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Zehntes Kapitel.

Die englisch-deutsche Armee war von Longisland nach Yorkisland übergesetzt. Washington hatte New-York geräumt, sich nach Norden zurückgezogen und stand, nachdem er seine Verluste mit unermüdlichem Eifer ergänzt hatte, nach mannigfachen heftigen Zusammenstößen mit den Königlichen auf den waldigen Anhöhen der Whiteplains in starken Verschanzungen.

Zu der ersten Division der hessischen Truppen war unterdes die am 18. Oktober gelandete, von Knyphausen geführte zweite große gestoßen, wodurch die Stärke der verbündeten Armeen ansehnlich erhöht ward.

Mit ihr war auch Albrecht von Schallern auf dem Kriegsschauplatze eingetroffen. Sobald der Dienst und die Umstände es erlaubten, hatte er den Freund ausgesucht.

Das Wiedersehen war das herzlichste. Reizenstein und Schallern saßen im Zelte des ersteren in eifriger Unterhaltung, die Erlebnisse der letzten Monate austauschend.

Schallern erzählte von der fernen Heimat und den Freunden dort, der Jägeroffizier berichtete von den Affairen, denen er mit Auszeichnung beigewohnt hatte, und von der Lage auf dem Kriegsschauplatz überhaupt, soweit er davon Kunde zu geben vermochte.

»Du wirst über die Kriegsführung hier erstaunen, Albrecht,« sagte Hugo im Laufe des Gespräches, »unsere Generale sind außer sich über das Ungeschick und die Lässigkeit der Aktionen. Heister hat kürzlich eine Unterredung mit dem Oberkommandierenden gehabt, in welcher er mit dem ihm eigenen Freimut die Heeresleitung in einer Weise kritisierte, welche Sir William in hohem Grade erbittert haben soll.«

»Das sind ja treffliche Nachrichten,« sagte Schallern, »ich glaubte, es wäre hier üblich, zu kommen, zu sehen und zu siegen.«

»Wir haben es mit einem unendlich zähen Feinde zu tun. Wie Loßberg es vorhergesagt hat, spielt Washington den Cunctator, er verteidigt jeden Fuß Boden und vermeidet dabei entscheidende Schlachten mit großer Geschicklichkeit, was ihm übrigens durch unsere unsichere, tastende und zögernde Kriegführung leicht genug gemacht wird. Wir erschöpfen uns in blutigen Einzelkämpfen – der Krieg wird lange dauern.«

»Nun meinetwegen,« lachte Schallern, »so kommen wir als Regimentskommandeure wieder heim.«

»Wir haben hier in diesen Whiteplains bereits viel Blut vergossen, und dort auf den Höhen steht der Feind stark verschanzt, unerschüttert, und aller Wahrscheinlichkeit nach zögern wir, ihn anzugreifen, bis es ihm beliebt, davonzuziehen, um im Frühjahr stärker als vorher wieder auf dem Kampfplatze zu erscheinen. Das ist unsere Kriegführung.«

»Wie findet sich denn der Draufgänger Rall dahinein?«

»Wie ein brüllender Löwe. Er hat in voriger Woche mit unglaublicher Bravour die Höhen von Chatterton gestürmt, aber die ganze blutige Attacke war vergeblich, sie erschütterte die Stellung Washingtons nicht, da ein nachdrücklicher Gesamtangriff nicht beliebt ward.«

»Na, Hugo, wie's auch kommen mag, wir wollen dem deutschen Namen Ehre machen, und hoffentlich habt ihr noch etwas Heldenarbeit für mich übrig gelassen.«

»Du wirst noch genug zu tun bekommen, sei ohne Sorge.«

»Nun, da wir die großen Fragen der Zeit erledigt haben, wollen wir uns ein wenig zu unseren persönlichen Angelegenheiten wenden. Begierig bin ich, zu hören, ob sich dir Gelegenheit bot, etwas über deinen Onkel zu erkunden?«

»Wenig. Es dienen freilich unter den Engländern einige in den Kolonien geborene Offiziere, einer derselben hat meinen Oheim auch gekannt, vor Jahren freilich, doch wußte er mir nichts wesentliches mitzuteilen, vor allem nicht, ob er noch am Leben sei.

Seine Nachkommen oder Verwandten, meinte er, müßten indes noch auf einer der Besitzungen der Melvilles, das ist der Name von meines Onkels Gattin, leben.«

»Nun, wenn wir tiefer ins Land kommen, wird sich reichlichere Gelegenheit finden, Nachrichten einzuziehen. Wer weiß, ob da nicht ein paar Millionen als Erbschaft für dich liegen?«

»Was ist mir am Geld gelegen?«

»Nun, Hugo, unterschätze mir das Geld nicht, es ist gar schön, ein paar tausend Dukaten zu besitzen, besonders für arme Offiziere. Also sei so gut, und tritt eine der hier üblichen Millionenerbschaften an, damit ich in deinen Beutel greifen kann, um meinen zerrütteten Finanzen aufzuhelfen.«

Reizenstein lachte: »Hoffentlich, laß mich nur den Beutel erst haben.«

Schallern schickte sich nach einiger Zeit an, sich zu verabschieden. »Wenn wir,« sagte er, »wie ich hoffe, Rall zugeteilt und mit Euch zu einer Brigade vereinigt werden, so wäre das herrlich, Hugo, wir würden dann zusammen fechten.«

»Mag ein günstiges Geschick es so fügen, Albrecht.«

Eine Ordonnanz vom Oberst trat ein und überbrachte Hugo den Befehl, vor ihm zu erscheinen.

Dieser schnallte den Degen um und schritt, begleitet von seinem Freunde, dem Zelte Ralls zu, vor dem sie sich mit herzlichem Händedruck trennten.

Unweit dieses Zeltes lagerten die Grenadiere und Jäger, welch' letztere auf zwei Kompagnien angewachsen waren.

Mutter Heisterhagen, welche alle Strapazen und Entbehrungen des Feldzugs wie eine echte Soldatenfrau ertrug, war, wie immer, in ungemeiner Tätigkeit. Die Wunde des Sergeanten war längst unter ihrer sorgsamen Pflege geheilt, und er schritt stattlich wie je in alter »Propperté« einher. Rübenkönig, der Grenadier, war bis jetzt in all' den kleinen, aber blutigen Scharmützeln, welche in den letzten Wochen stattgefunden hatten, so wenig er sich auch schonte, unverwundet geblieben.

Die zwei Mohawks hatten sich den Jägern auf eine Weise angeschlossen, die ein treffliches kameradschaftliches Verhältnis zwischen den roten Söhnen des amerikanischen Waldes und denen des Hessenlandes gestattete. Ihre Tapferkeit und die Dienste, welche sie als Kundschafter leisteten, erwarben ihnen bald die Achtung der Leute, und sie zählten sich mit nicht geringem Stolze zu den Jägern und fühlten sich in deren Gesellschaft wohl. Während der Mohawkkrieger, ein stiller, ernster Geselle, der auch nur der Sprache seines Volkes mächtig war, einsam zwischen ihnen lebte, hatte sich zwischen dem jungen Häuptling und Hans ein durch gemeinsam bestandene Gefahren befestigter Freundschaftsbund gebildet, dem nur das Mittel der ausgiebigen Mitteilung durch die Sprache fehlte, um vollkommen zu sein.

Aber auch ohne ausreichende Sprachkenntnisse verstanden sich die beiden trefflich, und gewöhnlich sah man sie auch zusammen einher wandern, den geschmeidigen, stolzen Indianer neben dem schlanken, kecken Jäger; im Kampfe fand man sie stets Schulter an Schulter.

Hans hatte sich wiederholt ausgezeichnet und war nach wie vor der Liebling der Kompagnie, der durch seine Verwegenheit und Todesverachtung selbst den kühnsten Jägern imponierte und durch seine muntere Laune, oft selbst mitten im Gefecht, das heitere Gelächter der Leute hervorrief.

Heute saß er vor dem Zelte und schrieb auf einem abgebrochenen Baumstumpf mit mühsam herbeigeschafften Schreibutensilien einen Brief an seine Mutter. Hinter ihm stand Hotspur und sah mit so viel Neugierde, als seine Kriegerwürde ihm gestattete, zu, wie Hans, welcher gerade kein großer Meister in der edlen Schreibkunst war, die geheimnisvollen Zeichen auf das Papier malte.

