Franz Treller
Der Gefangene der Aimaràs
Franz Treller

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Auf der Hazienda Otoño

Sancho Tejada ritt, von seinem schläfriger denn je aussehenden Peon gefolgt, auf der Straße nach Süden. Er hatte keine allzugroße Eile; gemächlich ritt er durch die im Sonnenlicht glänzenden Llanos, bald in einer am Wege gelegenen Posada, bald bei einem einsam wohnenden Llanero übernachtend.

Am dritten Tage, als er sich bereits dem Ocoa näherte, fand er, schon gegen Abend einer aus wenigen Häusern bestehenden Niederlassung zureitend, in einer Posada eine überraschend große Anzahl von Gästen versammelt, unter denen es sehr lebhaft zuging. Wohl an die dreißig Pferde und Maultiere waren ringsum angepflockt, und die Reiter, in deren Begleitung sich auch einige Damen befanden, hatten sich teils im Innern des luftigen Hauses, teils im Freien und auf der Veranda niedergelassen.

Tejada warf den Zügel seines Tieres seinem Peon zu und trat zwischen die Gäste, die keinerlei Notiz von ihm nahmen, um den Posadero zu suchen. Er traf schließlich den Mann, der alle Hände voll zu tun hatte, um den Wünschen so vieler Gäste zu genügen. »Habt Ihr ein Nachtquartier für einen Caballero und einen Peon?« fragte er.

»Gewiß, Señor.«

»Aber Euer Haus ist schon voll, wie ich sehe.«

»Oh, diese Herrschaften reiten alle heute abend noch ab; sie sind in den Llanos zu Hause. Kommt Ihr auch von Señor Vivandas Fest?«

»Nein, ich komme von Norden.«

»Nun, so sucht Euch einstweilen einen Platz. Sobald ich kann, werde ich mich nach Euren Befehlen erkundigen.« Und der gehetzte Mann verschwand in der Küche, in der gesotten und gebraten wurde.

Tejada suchte sich einen schattigen Platz neben einem hölzernen Pfeiler und sah und hörte sich sehr aufmerksam um. Ein Name, der unweit fiel, erregte sofort seine höchste Aufmerksamkeit.

»Die d'Alcantaras sind eines der ältesten Geschlechter des Landes«, sagte einer der Männer. »Ob aber außer Don Alonzo noch ein Mitglied des Hauses am Leben ist, weiß ich nicht. Ich glaube es kaum; die Bürgerkriege haben aufgeräumt unter den alten Geschlechtern.«

»Wunderbar genug«, versetzte ein anderer, »daß Don Alonzo den roten Räubern entgangen ist.«

»Wahrhaftig, wunderbar genug! Aber er hat ihnen heimgezahlt, was sie an ihm und den Seinen verbrochen haben«, äußerte ein dritter, »der junge Espinoza, der mit von der Partie war, sagte, jeder seiner Schüsse habe getroffen.«

»Und dabei kannte er das Indianerdorf noch, als ob er es gestern verlassen hätte.«

»Wahrhaftig, es lebt kein besserer Mann, kein besserer Schütze und kein besserer Reiter in den Llanos!« rief begeistert ein jüngerer Mann. »Seine Feinde mögen sich hüten.«

Señor Tejada hörte alle diese Reden mit steigender Verwunderung. Wahrhaftig, das war sonderbar! Da war ja der so sehnlichst Gesuchte; offen vor aller Welt stand er da, und er schien bei all den Leuten hier nicht wenig beliebt zu sein. Ach, es war alles klar, und er hätte es längst wissen können. Zweifellos hatte er diesen jungen Helden sogar schon von Angesicht gesehen. Ohne Frage war es das Herrchen, das beim Wettrennen in Naëva den Sieg davongetragen hatte. Mit welcher Klugheit diese Vivandas den Burschen verborgen gehalten hatten! Nun, sie hatten ihre guten Gründe dafür; Tejada verbarg nur schwer ein Grinsen.

»Vorsicht, Don Sancho«, redete er sich zu, »nur keine Aufmerksamkeit erregen!« Dennoch, einiges mußte er noch erfahren, und die Gelegenheit war zweifellos günstig; diese Leute waren ja alle betrunken vor Begeisterung. Man brauchte nur in ihr Horn zu tuten.

»Ich höre hier sonderbare Neuigkeiten«, wandte er sich an einen der zunächst stehenden Männer, »entschuldigt, Señor, wenn ich aufdringlich erscheine. Aber ich hörte von der Entführung einer Señorita, und soweit ich nun bisher hier verstanden habe – –«

»Aber ja, sie ist wieder da, die Señorita Vivanda«, antwortete der Mann lachenden und unbefangenen Gesichtes. Und er erzählte dem aufmerksam lauschenden Tejada alles, was sich unlängst im Zusammenhang mit dieser Entführung ereignet hatte.

