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Es war gegen Ende des Märzmonats, und ein schöner Frühlingstag war es, dessen warme Sonne die Weser, da, wo sie dem Meere zueilt, und die Marschen ringsum mit ihren sinkenden Strahlen beleuchtete.
Mit munterem Schritt kam Hans Rübenkönig dort einher gegangen, den Strom entlang und seinem Laufe folgend.
Hier und da sah man in dem flachen Lande ein niedriges Gehöft einsam ragen, meist von einigen Bäumen umstanden, denn die Leute im Norden bauen sich nicht in geschlossenen Dörfern an, wie es weiter im Süden geschieht, sondern jeder wohnt auf seiner Hufe allein, das ist so Friesen- und Sachsenart.
Die Sonne neigte sich schon zum Untergange, Hans sah sich nach einem Nachtlager um und maß die Entfernung der einzelnen Gehöfte mit dem Blick.
»Gerne suche ich einen solchen Marschenbauer nicht wieder auf,« murmelte er, »sie halten mich für einen Vagabunden. Grobes Volk, und man versteht ihre Sprache nicht einmal.«
Dabei fiel sein Blick auf eine große Heufieme, welche, mit Brettern gedeckt, sich unweit erhob. »Das wird's für die Nacht tun, so brauche ich keinem der Bauern ein gutes Wort zu geben,« und flink manchen Graben und Knick überspringend eilte er der Fieme zu.
Behaglich ließ er sich dort nieder, zog aus dem Rucksack, den er trug, ein frugales Abendbrot hervor, welches er mit großem Appetit verspeiste, und bereitete sich dann in dem Heu nach oben zu ein Lager, wickelte sich in eine wollene Pferdedecke, welche er ebenfalls dem Rucksack entnahm, sah noch eine Weile schweigend nach dem Sternenhimmel auf, denn die Nacht war herab gesunken, und schlief bald den traumlosen Schlaf der Jugend.
Der erste Frühschein dämmerte kaum am Himmel auf, als Hans die Augen öffnete.
Eine Weile lag er noch still, dann hob er plötzlich den Kopf, sein scharfes Ohr hatte ein verdächtiges Geräusch vernommen. Er lauschte: »Es ist Schnarchen,« sagte er sich dann, »da ist noch ein Gast, den will ich mir doch ansehen.«
Vorsichtig wickelte er sich aus der Decke, glitt geräuschlos aus seinem Lager, lauschte von neuem dem immer gleichmäßig forttönenden Geräusch, und schlich dann vorsichtig um die Fieme herum, dem Laute nach.
Forschend den Kopf vorstreckend erblickt er erst die Füße, dann den ganzen Körper eines im Heu hingestreckten Mannes, von welchem das Geräusch ausging. Kriechend nahte er sich und schrak jäh zurück, als er beim schwachen Zwielicht die Uniform eines hessischen Jägers erkannte.
Das schwere Schnarchen dauerte fort, und wieder nahte sich Hans, um das Gesicht des Mannes zu sehen.
Er beugte sich über den Schlafenden, und fast wäre ihm ein Schrei der Überraschung entfahren – vor ihm lag – Konski, der Oberjäger.
»Desertiert?«, murmelte Hans. »Wart', Bursche, du hast's mit Hans Rübenkönig zu tun. Dir will ich's eintränken, einen ehrlichen jungen Burschen in den Verdacht des Diebstahls zu bringen.«
Er blickte forschend um sich, dort lagen Büchse und Patrontasche, die der Jäger von sich geworfen, als er sich niederlegte, flink entfernte sie Hans gänzlich aus dem Bereiche des Schlafenden und trug sie einige Schritte fort. Dabei stieß er mit den Füßen an etwas – er bückte sich und hob eine geleerte Rumflasche auf, welche noch stark nach ihrem Inhalt duftete.
»Ah, der desertierte Herr Oberjäger haben sich einen Rausch angetrunken? – Desto besser – wollen gleich sehen.« Er entfernte auch das Seitengewehr des Schlafenden und nahm dessen Genickfänger in die eigene Hand.
Mit der Linken schüttelte er nun Konski derb an der Schulter, doch dieser, ohne zu erwachen, gab nur einige unartikulierte Laute von sich.