Endlich hatte der junge Jäger seine schwierige Arbeit vollendet.

»So, das wäre vollbracht; die Alte wird sich freuen,« sagte er vergnügt und, sich zu dem Indianer wendend, fügte er hinzu, indem er auf das beschriebene Papier deutete: »Mutter!« Der Indianer wiederholte den ihm bekannten deutschen Laut.

»Es spricht zu ihr? Wie?«

Wie der Mohawk einiges Deutsch radebrechte, so hatte Hans etwas Kenntnis des Englischen und sogar einige Worte des Mohawkdialektes erworben, und mit diesen bescheidenen Hilfsmitteln verständigten sie sich, wo sie nicht ausreichten, die Geberdensprache zu Hülfe nehmend.

»Ja, Hotspur, das spricht – da hast du recht. Das erzählt drüben im alten Hessenlande der Mutter, wie es uns hier ergeht; von dir steht auch etwas drin. Die alte Frau wird sich einmal wundern, daß ich einen wilden Mann zum Freunde habe.«

»Nicht wilder Mann, Hans, das nicht Mutter sagen. Oneida wilder Mann. Mohawk lernen viel von Missionar, Inglis und Deutsch.«

»Nun, ja, Hotspur, es ist ja auch wahr, ich meine das auch nicht so, ich will nur sagen, daß ich einen roten Krieger zum Freunde habe.«

»Das gut – Hotspur Freund!«

»Sage mir einmal, Häuptling, ich habe dich schon immer fragen wollen,« sagte Hans, ihn nachdenklich ansehend, »bist du eigentlich ein Christ?«

»Was meinen?«

»Nun, glaubst du denn an Gott und den Herrn Jesus?«

Ernst entgegnete der junge Mohawk: »Ihm glauben an großen Geist, ganz wie weißer Mann, er ihm Gutes tun und strafen, ganz wie verdienen. Guter Indianer gehen, wenn er sterben, in selige Jagdgründe.«

»Ja, das ist wohl ganz gut, aber unser Herr Jesus?«

»Bruder von Herrenhut Mohawk viel erzählen von ihm, er sehr guter Mann, ihm sehr lieben, aber er sagen, nicht töten Feind – ihm auch lieben, das nicht begreifen.«

»Das ist richtig, so sagt der Herr Jesus.«

»Ihr auch nicht töten Feind? he? Ihr ihm lieben? he?« fragte der Indianer mit schlauem Lächeln.

»Nun, ja,« sagte der in Verlegenheit gebrachte Hans, »siehst du, Hotspur, wenn's Krieg ist, dann muß man kämpfen und sich seiner Haut wehren – und da geht's denn nicht ohne Tote und Blessierte ab.«

»Das bei Mohawk gerade so,« antwortete lakonisch der Indianer.

Hans brach das Gespräch, welches verfänglich zu werden drohte, ab, deutete auf den vor ihm liegenden Brief, und sagte, eine Stelle mit dem Finger bezeichnend: »Siehst du, Hotspur, hier stehst du – dies ist dein Name.«

Der Indianer betrachtete die Schriftzüge, die seinen Namen wiedergeben sollten, mit kindlichem Erstaunen, einen Augenblick der ernsten Würde des Häuptlings ganz vergessend. Er fuhr auch leicht mit dem Finger über die Stelle, welche seinen Namen enthielt, und wiederholt: »Hotspur – gut – mein Bruder sagt der Mutter von seinem Freunde.«

»Das ist ganz richtig, Indianer, in Kassel werden sie jetzt von dir erfahren.« Er faltete den Brief zusammen und schrieb die Adresse.

»Es ganz wundervoll, daß weißer Mann so miteinander sprechen. Indianer malen auch Tiere und Bäume und wissen, was er sagen, aber armer roter Mann, kann nicht schreiben.«

»Wenn du hübsch zu deinem Herrenhuter Missionar in die Schule gegangen wärest, könntest du's jetzt auch, Hotspur.«

»Nein, er nicht atmen in Haus, er gehen in Wald.«

»Gerade so wie ich, ich habe die Schule auch oft genug umgangen und bin in den Wald gelaufen. Wenn mir die alte Frau etwas vorweinte, ging ich natürlich wieder hinein, und etwas ist doch Dank dem Knüppel des Kantors sitzen geblieben,« und er deutete stolz auf sein Kunstwerk.

»Es ganz wundervoll, Hans, sehr weise.«

»Na, ja, Hotspur, wie man's nimmt!« und Hans lachte herzlich über des Indianers unverkennbare Bewunderung seines Wissens.

Plötzlich klang das Hornsignal für die Jäger: Antreten!

Eilfertig liefen die Burschen von allen Seiten zusammen, und traten gleich darauf vollständig gerüstet vor dem Zelte Ewalds in Reih und Glied.

Der Hauptmann erschien in Begleitung Hugos vor der Front.

»Leute, wer von euch reiten kann, trete vor.«

Einige dreißig Jäger folgten der Aufforderung, unter ihnen Oberjäger Bickel.

»Ah, das sind ja mehr als wir brauchen,« sagte Ewald vergnügt, als er sie überzählte. »Rübenkönig, kann Er denn auch reiten?« fragte er Hans, als er diesen unter den Vorgetretenen bemerkte.

»Zu Befehl, Herr Hauptmann, ja.«

Hans konnte alles, was körperliche Geschicklichkeit und Gewandtheit erforderte, und hatte oft schon als Knabe ein nacktes Pferd zum tollsten Laufe angetrieben, ohne seinen Sitz zu verlieren.

»Na, dann nehmen Sie ihn mit, Reizenstein. Ja, so, der Junge muß ja seinen roten Pylades bei sich haben, wenn er sich wohl fühlen soll.«

Die beiden Indianer waren auf das ihnen wohlbekannte Signal ebenfalls angetreten und standen neben der Kompagnie.

»Hotspur,« fragte Ewald diesen, »kann der Häuptling auf einem Pferde sitzen und es lenken?«

»Hotspur sitzt auf dem Pferde, und es geht, wohin er will.«

»Nun, das ist ja trefflich. Sonst ist die Reitkunst doch eure Sache nicht, ihr Mohawks.«

»Hotspur lernte es in den Ansiedelungen der Weißen.«

»Das trifft sich sehr glücklich, der Indianer wird Ihnen von großem Nutzen sein, Leutnant.«

Reizenstein stimmte zu. Es wurden von den dreißig Leuten zwölf ausgewählt, zu denen Bickel und Hans gehörten, und bedeutet, den Befehlen des Leutnants zu folgen.

»Wird Hotspur mitreiten?«

»Er wird die Pfade weisen.«

»Hotspur kennt das Land?«

»Er hat oft in den Wäldern gejagt.«

»Gut. Die Pferde, Reizenstein, finden Sie dort drüben,« und der Hauptmann deutete auf ein entferntes Gehöft mit großen Stallungen, »suchen Sie sich die besten aus und machen Sie Ihre Leute beritten. Auseinander – Marsch!«

Der Leutnant ließ seine zwölf Mann Proviant fassen, begab sich mit ihnen und dem Indianer nach dem bezeichnten Gebäude, und als die Dämmerung hereinbrach, trabte er, gefolgt von der trefflich beritten gemachten kleinen Schar auf der Straße nach Norden zu.

*

Dem Feldherrn galt es, um seine weiteren Operationen danach zu bemessen, aufklären zu lassen, ob rückwärts von der Stellung der Amerikaner, da, wo die Hochlande beginnen, feindliche Truppen sich sammelten, und ob die Pässe dort befestigt würden, um der amerikanischen Armee zu gestatten, sobald sie ihre gegenwärtige Position verließ, weiter rückwärts von neuem ein verschanztes Lager zu beziehen

Man hatte zu dieser ebenso gefährlichen als verantwortungsvollen Aufgabe Jäger statt Dragoner gewählt, weil sehr leicht ein Rückzug durch die dichten Wälder notwendig werden konnte, und sie – der schnelleren Fortbewegung halber – beritten gemacht und auch um gegebenen Falles schneller Nachrichten empfangen zu können.