»Das ist wunderbar«, staunte Don Sancho ein über das andere Mal. »Ihr müßt wissen, daß mich diese außerordentliche Geschichte besonders nahe berührt, habe ich doch unter Don Pedro d'Alcantara in den Bürgerkriegen gefochten. Wahrhaftig, ich hatte niemals einen glorreicheren Capitano.«

Er erfuhr, hier und da noch herumhorchend, mehr, als er jemals zu hoffen gewagt hatte. Nur, daß das Erfahrene angesichts einer völlig veränderten Sachlage nicht mehr viel Wert hatte. Er wurde von Minute zu Minute nachdenklicher.

Inzwischen erschien der Mond am Himmel und warf seinen silbernen Schein über die Llanos. Die Gäste, die darauf gewartet hatten, brachen auf, um ihre Gehöfte aufzusuchen; bald lag die eben noch von lautem Getöse erfüllte Posada still und verlassen.

Juan-Maxtla hatte derweilen für die Tiere gesorgt und sich dabei mit anderen Indios unterhalten. So hatte auch er die Wundermär des Tages erfahren, und seine Sorge war dadurch nicht eben kleiner geworden.

Als er sich seinem Herrn nahte, um dessen letzte Befehle zu empfangen, sagte der ihm, daß sie am nächsten Morgen gleich nach Tagesanbruch reiten würden. Während Maxtla sich dann eine Schlafstätte suchte, ließ Tejada sich mit dem Posadero auf eine Unterhaltung über die jüngsten Ereignisse ein; er erfuhr auf diese Weise alles, was er über die Vivandas, ihre Familie und die Verhältnisse des Landes zu wissen begehrte. Bald nach Sonnenaufgang verließ er mit seinem Peon die Posada.

Er war sehr nachdenklich gestimmt. An der Abkunft dieses jungen Herrn d'Alcantara schien hierorts kein Mensch mehr zu zweifeln. Fraglos handelte es sich da um eine viel gewichtigere Person, als er jemals angenommen hatte. Kein Zweifel: fünftausend Pesos waren für die von ihm verlangte Tat eine geradezu schändliche Bezahlung. Dieser junge Mann repräsentierte einen nicht abschätzbaren politischen Wert; ihn vom Leben zum Tode zu befördern, war zweifellos ein höchst gefährliches Unternehmen. Señor Tejada aber hatte gar keine Lust, das eigene sehr geliebte Leben unnütz aufs Spiel zu setzen.

Es konnte nach Lage der Dinge weiter nicht daran gezweifelt werden, daß mittlerweile auch der Herr Minister von der entscheidenden Wendung der Dinge erfahren hatte. Die Gefahr, die zu beseitigen er ihn ausgesandt hatte, war unendlich gestiegen; bei dem Wesen und Charakter des Señor de Valla war als sicher anzunehmen, daß er inzwischen weitere Schritte eingeleitet hatte, sich eines unbequemen Gegners zu entledigen. Es mußte also noch dazu rasch gehandelt werden.

Aber wie? Wenn doch dieser stumpfsinnige Indio, der hinter ihm herritt, zu etwas zu gebrauchen wäre! Warum eigentlich nicht, übrigens? Diese Rasse wußte doch im allgemeinen einen Messerstich im Dunkeln geschickt anzubringen. Ob man es versuchte? Der Versuch schadet ja nichts, dachte er; wahrscheinlich mache ich mir ganz unnütz Gedanken. Wenn ich dem Burschen hundert Pesos biete, beseitigt er mir den Mann wahrscheinlich im Handumdrehen. Nun, wir werden ja sehen. Vorerst gilt es, das Gelände zu erkunden und für einen sicheren Rückzug zu sorgen.

Die Hitze stieg und begann schließlich unangenehm zu werden. Als sie ein schattiges Gehölz vor sich sahen, beschloß Tejada, Rast zu machen; er schätzte Überanstrengungen nicht. Sie fanden unter Palmen und Mangobäumen zwischen Lorbeerbüschen einen Ruheplatz; ein kleiner Wasserlauf sorgte für Trinkwasser.

Maxtla sattelte auf Befehl seines Herrn ab, pflockte die Tiere an, daß sie bequem weiden und zugleich ihren Durst stillen konnten, und legte den ledernen Beutel, der die Nahrungsmittel enthielt, vor Tejada hin.

Der edle Don begann behaglich zu speisen und teilte auch dem Peon seine Brot- und Fleischration zu. Der ließ sich bescheiden, wie es sich für einen Peon geziemt, in einiger Entfernung nieder, um sich schweigend zu sättigen.

Aber der Caballero geruhte heute, leutselig zu sein. Als er gespeist und seine Cigarrito entzündet hatte, würdigte er ihn der Ehre eines Gespräches.

»Warst du eigentlich im Krieg, Juan?« fragte er leichthin.

Maxtla grinste schlau und erwiderte in seinem unbeholfenen Spanisch: »Wie Juan in Krieg kommen? Kein Freund von Krieg! Krieg nix gut!«

»Na ja, da magst du schon recht haben«, lachte Tejada, »aber es wundert mich trotzdem, daß sie dich nicht ausgehoben haben, mein Sohn. Wieso eigentlich nicht?«

Das Grinsen im Gesicht des Indios verstärkte sich. »Lugarteniente ihn mitnehmen wollen«, kicherte er, »Juan Soldat werden. Juan fort in Wälder. Teniente nicht finden.«

»Schade, schade!« Der würdige Don schüttelte mißbilligend den Kopf. »Wärst sicher ein brauchbarer Soldat geworden«, stellte er fest.