»Betrunken – und wie! Warte, Konski, du hast mich unerfahrenen Jungen veranlaßt, die Schmach des Desertierens auf mich zu laden, du sollst es büßen.«
Er kletterte wieder an der Fieme empor und holte einen Strick herab, der da oben dazu diente, einen der deckenden Balken zu befestigen. Mit diesem band er dem Jäger die Arme oberhalb der Ellenbogen fest auf den Rücken zusammen. Dann setzte er sich geduldig neben ihn und verzehrte die Reste seines Abendbrotes.
Kaum stand die Sonne hell am Himmel, so ging Hans zu einem nahen Graben und füllte seinen Hut mit Wasser, welches er dann dem Schlafenden plötzlich ins Gesicht goß.
Dieser erwachte aus dem schweren Schlummer, sah um sich, wollte sich aufrichten, wurde aber durch die gebundenen Arme daran verhindert. Gleichzeitig fühlte er auch den Schmerz, welchen ihm die Bande verursachten.
Er richtete den trüben Blick in die Runde und ließ ihn endlich auf Hans haften.
»Guten Morgen, Herr Oberjäger,« sagte dieser spöttisch.
Konski antwortete nicht, aber in dem trüben, stier blickenden Auge erwachte nach und nach geistiges Leben. Er versuchte noch einmal sich zu erheben, was wieder mißlang und schrak dann sichtlich zusammen.
»Was ist das? – Bist du es, Hans Rübenkönig?«
»Zu Befehl, Herr Oberjäger.«
In dem Gesichte des Gefesselten dämmerte jetzt eine Ahnung der Gefahr auf, in welcher er sich befand, und mit großer Energie schüttelte er fast gewaltsam die Betäubung, welche ihm das Hirn umlagerte, ab. Einen Augenblick sah er überlegend vor sich hin, er fühlte, daß er gebunden sei, und mit einer kräftigen Bewegung brachte er sich auf die Kniee. Ein grimmiger Blick traf Hans.
»Hast du mich gebunden, Bursche.«
»Zu Befehl, Herr Oberjäger.«
»Augenblicklich befreie mich, oder es ergeht dir schlimm.«
»O nein, Herr Oberjäger, arretierte Deserteure führt man gebunden zurück, das ist Vorschrift.«
Dem Oberjäger wurde mit den schwindenden Dünsten des Rums seine Lage immer klarer – er fühlte die unzerreißbaren Stricke an seinen Armen und wußte sich wehrlos in der Hand des Jünglings.
»Was habe ich Ihm getan, Rübenkönig?«
»Mich zum Deserteur und Dieb gemacht, Herr Oberjäger, aber das soll Euch gereuen! Kommt, es wird Zeit, ich will Euch zur Kompagnie zurückbegleiten.«
»Da werden sie sich ja recht freuen, dich wieder zu sehen.«
»Ich hoffe, ja,« sagte Hans trocken.
»Sei kein Narr, Mensch, und binde mich los, ich habe dir nichts zugefügt.«
»Nein, ich bin kein Narr, ich würde mich auch garnicht um Euch bekümmern, ob Ihr Deserteur seid oder nicht, aber den Diebstahl lasse ich nicht auf mir sitzen, der muß aufgeklärt werden, und darum müßt Ihr mit.«
»Ich habe dich des Diebstahls nicht beschuldigt.«
»Werden sehen, das Verhör wird's ausweisen, und nun kommt, wir müssen fort.«
»Lebendig, du Hund,« schrie der Jäger in ausbrechender Wut, »lebendig bringst du mich nicht fort,« und er machte verzweifelte Anstrengungen, sich zu befreien.
Hans sprang zurück und ergriff die Büchse, die, wie er sich überzeugte, geladen war.