Es war ein gewagter Ritt, dieser Ritt in Feindesland.

Die auserlesene Schar auf den kräftigen und schnellen Pferden, wie sie Jersey züchtete, trabte unter dem nächtlichen Sternenhimmel rasch dahin. An der Spitze ritten Reizenstein und der Indianer.

Die Gegend war ziemlich dicht bevölkert, doch begegneten ihnen wenig Menschen auf der Straße, und diese hielten die kleine Schar in der Dunkelheit wohl kaum für Feinde, wenn sie sich zum Kongreß bekannten, und solche, welche noch im Herzen königlich gesinnt waren, hätten ihnen, im Falle sie als Hessen erkannt wurden, keine Gefahr gebracht.

So mochte der kleine Reitertrupp etwa vier Stunden im Sattel gewesen sein, während dessen er in scharfer Gangart eine stattliche Anzahl von Meilen zurücklegte, als der Leutnant zu dem schweigend neben ihm reitenden und den Weg durchforschenden Indianer sagte: »Die Pferde werden müde, Hotspur, ist es noch weit bis zu dem Orte, wo wir lagern sollen? Die Tiere müssen morgen frisch sein.«

Der Indianer entgegnete ihm, daß das nächste Ziel bald erreicht sei.

Langsam ritten sie weiter.

Nach kurzer Zeit bog Hotspur in einen schmalen Weg nach rechts ein, welcher durch einen Waldsaum zu einer Lichtung führte, auf welcher mehrere Heuschober sichtbar wurden, als sie näher kamen.

»Da Heu,« sagte der Indianer, auf die Schuppen deutend, »dort Wasser,« und er wies auf ein vorüberrinnendes Bächlein.

Der Leutnant durchforschte, so gut er in der Dunkelheit vermochte, den Platz, der ihnen Nachtherberge bieten sollte. Er befand sich, durch einen schmalen Waldsaum von der Straße getrennt, auf einer, wie es schien, ziemlich ausgedehnten Lichtung, welche als Wiesengrund diente, und rings von Wäldern umgeben war.

»Was würde der Häuptling tun, wenn wir hier angegriffen würden?«

»Nicht angreifen. Niemand wissen, daß wir hier. Niemand wissen, ob Inglis, ob Koloniemänner, Leutnant ruhig schlafen.«

»Also, bis Tagesanbruch sind wir deiner Meinung nach hier in Sicherheit? Gut.« Er befahl den Jägern abzusitzen, die Pferde zu pflegen und sich dann im Heu eine Ruhestätte zu suchen.

»Legt euch nieder, Leute, und schlaft, ich werde zunächst selbst wachen und später die von euch wecken, welche mich ablösen sollen.«

Die Jäger betteten sich, nachdem sie die Pferde gefüttert und getränkt, behaglich im Heu, und auch Hotspur streckte sich, in seine wollene Decke gehüllt, dort zum Schlafen nieder. Bald herrschte tiefe Ruhe über der Lichtung, selbst die ermüdeten Pferde bewegten sich kaum.

Schweigende Nacht umhüllte den einsamen Wächter, der sich auf einem vom Sturm entwurzelten Baume niedergelassen hatte, und still wie die Wälder ringsum und bewegungslos dort saß.

Seine Gedanken waren nicht freundlicher Art. Er gedachte seines bescheidenen, ja harten Jugendlebens, das ihm so einsam verflossen war, seitdem sein Vater einen geheimnisvollen Tod in diesen Wäldern gefunden und seine Mutter zu den Toten gegangen war. Er war allein im Leben, ein Spielball des Geschickes. Der einzige, der seinem Herzen je nahe getreten war, war der rauhe, ehrliche Schallern.

»Mein Vater, mein armer Vater,« flüsterte er vor sich hin, und trübe Bilder stiegen vor seiner Seele auf.

Die Nacht schritt vor.

Unhörbaren Schrittes nahte der Indianer, von der Straße kommend, wohin er sich unbemerkt entfernt hatte. Er blieb vor Hugo stehen und betrachtete teilnahmsvoll dessen ernstes, leidvolles Antlitz, welches der Sternenschimmer schwach bestrahlte.

In gedämpftem Tone sagte er: »Eine Wolke überschattet des Jägerhäuptlings Antlitz.« – Hugo fuhr aus seinem Sinnen empor – »er muß sie verscheuchen. Nicht immer ist es Nacht – es strahlt auch die Sonne wieder.«

»Ja, du hast recht, Indianer – fort mit der Wolke – der Sonnenschein wird wiederkehren.« – Ganz der Wirklichkeit zurückgegeben, fragte er rasch:

»Was gibt's, Hotspur? Droht Gefahr?«

»Es ist alles ruhig, Hotspur war am Wege. Doch die Sterne werden bleich – ist's nicht Zeit, daß die Jäger erwachen?«

Hugo warf einen Blick gen Himmel, der Tag dämmerte langsam herauf.

»Ja, es ist Zeit, wecke sie, Indianer.«

Munter erhoben sich die rüstigen Burschen, sahen nach ihren Waffen, tränkten die Rosse, und nahmen dann ihr frugales Frühstück ein.

Kaum war die Sonne über den Horizont erschienen, als die Jäger ihre Pferde bestiegen und der Straße zuritten. Als sie eben den Waldsaum verlassen wollten, um auf die Straße hinaus zu reiten, gab der Indianer ein Zeichen, zu halten.

Alles hielt lautlos.

Der Indianer neigte horchend das Haupt.

»Was vernimmt der Häuptling?« fragte der Leutnant leise.

»St! Wagen kommt. Hotspur hört die Räder.«

Alle lauschten gespannt, vernahmen aber kein anderes Geräusch als das leise Rauschen der Blätter im leichten Morgenwinde.

Der Indianer glitt vom Pferde herab, Hugo folgte ihm hierin und winkte dem Oberjäger Bickel und Hans, ein gleiches zu tun. Den übrigen befahl er, auf der Stelle zu verharren und zu Pferd oder zu Fuß, wie es die Umstände erforderten, vorzudringen, wenn sie ihn schießen hörten.

Der Indianer schritt bis an den Rand des Gehölzes, Reizenstein und die beiden Jäger hinter ihm her. Dort lugten sie vorsichtig durch die Büsche und blickten die Landstraße hinauf und hinab.

Jetzt vernahmen auch sie das Nahen eines Wagen, der sich dem Geräusch nach zu urteilen, rasch vorwärts bewegte.

Nach links zu, von wo das Rollen das Räder hörbar war, machte der Weg eine Biegung.

Aller Augen waren dorthin gerichtet, wo jeden Augenblick der Wagen erscheinen mußte.

Endlich ward er sichtbar.

Es war ein von vier starken Pferden gezogener Reisewagen, auf dessen Bock zwei Neger saßen, der in raschem Trabe herannahte.

Kaum war er den Augen der Beobachter sichtbar geworden, als aus den Gebüschen, welche die entgegensetzte Seite des Waldes einsäumten, einige Schüsse fielen.

Zwei Pferde stürzten und einer der Neger fiel vom Bock hernieder zur Erde. Der Wagen hielt, trotzdem die unverletzten Pferde in wilder Angst ihn fortzuziehen sich bemühten.

Gleichzeitig sprangen wohl ein Dutzend Indianer aus den Büschen hervor und auf das Gefährt, aus dessen Innern Angstrufe weiblicher Stimmen ertönten, zu.

»Oneida!« flüsterte Hotspur mit scharfem Laut, riß die Büchse an die Wange, schoß, und einer der Indianer stürzte nieder.

Hugo, der wie die anderen mit einer Büchse bewaffnet war, Bickel und Hans feuerten hierauf ebenfalls, und mit solcher Wirkung, daß jeder Schuß einen der Wilden niederstreckte.

Die so rauh und unerwartet begrüßten Angreifer liefen in großer Eile zurück in die schützenden Büsche. Hotspur, dies wahrnehmend, setzte in weiten Sprüngen über die Landstraße und verschwand dort zwischen den Zweigen, Bickel und Hans folgten ihm, während der Leutnant die eilig nahenden Jäger erwartete.