Der Indio schüttelte den Kopf: »Nix Soldado. Nicht gefallen. Zu viel schießen!«

»Ja, ohne schießen geht's da freilich nicht ab«, lachte Tejada, »Aber wieso bist du so zartbesaitet? Das ist doch sonst nicht eure Art. Schätze, daß schon mancher Mutter Sohn deine Machete zwischen den Rippen gefühlt hat. Na? Kannst's ruhig sagen, ich verrate dich nicht.«

»Oh, Señor«,– der gute Juan schien entsetzt – »große Sünde: mit Messer stechen. Juan das nie tun. Juan Christ!«

»Na, Christen sollen das auch bisweilen tun«, brummte Tejada. »Also du würdest nie einem Menschen, auch deinem Feinde nicht, einen Messerstich versetzen?« sagte er. »Möglicherweise verlangst du noch, daß ich dir das glauben soll?«

»Juan nie tun«, versicherte der Peon, »große Sünde!«

»Na schön!« Idiot! dachte Tejada. Aber er sah ein: das hatte vorerst keinen Sinn. »Kennst du die Gegend hier?« fragte er nach einer Weile. »Du stammst doch von den Flüssen in den Llanos.«

»Juan am Humea geboren, nicht hier.«

»Schade. Ich wünschte, du wüßtest hier eine gute Posada, wo man sich längere Zeit aufhalten könnte. Ich wäre nicht abgeneigt, Land in der Nähe zu kaufen. Das Wasser bietet doch ein bequemeres Absatzgebiet als die Bergwege.«

»Warum nicht gehen zu großer Hazienda?« fragte Maxtla. »Leute sehr gastfrei dort. Freuen sich, wenn großer Caballero kommen.«

»Weißt du denn eine große Hazienda in der Nähe?«

»Nicht wissen« – Maxtla schüttelte den Kopf. »Aber alle Indios gestern in Posada sagen, sie nie so viel Fleisch und Tabak bekommen wie bei großem Haziendero, der die Señorita wiedergefunden, die schlechte Indios geraubt.«

Tejada sah seinen Peon verblüfft an. »Bursche, das ist ein Gedanke«, sagte er. »Warum ist der mir nicht schon selber gekommen? Wahrhaftig, ich werde dem Señor de Vivanda meine Aufwartung machen. Gut, gut, Muchacho, du scheinst ja großes Verlangen nach den Fleischtöpfen des großen Hazienderos zu haben; dir kann geholfen werden.«

Der Indianer grinste.

»Weißt du, wo die Hazienda liegt?« fragte Tejada.

»Indios sagen: am Fluß. Kann nicht mehr weit sein.«

»Also vorwärts, vorwärts, mein Junge. Zögern wir nicht mehr lange.«

Hurtig sattelte Maxtla die Tiere, und bald darauf galoppierten die beiden Reiter durch die Steppe. Sie mochten etwa eine Stunde geritten sein, als angebaute Felder auf die Nähe einer Pflanzung schließen ließen. Schon nach kurzer Zeit gewahrten sie den zwischen dichten Bäumen verborgenen Herrensitz der Hazienda Otoño.

Tejada trug die landesübliche Kleidung; er sah durchaus repräsentabel aus. Er hatte sich in seinem abenteuerlichen, durch Höhen und Tiefen führenden Leben auch die Umgangsformen der guten Gesellschaft bewahrt und konnte bei flüchtiger Bekanntschaft durchaus für einen Mann von guter Erziehung gelten.

Trotzdem, als er sich dem Familiengebäude näherte und gewahrte, in welch vornehmem, in den Llanos seltenen Stil hier alles gehalten war, wurde ihm wunderlich zumute. Passe doch nicht mehr recht in solche Umgebung, dachte er, aber das hilft nun nichts; es muß gewagt werden. Und er zwirbelte seinen Schnurrbart und ritt in tadelloser Haltung auf das Herrenhaus zu.

Trotz des aufregenden Tages, den die Hazienda hinter sich hatte, trat augenblicklich ein Peon auf ihn zu und nahm ihm sein Reittier ab. Gleich darauf erschien der Majordomo auf der Treppe, um den fremden Gast zu bewillkommnen.

»Fragt, ob ein durchreisender Caballero Señor Vivanda seine Glückwünsche zur Rettung seiner Tochter darbringen dürfe«, sagte Tejada.

»Tretet einstweilen näher, Señor«, versetzte der Majordomo, »ich werde unterdessen fragen, ob den Herrschaften ein Besuch angenehm ist. – Sattle ab«, rief er Maxtla zu, »Fremde sind stets auf Otoño willkommen.«

Er war kaum im Hause verschwunden, als ein Diener erschien, Tejada mit höflichen Worten einlud, in eine Pieza neben dem Eingang einzutreten und ihm Limonade und Rauchwaren präsentierte. Schon nach wenigen Minuten war der Majordomo wieder da und meldete, daß Hochwürden, der Bruder des Hazienderos, es sich zur Ehre anrechne, den Señor zu empfangen, daß im übrigen Haus und Hof zur Verfügung Seiner Gnaden stehe.

