Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Während sich die verbündeten Armeen nach harter Kriegsarbeit der Ruhe hingaben und die englischen Oberkommandierenden Siegesfeier auf Siegesfeier veranstalteten, war der ruhige, energische Washington von Connecticut aus nach Westen zu gezogen, hatte den Hudson überschritten, Jersey durchquert und seine Armee, unverfolgt von dem lässigen Feinde, jenseits des Delaware in Sicherheit gebracht, wo er, durch diesen Fluß gedeckt, jeder weiteren Verfolgung ausweichen, in Pennsylvanien seine Armee verstärken und auf einen Stand bringen konnte, welcher ihr erlaubte, mit einiger Aussicht auf Erfolg wieder im Felde zu erscheinen.

Für dieses Jahr schien der Feldzug beendet, da der hereinbrechende Winter jede größere Aktion ausschloß, die englisch-deutsche Armee schickte sich an, die Winterquartiere zu beziehen, und wurde zu dem Zwecke in wohlberechneter Weise in Jersey und New-York verteilt.

Da der Delawarefluß, eine der Hauptverkehrsadern des Landes, besetzt werden mußte, war der äußerste Posten der Armee bis nach Trenton vorgeschoben worden, dem Donops Brigade in Burlington und die Engländer unter Leslie in Princetown als Stützpunkte dienten, während das Hauptquartier mit Cornwallis in Brunswick sich niedergelassen hatte. Howe war in New-York geblieben.

Dem tapferen Rall, den die Engländer den hessischen Löwen nannten, war das verantwortliche Kommando in dem wichtigen und dem ersten Angriff ausgesetzten Trenton infolge seiner ruhmvollen Kriegstaten vom Oberkommandierenden anvertraut worden. Außer seinem Regiment verfügte er über die Regimenter Knyphausen und Loßberg, die Jäger unter Ewald, sechs Geschütze und eine halbe Schwadron Dragoner.

Zwar hatte Knyphausen von dieser Ernennung abgeraten und den bedächtigeren Loßberg vorgeschlagen, war aber im Kriegsrate überstimmt worden.

Am 14. Dezember rückten die hessischen Truppen in Trenton ein, um sich für den Winter dort niederzulassen, nachdem erst kurz vorher die letzten Scharen der Amerikaner den Delaware gekreuzt hatten, welche zu erreichen und zu vernichten die englische Heerführung zu lässig gewesen war.

Die feindliche Armee war hinter dem Delaware verschwunden, Washington hatte auf Meilen weit alle Boote in seine Gewalt gebracht, es fehlte also den Hessen jedes Kommunikationsmittel mit dem rechten Ufer.

Wie verlautete, war nach harten Niederlagen die Entmutigung und Demoralisation unter den amerikanischen Truppen so groß, daß es langer Zeit bedürfen würde, um sie wieder kampffähig zu machen.

Rall erschienen solche Berichte um so glaubwürdiger, als er nur eine geringe Meinung von der kriegerischen Tüchtigkeit des Gegners hatte und außerdem keine Mittel besaß, sich über den wirklichen Zustand der feindlichen Truppen zu unterrichten.

Kurze Zeit nachdem die Regimenter in Trenton eingetroffen waren, mußten mehrere Detachements nach verschiedenen Richtungen hin ausgeschickt werden, um Requisitionen im Land vorzunehmen, da es an Kornfrüchten und Fleisch zu mangeln begann und Trenton nicht genügend Vorrat hatte.

Ob man den Hessen gleich gesagt hatte, das Land sei zum großen Teil loyalistisch gesinnt, hielten sich die Bewohner von Trenton ängstlich von den Truppen fern.

Hugo wurde mit seinem Zuge die Direktion nach Norden über die Penningtoner Höhen gegeben, um auf den dort liegenden Farmen zu nehmen, was er fände.

Hugo war der Auftrag nicht angenehm, aber der Dienst brachte ihn eben mit sich.

An einem frischen Wintermorgen zog er mit seinen Jägern und sechs Dragonern in die mit leichtem Schnee bedeckte Landschaft hinaus. In seinem Zuge befanden sich Hans und auch Konski, welch' letzterer dazu ausersehen war, die Führung eines der zu requirierenden Wagen zu übernehmen. Hotspur fehlte natürlich nicht, er zog, wenn es anging, stets mit Hans zusammen aus.