Da er nicht wissen konnte, über welche Mittel die Angreifer verfügten, befahl er seinen Leuten, sich rasch längs der Straße im Gesträuch zu verteilen, was auch schnell ausgeführt wurde, sodaß einige der Jäger sich bald dem Wagen gegenüber befanden. Der zweite Neger, welcher den Bock eingenommen hatte, war herabgesprungen und starrte, nachdem er mit Mühe die Pferde zum Stehen gebracht, angstvoll in den Wagen hinein, während der andere das Blut seiner Wunde zu stillen suchte.

Aus dem Walde jenseits krachte noch ein Schuß, und gleich darauf trat Hotspur aus dem Buschwerk und winkte mit der Hand.

Der Leutnant trat jetzt rasch hervor und näherte sich dem Wagen.

»Er fort,« rief ihm der Indianer zu, »er laufen.«

Aus dem Wagenschlage blickte ein schreckensvolles Mädchenangesicht. »Helfen Sie! Helfen Sie!«

Hugo riß rasch den Wagenschlag auf und erblickte einen älteren Herrn, der bewußtlos niedergesunken war, und dem das Blut von der Stirn rann. Ihm gegenüber lag eine junge Dame auf dem Sitz, ohnmächtig zwar, doch, wie es schien, unverletzt.

Hugo reichte derjenigen, welche ihm aus dem Wagenschlage zugerufen hatte, die Hand zum Aussteigen.

»Sind Sie unverletzt. Miß?«

»Ja, ja, doch – mein Vater, retten Sie meinen Vater!«

»Beruhigen Sie sich, wir wollen gleich nach ihm sehen,« und er stieg in den Wagen hinein.

Als der Leutnant hervortrat, waren seine Leute ihm gefolgt und standen jetzt auf der Landstraße, neugierig die seltsame Gruppe betrachtend.

Zwei der getroffenen Indianer waren tot, und Hotspur riß ihnen mit großer Ruhe die Skalpe ab, die beiden anderen, welche schwer verwundet niedergesunken waren, lagen am Boden und erwarteten mit der den Kindern des amerikanischen Urwaldes eigenen finsteren Ruhe den Todesstreich, den Hotspur, den Tomahawk vom Gürtel lösend, eben zu führen sich anschickte.

Mit Schaudern hatte Hans der entsetzlichen Prozedur des Skalpierens zugesehen; als Hotspur jetzt mit wilder Miene sich den Verwundeten näherte, faßte er seinen Arm.

Erstaunt sah der Indianer auf.

»Hotspur, Freund,« stammelte Hans hochrot im Gesicht vor Aufregung – halb englisch, halb deutsch radebrechend, »die dort,« und er deutete auf die Skalpierten, »tot, – die verwundet – nicht tot. Nicht tot – nicht Skalp.«

Der Indianer schien gar nicht zu begreifen, daß man sein Handeln nicht ganz natürlich fand, und blickte verwundert in Hans' Gesicht.

»Ihm töten – dann Skalp.«

»Nein, Hotspur, willst du noch länger mein Freund sein, dann sei kein Mörder, den Toten reiße meinetwegen die Kopfhaut herunter, wenn's sein muß, aber Verwundete muß man nicht umbringen,« stieß Hans rasch und laut heraus.

Hugo, der dies vernahm, blickte aus dem Wagenfenster und rief dem Indianer befehlend zu: »Die Verwundeten laß leben – sie dürfen nicht getötet werden!«

Verblüfft durch die leidenschaftlichen Worte von Hans, den Befehl des Leutnants, den zu respektieren er gelernt hatte, die mißbilligenden Blicke der umstehenden Jäger, trat der Indianer finster von seinen Opfern zurück.

»Helft mir den Herrn aus dem Wagen heben, Leute,« rief Hugo und mit Hilfe des besorgten Schwarzen und eines Jägers ward der immer noch bewußtlose Herr aus dem Wagen gehoben und sanft auf den den Weg einsäumenden Rasen niedergelegt.

Händeringend kniete die junge Dame, deren edel schönes, von blonden Locken umrahmtes Antlitz, deren tränende Augen den tiefsten Schmerz verrieten, neben dem bewußtlosen Verwundeten nieder, während der Leutnant ihn sorgfältig untersuchte. Angstvoll hingen die Blicke der Mädchen an seinem Gesicht.

»Ich glaube, Sie dürfen sich beruhigen, Miß,« sagte er dann, »ich finde keine Verletzung, als diesen Prallschuß am Vorderhaupt, der die Bewußtlosigkeit durchaus begreiflich erscheinen läßt – aber wohl ganz ungefährlich sein dürfte, denn die Hirnschale scheint nicht verletzt zu sein.«

»O Gott, Gott sei Dank!« sagte die junge Dame aus tiefstem Herzen.

»Etwas Rum!«

Einer der Jäger reichte Hugo seine Feldflasche.

»Bickel, lassen Sie die Leute aufsitzen und schauen Sie sich scharf um,« befahl der Leutnant, während er dem Ohnmächtigen etwas Rum einflößte.

Dieser holte mehrmals tief Atem und schlug langsam die Augen auf, deren Blick auf das über ihn gebeugte Antlitz Reizensteins fiel. Sie hafteten mit augenscheinlichem Staunen an dem fremden Gesicht. Leise, aber doch Hugo vernehmlich, kam es über seine Lippen, während er die Augen fest auf Hugo geheftet hielt: »Bist du es Kurt? Endlich – endlich – lieber Bruder –,« und die Augen schlossen sich von neuem.

Hugo wandte den Kopf nach der neben ihm knieenden jungen Dame, die jetzt zum erstenmale, ungeblendet von überwältigendem Schreck, ihm voll ins Antlitz sah.

Starke Ueberraschung spiegelte ihre Züge wieder und ein Ausruf des Erstaunens entfuhr ihr.

»Der Feind!« rief Bickel, der alle Leute zu Pferde um sich versammelt hatte, mit lauter Stimme.

Hugo sprang empor und auf das Pferd, welches ihm Hans hielt.

»Wo?«

»Dort, Herr Leutnant.«

»Von Norden her, der Richtung, welche die Jäger zu verfolgen dachten, nahte ein starker Trupp Reiter, Landleute, wie es schien, mit Büchsen bewaffnet.

Sie hielten still, als sie die Uniform der hessischen Jäger erkannten.

Hugo blickte die Landstraße zurück, den Weg, den er gekommen war, und der seine Rückzugslinie bildete, er war menschenleer – dann nach dem Reitertrupp hin, der wohl dreißig bis vierzig wohlbewaffnete und gutberittene Kämpfer zählen mochte.

Dann sagte er kurz: »Drauf, Leute!« und jagte auf die Amerikaner zu. Mit gellendem »Schurri!« folgten ihm seine Jäger.

Unruhig wurde es in dem feindlichen Reiterhaufen, und plötzlich wandten sich alle unter dem Schreckensruf: » The Hessians! The Hessians!« zur wilden Flucht.

Die Jäger verfolgten sie eine Weile und hielten dann, als sie einsahen, es sei unmöglich, die mit so rasender Eile Davonjagenden einzuholen, lachend inne.

»Die können aber laufen,« sagte Bickel ruhig, und dröhnendes Gelächter der kecken Bursche antwortete der trockenen Bemerkung.

»Hörtet Ihr, Oberjäger, wie sie entsetzt schrien: Die Hessen! Die Hessen!?« fragte einer der Jäger. »Ja, Flatbush und die Whiteplains haben ihnen nicht gefallen.«

Die schnelle, hastige Verfolgung hatte die Jäger einige Meilen weiter ins Land geführt.

Sie hielten, als der Feind verschwunden war, und ließen die Pferde verschnaufen.

Jetzt, wo die Gefahr beseitigt erschien, gedachte Hugo der verzweifelten Lage der Armen, welche er auf der Landstraße zurückgelassen hatte, und des Schicksals, welche sie erwartete, falls die mordlustigen Indianer zurückkehrten.

Lebhaft drängte es ihn, umzukehren, – aber seine Pflicht, – der ihm erteilte Auftrag war von großer Wichtigkeit für die Armee, – schon lag sichtbar die Hügelkette vor ihm, die er erforschen sollte, jede Minute war kostbar, – er mußte vorwärts und die Überfallenen ihrem Geschicke überlassen.

