Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel.

Der ebenso tapfere als einsichtsvolle Generalleutnant von Heister, welcher die hessischen Truppen führte, war auf Sir William Howes Andringen von seinem Posten entfernt und nach Deutschland zurückberufen worden. Der biedere und energische hessische General hatte wenig Verständnis für die laxe und ungeschickte Kriegführung des Günstlings König Georgs gezeigt, und es waren zwischen ihm und dem englischen Feldherrn Zwistigkeiten ausgebrochen, welche durch seine Entfernung vom Kriegsschauplatz beendet wurden.

Knyphausen befehligte jetzt die hessischen Divisionen, und Loßberg, zum Generalmajor befördert, kommandierte in New-York, sehr unzufrieden darüber, daß er nicht vor dem Feind stand.

So notwendig auch in New-York ein erprobter und zuverlässiger Offizier im Kommando war, so hatte man dem alten Haudegen mit dem ihm erteilten Aufträge keineswegs einen Gefallen erwiesen, und seine Stimmung war nicht die rosigste.

So ging er auch eines Morgens, nicht in bester Laune in seinem Zimmer auf und ab – er wohnte in einem der großen Staatsgebäude New-Yorks – als seine Ordonnanz eintrat.

»Was gibts?«

»Herr General, da ist ein Herr, der vorgelassen zu werden wünscht –.«

»Wer ist der Herr?«

»Er will seinen Namen nur dem Herrn General sagen.«

»Schick' Er ihn zum Teufel,« brummte der General, »ich empfange keine namenlose Herren.«

»Nun, nun,« sagte eine Stimme in launiger Weise, »alte Freunde sollte man weniger rauh empfangen,« und der Herr, der seinen Namen nicht sagen wollte, trat ein.

Loßberg starrte ihn nicht gerade freundlich an, obgleich das Aeußere und die Haltung des schon bejahrten Herrn den Gentlemen verrieten, und fragte ziemlich derb:

»Wer sind Sie?«

Der Herr blickte den General, ohne zu antworten, mit freundlichem Ausdruck, ja mit einer unverkennbaren Rührung aufmerksam an.

»Ja, das ist Wilhelm Loßberg –,« sagte er dann.

»Werde ich nun endlich erfahren können, mit wem ich die Ehre habe?« und der General sah auch forschend in des anderen Züge.

»Erkennst du mich nicht, Wilhelm?«

Loßbergs Blick schärfte sich – ein jähes Erstaunen malte sich in seinen Zügen: »Das ist – das ist – bei Gott – bist du's denn, Mensch – Friedrich –, bist du's?«

»Ja, Wilhelm, – es ist Friedrich Reizenstein.«

Mit einem Freudenruf faßte ihn der General an der Schulter, sah ihm ins Gesicht – und schloß ihn dann kräftig in seine Arme.

Einen Augenblick hielten sich die beiden langgetrennten Freunde schweigend umschlungen.

Dann ließ der General ihn wieder los, wischte sich eine Träne hastig fort, welche sich ihm ins Auge gedrängt hatte, sah ihn von neuem an und sagte mit weichem Tone: »Ja, das ist Friedrich Reizenstein. Mensch – Friedrich – lieber Freund –, also du lebst – lebst? Welche Freude! Welche Freude!«

»Ja, Wilhelm, ich weile noch unter den Lebenden, noch schlägt des alten Freundes Herz.«

»Ein Wunder, ein Wunder! Und der Junge? Der Hugo? Weißt du etwas von ihm?«

»Er lebt und ist nach schwerer Verwundung bei Trenton auf dem Wege zur Genesung.«

»Nun, Gott sei Dank! Wo? Wo? Wie fandet Ihr Euch? Der Bericht über diese schauderhafte Affaire führte ihn als vermißt auf, und das war gerade so viel als tot, ich glaubte, der Fluß habe seine Leiche hinweggeschwemmt, denn Ewald hatte ihn an der Brücke fallen sehen.«

Reizenstein erzählte nun – Loßberg hatte ihn zu seiner Seite auf das Sofa gezogen – wie er Hugo gefunden.

»Es gehen doch wunderbare Dinge im Leben vor, Friedrich. Eine Ahnung von deinem Dasein stieg mir auf, als mir der Junge von dem merkwürdigen Zusammentreffen auf der Landstraße erzählte. Also warst du es wirklich?«

»Ja, ich war's, dem er das Leben rettete.«

Und nun begann ein Fragen hin und her, ein Austausch von Erinnerungen und Erklärungen, die endlich Licht über eine Vergangenheit verbreiteten, welche beiden so rätselhaft erschienen war. Reizenstein stattete genauen Bericht über alles ab.