An sich waren das nur die unter Spaniern üblichen Höflichkeitsphrasen; Sancho Tejada indessen, der dergleichen lange nicht mehr gehört hatte, imponierten sie maßlos. Er warf seinen Poncho ab, nahm den Hut in die Hand und folgte dem führenden Haushofmeister zu dem Zimmer des Cura.

Der alte Herr mit dem durchgeistigten Gesicht empfing den Besucher in einem bequemen Hausrock. Er hieß ihn im Namen seines Bruders auf Otoño herzlich willkommen und dankte ihm für die Ehre seines Besuches.

Allerdings, bei dem Blick der klugen alten Augen, die ihm auf den Grund der Seele zu dringen schienen, war dem würdigen Don nicht ganz wohl; gleichwohl spielte er seine Rolle vorzüglich. Er nahm seine ganze Unverschämtheit zusammen und sagte in vollendeter Höflichkeit:

»Hochwürdigster Herr, nicht nur der Wunsch, bei einer durch Geschäfte bedingten Anwesenheit in diesem Landesteil, dem Herrn Otoños meine Ehrerbietung zu bezeigen, führt mich hierher. Es ist auch die Freude, Euch meinen Glückwunsch zur Rettung der Tochter des Hauses vor großer Gefahr darbringen zu dürfen, mehr aber noch das Verlangen, den Sohn Don Pedros d'Alcantara begrüßen zu dürfen. Señor wollen gütigst zur Kenntnis nehmen, daß ich unter dem berühmten Capitano seinerzeit als Teniente gedient habe. Gestern vernahm ich nun von der wunderbaren Fügung, die einen längst verloren Geglaubten dem Lande wiedergeschenkt hat; die glückliche Nachricht hat mich maßlos erschüttert, und ich beeilte mich, meine Schritte hierherzulenken. Was vielleicht nur der verstehen kann, der Don Pedro gekannt hat«, fügte er mit einem treuen Augenaufschlag hinzu.

Wer bist du? dachte der Cura, der im glatten Gesicht seines Gegenübers zu lesen suchte. Nein, du gefällst mir nicht, du gefällst mir gar nicht. Aber er zwang das Gefühl der Abneigung, das in ihm hochkommen wollte, sofort nieder. Wie furchtbar, wenn er einem ehrenwerten Manne unrecht täte, aus einem durch nichts begründeten Gefühl heraus. Er legte sein kluges Gesicht also in freundliche Falten und sagte, indem er sich mühte, seiner Stimme einen Ton besonderer Herzlichkeit zu geben:

»Ja, Señor, der Himmel ist sehr gnädig gewesen; er hat furchtbares Unheil von diesem Hause abgewandt. Wir verdanken dieses Glück freilich in erster Linie der Tapferkeit und Entschlossenheit unseres Pflegesohnes, der sich als ein echter Sohn seines Vaters erwies.«

»Es ist rührend und staunenswert zugleich.« Und tatsachlich schien es, als wolle dem fremden Señor vor Rührung die Stimme überschlagen. »Hochwürden ahnen nicht, wie ich mich freue, einen Sohn meines unvergeßlichen Capitano begrüßen zu dürfen.«

»So habt ihr also seinerzeit auch für die Sache der Libertados gefochten, Señor?« erkundigte sich der Cura.

Der Caballero sah ihm mit ernstem Blick in die Augen. »Ja, Hochwürden«, antwortete er schlicht, »ich habe versucht, meine Pflicht zu tun.«

Es klopfte an der Tür und auf das »Entra!« des Geistlichen trat Alonzo ins Zimmer. »Entschuldige, Vater, ich wußte nicht, daß du Besuch hast«, sagte der junge Mann und schickte sich an, wieder hinauszugehen.

»Nein, bleibe, mein Sohn!« Der Cura ging ihm entgegen und begrüßte ihn herzlich. »Wir haben hier einen Gast, der dich kennenlernen möchte«, sagte er.

Alonzo blickte zu dem Fremden auf und sah augenblicklich: der Mann mit dem Raubvogelgesicht aus der Posada in Naëva; automatisch verschloß sich sein Antlitz, wurde undurchdringlich und kalt. Der Cura, der diesen halbverwilderten jungen Mann mit viel Mühe und Liebe erzogen hatte, kannte dieses Gesicht. Es geht ihm auch so, dachte er, mein Gefühl hat mich nicht betrogen. Aber auch er wußte seine Züge zu beherrschen; mit verbindlicher Höflichkeit stellte er vor: »Don Alonzo d'Alcantara, Don Pedros Sohn, Señor. Dies, mein Junge, ist ein durchreisender Caballero, der uns die Ehre erwiesen hat, auf Otoño vorzusprechen. Señor – – sagten Sie eigentlich schon Ihren Namen?«