Die Anwesenheit feindlicher Truppen im Lande war nach diesem Zusammentreffen nicht mehr zu verbergen. Auch ihre geringe Zahl mußte bald bekannt sein, – es war keine Zeit zu verlieren.

»Kennt der Mohawk die Hügel dort?« wandte er sich an den finster blickenden Indianer.

»Hotspur kennt sie.«

»Fürchtet der Häuptling dort Gefahr für uns?«

»Er, Rebeller, bringen ganze Land in Aufruhr, ihm bald hören.«

»Ich muß die Hügel dort sehen.«

»Dann hinreiten.«

»Gut, und wenn wir in der Front angegriffen werden, und uns gleichzeitig der Rückweg abgeschnitten wird, was dann?«

»Gehen in Wälder, suchen Hudson, fahren in Kanoe zurück.«

»Du hast recht. Also vorwärts!« und im Galopp sprengte die kleine Kolonne den Weg entlang den Hügeln zu.

Vereinzelte Ansiedelungen lagen spärlich gesäet hier und da am Wege, deren Gebäude durch die Bäume sichtbar waren, einigemale sah man auch einen Reiter in toller Eile den Bergen zujagen, doch vom Feinde war nichts zu schauen.

Der tolle Angriff der Jäger, wie der Schrecken, welcher vor dem hessischen Namen herging, hatte die feindliche Schar, wahrscheinlich Milizen, welche auf dem Wege zum amerikanischen Lager waren, vollständig zerstreut.

Während sie so schweigend die einsame Straße dahinritten, stieg in Hugos Seele das Bild auf, welches die weit hinter ihm liegende einsame Stelle der Landstraße vor kurzem seinem Auge geboten. Der verwundete alte Herr, die neben ihm knieende Tochter, deren schöne Züge so von Schmerz erfüllt waren, – der Blick voll jähen Erstaunens, mit welchem sie ihn angeschaut, – standen vor ihm, und vor seinem Ohr erklang der Laut, mit welchem sie den Blick begleitete.

Der alte, fast bewußtlose Herr hatte, das fiel ihm erst jetzt auf, deutsch gesprochen – also einen Landsmann hatte man vor dem Skalpiermesser der Indianer gerettet – desto besser.

Seltsam.

Es war alles so rasch, so plötzlich gekommen, – der Angriff der Wilden auf die Kutsche, – das Erscheinen des feindlichen Reitertrupps, – dazu seine Verantwortung als Befehlshaber, – all' dies ließ ihn erst jetzt die empfangenen Eindrücke ordnen.

Er ritt langsamer und rief den Indianer an seine Seite.

»Welchem Volke gehörten die Indianer an, welche den Wagen überfielen?«

»Oneida.«

»Also Angehörige einer von den sechs Nationen, die uns befreundet sind?«

»Oneida nicht befreundet Inglis, er für Kongreß, er Schurke, Nationen nichts von ihm wissen, ihn totschlagen.«

»Dann waren die Insassen des Wagens wohl Loyalisten?«

»Nicht wissen –, Oneida gleich, er skalpieren Leute von König Georg und Koloniemänner – er Spitzbube – er stehlen.«

»So meinst du, es sei ein einfacher Raubanfall gewesen?«

»So meinen.«

»Werden die Oneidas zur Landstraße zurückgekehrt sein, um ihr Werk zu vollenden, nachdem wir den Wagen verlassen hatten?«

»Er laufen, er Angst, er nicht zurückkommen,« sagte der Indianer zuversichtlich.

Erleichtert atmete Hugo auf. Schweigend ritten sie weiter und unbelästigt erreichten sie den Hügel, mit welchem das Hochland begann.

Der Leutnant konnte sich überzeugen, daß die Straße frei war und auch bisher keine Anstalten getroffen waren, sie oder die angrenzenden Höhen zu verschanzen, obgleich die Bodengestaltung sich trefflich zu einer Defensivstellung und Verteidigung der wichtigen Straße nach Albany eignete.

Er ließ halten und befahl den Jägern zu rasten und die Pferde verschnaufen zu lassen. Dann bestieg er die Anhöhe vor ihnen, wo er einen freieren Gesichtspunkt gewann, schrieb einige Bemerkungen in sein Notizbuch, fügte einige leicht hingeworfene Zeichnungen hinzu und kehrte hierauf zu seinen Leuten zurück.

Während die Jäger lagerten und ihre Pferde das süße Waldgras abweiden ließen, trat Hans zu dem finster neben seinem Rosse stehenden Indianer und sagte mit seinem gewinnenden, offenen Lächeln: »Höre einmal, alter Hotspur, du scheinst zu brummen – aber dazu hast du gar keine Ursache – denn Gefangene oder Verwundete tot zu schlagen, ist nicht schön und ziemt sich für ehrliche Kriegsleute nicht.«

Aufmerksam lauschte der Indianer den Worten, mochte aber herzlich wenig davon verstanden haben –, da trat Reizenstein, der den Schluß von des Jünglings Rede vernommen hatte, hinzu, und Hans, in der richtigen Vermutung, nicht so verständlich gewesen zu sein, als es ihm wünschenswert erschien, bat: »Ach, Herr Leutnant, setzen Sie dem Hotspur doch das mit dem Skalpieren ein wenig auseinander. Er ist ein ganz guter Kerl, aber verteufelt fix mit dem Messer bei der Hand.«

»Hotspur,« redete Hugo, dem die Gelegenheit, dem verstimmten Indianer, dessen Dienste sie sehr nötig hatten, ein freundliches Wort sagen zu können, erwünscht kam, in englischer Sprache ernst an, »ist ein Krieger? Wie?«

Des Mohawk Auge funkelte stolz, als er sagte: »Papaganawe ist ein Krieger und ein Häuptling der Mohawks.«

»Gut. Ein Mohawkhäuptling ist ein edler Krieger – ist kein Oneida oder Onondaga.«

Ein verächtliches Lächeln umspielte des Indianers Lippen.

»Hält Hotspur die Hessen und Engländer für tapfere Krieger?«

Anerkennend neigte der Mohawk das Haupt.

»Hat der Häuptling je gesehen, daß der Engländer oder Hesse den Gefangenen oder Verwundeten tötet?«

»Oneida tun so, alle roten Männer tun so.«

»Ja, gut, Oneidas mögen das tun, sie sind Spitzbuben und Mörder, aber Hotspur ist ein Mohawk und unser Waffengefährte, er darf nicht handeln wie ein schmutziger Hund von Oneida, sondern wie ein hessischer Jäger, an deren Seite er ficht. Sieht Hotspur, daß meine Krieger weniger tapfer sind, weil sie keine Skalpe nehmen? Nein, Häuptling, reiße dieses scheußliche Siegeszeichen meinetwegen den Toten ab –, aber töte nicht Verwundete, das ist unserer, ist eines Mohawkhäuptlings nicht würdig.«

Mit tiefem Ernste horchte der Indianer diesen Worten, und nicht ohne Eindruck schienen sie geblieben zu sein. Er hatte jetzt lange genug mit den Jägern gefochten und gelebt, als daß dieser Umgang spurlos an ihm vorüber gegangen sein konnte, auch erfreute ihn des Leutnants herzliche und klug für ihn berechnete Ansprache.

Sein finsteres Gesicht hellte sich auf, und er sagte dann: »Gut. Die Hessiankrieger sind schrecklich in der Schlacht – und haben im Lager Weiberherzen. Der rote Mann tötet alles – das seine Art. Aber der Hessian ist mein Freund –, Hotspur liebt ihn –, er hat ein Hessianherz –, Hotspur will Gefangene nicht töten.«

»Das freut mich, Häuptling, wir werden dich, wenn du nach unserer Art kämpfst, viel lieber haben.«

Er übertrug Hans des Indianers Versprechen und dieser streckte ihn: darauf vergnügt die Hand entgegen mit den Worten: »Das ist brav, Hotspur. Ich hätte wahrhaftig nicht mehr mit dir umgehen können, wenn du Verwundete abschlachtest – gib mir die Hand.«

Der wilde Mohawk, der eine aufrichtige Zuneigung zu dem Jüngling hegte, legte seine Hand in die von Hans und sagte lächelnd: »Er, Freund von Hans.«

»Na, dann ist es ja gut, 's war gar keine Ursache zu brummen, alte Rothaut.«

Damit war der Zorn des beleidigten Indianers besiegt und der Friede wieder hergestellt.

