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InitialDer Verwalter stand neben dem Haustor, als Heinz Heide mit dem Kinde auf dem Arm und der Dame über dem Rasen kam. Aber niemand bemerkte seine ehrerbietige Verbeugung, denn die Dame ging schnell in das Haus hinein, gerade an ihm vorüber.

Oben im Saal nahm sie Heinz Heide das Kind ab; »es ist so müde!« sagte sie. »Ja,« ging Heinz Heide voran nach dem Erkerstübchen, darin noch Assuntas Kinderbett stand, »wir wollen es gleich zu Bett bringen.«

Das Kind hörte das und wurde unruhig. Aber die Dame sprach ihm zu: es bekomme ein goldenes Bettchen. »Denke, Dareia, und wenn du aufwachst, scheint dir die Sonne da herein und die Vögel singen. Kommst du nicht in den Wald, Dareia? singen sie. Und den Wald kennst du noch gar nicht. Da wirst du ein Reh sehen und vielleicht auch Rotkäppchen und die goldene Fee. Und es gibt da viele Blumen im Wald und ein Bächlein mit Silberfischen –«

Sie hatte das Kind auf den Bettrand gesetzt und entkleidete es nun. »Und einen Regenbogen und Erdbeeren und Schmetterlinge,« fuhr sie fort und lächelte Heinz Heide zu, der andächtig hinter dem Bettchen stand, – »und Zwerge; ganz kleine huzelige Zwerge. Einer baut einen Glaspalast, der andere –«

Das Kind war unendlich schläfrig, sein Köpfchen hing immerzu über die Arme der Dame herab. »Der andere führt ein kleines Pferd, und der dritte wird sagen: darf ich dein Page sein, Dareia?« – Ärmlich gekleidet war das Kind; so wie Kinder sehr armer oder nachlässiger Mütter. Es hatte ein silbernes Kettchen um den Hals klingeln, und das Nachthemdchen, das ihm die Dame überzog, trug auf der Brust einen großen Flicken. Den wollte die Dame mit ihren schönen Händen verdecken. »Und ein Engelein,« flüsterte sie und schob das Kind unter die Decke, »das wird sagen: ich gehe mit dir, Dareia, und wir spielen zusammen.«

Heinz Heide löschte die Kerzen, und sie warteten, bis das Kind schlief. Es seufzte noch einmal. Aber da sagte die Dame: »Sie seufzt immer, wenn sie schläft«, und erhob sich, um aus dem Zimmer zu gehn.

Im Saal stand ein Spiegeltisch, vor dem nahm sie nun den Schleier ab. »Warum trägst du so viele Schleier?« lächelte Heinz Heide, denn sie trug drei ziemlich dichte, bläuliche. Aber sie antwortete nicht, sie knüllte die Schleier zusammen und legte sie auf den Tisch. Was das für ein wunderschönes Haus sei, ging sie von einem Bilde zum anderen, welch wundervolle alte Bilder! Sie habe sich Buchenfreygg ganz anders vorgestellt, »ich stellte mir ein unwirtliches Bergdorf vor mit einem großen Bauernhaus und in der Nähe einen Gletscher.« – »Essen wir im Grafenzimmer?« blieb sie in der Nähe des Grafenzimmers stehen.

Was wisse sie vom Grafenzimmer? lachte Heinz Heide überrascht.

Er habe ihr doch davon erzählt, beeilte sich die Dame. »Du hast mir gesagt, über dem Sofa ist eine Freskoallegorie gemalt; der Raub der Europa?«

Die Tür des Grafenzimmers öffnete sich, ein Mann trat heraus. Er blieb stehen und machte eine geradezu orientalische Verbeugung: »Ist das der Verwalter?« fragte die Dame laut.

Heinz Heide war dies unangenehm. Irgend etwas an diesem Mann, fürchtete er, fiele einmal aus der Rolle. Er ließ zum Beispiel das schmutzige Hemd bei den Manschetten vorschauen oder er brachte eine halbzerborstene Schüssel, ein angeplatztes Glas. Aber der Verwalter, der jetzt regelrecht vorgestellt wurde: ja, das sei der Verwalter, er heiße Girolamo und sei schon lange im Hause, benahm sich tadellos. Er tat so, als sei es sein tägliches Brot, vornehme Damen zu empfangen. Das beruhigte Heinz Heide. »Girolamo ist in Ihr Töchterchen verliebt!« sagte er darum. »So?« erwiderte die Dame, aber er kenne es doch noch nicht?