»Gebt Euch keine Mühe, Konski, die Stricke halten, und mit müßt Ihr, und zwar lebendig. Ich brauche nur zu rufen oder zu schießen, so kommen Leute, welche mir beistehen, Euch nach Bremerlehe zu bringen. Angesichts der Truppen wird's keiner wagen, einem Deserteur durchzuhelfen, also fort!«
»Rübenkönig,« sprach der Jäger jetzt ruhiger, »du bist ein Kind, ein Tor. Was willst du denn deine Knochen in Amerika lassen, komm' mit mir, ich habe Geld und teile es mit dir, wir suchen uns eine neue Heimat.«
»Mir ist die alte gut genug. So, Ihr habt Geld? Am Ende das des Hauptmanns? Hilft Euch nichts, Herr Oberjäger – kommt nur.«
»So nimm Geld, ich gebe dir sechs Friedrichsdor, aber laß mich los.«
»Vorwärts!«
»Ich gebe dir zehn, aber stürze mich nicht ins Unglück, Junge.«
»'s wird Euch nicht schlimmer gehen als mir, wenn sie mich erwischt hätten.«
»Rübenkönig, erbarme dich –«
»Da seht, dort kommt ein Pikett Jäger, die streifen nach Euch. Vorwärts!«
»Nein!« und mit finsterm Trotze warf sich Konski zurück aufs Heu.
In der Ferne zeigten sich in der Tat hessische Jäger, welche die Knicks und Gräben absuchten.
Hans feuerte Konski's Büchse in die Luft, worauf alle auf die Heufieme zuschritten.
Hans lief ihnen entgegen, und als er den Oberjäger, welcher das Pikett führte, erkannte, eilte er auf ihn zu und sagte hastig: »Jäger Hans Rübenkönig meldet sich zur Kompagnie zurück.«
»Donnerwetter, Junge, bist du 's?« platzte der Oberjäger Bickel, dieser war es, erstaunt heraus – »na, das ist der gescheiteste Streich, den du je gemacht hast. Sei mir herzlich willkommen, Wildfang,« und er reichte ihm die Hand. »Was fiel dir denn ein, zu desertieren? Ein Rübenkönig und desertieren? Pfui Teufel.«
Die zerstreuten Jäger waren herbeigeeilt und drückten ihre Freude aus, Hans wiederzusehen.
»Hast du nicht einen Gewissen hier herumschleichen sehen, Hans?« fragte der Oberjäger.
»Meint Ihr den Konski, der liegt dort sicher genug,« und Hans deutete auf den Heuhaufen.
Die Jäger sprangen fort und führten den gebundenen Konski herbei, dessen Auge mit tödlichem Hasse auf Hans ruhte.
»Es tut mir leid, Konski, aber Er weiß, Pflicht ist Pflicht,« redete ihn Bickel an. »Vorwärts Marsch!« und den Delinquenten in der Mitte schritten sie Bremerlehe zu.
Hans erzählte nun, wie er in jener Nacht von der Jagd zurück gekehrt sei, auf Konski im Treppenhause gestoßen, wie ihn dieser eingeschüchtert, und er dann in heller Verzweiflung davon gelaufen sei.
»Ei, ei!« sagte Bickel, eine grundehrliche Natur, »das sind ja sonderbare Geschichten. Rall, die Stuben der Jäger durchsucht? Unsinn!«
Hans erzählte weiter, wie er sich wochenlang im Hannöverschen und im Reinhardtswalde, bald jagend, bald bei Waldbauern arbeitend herumgetrieben habe, bis endlich die Kunde zu ihm drang, daß die Hessen und auch seine Jäger in den Krieg zögen, da habe er gleich den Entschluß gefaßt, sich auf jede Gefahr hin zu stellen. Hierin bestärkt habe ihn der Zettel seines Bruders, der ihm endlich zu Händen gekommen war, besonders weil er die Mitteilung enthielt, er stehe im Verdacht, den Hauptmann Ewald bestohlen zu haben. Bald zu Fuß, bald auf einem flinken Segelboote, wenn sich Gelegenheit dazu gab, sei er die Weser hinabgeeilt, der Kompagnie nach, und freue sich, sie eingeholt zu haben.