Während nun Pferde und Menschen unter den Bäumen ausruhten, schritt der unermüdliche Mohawk den nahen Hügel hinan, um Ausguck zu halten. In eiligen Sprüngen kam er nach kurzer Zeit zurück und meldete Reizenstein: »Dragoner.«

»Wie? Feinde?«

»Koloniemänner.«

»Wieviel?«

»Regiment.«

»Von wo?«

»Dort!«

Hotspur deutete nach der Seite hin, woher sie gekommen waren.

»Aufsitzen!« kommandierte Hugo.

Die Jäger schwangen sich hurtig in die Sättel.

»Will der Leutnant mit einem Regiment fechten?« fragte der Indianer.

»Wir wollen davonreiten, Hotspur – dorthin.«

»Laufen in Feind – dort Riflemen.«

»Ah –, sind die Herren Yankees aufgewacht? – Was würdest du tun?«

»Müssen gehen in Wald, – nach Hudson, – es Zeit.«

»Wartet!«

Hugo ritt auf die Straße hinaus auf eine Stelle, von wo aus er den Weg sehr weit überschauen konnte, und sah durch sein Glas, daß der scharfsichtige Indianer ganz genau berichtet hatte, in leichtem Trabe nahten einige Schwadronen Virginiadragoner, kenntlich an den blauen Uniformen.

»Der Indianer hat recht,« sagte er sich. »Vorwärts gehen liefert uns in Feindeshand, rückwärts gehen können wir nicht, und zu Pferde diese steinigen Wälder passieren, ist unmöglich.«

Er ritt zurück.

»In wieviel Zeit können wir den Hudson erreichen?«

»Ehe die Sonne schlafen geht.«

»Gut, führe uns durch die Wälder. Absitzen! – Aber was beginnen wir mit den Pferden?«

»Ihm lassen laufen, er dann denken, wir vor ihm reiten!«

Reizenstein ließ die Pferde auf die Straße führen und sie mit kräftigen Peitschenhieben nach Norden zu davonjagen.

In wilder Flucht galoppierten die Rosse dahin.

Flink schritten die Jäger dann in den Wald hinein, Hotspur voran und hinter ihm die übrigen, nach Indianerweise einer dem andern folgend.

Der Mohawk, dem diese Wälder vertraut waren, führte die kleine Schar, als sie fast die Höhe erreicht hatten, durch ein mit Steinen dicht bedecktes Tal von ziemlicher Längenausdehnung. In der Mitte dieser steinigen Senkung, die weder Buschwerk noch Graswuchs zeigte, bog er in rechtem Winkel ab, und sie betraten dann wieder den Waldboden.

»Warum das, Hotspur?« fragte ihn der Leutnant, dem diese plötzliche Schwenkung auffiel.

»Wenn uns nachkommen, er lange suchen, – Steine hinterlassen keine Spur.«

»Glaubst du, sie werden uns verfolgen?«

»Dragoner nicht, – Riflemen kommen, aber nicht finden.«

Nach einem dreistündigen starken Marsche hatten sie die Höhe überwunden und schritten nun abwärts, dem Hudson zu.

Schon begann sich der Abend hernieder zu senken, als Hugo nach dem Gewaltmarsche zu halten befahl.

»Wie denkst du dir den weiteren Weg nach dem Lager, Hotspur?«

»Leutnant schon sagen, dort der Hudson,« er deutete auf eine im Zwielicht noch deutlich erkennbare, bald zu erreichende Talsenkung.

»Sind die Ufer besiedelt? Das heißt, wohnen viel Menschen dort?«

»Er wohnen hier, wohnen da. Gehen leise an Wasser, nehmen Kanoe, eins, zwei, drei, fahren Fluß hinab, kommen, ehe Sonne scheint, zu Freund in Lager.«

»Sind die Leute hier Rebellen?«

»Er so, – andere so –.«

»Und liegen Truppen am Flusse?«

»Leutnant meinen Soldaten? Nicht dort, Riflemen dort.«

»Nun, so führe uns, – das Wasser ist gewiß in der Nacht der ungefährlichste und nach dieser Tagesanstrengung auch der angenehmste Weg. Voran, Hotspur, ich vertraue deiner Klugheit.«

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, und sie erreichten, vorsichtig die sichtbar werdenden und sich mehrenden Farmen umgehend, als dunkle Nacht hereingebrochen war, das Ufer des schönen Stromes.

Die Jäger versammelten sich um ihren Leutnant.

»Wie bekommen wir nun Kähne, Hotspur?«

Der Indianer deutete nach rechts auf eine dunkle Baumgruppe: »Dort Herrenhaus, am Wasser Kanoe, ihm nehmen.«

»Das ist freilich sehr einfach,« sagte lächelnd Reizenstein. »Also führe uns zunächst zu den Booten.«

Der Indianer, der hier mit der Örtlichkeit vertraut schien, führte sie auf die Baumgruppe, welche das von ihm erwähnte Herrenhaus verbarg, zu, und durch eine, nur mit einem Fenzriegel verschlossene Pforte in einen Park, der sich am Flusse hinzog.

Das Ufer, zwischen wohlangelegten Bosketts, vorsichtig entlang gehend, trafen sie auf eine ins Wasser hineingebaute Anfahrt, an welcher, wie der Indianer vorausgesehen, einige Boote befestigt waren, – aber, – wie sie mit Verdruß bemerkten, ohne daß die Ruder darin lagen.

»Was nun beginnen?«

Hugo sah sich um. Unweit, vom Wasser etwas entfernt, zeigte sich ein stattliches Gebäude, in dessen Front einige Fenster erleuchtet waren.

»Wie bekommen wir Ruder, Hotspur?«

Der Indianer war wohl öfters im Kanoe hier vorbeigefahren, war auch, wie sich gezeigt hatte, mit den Wäldern ringsum nicht unbekannt, doch hatte er nie die Pflanzung selbst betreten, und die innere Einrichtung derselben war ihm fremd.

»Nun, was meinst du?«

»Ich denken, er in Haus dort,« sagte er zögernd und deutete auf das Herrenhaus.

»Sucht hier Deckung in den Büschen, Leute,« befahl Hugo, »ich will rekognoszieren gehen. Schieße oder pfeife ich, so dringt vor. Bickel, Sie übernehmen das Kommando! Rübenkönig und Schneider, ihr folgt mir! Geh' voran, Hotspur!«

Während die Jäger sich in den nahe gelegenen Bosketts versteckten, näherten sich der Indianer und der Leutnant, der seine Büchse zurückgelassen und sie durch die aus seinem Gürtel genommene Pistole ersetzt hatte, gefolgt von den beiden Jägern, mit großer Vorsicht dem Gebäude. Als sie näher kamen, bemerkten sie neben dem Herrenhause noch einige kleinere Baulichkeiten, die wohl Stallungen und Dienerwohnungen enthielten.

Durch die erleuchteten Fenster des Erdgeschosses sah man in ein behagliches Zimmer, in welchem eine freundliche Familiengruppe sich um den Teetisch gebildet hatte. Drei Damen saßen dort, eine ältere und zwei jüngere, und neben ihnen ein stattlicher älterer Herr; eine Negerin ging ab und zu und bediente bei Tisch.

Es war ein so friedliches Bild, daß Hugo einen Augenblick inne hielt, um es zu betrachten, diesen Gegensatz zu dem wilden Kriegstreiben um ihn her.

Dann schlichen sie ums Haus, aber alles war dort still. Ob und wie viel Bewohner die Nebengebäude enthielten, war nicht zu ermitteln, dort regte sich nichts.

Sie kamen wieder zum Haupteingang zurück.

»Ich will hineingehen, Leute, bleibt hier vor dem Fenster und bewacht die Tür.«

Er betrat über einige Stufen den schwach erleuchteten Hausflur, ein Hund schlug an, und aus einem Nebenzimmer trat ein Neger, der mit weitaufgerissenen Augen den hessischen Offizier, der, mit der Pistole in der Hand, vor ihm stand, anstarrte.

