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Erstes Kapitel.

Schwer war während des siebenjährigen Krieges auch das Hessenland heimgesucht worden, denn treu haben die Hessen in dem Riesenkampfe, den der große Preußenkönig gegen eine Welt in Waffen führte, an seiner Seite gestanden, hatten für ihn gefochten und gelitten.

Zweimal war ihre Hauptstadt, das alte Kassel im Laufe des Krieges belagert worden und arge Verwüstungen der Umgegend hatten die Belagerungen zur Folge gehabt.

Langsam, nach und nach erst erhoben sich die kleinen Gartenhäuser im Umkreis der Stadt, die der Krieg zerstört hatte, wieder aus Schutt und Asche und selbst im Jahre des Heils 1776 waren die Spuren des blutigen Ringens um deren Besitz noch zahlreich zu schauen, trotzdem ihr der Landgraf durch Schleifung der Festungswälle Licht und Luft geschafft hatte.

Das Häuschen der Witwe Rübenkönig, das vor dem Ahnaberger Tore lag, stand bereits wieder freundlich da wie einst und der kleine Garten, der es umgab, trug von neuem Bäume und Obststräucher.

Es war ein bescheidenes aber trauliches Heim, das die Frau ihr eigen nannte.

Still ruhte es im Abendschatten da, und nur ein matter Lichtschein, der durch die Spalte des hölzernen Fensterladens drang, gab Kunde, daß es bewohnt sei.

In ihrem kleinen Stübchen saß die Witwe Rübenkönig, an dem wärmenden Ofen im Sorgenstuhle. Die schon bejahrte Frau saß gebückt da und hatte das Antlitz in den Händen verborgen.

Unter der weißen Mütze mit dem sauberen Faltenstrich quoll das schon graue Haar hervor.

Ganz stille war's um sie her, nur die Wanduhr ließ ihr eintöniges Ticktack hören.

Ein schmerzlicher Seufzer unterbrach das Schweigen, und das greise Haupt vergrub sich noch tiefer in den mageren Händen.

Leise öffnete sich die Türe, die Frau vernahm es nicht, und herein trat ein Sergeant in der schmucken Uniform der Grenadiere des Leibregiments, der fast die Decke des niedrigen Zimmers mit dem Scheitel berührte. So geräuschlos war der stattliche Kriegsmann eingetreten, oder so sehr hatte bittere Sorge die Frau eingenommen, daß sie auch davon nichts vernommen hatte.

Er stand still und warf einen teilnahmsvollen Blick auf die zusammengebeugte Gestalt, die in der schon eingetretenen Dämmerung schattengleich am Ofen saß, schwach beleuchtet von einigen Strahlen des durch die Ofenritzen dringenden Scheins.

Der Soldat trat hinzu und faßte die Hände der alten Frau, löste sie der Erschreckten von den feuchten Augen und fragte sanft: »Warum weint die Frau Mutter?«

Die Frau warf einen Blick auf die hohe Kriegergestalt vor ihr und brach statt zu antworten in Tränen aus.

Der Sergeant nahm einen Stuhl und setzte sich neben sie, ruhig wartend, bis die Tränen milder flossen.

Dann sagte er: »Spreche die Mutter und mache sich das Herz leicht.«

»Was bin ich unglücklich, Heinrich,« schluchzte die Frau.

»Nun sage mir die Mutter, was Sie quält.«

»Meine Schwäche, meine Schwäche, Gott wird mir's nicht verzeihen.«

Der Soldat legte liebevoll den Arm um ihre Schulter und sagte: »Hat die Mutter kein Vertrauen zu mir?«

»Ach Heinrich, ich schäme mich vor dir, ich schäme mich vor mir selbst.«

»Wieder der Hans?«

»Ja, der Hans, der Hans –.«

»Und was hat's gegeben?«

»Er macht sich und mich, uns Alle unglücklich, ach, Heinrich, ich fürchte, es führt zu keinem guten Ende.«

Der Soldat erschrak und fragte unruhig: »Was hat er wieder getan, Mutter?«

»Er hat gewildert –.«

»Und –?«

»Ist ertappt worden vom Forstlaufer.«

»Hat er auf ihn geschossen?« fragte der Soldat merklich erschreckend.