»'s ist brav, Junge, daß du dich stellst, 's wird sich alles finden.«
»Um den Konski, Herr Oberjäger, würde ich mich nicht bekümmert haben, denn es ist nicht meine Sache, Deserteure ohne Befehl einzufangen, wenn ich ihn nicht als Zeuge brauchte, daß ich kein Dieb bin.«
»Daß du den Hauptmann bestohlen hast, Hans, hat keiner von uns geglaubt, so merkwürdig deine Flucht auch mit dem Einbruch zusammen traf.«
In raschem Jägerschritt waren sie Bremerlehe genaht, wo eine stattliche englische Flotte auf dem breiten Strom vor ihren Ankern sich schaukelte, in welche eben auf zahllosen Böten hessische Truppen eingeschifft wurden.
Mit begierigem Auge verschlang Hans das bunte, aufregende, nie gesehene Bild.
Dort stand auch seine Kompagnie zur Embarquierung bereit und vor ihr Hauptmann Ewald.
»Geh', Hans, und melde dich!« sagte Bickel.
Rasch trat Hans an den Hauptmann heran, stand vorschriftsmäßig und meldete: »Jäger Hans Rübenkönig, freiwillig zur Kompagnie zurück und bittet um gnädige Strafe.«
Des Hauptmanns ernstes energisches Gesicht überflog ein freundlicher Zug, als er den errötenden Jüngling musterte und seine Meldung vernahm.
»Freut mich, Rübenkönig, das hatte ich auch von Ihm erwartet,« sagte er gütig.
»Ich hätte mich zu Tode geschämt, Herr Hauptmann, wenn die Kompagnie im Feuer gewesen wäre ohne mich.«
»Das ist wie der Sohn eines alten Soldaten gesprochen, der auf dem Schlachtfelde starb. Komm' Er einmal hierher, Rübenkönig,« und er trat mit ihm zur Seite. »Sage mir jetzt die Wahrheit, Hans, es soll dir gar nichts geschehen, mein Wort als Offizier darauf, aber, beim Leben deiner alten Mutter, sage die Wahrheit: hast du mir das Geld genommen?«
Hans sah ihn mit seinen ehrlichen Augen treuherzig an und antwortete: »Nein, Herr Hauptmann, so wahr Gott lebt.«
»Ich hab's auch nicht geglaubt, aber ich freue mich der Bestätigung.«
Hans erzählte nun flüchtig die näheren Umstände seiner Desertion, welche der Hauptmann nicht ohne Erstaunen vernahm. Er warf einen Blick nach der Gruppe, in welcher Konski sich befand, und Bickel trat dann vor ihn und meldete: »Zurück von der Streife auf den Deserteur Konski, Deserteur eingebracht«
Ein ernster Blick des Hauptmanns traf Konski.
»Bringe Er ihn aufs Schiff und lege Er ihn in Eisen. Vorher wird er streng durchsucht und ihm alles an Papieren, Geld und so weiter abgenommen.«
Konski ließ sich schweigend abführen.
»Und ich?« fragte Hans jetzt schüchtern.
»Du? Ja, Bursche, dich müßte ich dreimal die Gassen laufen lassen,« sagte Hauptmann Ewald, Hans wurde bleich, »wenn der Landgraf nicht einen Generalpardon erlassen hätte für alle Deserteure, welche sich freiwillig wieder stellen.«
Hans atmete auf, und ein glückliches Lächeln flog über sein Gesicht.
»Und nun gehe Er zum Zeugfeldwebel und lasse Er sich wieder einkleiden.«
Hans wollte davon eilen.
»Halt! Weiß denn Seine Mutter, daß er wieder bei mir ist?«
»Ich habe ihr sagen lassen, Herr Hauptmann, ich ginge zur Kompagnie zurück.«
»Na, ich will nur der alten Frau noch schreiben, daß ihr Taugenichts wieder da ist, damit sie ihrer Sorge ledig wird. Kehrt! Marsch!«
Rasch war Hans wieder zum Jäger verwandelt, und die Kompagnie freute sich, daß der muntere Junge wieder da war. Für Konski hingegen hatte niemand Teilnahme.
Noch am Abend erfuhr der Sergeant, der bereits eingeschifft war, seines Bruders Rückkehr, er sagte nur: »Gott sei Dank, daß ein Rübenkönig kein Deserteur ist.«
Am andern Tage entfaltete die mächtige Flotte ihre Segel und steuerte, die hessische Division an Bord, der englischen Küste zu.