»Still! oder ich schieße dich zusammen.«

Der erschrockene Neger stand stumm wie eine Bildsäule.

»Führe mich zu deinem Master. Voran!«

Mechanisch öffnete der Schwarze eine Zimmertür, durch welche heller Lichtschein auf den Flur fiel. Hugo schob ihn vor sich her und trat rasch ein.

Er befand sich vor der friedlichen Gruppe am Teetisch, welche er von außen gesehen hatte.

Aller Augen hafteten mit jähem Erstaunen auf der so plötzlich auftauchenden fremdartigen Erscheinung.

Hugo, den Hut in der Hand, machte den Damen eine artige Verbeugung und wandte sich an den Herrn mit der Frage: »Ich sehe den Besitzer dieses Gutes vor mir?«

Dieser und die Damen erhoben sich, – aber die Überraschung war so groß, daß selbst der Herr kein Wort der Erwiderung fand.

Hugo wiederholte seine Frage.

»Allerdings, der bin ich.«

»Offizier des Landgrafen von Hessen, ich bedarf sofort einige Boote für den Dienst des Königs und ersuche Sie, mir diese zur Verfügung zu stellen.«

»Mein Gott, wie kommen Sie hierher, Herr?«

»Wir sind auf einem Streifzug begriffen, meine Leute lagern am Ufer, und in der Hoffnung, einen loyalen Untertan Sr. Majestät vor mir zu sehen, gab ich mir die Ehre, Sie persönlich zu bitten.«

»Ein Hesse? Ein Hesse?« murmelten die so Überraschten, und die Augen verschlangen fast die jugendlich kriegerische Erscheinung Hugos.

»Ein Hesse? Einer von Flatbush?« fragte nicht ohne bewundernden Blick der Herr.

»Dort habe ich gefochten.«

»Wissen Sie, daß Sie in des Löwen Höhle sind?«

Rasch blickte Hugo um sich, warf den Hut auf den Kopf, hob mit der einen Hand die Pistole und war eben im Begriff, seine kleine Jägerpfeife an den Mund zu setzen, als der Herr rasch einfiel:

»Halten Sie ein, – ich bin der Löwe nicht, aber ringsum liegen zwei Bataillone Milizen, und hier im Hause wohnt der Kommandeur.«

»Also, rasch die Boote, mein Herr.«

»Mein Gott, mein Gott, ich würde standrechtlich behandelt werden, wenn ich das täte.«

»Zwingen Sie mich nicht, Gewalt anzuwenden, es würde viel Blut fließen.«

»Gegen mich bedarf's keiner Gewalt, – aber die Boote müssen Sie nehmen, kühner, junger Mann, geben darf ich sie nicht.«

»Wo sind die Ruder?«

»In einem kleinen Schuppen am Flusse, dicht bei der Anfahrt.«

»Ist er verschlossen?«

»Nein.«

Hugo öffnete das Fenster und rief den Jägern leise zu, wo sie die Ruder fänden.

»Verzeihen Sie, meine Damen,« redete er die vor Staunen und Schreck immer noch Sprachlosen an, »diese Störung Ihres friedlichen Familienkreises. Die Boote, Herr, werden zurückgeliefert, sie werden nur für kurze Zeit für den Dienst des Königs in Anspruch genommen.«

Kaum hatte er ausgesprochen, als am Fenster Hotspurs dunkles Haupt erschien, den Damen entfuhr ein Schrei, als sie es erblickten.

»Leutnant kommen, –« flüsterte der Indianer, – »Feind da?«

Ehe Hugo antworten konnte, trat rasch ein hochgewachsener Milizenoffizier ins Zimmer. Hugo wandte sich bei dem Geräusch des Eintretens um und führte sofort auf den durch die Anwesenheit eines Hessen maßlos überraschten Mann einen so wuchtigen Schlag mit dem Kolben seiner schweren Pistole, daß er, am Haupt getroffen, lautlos zu Boden stürzte.

Draußen krachte ein Schuß. Hugo sprang zum Fenster hinaus und lief nach dem Ufer, der Indianer an seiner Seite.

Rechts und links in den Gebüschen tauchten dunkle Gestalten auf, und man hörte Stimmen einander zurufen.

Mit Freuden sah der Leutnant, am Wasser angekommen, daß die Boote mit Rudern versehen waren, zwei derselben genügten, um sie alle aufzunehmen.

Die Jäger waren dort versammelt und erwarteten ihren Leutnant.

In den Büschen rechts und links wurde es lebendiger, und eine tiefe Stimme rief aus der Dunkelheit: »Ergebt euch, sonst schießen wir euch alle nieder!«

Der Marsch der Jäger durch die Farmen, so vorsichtig er auch vollzogen war, schien nicht unbemerkt geblieben zu sein.

»In die Boote!« flüsterte Hugo. »Du in jenem, Hotspur, – ich in diesem ans Steuer. Duckt euch, Leute, und legt euch in Anschlag.«

Rasch verteilten sich die Jäger in den beiden Booten.

Eine dunkle Menge nahte vom Hause her und Geräusch zahlreicher Fußtritte ließ sich vernehmen.

Der Jäger einziger Schutz war die tiefe Dunkelheit.

»Ergebt euch!« ließ dieselbe drohende Stimme sich vernehmen.

»Hessen ergeben sich nicht,« rief der Leutnant jetzt laut. »Feuer!« Donnernd krachten die Büchsen und weckten den Widerhall der Ufer, gellendes Schmerzensgeschrei zeugte davon, daß es nicht ohne Wirkung geschehen war. Einen Augenblick herrschte tiefe Stille.

Hugo feuerte seine Pistole nach der Richtung hin ab, von wo er die Stimme vernommen, und sprang ins Boot, mit kräftigem Fußstoß es weit in den Strom treibend.

Ein Gleiches tat Hotspur mit dem anderen.

Die Jäger hatten sich auf den Ruderbänken verteilt und die langen Riemen ergriffen, mit denen sie auf den Inseln vor New-York nicht übel umzugehen gelernt hatten. Am Ufer entluden sich jetzt eine große Anzahl Gewehre, ohne aber bei der Dunkelheit und der Bewegung der Boote Schaden anzurichten, die Kugeln sausten alle ins Wasser.

Hugo und Hotspur hatten die Steuer genommen. »Vorwärts!« und die Boote trieben unter den Ruderschlägen der Insassen der Mitte des Stromes zu.

»Sie werden die anderen Boote bemannen und uns nachsetzen,« sagte Reizenstein, »wir hätten alle lösen und ins Wasser stoßen sollen.«

»Wenn sie können, Herr Leutnant,« lachte Hans, »die Boote haben sie zwar, nur einstweilen keine Ruder.«

Der schlaue Bursche hatte in der Tat den Schuppen aller seiner Ruder entleert, einige zur Reserve in die Boote gelegt und die anderen ins Wasser geworfen.

Hugo hörte es mit Vergnügen.

»Bist ein trefflicher Bursche, Hans,« sagte er.

»Hans klug wie Mohawk!« ließ sich des Indianers Stimme aus dem nahe fahrenden Boote anerkennend vernehmen.

Die Fahrzeuge hatten jetzt die Mitte des Flusses erreicht, wandten nun nach Hotspurs Kommando die Schnäbel stromabwärts und die Leute legten sich tüchtig in die Riemen.

Vom Ufer tönte fortwährend wildes Geschrei, und einzelne Schüsse wurden in die Nacht hinein abgegeben.

Nachdem sie bereits weit außer Schußweite waren, befahl Hugo, inne zu halten und die Büchsen zu laden, was in der eiligen Flucht nicht hatte geschehen können.

Nachdem dies ausgeführt, griffen die Jäger wieder zu den Riemen, und, die Mitte des Stromes haltend, flogen die leichten Boote den Hudson hinab.

An beiden Ufern, und diese waren verhältnismäßig dicht mit Landhäusern besetzt, ward es lebendig, und es schien, als ob man sich zur Verfolgung anschicke, denn deutlich vernahm man auf dem stillen Wasser den Hufschlag eilig das Ufer entlang galoppierender Pferde. Es schien, als ob das Land allarmiert werden sollte, eine Verfolgung zu Wasser war nicht zu bemerken, die Büchsen der Jäger schienen dazu zu viel Respekt eingeflößt zu haben.