Als er auf Frau d'Arville zu sprechen kam, starrte ihn der General mit wortlosem Erstaunen an, und sein martialisches Gesicht wurde immer finsterer.

»Dieses Weib? Friedrich, – es ist ja nicht möglich.«

Reizenstein legte ihm jetzt dieselben Papiere vor, die er Hugo gezeigt hatte.

»Mich für tot ausgeben –? Den Jungen auch? Satan! Mir stehen die Haare zu Berge, Friedrich, bei diesen Enthüllungen, – das ist ja ein entsetzliches Weib. Ich fand, als ich zweiundsechzig aus dem Felde zurückkam, den Jungen bei einem alten geizigen Drachen in Pflege, der ihn hungern ließ; und als ich der d'Arville Vorwürfe darüber machte, daß sie sich der Waise ihrer Freundin nicht sorglicher angenommen, erklärte sie heuchlerisch, selbst während des Krieges und der Belagerungen Not gelitten zu haben. Wie recht der schlaue Schlieffen hatte. Mich wundert nur, daß sie das Kind nicht ganz beseitigt hat, um jeder Gefahr der Entdeckung zu entgehen.«

»Denselben Gedanken habe ich schon gehabt. Aber nun erkläre mir, wie hat sie es nur erreichen können, jede Verbindung zwischen uns zu verhindern?«

Nach einigem Nachdenken sagte Loßberg: »Hier könnte nur einer Aufschluß geben, und der ist tot. Der Postdirektor war eng mit ihr liiert und lag ganz in den Schlingen dieses gefährlichen Weibes. Er, und nur er kann ihr Helfershelfer gewesen sein, anders ist es nicht denkbar. d'Arville selbst ist ein französischer Spitzbube, der wohl mitgestohlen und gefälscht hat.«

Immer finsterer wurde des Generals Stirn, als er von Konski alias von Heldberg und dessen Taten vernahm.

»Das ist geradezu entsetzlich, Friedrich. Jetzt, wo du mich daran erinnerst, entsinne ich mich dieses Aventuriers, und jetzt fällt mir auch ein, daß mir der Oberjäger, als ich ihn einmal erblickte, bekannt vorkam, doch dämmerte dabei keine Ahnung an diesen Heldberg in mir auf. So hat sie also regelrecht den Hugo ermorden lassen wollen?«

»Die Identität von Heldberg und Konski ist über jeden Zweifel erhaben – und jetzt glaube ich auch – daß der Schurke Kurt ermordet hat, – und –«

»Daß dieses Weib der Anstifter ist?«

»Ja, ob ich mir gleich die Ursache nicht zu erklären vermag.«

»Dieses Weib hegte einst eine leidenschaftliche Zuneigung zu Kurt –«

»Zu Kurt?« fragte Reizenstein überrascht.

»Ja, zu ihm, und wäre für ihr Leben gern seine Frau geworden.«

»Und Kurt?«

»Verschmähte sie. Dieser Satan suchte sich zu rächen, durch Verleumdungen zu rächen und wurde dann von Kurt mit der Verachtung behandelt, die sie verdiente.«

»Das weißt du sicher?«

»Aus seinem Munde.«

»Mir gegenüber hat er nie dergleichen geäußert, wie würde ich sonst in Briefwechsel mit ihr getreten sein.«

»Wie dieser bösartige Dämon es fertig gebracht hat, sich bei deiner so früh verstorbenen Schwägerin einzuschmeicheln, ist mir nur durch deren arglose Reinheit und Herzensgüte erklärlich. Jetzt erinnere ich mich, daß dieser Heldberg in ihrer Gesellschaft war, ich seh' den Kerl vor mir.«

»Und was glaubst du?«

»Entweder hat der Kerl als gemeiner Straßenräuber gehandelt, oder, was mir wahrscheinlicher ist, dieses leidenschaftliche, rachedürstende Weib hat ihn zum Mörder direkt oder indirekt gedungen.«

»Mein Gott, das wäre ja entsetzlich –«

»Ja, entsetzlich – aber – ich traue es diesem vor Eifersucht wahnsinnigen Weibe zu. Wir wollen Licht in die Sache bringen, ich habe sie in meiner Gewalt, ich will nicht umsonst Kommandeur von New-York sein.«