»Molino.« Tejada verbeugte sich mit vollendeter Grandezza. »Ich stamme von Magdalena, habe dort eine Hazienda. Geschäfte haben mich in diese Gegend geführt.« Er richtete sich auf und mühte sich, Alonzo ansehend, einen warmen Schimmer in seine Augen zu zaubern. »Don Pedros, meines unvergessenen Capitano Sohn«, sagte er, »ich sehe es, es ist unverkennbar.« Er machte ein paar Schritte auf den starr aufgerichteten Jüngling zu, der ihm mit eisiger Ruhe entgegensah; ihm wurde warm unter dem Rock, er wünschte sich irgendwohin. Trotzdem streckte er, wie aus unmittelbarer Gefühlsaufwallung heraus, beide Hände aus.

Er ist es, der Gomez erschossen hat, dachte Alonzo. Oder ist er es nicht? Es ist lange her, und ich habe das Gesicht nur flüchtig gesehen. Ich kann mich irren, ich könnte diesem Mann hier Unrecht tun. Aber dann hörte er wieder die Stimme des Indios: "Hüte dich vor dem Mann mit dem Raubvogelgesicht." Er konnte diesem Manne die Hand nicht geben. Er sah sie nicht, die Hand, er verbeugte sich kalt. Kein Muskel regte sich in seinem gestrafften Gesicht.

Hund! dachte Tejada, aber er war geschickt wie ein Taschenspieler, die eine Hand fuhr über die Augen, als gälte es da eine Träne wegzuwischen, die andere schien nach dem Taschentuch zu suchen.

Der Cura aber war sehr aufmerksam geworden. Er gibt ihm nicht einmal die Hand, sah er; sollte er ihn etwa gar kennen? Alonzo wahrt doch sonst wenigstens die äußeren Formen der Höflichkeit.

»Entschuldigen Sie mich, es ist mir peinlich«, stammelte der sichtlich verwirrte Besucher, »aber die Erinnerung ist stärker, und auch einen alten Krieger überkommt einmal eine weiche Stimmung«.

»Sie waren schon früher in diesem Teil des Landes, Señor?« fragte Alonzo, offenbar gänzlich unbeeindruckt von des Mannes Verwirrung, die angeblich doch dem Andenken seines Vaters galt. Die Frage klang kühl, fast scharf.

Tejada kam sie reichlich überraschend; sein wacher Instinkt witterte eine gefährliche Falle. Er wich aalglatt aus. »Mein reichlich wildes Kriegerleben hat mich so ziemlich in alle Teile des Landes geführt«, antwortete er, »vorübergehend war ich auch einige Male in dieser Gegend; bekanntlich gab es eine Zeit, wo echte Patrioten nur in der Steppe sicher waren. Doch das ist lange her.«

»Sie kommen aus dem Norden, Señor Molino?« Wahrhaftig, es war wie bei einem Verhör. Tejada verwünschte den Einfall seines Peons, nach Otoño zu gehen.

»Ich wohne, wie gesagt, am Magdalena«, antwortete er und mühte sich, durch die ruhige Sachlichkeit seiner Mitteilungen und den überlegenen Tonfall anzudeuten, daß er sich eigentlich einen anderen Empfang von dem Sohn seines alten Capitano erwartet habe. Und dann versuchte er es mit der Frechheit. »Die Zeiten sind unruhig«, fügte er hinzu, »und man ist mir, es sei offen gesagt, in Bogotá nicht sehr gewogen. Ich trage mich deshalb mit dem Gedanken, mich möglicherweise hier im Süden anzukaufen.«

Dem Cura, der sich im Grunde seines Herzens nicht daran gewöhnen konnte, an das Böse im Menschen zu glauben, kam trotz des eigenen Mißtrauens Alonzos Benehmen unangemessen, ja unhöflich vor; er griff wieder in das Gespräch ein. »Oh, sollten uns wieder Unruhen drohen?« fragte er.

»Das möchte ich nicht sagen«, versetzte der Besucher, ihm zugewandt. »Aber es gehört eine feste Hand dazu, die auseinander- und gegeneinanderstrebenden Elemente des Landes im Zaum zu halten.«

»Die wir ja glücklicherweise in Carlos de Valla haben«, bemerkte der vorsichtige Geistliche.

Das schien den Gast ein wenig zu irritieren. »Doch, ja, das kann man sagen«, erwiderte er mit merkbarer Zurückhaltung. Was will der Alte? dachte er. Es ist doch klar, wo die Vivandas stehen, wie sie de Valla einschätzen. Aber die Situation begann ihm peinlich zu werden. Er kam ja seiner Angabe nach vom Norden, mußte demzufolge mit den dortigen Verhältnissen besser vertraut sein als die Leute vom Ocoa. In Wirklichkeit wußte er sozusagen nichts; jede verfängliche Frage konnte ihm auf diesem widerwärtigen Gebiet gefährlich werden; in solcher Situation rettet man sich am besten in die Phrase. »Das Schicksal möge unser Vaterland behüten und ihm den Frieden erhalten«, sagte er.