Ein tiefer Friede ruhte auf den Wäldern, die rings alle Höhen bedeckten, kein Lüftchen regte sich und die alten Baumriesen schienen in schweigende Verwunderung versunken, als die fremden Krieger aus dem Lande weit jenseits des Meeres unter ihnen vorbeizogen.

Herrlich war der Anblick, den die mit Eiskrystallen bedeckten Nadelhölzer boten, welche die Sonne in leuchtende Edelsteine verwandelte.

Ein Teil des Weges führte den Delaware entlang.

Der majestätische Strom, sonst belebt mit Kähnen aller Art, lag einsam da unter eine leichte Eisdecke gebannt.

Obgleich allen Nachrichten nach das Land weit und breit vom Feinde gesäubert sein sollte, versäumte Reizenstein doch keine gebotene Vorsichtsmaßregel. Er sandte die Dragoner als Vedetten voraus und ließ zu beiden Seiten seines Weges kleine Streifpatrouillen ziehen.

Als die Straße den Strom verließ, wand sie sich wieder durch bewaldete Hügel. Zwei der Dragoner kamen hier zurück und meldeten, daß jenseits des Waldes das Tal dicht besiedelt sei und eine dem Anscheine nach größere Pflanzung sich dort befände.

Nach kurzem Marsche traten sie unter den Bäumen heraus und erblickten zahlreiche Blockhäuser in einem weiten flachen Talgrunde vor sich.

In der Mitte fast erhob sich ein stattliches Herrenhaus, umgeben von Wirtschaftsgebäuden.

Hugo hielt einen Augenblick auf der Höhe an und erfreute sich des trotz der Schneedecke freundlichen Anblicks.

Friedlich lagen die Ansiedlungen vor ihnen, und aus allen Schornsteinen stieg der Rauch der Herdfeuer in die klare Luft.

Nach kurzem Halt zog die kleine Schar den Weg hinab und direkt auf das große Gebäude zu, welches sich ihren Blicken darbot.

In den Türen der Häuser und Hütten erschienen Leute, neugierig die Fremden anstarrend.

Eine gut gebahnte Straße führte sie nach dem Herrenhause, in welchem es bei ihrer Annäherung lebendig wurde.

Eine neugierige schwarze Dienerschaar lief am Eingang zusammen.

Kaum hielt Hugo vor dem Tore, als sich ängstlich ein Mann durch die Neger drängte und nach des Offiziers Begehr fragte.

»Zunächst sagen Sie mir, ob Ihnen die Anwesenheit amerikanischer Truppen in der Nähe hier bekannt ist, und hüten Sie sich, mich falsch zu berichten.«

Mister Sounderson, der Verwalter von Redwood, versicherte dem englischen Offizier, daß nach seinem besten Wissen die Amerikaner sämtlich jenseits des Delaware seien.

»Gut, ich will Ihnen glauben. – Dann möchte ich Sie um einige Erfrischungen für meine Leute bitten, wir haben bereits einen starken Morgenmarsch hinter uns.«

»Sofort, Herr,« und seine Befehle zerstreuten die gaffende Negerschar.

»Oberjäger Rübenkönig, stelle Er Wachen aus und lasse Er sie ablösen, wenn die anderen gegessen haben.« Ein gleicher Befehl wurde den Dragonern gegeben, von welchen sich zwei entfernten, während die anderen abstiegen. Auch Hugo verließ den Sattel, um sich ins Haus zu begeben, während für die Mannschaften in einem Nebengebäude gastliche Aufnahme vorbereitet wurde, welche der geschäftige Verwalter leitete.

Zur Seite des Torweges stand der alte Bill, fest die dunklen Augen mit einem Ausdruck auf des Leutnants Antlitz heftend, der ein seltsames Gemisch von Staunen und fast von Schrecken war.

Mister Sounderson kam zurück, lud Hugo, der den Delawaren kaum beachtet hatte, ein, das Haus zu betreten, und führte ihn in eines der sonst von der Herrschaft bewohnten Zimmer, welches behaglich erwärmt war.

Des alten Indianers Augen hatten den Leutnant nicht verlassen, bis er ihnen im Hause entschwand.

Hotspur war beim Anblick seines Stammesgenossen ruhig stehen geblieben und nahte sich ihm jetzt, ihn in einem Dialekte begrüßend, der fast sämtlichen Indianerstämmen im Osten geläufig war. »Papaganawe, der Mohawk, den die Inglis Hotspur nennen, begrüßt seinen Vater.«

Redbills Auge richtete sich auf den jungen Mohawk, und sein Gesicht zeigte den ehernen Ausdruck, den es annahm, wenn er sich seiner Krieger- und Häuptlingswürde entsann.