»Sie ist noch hier?«

»Mit uns unter demselben Dache, Dallner, ihr Schwiegersohn, hat seine Dienstwohnung hier über uns.«

»Was willst du tun?«

»Was ich tun will? Vorerst dieses Weib zum Geständnis bringen. Das weitere wird sich finden. Schade, daß Dallner nicht hier ist, aber er ist dienstlich nach Staatenisland hinüber und kann vor acht Tagen nicht zurück sein. Der hätte auch etwas Gescheiteres tun können, als auf seine alten Tage Fräulein d'Arville zu heiraten. – Willst du mich gewähren lassen, Friedrich?«

»Tue was du willst.«

»Ich bin so tief erregt von dieser ganzen Sache, daß ich dem Satan gleich zu Leibe rücken muß.«

Er klingelte, und die Ordonnanz trat ein.

»Geh' Er mal hinauf und frage Er bei Frau d'Arville an, ob sie für mich zu sprechen wäre.«

Der Soldat ging.

Es wurde kein Wort zwischen den beiden Männern gewechselt. Loßberg ging erregt auf und ab, und Reizenstein saß in Gedanken verloren da.

Die Ordonnanz kam zurück und meldete, Frau d'Arville ließe bedauern, aber sie sei unwohl und könne den General nicht empfangen.

»Dachte ich mir, sie ist mir nicht sehr gewogen. – Gehe Er mal hinunter zur Wache und hole Er mir vier Mann herauf.«

Eine Minute später meldete der Soldat: »Vier Mann zur Stelle, Herr General.«

»So komm, Friedrich.«

»Was willst du tun?«

»Einschüchtern will ich sie durch einen plötzlichen Angriff, sonst bin ich dem verlogenen Weibe nicht gewachsen. Aber ich bin ein alter Soldat und verstehe mich auf Ueberfälle und Flankenmanöver, ich will ihr schon beikommen.«

»Und die Soldaten?«

»Die? Um müßige Neugier in der Entfernung zu halten, falls es da oben einige Szenen geben sollte, zu nichts weiter.«

Er nahm Hut und Degen und ging mit Reizenstein hinaus. Den Grenadieren befahl er, ihm zu folgen, und stieg die Treppe hinauf. Oben stellte er zwei Mann auf mit dem Befehl, niemand hinauf zu lassen, die andern wurden so postiert, daß der Korridor, an welchem Dallners Wohnung lag, abgesperrt war.

An der Türe der Frau d'Arville klingelte der General.

Der Diener kam heraus.

»Führe uns zur Madame.«

»Gnäd'ge Frau sind nicht zu sprechen.«

»Soll ich dir Beine machen, Bursche?« sagte Loßberg mit einem Gesicht, welches den Diener schleunigst veranlaßte, davonzugehen. Er wollte das Zimmer seiner Herrin öffnen, als Loßberg ihm befahl, zurückzutreten und sich den beiden Grenadieren zuzugesellen, welche an der Treppe standen. Der eingeschüchterte Diener gehorchte.

»Komm, Friedrich!«

Mit harter Hand erfaßte er die Klinke und trat ein, Reizenstein folgte ihm. Frau d'Arville, welche an ihrem Schreibtische saß, fuhr erschreckt empor und zeigte den beiden mit finsterer Miene dastehenden Herren ein abgemagertes, bleiches Gesicht, aus welchem die dunkeln, eingefallenen Augen sie feindselig anstarrten.

Sie sah nicht ohne Schrecken die beiden furchtbar ernsten Männer in entschlossener Haltung vor sich stehen. Doch fragte sie mit scharfem Tone: »Hält es der General von Loßberg mit seiner Offiziersehre verträglich, so bei einer Dame einzudringen?«

»Diesmal, ja,« sagte der General rauh. »Setzen Sie sich, gnädige Frau, ich habe einige Fragen an Sie zu richten.«

»Ich bin nicht gewohnt, mich auf solche Weise brüskieren zu lassen,« und sie machte eine Bewegung nach dem Klingelzuge.

»Lassen Sie das Madame, es ist vergeblich.« – Die Frau blieb stehen, und ihr Auge flog unruhig von dem Gesichte des einen zu dem des anderen.

