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Dreizehntes Kapitel.

Mit der Erstürmung des Forts Washington waren die kriegerischen Aktionen des Jahres 1776 geschlossen. Die amerikanische Armee war in den Wäldern von Connecticut verschwunden, und da sie nicht verfolgt wurde, hatte man alle Fühlung mit ihr verloren.

Lord Howe hatte es nicht gewagt, in die Hochlande vorzudringen, weil er fürchtete, dort mehr als ein Thermopylä zu finden.

Auch glaubte er durch Säuberung der Inseln von dem Feinde, die Besitznahme New-Yorks, die Wegnahme des Forts, die Ueberführung der Armee nach dem Festlande vorläufig genug getan zu haben, und verharrte, trotz der mahnenden Stimmen der hessischen Generale, welche auf energische Verfolgung drangen, in träger Ruhe.

Es begann eine Zeit der Erholung für die Truppen, welche dieselben freilich notwendig nach anstrengender Tätigkeit brauchten.

Und lustig gings unter ihnen her, auch sie entschädigten sich für die Zeit der Entbehrung.

Nicht selten erschienen auch New-Yorker Herren und Damen im Lager, um die siegreichen Truppen zu sehen.

Die Aufmerksamkeit, besonders der Amerikaner, wandte sich vorzugsweise den Hessen zu, welche einfach als unüberwindlich galten.

Auch heute war wieder viel Besuch aus New-York im Lager, und teils allein, teils in Begleitung gastfreier und aufmerksamer Offiziere streiften die Gäste durch das weit ausgedehnte Lager.

Vor dem Küchenzelte der Jäger war der ehemalige Oberjäger Konski damit beschäftigt, Holz für den Bedarf der Küche zu spalten.

Das Gesicht des Mannes war finsterer und galliger als je vorher, trotzdem er in hohem Grade die Kunst besaß, seine Züge zu beherrschen.

Wer in seiner Seele hätte lesen können, würde dort eine Fülle von Grimm, Rachlust und allen niedrigen Leidenschaften mit Schaudern bemerkt haben. Die Oberfläche verriet nur dann und wann durch einen unbewachten Blick todbringenden Hasses, was in ihm gährte.

Konski war in einer furchtbaren Situation. Ob er gleich den Diebstahl an Ewald geleugnet hatte, und ihm dieser auch nicht zu beweisen war, so konnte er sich doch nicht über den Besitz der bei ihm vorgefundenen Summe ausweisen, das Kriegsgericht hatte ihm das Geld abgesprochen und der Kasse der Kompagnie zugewiesen.

War er vorher nicht beliebt gewesen, so wurde er jetzt allgemein verachtet, worin die Offiziere den Ton angaben.

Seit dem Abmarsche aus Kassel dachte der Mann nur an Desertation, aber selbst während des schon Monate dauernden Aufenthaltes in Amerika hatte er noch keine Gelegenheit gefunden, zum Feinde überzugehen.

Auf den Inseln war die Flucht schwierig, auch wurde er, da man die Absicht zu desertieren bei ihm voraussetzte, von allen Seiten bewacht. Im offenen Kampfe zum Feind zu laufen, war nicht möglich gewesen, denn Ewald hatte befohlen, er solle nie ins Gefecht kommen. Zu Hugo hatte der Hauptmann bemerkt: »Nicht nur, daß der Bursche am hellen Tage übergehen würde, nein, seine Kugel bedroht den Hans und sogar uns, er soll deshalb zu Hause bleiben!« So war er voll des bittersten Ingrimmes noch immer zwischen den Jägern festgehalten, und selbst eine nächtliche Flucht zum Lager hinaus, ohne die Gewißheit, alsbald Schutz beim Feinde zu finden, wagte er nicht, er kannte den Scharfsinn, mit welchem die Indianer einer Spur folgten, und fürchtete Hotspur.

Finster hieb der Jäger auf die Blöcke, welche er zu spalten hatte, dann und wann inne haltend und einen forschenden Blick auf die Besucher werfend, welche die Lagergassen durchwandelten.

Unweit von ihm saß der junge Mohawk auf einem Fasse und schaute seiner Tätigkeit gelassen zu.

Der Indianer war ein scharfsichtiger Beobachter und hatte wiederholt verstohlene Blicke Konskis aufgefangen, welche tötlichen Haß gegen seinen munteren Freund Hans verrieten.

Dies hatte nicht dazu gedient, ihn in der Gunst des Indianers hoch zu stellen, und wenig förderte es seine Achtung, daß der Jäger nicht im Kampfe verwendet wurde.