»Vom Hörensagen,« trat der Verwalter einen Schritt zurück. »Euer Gnaden, oder wie ich sonst sagen darf, dies Haus sehnt sich solange schon nach Kindern.« Er sei die Seele dieses Hauses, – »ich preise dies Haus glücklich, Euer Gnaden, daß es dies anmutige Kind aufnehmen dürfte.«

Die Dame, die in der Mitte des Zimmers stand, wurde unter diesen Worten wunderschön. Sie schien sich jetzt ihres schlafenden Kindes zu erinnern, ein Hauch innigster Liebe breitete sich um sie. Sie errötete, weil Heinz Heide sie zärtlich anschaute, und setzte sich etwas verwirrt in das rote Sofa nieder. Aber nun ging eine weitere Veränderung mit ihr vor. Sie empfand plötzlich, sie befinde sich im Hause eines Reichen, und sah schmerzlich an sich herab. Sie trug ein graues, ganz schlichtes Kleid, das diese hervorbrechende Befangenheit wie mit Worten ausdrückte. Das gesenkte Gesicht und die verlegenen Hände auf dem weißen Tafeltuch sprachen von Armut, ja von Elend, die bescheidene Haltung von schwer gelernter Ergebung in ein hartes Schicksal.

Heinz Heide wandte keinen Blick von ihr. Er nahm jede kleinste Bewegung in ihr wahr, alles, was die Dame verschwieg, verstand er; wie ein Entdecker lächelte er vor sich hin, jede Unruhe verschwand. Sie ist in meinem Hause! ich habe sie ganz nahe! Ich gehe bei dieser Tür heraus, – wo ist sie? Ich gehe bei der anderen hinein; da ist sie! Ich rufe: Gioia! Gioia! Da erwacht sie neben mir!

Er wurde heiter wie ein ganz junger Mann. »Es ist ein elend gebratenes Huhn!« lachte er. Er begreife den Hausherrn nicht, der einem Gast das vorsetzt. Die Dame müsse es stehen lassen und vom Filet nehmen. Das ginge halbwegs an. »Und dieses Kompott von Aprikosen! Es ist nicht zu genießen!«

Aber hier entstand ein Aufruhr. Die Dame wendete demütig ein, ein Herr in seinem Hause könne befehlen, was er wolle, dies aber seien Prätentionen, und der Verwalter, der war wie unter einem Rutenstreich blaß geworden. Es nützte nichts, daß die Dame versicherte, sie habe niemals bessere Aprikosen gegessen, der Verwalter stürzte aus dem Zimmer mit dem Gesicht eines Entehrten. »Die Ananasmarmelade!« rief er auf der Treppe.

Allein er kam mit einem noch unglücklicheren Gesicht zurück. Er brachte den Champagner und nahm die Majolika mit den Früchten vom Büfett. Die Früchte stellte er vor die Dame hin, den Wein auf ein Tischchen neben Heinz Heide.

»Ja, aber die Marmelade?« fragte Heinz Heide.

»Die Marmelade,« tat der Verwalter verzweifelt, »gnädiger Herr, die Marmelade ist schimmelig geworden.« Er könne nichts dafür. Vor zwei Wochen sei sie noch frisch gewesen, das könne er bezeugen lassen, – »denn –«. Aber er besann sich zur rechten Zeit, machte eine rasche Verbeugung und schlich aus der Tür.

Die Dame beugte sich über die Pfirsiche und Heinz Heide sah ihr zu. Er rückte ihr näher und legte seine Hand auf ihren Arm. »Gioia,« sagte er, denn nun war er mit ihr allein, »ich habe gestern ein rotblondes Haar hier gefunden.«

Die Dame mußte den Löffel niederlegen, ihr Gesicht wurde blaß. »Wo?« zwang sie sich zu fragen.

»Da, auf diesem Sofa. – Ich sitze hier und betrachte die Rosen, – denn der Verwalter hatte Rosen auf den Tisch gestellt. Sie duften so eigentümlich, sage ich mir, wie etwas Bekanntes. Wie duften sie nur?« Er habe darüber nachgesonnen, – »es fällt mir ein, einmal in Bordighera trugst du ein hellblaues Kleid, du gingst da vor mir auf dem Strande, und da duftete es so.«

Nun lächelte die Dame wieder. »Und ich sage noch zum Verwalter: sie duften wie Parfüm! – Da zieht meine Hand vom Sofa ein rotblondes Haar auf. Ich erkannte es sofort!« – Er war da heimgekehrt, müde war er, es war ihm seltsam zumute, – »und nun gleich zuerst dies goldene –!«

Gioia fuhr auf. »Es hat gepocht,« flüsterte sie erschreckt.

