rücken ab, »wie bedauerlich, Freund meines Hauses!« Aber da stieg dem Verwalter erst recht die Glut wie kupferiges Blut in die Stirne, in einem Schwall von der Schlagader aufwärts, und er beugte sich weit nach vorne, um der klopfenden Hand auszuweichen.

»Aber natürlich, er merkt gar nichts; gar nichts! Das Frauenzimmer, denkt er, ist eine arme Verlassene, ihr Mann ein Schuft, der sie schlägt und das Kind mißhandelt, – und der Inspektor, wie gesagt, der ist ein tadelloser Knabe! – Auf einmal aber, –« mit innigem Behagen tippte er an den dicken Brief, – »das ist das Charakteristische, – auf einmal: Zeter und Mordio! Zehn Seiten mit Zeter und Mordio: jetzt ist er draufgekommen!« –

Er wendete sich zum Manne in der Fensterecke hin und hielt den Brief hoch. Dies benützte der Verwalter, um sich von seinem Hustenanfall zu erholen und richtete sich empor. Du mußt stillsitzen, Girolamo, sagte er sich, du mußt den Atem einhatten, du mußt ein Stein werden! Der Mann mit der schwarzen Krawatte aber kam urgemütlich aus der Fensterecke hervor, er hatte die Hände in den Hosentaschen. »Ja, so sind sie,« lächelte er ironisch; es sei immer so, die Männer seien bis zum letzten Augenblicke blind. »Es ist dies eine Erfahrungstatsache!«

»Ganz meine Ansicht!« lachte Heinz Heide, »und ich wollte ihm schreiben: Schafskopf! Kurz und bündig: Schafskopf! Aber, – da hat er recht! – Hätte ich, schreibt er, hätte ich ahnen sollen, daß mein Bruder, – daß das Frauenzimmer das Weib meines Bruders ist und der Inspektor ein Dieb? Hätte ich, verteidigt er sich, – ist es etwa meine Schuld? – hätte ich etwa wissen sollen, daß die drei unter einer Decke stecken und mir der eigene Bruder das Weib ins Fleisch hetzt, um mir die Haut von den Knochen zu ziehen? – Er sagt da: bitte, sagt er, hält man es für möglich, daß ein Mann sein Weib – oder seine Geliebte – einem anderen herleiht für ein paar Hunderter, und –«

»Hm« lächelte der graue Mann und gähnte, so daß Heinz Heide ihn einfach anschauen mußte. Das Lächeln fiel nämlich von ihm nieder, sank auf den Boden, darauf er stand, und der Boden wurde eine Drehbühne, die sich unter seinen balancierenden Füßen unaufhaltsam im Kreise drehte, mit blitzähnlicher Geschwindigkeit. »Ha« schleuderte die Drehbühne das Gelächter aus ihrer Bahn, es wirbelte auf und traf im Fluge den Verwalter.

»Ins Zuchthaus!« blökte der Verwalter getroffen auf. Seiner Ansicht nach müsse eine solche Gemeinheit unbedingt ins Zuchthaus! – »Sehr liebenswürdig!« klopfte ihm Heinz Heide auf die Schulter, aber er habe noch sagen wollen, – »mein blasierter Bruder unterbrach mich; er schreibt: hält man es für möglich, daß der Inspektor mit einer Räuberbande mittut und zwölftausend Joch Wald in drei Jahren niedermäht, und mir alle zehn Monate schreibt: ehrerbietigst melde –«

Der Verwalter wurde weiß wie ein Stein, es lag ein Stein auf seiner Glatze, auf seinen Händen lagen Steine, um seine Beine wuchsen Steine. »Hängen!« rief er schrill, »hängen diesen Mann!« – Er schrie: »den Lump, den Gauner, auf den Galgen –!« und dabei erhob er sich um einen Zoll von seinem Sitze.

Heinz Heide wollte ihn freundlich niederdrücken, aber nun trat der Mann mit der schwarzen Krawatte heran, ruhig trat er vor. Das könne er nicht begreifen, sagte er, – »man erlebt ja vieles in der Welt, es kommt viel Unglaubliches vor, – aber so etwas, –?«

»Ich weiß nicht?« wurde Heinz Heide lustig und stieß dem Verwalter in die Seite, – das käme darauf an. Man kann sich ganz gut da hinein denken! – »nehmen wir an, – angenommen: Girolamo ist ein Lump!«

»Herr!« brüllte Girolamo auf. Der Stein fiel von seinem Kopfe, von seinen Händen fielen die Steine, seine Beine rollten die Steine durcheinander.

Er solle sich beruhigen, faßte ihm Heinz Heide unterm Arme – »er ist ein Lump, nehmen wir an, und ich kose mit deinem Weibe oder deiner Geliebten, und du weißt es, – und ihr alle drei zusammen –«

»Ja« drehte sich der Mann hochmütig um und zündete eine Zigarette an, »alles recht und gut,« aber da müsse man ein Kretin sein, um das nicht zu merken! »Der Kerl ist ein Kretin!«

»Ein Kretin?« – Aber mit einem Blick besann sich Heinz Heide und hielt ein. Er ließ sein Gesicht nun ganz ruhig werden, höflich geradezu, und zog die Uhr. »Du willst vielleicht schlafen gehen?«

Der Mann gähnte. Es pressiere ihm gar nicht. »Was mich anbelangt –!« – Aber er sei da vollkommen aus dem Konzepte gekommen,« setzte sich daraufhin Heinz Heide nieder, »ich wollte das nur so nebenbei! – Die Sache ist die: es muß meinem Freunde in irgendeiner Weise geholfen werden. Er braucht jetzt vor allem einen Mann, –« – wohin der Verwalter wolle?

Der Verwalter hatte sich aus seinem Ecksitz geschraubt und stand schon ganz bei der Türe. Er wolle, lispelte er, oben die Kerzen anzünden und nach dem Gastzimmer sehen. »Mit Verlaub –«

Schön! wandte sich Heinz Heide wieder dem Manne zu, –: wie wäre das? Er habe, wie gesagt, dabei gleich an den Bruder gedacht. »Ich dachte mir, er ist in der Welt herumgekommen, er hat Energie, um diesen Stall rein zu machen, er hat Kenntnis, er hat – und dann –«

»Hm« machte der Gast mit der schwarzen Krawatte und blies den Rauch aus der Nase.

»Und dann: du kannst fordern, was du willst, – es ist nämlich der reiche Terroni in Malaripa!«


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