Konskis Verhältnis zu den andern Jägern war ihm gleichfalls nicht entgangen.

Bisher hatte der Indianer nie ein Wort an den ehemaligen Oberjäger gerichtet, und ganz unerwartet öffnete er jetzt die Lippen und fragte ihn in dem ihm eigentümlichen Englisch: »Warum geht der Jäger nie in den Kampf?«

Konski hielt überrascht in seiner Tätigkeit inne, warf einen Blick auf den Indianer und sagte dann langsam in deutscher Sprache: »Willst du etwas von mir?«

Mit einem Lächeln voll unverhohlenen Spottes entgegnete dieser: »Warum braucht der Jäger nicht die Sprache der Inglis, er versteht sie doch.«

Unwillkürlich zuckte Konski bei diesen Worten zusammen, denn er verstand in der Tat sehr gut, was Hotspur sagte.

»Verdammter roter Spitzbube,« murmelte er grimmig in sich hinein und griff wieder zur Axt.

Dem Indianer war keine seiner Bewegungen entgangen, und gelassen fuhr er fort: »Konski muß die Inglis sehr verachten, daß er sich weigert, ihre Sprache zu sprechen.«

Konski würdigte ihn keiner Antwort, doch lauschte er gespannt, um zu erfahren, was der Mohawk, dessen Scharfsinn erraten hatte, daß er des Englischen mächtig sei, eine Kenntnis, die er bisher ängstlich verborgen hatte, eigentlich mit dieser Unterredung beabsichtigte.

»Und doch horcht er sehr auf, wenn die Inglishäuptlinge in seiner Nähe reden,« fuhr Hotspur ruhig fort.

Konski hieb auf seinen Block, daß die Splitter herumflogen.

Des Indianers dunkles Auge ruhte funkelnd auf ihm, als er jetzt langsam sagte: »Konski ist kein Freund von Hans – ich weiß es, – aber« – und in dem Tone klang eine furchtbare Drohung, »geschieht ihm, Hans, ein Leid – wird ein Mohawkhäuptling der Spur des Jägers folgen, so weit die Erde reicht – und seinen Skalp nehmen. Hotspur erkennt seine Spur im Lager der Krieger,« und der Indianer deutete auf einige sich in dem weichen Boden deutlich ausprägende Fußspuren Konskis, deren kurze breite Form freilich leicht von anderen zu unterscheiden war, »er wird sie überall finden. Der Jäger ist gewarnt.« Der junge Mohawk erhob sich und schritt davon.

Mit Unheil kündendem Blick sah ihm Konski nach: »Du kommst auch noch daran, verfluchte Rothaut,« sagte er grimmig –, »ihr alle, ihr Hunde, – laßt mich nur meine Zeit abpassen.«

In lebhafter Unterhaltung kam eine Gesellschaft von Herren und Damen, die als Besucher im Lager weilten, die Zeltgasse her, geführt von Oberst Rall, der den gefälligen Cicerone machte.

»Und hier lagern also Ihre tapferen Jäger, Herr Oberst?« fragte die anmutige junge Frau an seinem Arm.

»Ja, meine Gnädige, diese Zelte bergen meine Grünröcke,« entgegnete Rall der Kriegsrätin Dallner, der Tochter Frau d'Arvilles, welche er führte.

»Hier haben wir auch wohl das Vergnügen, unseren Freund, Leutnant von Reizenstein, wiederzusehen?«

»Ich fürchte, nein, denn Reizenstein ist mit mehreren Offizieren auf einem Jagdausfluge begriffen.«

Konski war, als die Gesellschaft die Lagergasse entlang kam, ins Zelt getreten und blickte scharf nach ihr hin. Ein Lächeln der Befriedigung flog über seine Züge, als er Frau d'Arville erkannte.

Diese, die Lorgnette vor dem Auge, schritt langsam am Ende der Gruppe in Begleitung eines Herrn aus New-York einher, mit anscheinend großer Aufmerksamkeit alle Lagereinrichtungen betrachtend.

Der in der Tür des ziemlich großen Küchenzeltes stehende Konski entging ihr nicht.

Als sie mit ihrem Begleiter plaudernd in dessen Nähe kam, – der andere Teil der Gesellschaft war bereits daran vorbeigegangen –, blieb sie stehen und sagte: »Ah, die Küche der Herren Jäger, das ist gewiß sehr interessant, diese muß ich doch in Augenschein nehmen,« und schritt dann, ohne den zurücktretenden Konski zu beachten, in das Zelt hinein.