»Amen!« beschloß der Cura den patriotischen Wunsch.

Tejada wagte es noch einmal, sich an Alonzo zu wenden; irgendwie mußte er sich, zum Teufel nochmal! einen anständigen Abgang verschaffen. »Sie werden gewiß bald Bogotá aufsuchen, Don Alonzo?« fragte er. Aber der junge Mann schien in finstere Betrachtungen versunken; möglicherweise hatte er gar nichts gehört. »Der Tag wird sicherlich kommen«, sagte an seiner Stelle der Cura, »einstweilen wollen wir unseren Pflegesohn noch etwas in der Nähe behalten.«

»Ich wollte nur sagen: wenn ich dem Sohn meines alten Chefs irgendwie behilflich sein kann – es wird mir eine Freude sein.«

»Sehr freundlich, Señor«, lächelte der Geistliche, »aber ich glaube, unsere eigenen Verbindungen werden genügen.« Und der alte Herr beschloß, die allmählich peinlich werdende Szene abzukürzen. Er erhob sich, hieß den Gast nochmals mit ein paar liebenswürdigen Worten auf Otoña willkommen und rief den Majordomo, um dem Señor ein Gastzimmer anzuweisen.

Tejada, selber froh, daß die Unterredung ein Ende fand, verbeugte sich in tadelloser Form, verzichtete vorsorglich darauf, noch einmal seine Hand anzubieten und verließ, von dem Majordomo geleitet, das Gemach.

»Dein Benehmen war sonderbar«, wandte der Cura sich an Alonzo, nachdem sie allein waren, »was hattest du gegen den Mann?«

»Ich halte ihn für einen Bandido, Vater«, antwortete der junge Mann finsteren Gesichts.

»Für einen Bandido? Aber mein lieber Junge, das ist ein wenig stark. Wie kommst du darauf? Offen gestanden, auch ich hatte ihm gegenüber eine gewisse Scheu, aber mehr instinktiv. Doch meine lange Erfahrung lehrt mich, daß man da leicht einen bösen Irrtum begehen kann.« Alonzo zuckte die Achseln. Er war seiner Sache nicht sicher, und es lag ihm nicht, einen Menschen ungerecht zu verdächtigen. Aber er konnte auch nicht gegen sein Gefühl.

Es ist alles möglich, dachte der Cura. Und siedendheiß schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Zweifellos mußte man damit rechnen, daß de Valla versuchen würde, sich des so plötzlich aufgetauchten, recht unangenehmen Gegners zu entledigen. Diesem Mann war schlechterdings alles zuzutrauen. Wenn dieser Fremde eine Kreatur des Ministers wäre? Der Gedanke war nicht von der Hand zu weisen; dennoch verwarf der Geistliche ihn nach kurzem Nachdenken. De Valla mußte inzwischen erfahren haben, unter welch dramatischen Umständen Alonzo seinem Sohn das Leben gerettet hatte. So verworfen konnte kein Mensch sein, daß er dem Lebensretter des einzigen Kindes nach dem Leben trachtete. »Ich verstehe deine Abneigung und dein Mißtrauen, Alonzo« – er wandte sich dem jungen Mann mit herzlicher Wärme zu – »trotzdem bitte ich dich, dieses unkontrollierbare Gefühl zu bekämpfen und dem Gast unseres Hauses wenigstens die unter Caballeros übliche Höflichkeit zu bezeigen.«

Er werde sich Mühe geben, erklärte Alonzo und verließ, in seine Gedanken versponnen, den Raum.

Die Brüder Vivanda waren inzwischen nicht untätig gewesen. Sie hatten ihm die Vorgänge dargestellt und ihm alle in ihrer Hand befindlichen Beweise für die Abstammung des jungen Mannes zur Kenntnis gebracht. Man mußte nun abwarten, was von Bogotá aus geschehen würde. Und man durfte selbstverständlich keine Vorsicht außer acht lassen, um Alonzo vor etwaigen heimtückischen Angriffen zu schützen. Auch der Fremde, sollte es sich wirklich um einen Abgesandten de Vallas handeln, konnte, mindestens so lange er hier im Hause weilte, kaum gefährlich werden.

Der Bruder des Cura war übrigens der gleichen Meinung. »Es ist ja ganz gut, wenn Alonzo mißtrauisch ist«, äußerte er, »so wird er dem Fremden gegenüber selbst vorsichtig sein. Und es kann auch nichts schaden, wenn wir das Unserige tun und ein wachsames Auge auf unseren werten Gast haben.« Äußerlich ließ auch er es dem Fremden gegenüber an keiner Höflichkeit fehlen.

Der Señor Tejada selbst freilich war im höchsten Grad nachdenklich geworden. Wahrhaftig, es war ein verteufelter Auftrag, den er da übernommen hatte. Oh, er würde ihn liebend gerne ausführen. Er würde diesen arroganten Burschen, der es wagte, ihn wie einen Bandido zu behandeln, am liebsten mit eigener Hand umbringen. Aber freilich, so einfach lagen die Dinge nicht. Hier auf der Hazienda konnte überhaupt nichts geschehen. Hier würden sich im Augenblick tausend Hände finden, um den Burschen zu schützen oder gegebenenfalls – auf der Stelle zu rächen. Auf eine solche Möglichkeit gedachte Tejada es keinesfalls ankommen zu lassen.