»Mein junger Bruder ist willkommen. Er spricht zu Mahanatha, einem Häuptling der Delawaren.«

Über Hotspurs Züge flog bei den Worten eine unmerkliche Bewegung, es war ein in seinem Kreise berühmter Name, der sein Ohr berührte, von dessen Träger auch an den Feuern der Mohawks erzählt wurde.

»Das Volk der Mohawks nennt den Namen eines großen Sachems der Wolfsdelawaren mit Ehrfurcht.«

»Ein Vöglein hat in mein Ohr gesungen,« sagte Bill, »Papaganawe sei ein Krieger, auf den die Augen der Häuptlinge freundlich blicken.«

Des jungen Indianers Brust hob sich bei diesem Lobspruch des alten Delawaren, und sein Auge leuchtete feuriger. Er neigte dankend das Haupt.

»Papaganawe ficht an der Seite der Krieger des großen Vaters über dem Wasser?«

»Seit vielen Sonnen, mein Vater,« entgegnete Hotspur ehrerbietig.

»Wie nennt mein Bruder den jungen Häuptling der Grünröcke?« und sein dunkles Auge haftete begierig an den Lippen des Mohawk.

Hotspur entgegnete: »Wie ihn die Weißen nennen, kann Papaganawes Zunge nicht aussprechen, wir nennen ihn Sonnenhäuptling, weil sein Antlitz freundlich ist wie die Sonne im Frühling.«

Der Alte nickte und fragte weiter: »Er ist ein Inglis von der großen Insel im Meer?«

»Nein, mein Vater, er gehört einem andern Volke an, welches jenseits des großen Wassers wohnt, er ist ein Hessian.«

Der Alte versank in Nachdenken, welches der ehrerbietig harrende junge Mohawk nicht zu stören wagte. Endlich sagte Bill: »Papaganawe ist mir willkommen, Delawaren und Mohawks sind Freunde, er wird bei Mahanatha ruhen und essen und seine Pfeife rauchen.«

Er lud ihn durch eine Handbewegung ein, ihm zu folgen, und führte ihn nach seiner unweit gelegenen kleinen Behausung.

Im Zimmer stand der Verwalter vor Hugo, der an einem Tische Platz genommen hatte.

»Der mir erteilte Auftrag ist mir selbst nicht erquicklich,« sagte der junge Offizier, »aber er muß vollstreckt werden, und je entgegenkommender ich Sie finde, um so angenehmer ist es für alle Teile.

Am besten dünkt mich, Sie beladen selbst die Wagen mit dem Geforderten und führen sie in meiner Begleitung nach Trenton, wo man Ihnen über den Empfang quittieren und Anweisungen auf die Regierung geben wird; Sie können dann Ihr Fuhrwerk gleich wieder mit zurück nehmen. Im Falle Sie sich weigern, bin ich genötigt, mit Gewalt zu nehmen, was wir brauchen.«

»Ich denke nicht einen Augenblick daran, mich zu weigern, ich kenne den Krieg. Selbstverständlich beuge ich mich nur der Gewalt, wenn sie auch in so liebenswürdiger Weise auftritt wie hier. Ich werde die Wagen beladen lassen und das Schlachtvieh anweisen, hoffentlich,« setzte er seufzend hinzu, »entschädigt uns die Regierung.«

»Es freut mich, Herr, daß wir uns so leicht verständigen,« sagte Hugo freundlich, »der Krieg ist ein rauhes Ding.«

Die Tür öffnete sich und mit unhörbaren Schritten trat Bill ins Zimmer.

»Was wollt Ihr?« fragte ihn der Verwalter.

Der Indianer winkte ihm zu schweigen und sagte zu Hugo in englischer Sprache: »Will der Sonnenhäuptling mir folgen?«

Hugo sah den Alten, dessen dunkle Augen fortwährend an seinem Gesicht hingen, dann den Verwalter an und fragte diesen: »Was will der Mann von mir?«

»Es ist Bill, Herr, ein Delawarenindianer, und ein altes Faktotum des Hauses. Was wollt Ihr denn von dem Herrn, Bill?«

»Er mir folgen, ich ihm Spiegel zeigen.« Damit schritt der Alte hinaus.