Ihr Begleiter, der weniger Teilnahme für Feldküchen haben mochte, blieb draußen, ihrer Rückkehr harrend.

Frau d'Arville blickte aufmerksam forschend um sich, es war niemand im Zelte als Konski.

Mit dem Rücken nach ihm gewendet, während sie die primitive Einrichtung zu betrachten schien, sagte sie leise: »Wie konnten Sie es wagen, mir zu schreiben?«

»Es blieb kein anderes Mittel,« sagte er ebenso leise.

»Das darf nicht wieder vorkommen, es ist gefährlich.«

»Der Brief war unverfänglich, und die Ordonnanz glaubte, ein Schreiben des Leutnants zu tragen. Ich mußte Sie sprechen, und nach New-York zu kommen war unmöglich, sie bewachen mich hier wie ein wildes Tier.«

Mit scheinbarem Interesse eine Aufstellung von Kochgeschirren beschauend, immer mit dem Rücken nach ihm hingewandt, fragte sie:

»Was wollen Sie?«

»Ich muß Geld haben.«

»Das dachte ich mir.«

»Ich bin dem Wahnsinn hier nahe und kann nicht fort.«

»Haben Sie etwas uns Bedrohendes gewahrt?«

»Nein. Nur fort will ich von diesen Hunden.«

»Es ist Gefahr für Sie, für mich vorhanden, wenn die Familie Reizensteins aufgefunden wird, und mir scheint, dies wird gelingen. Der Begleiter Kurts dürfte hier leicht wieder erkannt werden.«

»Ah, bah,« sagte der Jäger, wurde aber doch bleich.

»Es gibt nur ein Mittel, uns Sicherheit zu schaffen.«

»Und?«

»Der Leutnant muß ungefährlich gemacht werden,« zischte sie.

Konski zuckte zusammen.

»Dann hat niemand mehr ein Interesse daran, die Familie aufzufinden und die Nachforschungen hören auf, dann sind alle Beweise vertilgt.«

Stieren Auges blickte der Jäger zu Boden.

»Ich muß Geld haben,« sagte er dann noch einmal.

»Werden Sie ein Mann sein?«

»Es ist schwer.«

»Hier ist Geld,« flüsterte sie und ließ, die Bewegung durch ihr bauschiges Kleid nach außen hin deckend, ein kleines Päckchen fallen, welches geräuschlos den Boden berührte.

»Befreien Sie mich von dieser drohenden Gefahr, und was ich geben kann, sollen Sie haben. Bedenken Sie, der Rächer steht Ihnen drohend zur Seite, – handeln Sie rasch.«

Damit wandte sich Frau d'Arville um und schritt ruhig zum Zelte hinaus, die treffliche Einrichtung der Feldküche ihrem Begleiter rühmend, während Konski unbeachtet das Päckchen aufhob, das die Frau niedergleiten ließ, und mit sichtlicher Befriedigung in die Tasche steckte.

Aus einem nahe gelegenen Marketenderzelte ertönte fröhliches Lachen und Jauchzen.

»Es scheint lustig in Ihrem Lager herzugehen, Herr Oberst.«

»Die Grünröcke lassen ihren neuen Oberjäger leben, den Liebling der Kompagnie.«

Die Gesellschaft schritt weiter und erblickte unter dem Zelt, dessen Wand aufgeschlagen war, eine muntere Gruppe von Jägern, dazwischen einige Grenadiere.

Auf einem Fasse saß strahlend vor Freude Hans Rübenkönig, die goldenen Tressen des Oberjägers am grünen Frack, sein tapferes Verhalten in allen Gefechten, sein Geschick, sein strenger Pflichteifer und nicht zum mindesten sein Opfermut bei Fort Washington, der den Hauptmann rettete, hatte die Aufmerksamkeit auch Ralls und Knyphausens auf ihn gelenkt, und auf Vorschlag Ewalds war er zum Oberjäger befördert worden.

Trotzdem er noch so jung war, wurde die Ernennung von den Jägern jubelnd begrüßt, sie hatten ihn alle lieb, denn Hans focht wie ein Teufel in der Schlacht und war nebenher der munterste und kindlich-gutmütigste Kamerad.

In dem wilden Jungen hatten sich in den elf Monaten, welche er mit Lust und Liebe dem Soldatenstande angehörte, Eigenschaften entwickelt, welche ihn wohl der Ehre einer Beförderung würdig machten. Er war ein Mann geworden, und die verwegenen Bursche waren auf ihren jungen hübschen Oberjäger stolz.