»Frau d'Arville hat nur meiner Höflichkeit und der Rücksicht auf ihren ehrenwerten Schwiegersohn zu danken, daß ich persönlich bei ihr erscheine, um ihr einige amtliche Fragen vorzulegen, die korrekter vor einem Kriegsgericht zu beantworten wären.«

Den Leib der Frau, die in ein elegantes Morgengewand gehüllt war, überflog ein nervöses Zittern.

»Ich bestehe also ein Verhör, wie es scheint?«

»Gnädige Frau vermuten die Wahrheit, darf ich bitten?« und Loßberg wies auf einen Stuhl.

Mehr in einer Anwandlung von Schwäche als in Folge der Aufforderung ließ sich Frau d'Arville auf dem bezeichneten Stuhle nieder, und ihr fieberhaft glänzendes Auge heftete sich an Reizensteins finstere Züge, als wollte sie darin lesen, welche Gefahr sie bedrohte.

»Sie werden meine Fragen der Wahrheit gemäß beantworten oder haben sich die Folgen zuzuschreiben.«

»Drohungen? ha ha!« Es war ein unheimliches, heiseres Lachen, mit welchem sie die Frage begleitete. Sie sah Loßberg an.

»Was wissen Sie von dem Vorleben des Oberjägers Konski?«

Frau d'Arville zuckte überrascht zusammen, antwortete aber nicht. In ihrem Geiste kreuzten sich seit einigen Minuten alle denkbaren Möglichkeiten, welche zu diesem rauhen Besuche Anlaß gegeben haben konnten, von dieser Seite hatte sie keinen Angriff erwartet.

»Wollen Sie meine Frage beantworten?«

»Ich kenne keinen Jäger Konski,« sagte sie.

»O, das ist schade, er selbst hat bekannt, er sei unter dem Namen von Heldberg sehr befreundet mit Ihnen gewesen,« sagte der General, ohne sein starres Wesen zu verlieren, mit einer gewissen Trockenheit.

Bei Nennung des Namens Heldberg überzog der Frau Gesicht eine geisterhafte Blässe.

»Was heißt das? Ich verstehe nicht?« sprach sie zitternd.

»O, Sie werden sehr bald verstehen, Madame, Sie befinden sich in der Gewalt Wilhelm von Loßbergs, und der ist dafür bekannt, daß er festhalten kann, was er in Händen hat. Antworten Sie unumwunden, oder ich übergebe Sie sofort dem Kriegsgericht.«

Wild wogten ihr die Gedanken durchs Hirn, sie wußte nicht, wo der General hinaus wollte. Seine Worte ließen schließen, daß Konski in seiner Gewalt sei und Geständnisse gemacht habe. Was bedeutete das Ganze. Hugo war vermißt gemeldet worden. War er wirklich unter Konskis Mörderhand gefallen? Nächtlich erschien ihr seitdem sein drohendes Bild und dahinter das seines Vaters im Traum. War er von Konski ermordet? Hatte man diesen gefangen, hatte er Geständnisse gemacht und sie als Anstifterin angegeben? – Wer war denn der schweigsame Herr, der sie mit so erschreckendem Ernste ansah? Sie fühlte von den jäh auf sie einstürmenden Gedanken einen Druck im Hirn und ihre Hand faßte nach dem Kopfe. Ihr umherirrendes Auge blieb dann auf einem an der Wand hängenden Kupferstich haften, der einen friedlich im Mondschein schlummernden Waldsee darstellte, auf welchem Schwäne schwammen, die einen glitzernden Schein im Wasser hinter sich ließen. Wo der See wohl sein mochte, und ob er tief sei, und ob sich's auf jenem Grunde ruhig schlafe, mußte sie denken. Sie sah das Bild täglich, aber solche Gedanken waren ihr noch nicht gekommen. Was war das für ein einsamer See, dessen friedliche Ruhe so einladend war?

»Darf ich um Antwort bitten, Madame?« unterbrach Loßbergs rauhe Stimme dieses Denken.

Sie fuhr empor und ihr Auge haftete mit wildem Ausdruck auf dem Sprecher: »Was wollen Sie? Was überfallen Sie mich? Ich weiß nichts – gehen Sie!«

»Also Sie kennen Konski alias Heldberg nicht? Gut, wir kommen darauf zurück.«

»Was haben Sie denn, Madame,« fragte er rasch und schneidend, »mit den Geldsummen begonnen, welche Ihnen Friedrich von Reizenstein für seinen verwaisten Neffen zusandte?«

Das war die Seite, von welcher sie einen Angriff erwartete. Sie schüttelte die erste übermächtige Ueberraschung und mit ihr die wilde Gedankenflut ab und entgegnete mit verächtlichem Lächeln: »Geld? Ich habe nie Geld von Reizenstein empfangen.«

Die beiden Männer wechselten einen Blick.