Hugo blickte verwundert über das seltsame Gebaren des Indianers den Verwalter von neuem fragend an.

»Er ist ein merkwürdiger, schweigsamer Kauz,« sagte dieser, »aber er ist ein kluger Mann und tut nichts ohne Überlegung. Außerdem ist er ein Anhänger der königlichen Sache. Ich würde ihm folgen, Herr, denn so weit ich ihn kenne, muß er für seine Aufforderung gewichtige Gründe haben.«

Hugo erhob sich hierauf und schritt zum Zimmer hinaus, vor dessen Tür ihn Bill erwartete.

Sobald dieser den Leutnant kommen sah, stieg er die Treppe hinan und Hugo wie der Verwalter folgten ihm; der Weg führte im ersten Stock einen Korridor entlang.

Bill öffnete dort eine Türe und forderte Hugo durch eine Handbewegung auf, das Zimmer zu betreten. Der Leutnant ging hinein, doch als Mister Sounderson ihm folgen wollte, wies der Indianer diesen zurück und schloß von innen die Türe.

Es war ein großes, reich ausgestattetes Gemach, in welchem Hugo sich befand, aber es machte den Eindruck des Öden, Verlassenen, denn Möbel, Bilder, Spiegel waren verhängt und eingehüllt. Der durch die Fenster dringende helle Sonnenschein, in dem Staubkörnchen tanzten, erhöhte nur das Gefühl des Einsamen und Vernachlässigten.

Der alte Mann schritt lautlos auf eines der an der Wand befestigten Bilder zu und befreite es von seiner Umhüllung.

Neugierig war Hugo seinem geheimnisvollen Tun gefolgt.

Der Indianer trat dann zurück und fragte, auf das Bild deutend: »Ihr ihm kennen?«

Hugo sah ein in Ölfarben ausgeführtes Kniestück in Lebensgröße vor sich, welches einen noch jungen Mann im Reitrocke vorstellte.

Ein eigenes Gefühl überkam ihn, als er in das Antlitz des dort abgebildeten Mannes schaute, dessen Augen auf ihn gerichtet Leben zu bekommen schienen. Das einsame verödete Gemach – der schweigsame Indianer – dieses Bild – diese Augen –? Wer ist es denn? Sah er sich, – ist es sein Spiegelbild?

Es war ganz still in dem kleinen Gemach.

Hugo wandte sich in einer Erregung, von der er sich selbst nicht Rechenschaft geben konnte, zu dem Indianer, der ihn schweigend beobachtete.

»Wer ist das, Indianer?«

»Ihm nicht kennen?« klang des Delawaren tiefe Stimme.

»Das Bild sieht mir ähnlich, nicht wahr? Aber, wer ist es? Wen stellt es vor?«

Hugo fühlte, wie ihm das Herz einen Augenblick still stand.

Langsam sagte der Indianer: »Es nicht sprechen? Es stumm für jungen Krieger? Kommen mit – Stein sprechen besser.«

Ohne eine Antwort abzuwarten schritt der Alte hinaus, und Reizenstein folgte ihm von einer Flut ahnungsvoller Gefühle durchstürmt.

Bill ging in die Felder hinaus dem kleinen Kirchhof zu, dessen Kreuze bei der kurzen Entfernung deutlich sichtbar waren.

Hugo schritt ihm nach.

Schweigend betraten sie bald den umfriedigten Ort des Todes.

Vor einem Grabe, welches ein Obelisk als Denkstein zierte, blieb der Indianer stehen, entfernte mit der Hand den Schnee, welcher die Vorderseite bedeckte, wies stumm aus die sich enthüllende Inschrift.

Mit einer Empfindung, welche alle Fibern seines Herzens erbeben machte, las Hugo in deutscher Sprache die Worte: »Hier ruht in Gott Kurt von Reizenstein« und darunter Jahreszahlen und die Worte: »Dem Gedächtnis des teuern Bruders.«

Ein bebender, tief aus dem Herzen kommender Schrei entrang sich Hugos Brust: »Mein Vater!« und leiser wiederholte er: »Mein Vater!« und Tränen füllten ihm die Augen.