»Nein, das nicht –.«

»Gott sei Dank.«

»Er hat sich losgekauft.«

»Wie, losgekauft?«

»Der alte Mehlmann, der Forstlaufer, du kennst ihn ja, hat dem Hans schon lange aufgelauert, wie dieser sagt. Vorgestern hat der wilde Junge, da unten an der Fulda bei Wolfsanger herum, eben einen Bock geschossen, als der Mehlmann im Anschlage vor ihm steht und sagt: »Komm' mit, Bursche, dich hätten wir.«

»Der Hans parliert mit ihm, denn Schwatzen kann der Junge, und bietet ihm Geld, wenn er ihn laufen lassen wollte. Der Mehlmann ist habgierig und verspricht, keine Anzeige machen zu wollen, wenn ihm der Hans am anderen Tage zehn Taler zusteckte.« Die Frau schwieg.

»Und?« fragte der Sergeant.

»Der Junge war in Verzweiflung –, ich habe ihm das Geld gegeben.«

»Hat er es dem Mehlmann gebracht?«

»Ja.«

»Und weiter?«

»Ich habe lange Monate an dem Geld gespart, Heinrich, denn ich verdiene nur wenig, sehr wenig, meine alten Augen wollen nicht mehr, und von meinen ehemaligen Kunden lassen nur Einzelne noch bei mir waschen und kräuseln. Du gibst mir ja, guter Heinrich, ach Gott, daß ich das nehmen muß, aber der Hans braucht auch, und morgen muß der Zins an Steinmetz bezahlt werden, dazu hatte ich das Geld gespart – oder der harte Mann läßt mir Haus und Hof verkaufen.«

Die Frau schluchzte wieder leise, und der Soldat sah nachdenklich ins Feuer.

»Ich habe augenblicklich nur wenig, Mutter, aber ich will Rat schaffen, sei Sie unbesorgt. Und nun weine Sie nicht mehr.«

Die alte Frau trocknete ihre Tränen, stand auf und zündete mit einem Spahn das Hangelicht an, welches über dem Tisch von der Decke herniederhing und alsbald eine trübe Helle verbreitete.

Nach einer Weile sagte der Soldat: »Er kommt ins Stockhaus, wenn das so fortgeht, Mutter.«

»Gott verhüt's! Gott verhüte es!«

»Der Junge ist ja nicht schlecht,« fuhr sie dann eifrig fort, »er hat ein gutes Herz – aber leichtsinnig, wild ist er, und die unselige Jagdleidenschaft stürzt ihn ins Verderben, kein Bitten, keine Ermahnungen helfen. Vorteil hat er gar keinen davon, denn die Beute verwendet sein Kumpan, der Taugenichts Fischer.«

»Die Frau Mutter hat den Jungen verzogen.«

»Heinrich!«

»Die Mutter, und ich auch. Er ist wie ein Wilder aufgewachsen.«

»Schlecht ist der Hans nicht.«

»Leidenschaft und Leichtsinn führen auch zu Verbrechen. Es geht so nicht länger, Mutter,« setzte er ernst hinzu, »er darf uns keine Schande machen – es muß etwas geschehen.«

»Aber was?«

»Der Junge muß fort von hier.«

»Ach, Heinrich!«

»Er muß auf andere Wege gebracht werden. Ich würde ihn ja in meine Kompagnie nehmen, aber der Junge ist so verzogen und verwildert, das er sich der Disziplin nicht fügen und mir nur Schande machen würde.«

Die Tür wurde hastig geöffnet, und herein stürmte ein hochgewachsener Jüngling, dessen jugendlich männliche Schönheit selbst seine ärmliche Tracht nicht verbergen konnte.