»Zwar ist Friedrich von Reizenstein seit Jahren tot, aber in seinen Papieren hat man Aufzeichnungen gefunden –

Die Frau erhob sich mit fast jugendlicher Kraft und ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck des Triumphes. Friedrich Reizenstein tot? der einzige, der gegen sie zeugen konnte, tot? Hugo tot. Wer wollte ihr etwas beweisen? Den verkommenen Konski konnte sie verleugnen.

»Wollen Sie, Herr General, es wagen, mich des Diebstahls zu beschuldigen? Solch' gemeiner Verdacht, über den ich weit erhaben bin, führt Sie in dieser gewalttätigen Weise hierher? Ich ersuche Sie jetzt, mich zu verlassen, oder ich muß Sie für das Gegenteil eines Kavaliers halten.« Sie fühlte ihre Kraft zurückkehren.

»Für was mich Frau d'Arville hält, ist mir gleichgiltig!«

Der General verbarg unter seiner derben Außenseite ein gutes Teil Schlauheit, die triumphierende Sicherheit bei der so hingeworfenen Kunde von Reizensteins Tode war ihm nicht entgangen. Ihm galt es, die gewandte und verschmitzte Heuchlerin so zu verwirren und zu ängstigen, daß sie freiwillig oder unfreiwillig in der Ueberraschung Geständnisse über die dunkle Vergangenheit machte. Er fuhr ruhig fort: »Wer hat denn den Totenschein des Hugo von Reizenstein ausgefertigt? Sie? Ihr braver Mann? Oder Ihr Freund und Helfershelfer, der Herr Postdirektor?«

Die Erwähnung des Postdirektors und des Totenscheines machte sie zwar stutzen, doch sie antwortete nicht und wandte den Herren den Rücken. Von dieser Seite glaubte sie sich sicher. Der Totenschein war nicht von ihr gefälscht und der ihn begleitende Brief von Hanau aus abgesandt. Was konnte sie dafür, daß man sie getäuscht hatte, und ein Brief von ihr, der die Nachricht widerrief, nicht angekommen war. Zwar stieg einen Augenblick der Gedanke in ihr auf: Wenn sie nun wirklich deine sämtlichen Briefe an Reizenstein haben? Doch das war um so weniger wahrscheinlich, als Reizenstein gewiß lange tot war. Und wenn auch? Der einzige glaubwürdige Zeuge existierte nicht mehr, und die Briefe waren mit solchem Raffinement abgefaßt, fast immer, wie aus weiblicher Leichtfertigkeit, ohne Zeit- und Ortsangabe, die Geldsummen nur so im allgemeinen als Sendung u. s. w. bezeichnet, daß da nicht viel zu beweisen war. Dem vertrauensvollen Reizenstein war das gar nicht aufgefallen.

»In den Büchern der Post haben sich doch noch einige Aufzeichnungen über gewisse Geldsummen erhalten.«

Das war nicht wahr, das wußte sie, und sie entgegnete scharf: »Lüge.«

»Doch das ist nebensächlich. Sie haben also nie Briefe und Geldsendungen von Friedrich von Reizenstein empfangen?«

Sie zuckte die Achseln und griff, wie gelangweilt, nach einem Buche.

Loßberg warf Reizenstein einen vielsagenden Blick zu und sagte dann: »Darf ich dich um die Briefe der Dame und den Totenschein deines Neffen bitten, Friedrich Reizenstein?«

Wie von einer Natter gestochen wandte sich die Frau bei dem Namen um und starrte Reizenstein mit entsetztem Blicke an – jetzt erkannte sie ihn – wo hatte sie ihre Augen gehabt? – Er war's, und ein gellender Aufschrei entfuhr ihr: »Friedrich Reizenstein!«

»Er selbst, Madame,« sagte dieser mit düsterem Ernste, »und gekommen, Rechenschaft zu fordern von Ihnen. Hier in dieser Tasche sind Ihre Briefe, der Totenschein Hugos –,« er nahm ein Portefeuille hervor.