In ungewohnt weichem Tone fragte der Indianer: »Ihm spricht – nicht?«

»Ja, ja, Indianer – dieser Leichenstein spricht. Mein Vater, mein Vater! Wir suchten und suchten dich viele Jahre lang, suchten das Grab, das dich barg,« – seine Augen hingen immer noch an der Inschrift, »und nun? Mann, Indianer, – hast du meinen Vater gekannt, wie starb er, wann, wo?«

»Zu viel fragen, ihm langsam sagen.«

»Hast du ihn gekannt?«

»Er, mein Freund.«

»Und mich – jetzt verstehe ich dich – das dort,« er deutete nach dem Hause, »ist meines Vaters Bild? Du erkanntest mich an der Ähnlichkeit mit ihm?«

»Gerade so.«

»Ich habe nie ein Abbild seiner Züge gesehen, – ein Schauer überlief mich, als ich das Auge auf mich gerichtet fühlte. Mein Vater!«

Er schwieg in tiefer Bewegung. Endlich fragte er: »Und meines Vaters Bruder, Friedrich von Reizenstein.«

»Er, Redwood, nicht hier, – er mit Missus gehen, Philadelphia, – dort sein Haus,« und er zeigte nach dem Herrenhause.

»Großer Gott, so führst du mich an das Grab des Vaters, an den Herd des Oheims –?« Er schwieg, in Rührung den kleinen Hügel betrachtend, der da barg, was an seinem Vater sterblich war.

»Wie starb mein Vater?«

Finster wurde des Indianers Stirne, als er entgegnete: »Er ermordet von dem stechenden Auge.«

»Also ermordet? Armer Vater!«

»Redwood nicht glauben, er denken, Indianer ihn töten. Bill wissen besser – ›stechendes Auge‹ – ihn von hinten erschlagen.«

»Und du nanntest meinen Vater deinen Freund?«

»Er Freund. Bill damals Delawarenkrieger, er mit der offenen Hand fechten gegen Franzosen, er mit ihm jagen, in einem Wigwam schlafen.«

Hugo reichte ihm die Rechte: »Sei mir willkommen, alter Mann, als Freund meines Vaters.«

Bei all' den ihn so ergreifenden Vorgängen stieg jetzt quälend die Erinnerung auf, daß sein Onkel sich nie um ihn, die Waise seines Bruders, gekümmert habe.

Als ob der Indianer in seinem Herzen läse, sagte dieser: »Redwood ihm sehr lieben,« seine Hand zeigte auf das Grab –, »er noch heute trauern.«

»Das ist mehr als seltsam,« murmelte Hugo.

Er wandte sich dann von dem Grabe und schritt dem Ausgange zu, der Indianer folgte ihm.

»Erzähle mir von meinem Vater, Delaware.«

Der Indianer berichtete nun in der ihm eigenen Weise, wie einst sein Lebenspfad den des Vaters des neben ihm herschreitenden Jünglings gekreuzt hatte.

Er hatte zu einer Zeit, als die Delawaren ihre Wohnsitze noch auf dem linken Ufer des nach ihnen genannten Stromes behaupteten, einst Kurt von Reizenstein, der sich auf der Jagd verirrt hatte, halb verschmachtet im Walde getroffen, ihn sorgsam zu den Hütten seines Volkes geleitet und wochenlang gastfreundlich gepflegt.

Der so Gerettete, dessen Bruder Friedrich, sobald er von der Anwesenheit Kurts bei den Delawaren benachrichtigt war, sofort in deren Dörfern erschien, erwies sich so dankbar für die ihm geleisteten Dienste durch Geschenke, welche diesen Leuten die wertvollsten dünkten, daß sie ihm bald den Namen »die offene Hand« seiner Freigiebigkeit wegen beilegten. Die Brüder jagten mit dem Stamm der Wolfsdelawaren, ja sie kämpften an ihrer Seite gegen die Franzosen und Irokesenstämme, und es hatte sich so nicht nur ein freundliches Verhältnis der Reizensteins zu dem Volke hergestellt, auch vorzugsweise zu dem Häuptling Mahanatha, dessen einfachen, redlichen Sinn, dessen Tapferkeit sie zu schätzen wußten, und der wiederum an ihnen, besonders an dem jüngeren, Kurt, großes Gefallen fand und ihm aufrichtig ergeben war.

Als die durch den Krieg dezimierten Wolfsdelawaren neue Wohnsitze in Pennsylvanien aufsuchten, blieb Mahanatha oder Redbill, wie ihn die Weißen nannten, bei den Brüdern.