Um das frische Antlitz mit den blitzenden blauen Augen flatterte lang das Haar, vom eiligen Laufe hatte sich das Nackenband gelöst, welches die Fülle desselben zusammenhielt.

Er warf einen Blick auf den ernst dreinschauenden Soldaten, einen zweiten auf die verweinten Augen der Mutter, eilte auf die alte Frau zu, faßte sie mit stürmischer Zärtlichkeit in die Arme und küßte sie auf Wangen und Augen.

»Nein, nein, weine mir nur nicht, Alte. Alles kann ich ertragen, nur weinen sehen kann ich dich nicht. Ich bin ja ein grundschlechter Kerl, ich weiß es ja, aber Alte – ich werde mich bessern, gewiß – sollst noch Freude an mir haben – na – na – nun weine nicht mehr, sonst fange ich mit an – Herzensmutterchen, sei gut –« und er streichelte ihr die Wange – und mitten durch Tränen brach ein glückseliges Lächeln der Mutter.

Der Soldat sah ruhig zu.

Der Jüngling wandte sich zu ihm, streckte ihm die Hand entgegen und sagte herzlich: »Guten Abend, Heinrich.«

Dieser nahm die Hand nicht und blickte den um zehn Jahre jüngeren Bruder nur ernst an.

»Ach so,« sagte dieser und ließ die dargebotene Rechte sinken, während ein helles Rot in seinem hübschen Gesichte erschien, »der Herr Bruder verachtet mich.«

Der Sergeant erhob sich, die machtvolle Gestalt überragte nur wenig die des Jünglings, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte dann: »Wer sich nicht scheut, der,« – und er deutete dabei auf die Mutter – »die uns in bitterer Not und Sorge erzogen hat, Tränen zu erpressen, der hat kein Herz, schäme dich, Hans.«

Der Jüngling schlug den Blick nieder bei der ernsten Rede des Bruders, dann warf er sich ihm ungestüm an die Brust und brach in Tränen aus.

»Du hast Recht, Heinrich, Recht, ich bin ein Tunichtgut, Gott verzeih's mir. Ich schäme mich ja vor mir selber, ich könnte mich umbringen. Wenn's nur Krieg wäre, Franzosen wollte ich noch lieber aufs Korn nehmen als Rehböcke. Sie haben mir den Vater bei Minden erschossen, ich wollt's ihnen heim geben.«

»Komm' morgen nach der Wachtparade zu mir in die Kaserne, Hans. Es kann nicht so fortgehen, wenn du die Mutter nicht fürs ganze Leben unglücklich machen willst. Kommst du?«

»Ich bin um zwölf Uhr dort.«

»Gute Nacht, Mutter,« sagte der Sergeant und reichte der alten Frau die Hand – »schlafen Sie ohne Sorgen, ich schaffe Hilfe. Gute Nacht, Hans.«

Der ernste stattliche Mann entfernte sich.

Hans aber nahm die Mutter in die Arme und herzte sie.

»Nun sei wieder munter, Altchen, ich werde es sein lassen, der Schreck steckt mir noch in den Gliedern, den mir der Mehlmann eingejagt hat. Es war ein Glück, daß ich nicht geladen hatte, sonst hätte ich vielleicht noch Schwereres auf dem Gewissen. Morgen schaffe ich dir auch dein Geld wieder, sei nur ruhig.«

Nun weinte die Mutter Freudentränen in dem Arm des schönen Lieblings, der als ein teueres Vermächtnis des in der Schlacht bei Minden gefallenen Gatten, welcher dort, als er an der Spitze der hessischen Grenadiere mit dem Bajonett die französischen Reiter angriff, den Heldentod gestorben war, von ihr mit übergroßer Zärtlichkeit geliebt ward.

»'s ist ein Mann, der Heinrich,« fuhr Hans fort, »ein echter Mann, ich wollte, ich wäre wie er.«


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