Nicht weniger freilich sein ernster Bruder von den Grenadieren, der mit wachsender Freude bemerkt hatte, welch' treffliche Erziehungsresultate der Soldatenstand und die militärische Disziplin bei Hans gezeitigt hatten.

Hoch befriedigt war auch der Indianer von der Standeserhöhung seines Freundes. »Er, Hans, – jetzt Häuptling,« – äußerte er, als er davon erfuhr, »führen Krieger, – er nicht vornehm tun gegen armen Indianer.«

»Mein roter Bursche,« entgegnete ihm hierauf Hans, »du bleibst mein Freund, – übrigens, du bist ja auch so eine Art indianischer Offizier, Hotspur, – wir halten auch ferner gute Kameradschaft.«

»Papaganawe – Häuptling –,« erwiderte der Mohawk mit Selbstbewußtsein, – »Hans ihm Freund.«

Er saß jetzt auch inmitten der Gruppe der Jäger.

Diese erhoben sich, als der Oberst nahte.

»Ihr feiert den neuen Oberjäger, Kinder,« sagte er leutselig, – »das ist recht –. Wo steckt er denn?«

Hans trat vor.

»Da kann ich Ihm ja gleich gratulieren, Oberjäger Rübenkönig,« – und er reichte Hans die Hand, – »Er hat sich wacker geführt, und die Kompagnie darf stolz auf Ihn sein.«

Hans wurde rot vor Freude.

»Gebt mir auch einen Becher, Kinder!«

Man überreichte dem Oberst einen solchen.

»Der neue Oberjäger soll leben!«

»Vivat!« erklang es im Kreise.

Er leerte den Becher und mit einem: »Seid lustig, Bursche, – adieu!« verabschiedete er sich.

Ein donnerndes »Vivat Rall!« tönte ihm nach.

»Es sind wilde Bursche.« sagte der Oberst zu seiner Umgebung, »und dieser Milchbart, den ich auf Ewalds dringende Empfehlung zum Oberjäger gemacht habe, ist der tollste von allen. Der Junge jauchzt vor Freude hell auf, wenn ihm im dichtesten Gedränge die Kugeln um die Ohren fliegen, es ist echtes Chattenblut dieser Rübenkönig!«

Aus dem Jägerzelte erklang von neuem fröhlicher Lärm.

Von den englischen Seeleuten hatten die Hessen ein Getränk bereiten gelernt, welches diese Grog nannten, und mit diesem gefüllt kreisten heute die Becher.

»Kameraden,« sagte Hans, unter allgemeiner Stille das Wort ergreifend, »wir haben unsern gnädigen Herrn Landgrafen leben lassen, das alte Hessenland, die Herren Generale und Offiziere, ihr habt mich leben lassen und nun möchte ich euch bitten, – es sitzt da so eine alte Frau vor dem Ahnaberger Tore in Kassel – und denkt wohl jetzt an mich, – Kameraden, die Gesundheit meiner alten Mutter!«

»Hoch, Mutter Rübenkönig! Hoch!«

»Ach, Heinrich,« sagte der glückliche Hans, »wenn die Mutter erfährt, daß ich Oberjäger bin, ich glaube, die spricht in ihrem Stolze nur noch mit Offiziersfrauen.« Er stieß noch einmal mit ihm an: »Sie soll noch lange glücklich leben, unsere gute Alte.«

Hell erklang jetzt vom Jägerhorn begleitet das Lied:

Wenns Horn ertönt,
Die Büchse kracht
Piff – Paff – Puff,
Weiß jeder, es
Beginnt die Schlacht,
Piff – Paff – Puff –,
Der Jäger zieht nach Recht,
Als Erster ins Gefecht,
Beim Piff – Paff – Puff.

Fürs Hessenland,
Das Heimatland,
Piff – Paff – Puff –,
Nimmt jeder gern
Das Rohr zur Hand,
Piff – Paff – Puff
Und jeder Franzmann fällt,
Auf den der Jäger hält
Mit Piff – Paff – Puff.

Wenn Todesblei
Ins Herz mir drang,
Piff – Paff – Puff –,
So sterb' ich bei
Des Waldhorns Klang
Piff – Paff – Puff
Auf Felde blutigrot
Den echten Jägertod
Beim Piff – Paff – Puff.

Weithin hallte das kräftige Lied, und lange noch tobte wilder Jubel im Zelte, bis auch dieser endlich verhallte, und es still im Lager ward.


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