Zunächst nützte der würdige Don die Zeit, um sich gründlich über alle Verhältnisse, insbesondere über Alonzos Gewohnheiten, zu unterrichten. Persönlich ging er ihm, wo es sich irgend machen ließ, aus dem Wege; er schwätzte im Hause und auf dem Hof herum, erzählte weitläufig von seinen Kriegsabenteuern und ließ seiner Begeisterung über den jungen Herrn freien Lauf. Doña Elvira gegenüber war er ein vollendeter Caballero; dem jungen Mädchen war selten höflicher und zuvorkommender begegnet worden, und sie war schon böse mit sich selbst, weil sie eine geheime Abneigung gegen den gut erzogenen Fremden nicht zu unterdrücken vermochte.

Tejadas Peon schien sich auf der Hazienda noch wohler zu fühlen als sein Herr. Er schlenderte auf der ausgedehnten Besitzung umher, besah alles sehr aufmerksam, teilte seine Cigarritos mit den indianischen Arbeitern und lauschte aufmerksam ihren weitschweifigen Erzählungen. Daneben hatte er ein wachsames Auge auf Alonzo und Tejada, indessen wußte er diese Aufmerksamkeit so geschickt zu tarnen, daß sie selbst den wachsamen Augen Alonzos entging.

Eines Tages saß Maxtla auf einem Hügel, der sich zwischen den Gebäuden der Hazienda und dem den Fluß einfassenden Wald erhob, rauchte und schien nach der Art unbeschäftigter Indios in sich hinein zu dösen. Man hatte von hier aus einen weiten Rundblick über das Land. Maxtlas Maultier stand an einem Baum angepflockt und weidete.

Plötzlich gewahrte der Indio einen Reiter, der vom Westen kam und am Waldessaum entlangritt. Der Mann unterschied sich kaum von den Landbewohnern oder Vaqueros, doch gehörte er zweifellos nicht zur Hazienda Otoña; außerdem entging Maxtlas scharfen Augen nicht, daß der Mann unter seiner einfachen Kleidung ein Wesen und eine Haltung verbarg, die nicht dazu passen wollten.

Maxtla ließ sich ins Gras zurückfallen und bewegte sich dann mit erstaunlicher Geschicklichkeit und verblüffender Schnelle kriechend weiter, wahrscheinlich in der Absicht, den Weg des Reiters zu kreuzen. An einer Stelle angelangt, die der Mann passieren mußte, hockte er sich nieder und stierte wieder stumpfsinnig vor sich hin.

Der Reiter kam heran, und Maxtlas Augen weiteten sich für Sekunden. Den Mann kannte er doch? Kein Zweifel, es war der Señor Ignacio Caldas, der da geritten kam, ein Subjekt, das er im Hause des Ministers in Bogotá oft genug gesehen hatte. Es war klar: der Mann konnte nur mit einem bestimmten Auftrag hier sein, und es war wahrscheinlich nicht schwer, diesen Auftrag zu erraten.

Der Reiter verhielt vor dem hockenden Indio sein Pferd, »Muchacho«, rief er, »bin ich hier auf dem richtigen Weg nach Esmeralda, der Hazienda Señor Reals?«

»Du kannst schon hinkommen«, antwortete der Indio träge, »doch ist es ein Umweg; die richtige Straße führt dort oben.« Und er wies mit der Hand.

»Dann hat man mich falsch unterrichtet«, sagte der Mann. »Wessen Hazienda ist dies hier?«

»Das ist die Hazienda meines Señors Vivanda.«

»Oh, sieh mal an. Das wußte ich nicht. Hier wurde vor Tagen ein großes Fest gefeiert, von dem das Land spricht?«

»Ja, Señor. Es war sehr schön.«

»Es galt eurem Señorito, wie ich hörte?«

»Ja, Señor. Es galt Don Alonzo.«

Der Reiter kniff die Augen zusammen; plötzlich trat ein gespannter Zug in sein Gesicht. »Ich habe dich schon gesehen, Bursche«, sagte er.

Maxtla sah ihn gleichmütig an. »Das ist unmöglich, Señor«, versetzte er, »war in Naëva zum Jahrmarkt.«

»Nein, ich habe dich in Bogotá gesehen.«

Der Indio lachte über das ganze Gesicht. »Das gut möglich«, sagte er, »Juan oft in Bogotá, mit Rindern von Señor. Juan dich nicht gesehen.«

Der Reiter schien mißtrauisch. »Diese Roten haben so verwünscht ähnliche Gesichter«, murmelte er vor sich hin. Aber was konnte das schließlich schon zu bedeuten haben? »Wie weit ist es noch bis Esmeralda?« fragte er.