Sie hörte gar nicht, was er sagte, sie starrte ihn nur fortwährend an. Dann sagte sie mit unheimlichem Flüstertöne, kaum vernehmlich: »d'Arville hat gestohlen – ich nicht.«

»Das gehört vor den Zivilrichter, – was mich hierherführt, sind die Geständnisse des eingebrachten Deserteurs Konski, sonst Heldberg –«

»Ich bin keine Diebin,« sagte die Frau in demselben unheimlichen Tone, immer noch die Augen auf Reizenstein gerichtet und mit der Hand wie vorher nach der Stirn fahrend.

»Nein, aber eine Mörderin,« sprach Loßberg stark, »und für das verflossene Blut sollen Sie Rechenschaft geben, auch hier dem irdischen Richter schon. War es nicht am Vater genug? Mußte der Sohn durch dieselbe Hand fallen?«

Die Augen der Frau blickten starr und ausdruckslos vor sich hin, als ob Betäubung sich ihres Kopfes bemächtigt habe.

»Warum hast du mir den Bruder ermorden lassen, Weib? Warum? Warum?« fragte jetzt Reizenstein mit von Schmerz durchbebter Stimme.

»Ich?« fragte es in dem vorherigen leisen Tone fast gedankenlos zurück.

»Warum hast du den Mörder nach seinem Sohne ausgeschickt? Warum, Weib?« Warum?«

Sie sah ihn mit leeren Augen wie geistesabwesend an. »Ermordet? Ja, ja!« und sie schlug ein so wildes Gelächter auf, daß die beiden Männer schauderten. »Kommst du aus dem Grabe, Friedrich Reizenstein, um Rache zu nehmen? Was willst du hier? Du bist ja tot.«

»Warum, Weib, hast du Kurt von Reizenstein ermordet?« sagte er mit starker Stimme und stand mit funkelnden Augen vor ihr.

Mit einem von Haß und Zorn verzerrten Gesicht entgegnete sie in vor wilderregter Leidenschaft zitterndem Ton: »Er hat mich verschmäht, mich, mir eine andere vorgezogen, er mußte, mußte sterben.« Plötzlich fuhr sie mit weicher Stimme fort: »Und ich habe ihn so geliebt, – so heiß geliebt, – ich wäre gut, ein Engel, an seiner Seite gewesen, und er, er hat mich zum Teufel gemacht.«

Sie fiel wieder in den wilden, leidenschaftlichen Ton, und die Züge entstellten sich wieder. »Er, – sie, – sie durften nicht glücklich sein, während ich so namenlos litt, – nein, – ich haßte ihn, – haßte ihn so namenlos, wie ich ihn geliebt hatte, – er mußte sterben, – er, – sie, – alle Reizensteins. Zwanzig lange Jahre steht er allnächtlich vor mir mit der blutenden Wunde, o schaudervoll! – Ja, ja,« schrie sie gellend mit geballten Fäusten, – »ja, ich habe ihn gemordet, – ja, ja, mich gerächt, – gerächt. Kommt, Mörder, schleppt mich zum Schaffot, – ich – habe – mich gerächt, – ja, – ha ha ha ha – und mit gellendem Gelächter stürzte sie in Krämpfen zu Boden.

Die von diesem grauenhaften Ausbruch tief erschütterten Männer sahen sich betroffen an.

»Ich glaube,« sagte Loßberg, »hier hat Gott die Rache schon vollstreckt. Laß uns gehen, Friedrich.«

Sie traten hinaus, und Loßberg befahl den Grenadieren, zur Wache zurück zu kehren, und rief nach der Kammerjungfer.

»Gehen Sie zu Ihrer Herrin!« sagte er kurz.

Auf dem Korridor begegnete ihnen angstverstört Frau von Dallner.

»Was ist das, Herr General? Was bedeutet das?«

»Lassen Sie es sich von Ihrer Mutter erklären, Madame.«

Damit ging er die Treppe hinab, von Reizenstein gefolgt.

Die Dienerschaft lief oben wild durcheinander, Aerzte wurden herbeigerufen, und bald erfuhren die Freunde, bei Frau d'Arville sei Tobsucht ausgebrochen, und die Arzte hätten sofortige Ueberführung in eine Irrenanstalt angeordnet. Dies geschah noch an demselben Tage.

Am andern Morgen war Frau d'Arville eine Leiche, ein Nervenschlag hatte ihrem Leben ein Ende gemacht.

»Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher,« sagte Loßberg, als man es ihm mitteilte, »dieses Weib war ein der Hölle entstiegener Dämon.«


 << zurück weiter >>