In der Gesellschaft Kurts befand sich damals ein Mann, der auch aus Deutschland gekommen war und sich vornehmlich an den jüngeren Bruder freundschaftlich angeschlossen hatte. Der Indianer nannte ihn »das stechende Auge«, seinen europäischen Namen wußte er nicht. Diese Bezeichnung ließ darauf schließen, daß die Meinung der Eingeborenen von dem Manne nicht die günstigste war.

Kurt von Reizenstein begab sich eines Tages in Begleitung desselben von Trenton aus auf den Weg nach Redwood, um dieses Gut anzukaufen, und führte eine größere Summe zur Anzahlung mit sich. Er kam nicht zurück, und am andern Tage fand man ihn tot am Ufer des Delaware.

»Er ermordet von ›stechendem Auge‹,« fuhr der Indianer fort. »Ich Spuren untersuchen, sehen ihm alles. Offene Hand reiten vor, hinter ihm das ›stechende Auge‹. Der nehmen kleine Flinte, schießen ihn von hinten in Herz. Vater fallen von Pferd, ›stechendes Auge‹ steigen ab, nehmen ihm Geld, gehen in Fluß, waten und schwimmen hinab, um die Spuren zu verbergen –.«

»Und nie hat man von dem Mörder etwas gehört?«

»Er, Redwood, glauben, Indianer Vater erschlagen, weil Spuren von Oneidas in der Nähe dort finden, können nicht denken, daß guter Freund es tun –. Mörder hatte versucht, Skalp zu nehmen, sollte scheinen, roter Mann es gewesen. Nie roter Mann so ungeschickt Skalp nehmen. Redwood verfolgen Indianerspuren – aber Indianer nicht finden –, er weg –, ›stechendes Auge‹ nicht finden –, er meinen, – sei ertrunken.«

Während dieser langen Erzählung des Indianers, der Hugo mit tiefster Teilnahme lauschte, hatten sie das Herrenhaus erreicht, in dessen Nähe sie bereits das Resultat der eifrigen Arbeit der Schwarzen und Jäger in beladenen Wagen und zusammengetriebenem Vieh vorfanden.

Der Verwalter kam Hugo entgegen und machte ihm Mitteilung über den Inhalt der Wagen, erklärte sich auch bereit, den Transport selbst nach Trenton zu führen und an das Kommando abzuliefern.

Hugo schritt ins Haus hinein zu dem Zimmer, welches das Bild seines Vaters barg.

Lange stand er vor demselben und betrachtete es mit inniger Wehmut.

Dann suchte er den Verwalter auf, den er in einem der unteren Zimmer traf.

»Ich habe versäumt, Ihnen meinen Namen zu nennen, da ich glaubte, meine Eigenschaft als Offizier legitimiere mich hinlänglich –, ich heiße Hugo von Reizenstein.«

»Reizenstein? Der Name des Herrn? Vielleicht sogar ein Verwandter desselben?« äußerte dieser voll Erstaunen.

»Ich bin der Sohn Kurts von Reizenstein, dessen Gebeine auf Ihrem kleinen Kirchhof ruhen.«

»Der Neffe des Herrn? – Welche Überraschung.«

»Der Indianer hat mich an der Ähnlichkeit mit meinem Vater erkannt.«

»In der Tat,« sagte Mister Sounderson, ihn forschend anblickend –, »Sie sehen dem Bilde oben auffallend ähnlich. Die Sorge und Unruhe, welche mir Ihr unerwartetes Erscheinen verursachten, muß mich verhindert haben, es früher zu bemerken. Es ist doch seltsam, daß ich, der ich schon so lange die Geschäfte des Herrn leite, nie von Ihnen, dem Sohne seines so sehr geliebten Bruders vernommen habe.«

»Nicht minder seltsam erschien es uns in Europa, daß der Oheim ganz für uns verschollen war.«

»Da liegt etwas zu Grunde, Herr, was ich nicht zu enträtseln vermag.«

»Wo befindet sich mein Oheim jetzt?«

»Er ist gegenwärtig mit den Damen in Philadelphia. Master John dient in der Armee des Kongresses.«

Einige weitere Fragen Hugos dienten dazu, den Verwalter zu veranlassen, ihn ausführlich über die Familie des Onkels und deren einzelne Glieder zu unterrichten.