Heinz Heide sprang an die Tür und riß sie aus. »Oh,« sagte er ärgerlich, »so, so, die Monika!« Das ist die Monika! – Ja, was wolle sie, sie möge doch! Aber das alte Weib zitterte auf ihren Füßen, sie hatte eine furchtbare Scheu, näherzutreten. Sie sah mit anbetendem Gesicht von Heinz Heide zur Dame hin und versteckte ihre alten Hände in der Schürze und stotterte.

Es sei eine Frau mit einem Kinde gekommen, habe sie gehört: der Johannes von der Laast erzählte es; – und es sei die Frau und das Kind vom Herrn Wolf? – »Ja,« lachte Heinz Heide und schüttet ein Glas Wein voll, »gewiß; das Kind schläft aber,« im Erkerzimmer oben schlafe es; – ob sie nicht ein Glas Wein wolle?

Das Weib fuhr sich ins eisgraue Haar und wurde immer verwirrter. Es versuchte die Dame genau anzuschauen, aber die Dame hatte einen Ellbogen vor ihr Gesicht gestellt. »Ja, – und die Dame ist hier,« deutete Heinz Heide auf die Dame hin; aber das andere, das stimme nicht, da sei der Johannes schlecht beraten gewesen! Denn der Herr Wolf hat seine Frau begraben und Kind habe er niemals eines besessen! – Da nehme sie ein Glas Wein, »wir trinken auf ihre Gesundheit.«

Sie habe, sagte das Weib in großer Scham, – ja, aber der gnädige Herr kenne sie nicht! – »Freilich, freilich,« wurde Heinz Heide ungeduldig, er kenne sie. »Ich habe,« stotterte das Weib, »schon viele Kinder gewartet.« Wenn man es ihr anvertrauen würde, sie möchte das Kind gewiß gut warten, – der gnädige Herr und die gnädige Frau möchten zufrieden sein. »Denn – das Mädel vom Verwalter –«

Aber es sei auch nicht sein Kind! belehrte sie Heinz Heide. Und übrigens, es sei dies sehr freundlich, aber – »Da,« zog er ein Geldstück hervor und zwang es ihr in die zittrige Hand. Er danke vielmals, schob er sie hinaus; er danke. Und als sie ihm nun trostlos entgegensah, schlug er ihr kurzerhand die Tür vor der Nase zu. –

Er war ein bißchen aus dem Geleise und schämte sich vor der Dame. Die aber saß unbeweglich da und starrte vor sich hin. Auf einmal traf ihn ihr Blick, ein unruhiger Blick, und nun vergaß er schon. Ein seifenkugelfarbener Übermut stieg in ihm auf, »was die Leute alles reden,« lachte er. Da sehe man, sie seien noch immer für die Märchen zu haben.

»Trink' ein Schlückchen!« sagte er sonnig und goß den Kelch der Dame voll.

Sie folgte, ohne nachzudenken. Die schöne Hand griff nach dem Glas und führte es an den Mund. Der Mund lächelte; ja oder nein? schien er zu sagen. Dann trank er. Und dann noch einmal; »ich bin durstig,« sagte er; und nun noch ein drittesmal. Und gleich hernach kam ein eigenartiges Leben in die Gestalt. Das graue Kleid wurde ihr eine lästige Schande, sie wuchs wie ein Königskind aus einem Habenichtssack. Die Augen funkelten, das Gesicht hob sich empor, das goldenrote Haar schimmerte zuckend. Man wußte nicht, wollte die Dame nun etwas Unsinniges oder etwas Ausgeklügeltes tun.

»Ha,« lachte sie auf, eine grenzenlose Gier nach heftiger Bewegung warf ihr den Kopf auf die gefalteten Hände. Das Lachen ging ihr von den Zehenspitzen aus und eroberte sofort die ganze Gestalt. Plötzlich aber schnellte der Kopf aus dem Sprudel dieses Lachens empor wie ein Nixenhaupt und streckte sich Heinz Heide entgegen, über und über beperlt von flüssiger Lust.

»Leben, leben, leben!« rief sie, vielmehr sie schrie es Heinz Heide ins Gesicht und reckte die geschmeidigen Arme empor. »Leben, leben, leben!«

Heinz Heide erschrak zuerst; er war fast bestürzt. Aber die Lust des glühenden Gesichtes zog ihn jäh vom Sessel, er hob die Dame aus dem roten Sofa heraus und zerrte sie in die Mitte des Zimmers unter die Lichter. Dort hielt er sie zuerst wie ein Eiserner und drehte sie dann blitzschnell in einem bachantischen Wirbel und küßte sie, bis ihr das rotblonde Haar niederflog und sie ihm betäubt aus dem Arm sank.


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