Es mochte unter fleißiger Handhabung der Ruder, die man, so gut es anging, umwickelt hatte, um das auf dem Wasser so leicht vernehmbare Geräusch zu dämpfen, wohl mehr als eine Stunde vergangen sein, als sie bei einer Wendung, welche der Fluß machte, auf einem am rechten Ufer in das Wasser vorspringenden, ziemlich hohen Felsen ein großes Feuer erblickten, welches den Strom weithin beleuchtete.

Dies wahrnehmend, gebot Hugo einzuhalten. Es geschah und beide Boote legten sich dicht aneinander.

»Das ist gefährlich,« sagte er, »der Feuerschein reicht bis über des Stromes Mitte hinaus. Was meinst du, daß zu tun sei, Hotspur?«

»Fahren aus dem Licht, gehen leise am andern Ufer stromab.«

»Nein,« sagte Hugo nach kurzem Besinnen, »dort ist die Gefahr mindestens ebenso groß als hier. Dicht zum rechten Ufer hin die Boote gehalten, Leute! Leise, – langsam!«

Sie bewegten sich mit vieler Vorsicht dem Ufer zu, von welchem der Fels sein Licht ausstrahlte, und ließen dann die Boote in dem tiefen Dunkel der den Flußrand säumenden Bäume, das sie um so besser verbarg, je heller der Schein des Feuers auf den andern Teil des Stromes fiel, langsam abwärts treiben.

So näherten sie sich allgemach dem Felsen und traten in den Schatten desselben ein. Der Lichtschein fiel nur nach der Mitte zu und stromab von seinem Gipfel herab.

Hier ließ Hugo landen. Er befahl zwei Jägern, in den Booten zu bleiben, und hieß die andern aussteigen.

»Was der Leutnant tun?« fragte der Indianer.

In leisem Tone sagte Hugo: »Unsere Rettung besteht darin, daß wir das Feuer verlöschen. Wir pirschen uns an die Bursche, welche hier auf uns lauern, an und fassen sie von hinterrücks. In der ersten Panik, die solch' ein Angriff verbreiten wird, hinauf auf den Fels, das Feuer zerstört, dann zurück in die Boote und in die Mitte des Stromes.«

Dem Indianer entfuhr ein leiser Ruf der Bewunderung. »Ihm sehr gut, Hotspur wird gehen und nach Feinden sehen.«

»Geh! aber kehre rasch zurück.«

Der Indianer verschwand geräuschlos im Dunkel, und lautlos verhielten sich die Jäger.

Die Feinde mußten nicht weit entfernt sein, denn dann und wann trug der Wind menschliche Stimmen an ihr Ohr.

Hotspur tauchte so rasch und geräuschlos aus dem Dunkel wieder auf, als er verschwunden war, und berichtete rasch: »Er, dreißig Mann am Fluß liegen, zwei aber bei Feuer.«

»Gut. Führe uns so, Häuptling, daß wir sie vor die Büchsen kriegen.«

In möglichster Geräuschlosigkeit folgten sie dem Indianer bis zu einer Stelle, wo sie geschützt durch eine dichte Hecke, das Feld vor ihnen zu übersehen vermochten.

Wie der Indianer gemeldet hatte, waren hier wohl dreißig Männer versammelt, der Feuerschein vom Felsen herab ließ sie deutlich erkennen. Einige lagerten, andere durchspähten, durch Büsche und Bäume gedeckt, eifrig die Wasserfläche.

Nicht vierzig Schritt von den lauernden Jägern entfernt stand eine Gruppe bewaffneter Farmer in eifriger Unterhaltung begriffen, deren Wortlaut hinter der Taxushecke recht gut verstanden wurde.

»Und wenn sie landen, sobald sie den Schein des Feuers bemerken, und sich in die Wälder schlagen, was dann?« sagte einer von ihnen.

»So haben wir sie morgen früh sicher,« lachte ein anderer, »entrinnen können sie nicht, und bei dieser Dunkelheit werden sie in den Wäldern nicht weit kommen.«

»Morton, den sie in Harpers Farm überfielen,« sagte ein dritter, »hat durch reitende Boten das ganze Ufer auf die Beine gebracht. Drüben wird's, seitdem unser Leuchtfeuerchen brennt, auch schon lebendig. Fassen werden wir die Herren Hessen schon, diese englischen Mietsknechte, die keinen Pardon geben.«

Hugo hatte sich die Örtlichkeit und die Verteilung der Feinde, welche hier in großer Seelenruhe die Ankunft der Jäger erwarteten, angesehen.

Flüsternd fragte er den Indianer: »Kann Hotspur ungesehen den Felsen erklimmen?«

»Ja.«

»So steige der Häuptling hinauf. Hans, begleite ihn.«

»Zu Befehl!« sagte dieser freudig.

»Sobald ich die Falkenfeder des Häuptlings über dem Felsen erblicke, greife ich hier an, und Ihr wißt, was Ihr dort oben zu tun habt.«

»Gut!« sagte der Indianer und entfernte sich mit Hans. Langsam kletterten sie jetzt an der Schattenseite des mit Buschwerk hier und da besetzten Felsens empor. Die Männer, welche oben das Feuer unterhielten, waren vom Standpunkt der Jäger aus gut zu sehen.

Atemlose Minuten vergingen, und alle Augen waren auf die Felsspitze gerichtet, während die starken Hände die schußfertigen Büchsen umklammerten.

Endlich. Da oben zeigte sich – sorgfältig den Augen der Feinde versteckt, das Haupt des Indianers. »Fertig!« kommandierte der Leutnant leise, »jeder seinen Mann.« Die Jäger lagen im Anschlag.

»Feuer!«

Die Büchsen entluden sich, – Schreckens- und Schmerzensrufe antworteten –, jeder Schuß hatte bei der kurzen Entfernung getroffen – und in wilder Todesangst stürzte alles bei dem so überraschenden Angriffe davon.

Beim Krachen der Büchsen sprang Hotspur wie ein Tiger empor und begrub seine Streitaxt tief im Haupte des ihm zunächst stehenden Mannes, während Hans fast gleichzeitig den ihm zugewiesenen Gegner mit dem Hirschfänger durchrannte.

Sie rissen die Brände jetzt auseinander, und warfen sie den Fels hinab in den Fluß, so daß bald Dunkelheit sie einhüllte.

Nach abgegebener Salve, welche so tödlichen Schrecken über die des Kampfes kaum gewohnten Farmer verbreitete, denen auch der Anführer gefallen war, befahl Reizenstein den Rückzug nach den Booten, welche auch trotz der Dunkelheit rasch erreicht wurden.

Sie stiegen ein und luden die Büchsen.

»Hans und Hotspur da?«

»Nein, Herr Leutnant.«

Oben hörte man Menschen zusammenlaufen: »Hier müssen die Hunde gelandet sein,« ließ sich eine Stimme vernehmen, »seht nach, ob die Boote noch dort liegen.«

Einige Gestalten näherten sich dem Uferrande, und es rauschte in den Büschen, da krachten oben zwei Büchsen und Hotspur ließ sein gellendes »Heho!« vernehmen, dem Hans ein kräftiges »Schurri!« beigesellte. Die beiden Jäger, welche in den Booten geblieben waren und noch geladen hatten, feuerten auch. Dies schüchterte die andringenden Amerikaner augenscheinlich ein, denn sie hielten inne.

Hotspur und Hans erschienen bei den Booten, schoben sie ab, schwangen sich hinein, und wenige Sekunden später schwammen sie im Schatten des Felsens, geschützt durch diesen und die Dunkelheit, den Hudson hinab. In weiterer Entfernung und inmitten des Stromes griffen sie wieder zu den Riemen und erreichten unverfolgt und unbelästigt mit Tagesanbruch einen im Bereich der Armee liegenden Landungsplatz.

»Das war ein hessisches Jägerstückchen,« sagte Bickel, als er ausstieg, »die werden noch lange an uns denken.«

Und in der Tat hatte die Verwegenheit der grünen Gesellen an beiden Ufern des Hudson eine solche Angst verbreitet, daß noch heute die Kinder dort mit dem Schreckwort eingeschüchtert werden: »Der Hesse kommt!«


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