»Ist es Ihnen möglich, meinem Onkel Mitteilungen zugehen zu lassen?«

»Möglich, ja, ob es gleich nicht leicht ist.«

»So, bitte, schreiben Sie ihm, ich werde von Trenton aus versuchen, einen Brief an ihn gelangen zu lassen.«

»Es soll morgen geschehen, Herr von Reizenstein.«

»Nach allem, was ich hier erfahren, müssen in der Tat dem Verhalten des Onkels mir gegenüber besondere Mißverständnisse zu Grunde liegen. Wir hielten ihn schon lange für tot.«

»So viel darf ich annehmen, daß er von Ihrer Existenz keine Kenntnis hat, denn wiederholt habe ich ihn äußern hören, daß ihn kein verwandtschaftliches Band an das Heimatland fessele.«

»Unbegreiflich. – Doch ich darf nicht länger verweilen, will ich noch am Abend in Trenton sein; lassen Sie uns aufbrechen.«

Sie gingen hinaus, fanden die Wagen zur Abfahrt bereit und die Mannschaft um sie versammelt. Auch Bill war da.

Hugo sagte zu ihm: »Ich hoffe, Freund meines Vaters, wir haben uns nicht zum letztenmal gesehen.«

»Der Sohn von offene Hand wieder kommen, Redwood ihm holen –. Er große Freude, glauben ihn tot – alles tot, – und er leben wieder; Bruder wieder lebendig – ihm sehr lieben.«

Hugo bestieg sein Pferd und ritt, begleitet von dem Verwalter, zu den harrenden Wagen. Dort stand Konski mit verbundenem Kopfe und auffallend bleichem Gesicht.

Ein aufmerksamer Beobachter hätte wahrnehmen können, daß er mit ängstlicher Beflissenheit dem alten Indianer fortwährend den Rücken zukehrte.

»Was fehlt Ihm, Konski?« fragte der Leutnant, als er ihn so erblickte.

»Ich bin krank, Herr Leutnant, ich habe entsetzliche Schmerzen im Kopfe.«

»So? Er sieht schlecht aus. Wenn Er Lust hat, kann Er sich auf einen der Wagen setzen.«

Diese Erlaubnis benutzte der Jäger sofort, er erkletterte eines der Gefährte und hüllte dort das Gesicht tunlichst ein.

Hugo erteilte den Befehl zum Aufbruch, und die Wagen rollten, von den Dragonern und Jägern eskortiert, die Straße entlang.

Zurückgeblieben vor dem Tor waren die beiden Indianer.

»Papaganawe ihn, Sonnenhäuptling, lieben?« fragte Bill, dem Leutnant nachblickend.

»Ihn lieben.«

»Gut. Er tapferer Krieger?«

»Er Feuerfresser.«

»Gut, er wie Vater.«

Hotspur verabschiedete sich ehrerbietig von seinem alten Stammesverwandten und eilte dem Zuge nach.

Nachdenklich ging der Indianer ins Haus hinein und suchte das Zimmer auf, wo das Porträt hing.

Er sah es eine Weile an und sagte leise: »Du wieder leben, offene Hand; es ist gut,« und verhing es dann sorgsam.

Noch ehe die Dunkelheit ganz hereingebrochen war, schritt der alte Mann zwischen den Wirtschaftsgebäuden umher, um, wie es seine Gewohnheit war, nachzusehen, ob Ställe und Scheunen geschlossen seien.

Sein Auge fiel hierbei an einer Stelle, wo die Jäger die Wagen beladen hatten, auf eine in dem leichten Schnee völlig ausgeprägte Schuhsohle.

Der Indianer zuckte zusammen gleich einem Jagdhunde, wenn er die erste Witterung von seinem Wilde bekommt.

Starr sah er auf diesen Abdruck eines beschuhten menschlichen Fußes nieder.

Mit einer Schnelligkeit, welche Erstaunen erwecken mußte, sprang er nach seiner kleinen Hütte und kehrte rasch zurück, eine kleine Streitaxt in der Hand tragend, deren Stiel eine Anzahl eingeschnittener Kerben zeigte.

Bill kniete nieder und maß an solchen Kerben sorgfältig die Spur nach Länge und Breite.

Er erhob sich dann wieder, warf einen Blick aufwärts nach dem Himmel, an welchem sich die ersten Sterne zeigten: »Sendet der Gott der weißen Männer den Mörder zurück? Gut. Morgen ist ein Delawaren-Häuptling auf seiner Spur.«


 << zurück weiter >>