»Oh, drei Leguas.«

»Das ist weit bei der Hitze. Fast hätte ich Lust, hier zu rasten, schon um mir euren berühmten Señorito einmal zu besehen. Wie heißt er eigentlich jetzt?«

»Er immer noch Don Alonzo heißen«, sagte der Indio mit freundlichem Lächeln.

»Estupido!« knurrte der Reiter.

»Du nur hinreiten«, ermunterte der Peon. »Dann ihn sehen.«

So, dachte Don Ignacio, er ist also hier. Er sann einen Augenblick nach, dann sagte er: »Ich muß mir die Freude leider verkneifen, ich könnte doch zu spät in Esmeralda eintreffen. Vielleicht fügt es sich auf dem Rückweg. Adios!«

Und er ritt davon.

Der Indianer fiel in seine nachlässige Haltung zurück. Doch war der andere kaum hinter den Bäumen verschwunden, da sprang er mit erstaunlicher Behendigkeit auf und folgte ihm hinter den Büschen. Bald hatte er ihn wieder im Auge.

Don Ignacio hielt und sah über die Felder. Er blickte aufmerksam nach den Gebäuden der Hazienda hinüber und trieb sein Pferd schließlich in den Wald, der hier weniger Unterholz aufwies als an anderen Stellen. Von den Büschen gedeckt, folgte ihm schleichend der Indio, und bald hatte er den ehrenwerten Don Ignacio wieder vor sich.

Der war aus dem Sattel gestiegen und eben damit beschäftigt, sein Pferd anzubinden. Alsdann schritt er auf einem kaum wahrnehmbaren Pfad dem Wasser zu. Maxtla folgte ihm wie ein Schatten. Sonderbar, der Señor aus Bogotá schien sich hier auszukennen.

Der Waldstreifen war dünn; schon nach kurzer Zeit erreichten sie Bambus und Schilf und Weiden, ein Zeichen für die Nähe des Wassers. Der Pfad führte hier weiter. Maxtla, der am Boden keine weitere Tarnungsmöglichkeit sah, erkletterte mit der Fixigkeit eines Affen einen jungen Kautschukbaum. Oben angekommen und sich vorsichtig umblickend, sah er ein Canoa im Schilf versteckt; in dem Fahrzeug saß ein Neger. Don Ignacio trat heran und wechselte mit dem Bootsinsassen einige hastige Worte. Der Schwarze reichte ihm eine Büchse und einen Kugelbeutel. So ausgerüstet, schritt der Kreole auf dem Pfad, den er gekommen war, zurück; sein Schatten folgte ihm.

Der Indianer hatte keinen Zweifel, was Caldas im Sinn habe; der Mann war von de Valla mit dem gleichen Auftrag wie Tejada ausgeschickt worden, und augenscheinlich besaß er mehr Mut und Geschicklichkeit als der Bandit, dem Maxtla diente und den er zugleich überwachte. Ignacio war um vieles gefährlicher.

Aus den dichten Tabakfeldern, aus den Kaffeestauden war leicht ein Schuß abzugeben; sie deckten den Schützen und dessen Rückzug nach dem Waldsaum und dem Wasser; der Plan war nicht schlecht ausgedacht, und Caldas hatte sich zweifellos gut vorbereitet.

Mittag war vorüber, aber Arbeiter und Aufseher hielten noch ihre Siesta; es war leicht, ungesehen in die weit ausgedehnten Felder zu kommen, die um diese Jahreszeit niemand betrat.

Don Ignacio führte sein Pferd etwas tiefer in den Wald hinein, zu einer Stelle, wo es nicht leicht gefunden werden konnte; er sah sich vom Waldsaum aus aufmerksam um und schlüpfte dann mit großer Gewandtheit in ein nahegelegenes Maisfeld, das an Tabakfelder grenzte, die sich bis in die Nähe der Gebäude erstreckten. Hinter ihm schlich sein Schatten, der Indio, die Machete in der Faust, einem Schweißhunde ähnlich, der auf der Fährte des Wildes geht. Maxtla wußte, daß sich Don Alonzo im Hause aufhielt; er hätte ihn sonst wegreiten sehen. Tejada dagegen war, wie er es öfters zu tun pflegte, ausgeritten, um sich, wie er sagte, Land und Leute näher anzusehen.

Er war, während Ignacio Caldas und der Indio Maxtla im Maisfeld kauerten, wohl eine gute Legua von jener Stelle entfernt und ritt verdrießlich an einem Waldsaum entlang. Er wälzte finstere Gedanken in seinem Kopf. Diese verwünschte Angelegenheit mußte zu Ende kommen, und da es ihm nicht ratsam schien, die höchst gefährliche Sache mit eigener Hand zu erledigen, galt es unter allen Umständen, eine Kreatur zu finden, die sich zu dergleichen Geschäften eignete. Grundsätzlich waren solche Leute in diesen verworrenen Zeiten nicht einmal schwer aufzufinden, aber man mußte sie in den Städten suchen. Die Arbeiter hier waren bis zum letzten Indio ihrem Señorito wie Hunde ergeben; ihnen konnte man sich mit einem Ansinnen dieser Art nicht einmal von fern nahen. Es blieb also kaum etwas anderes übrig, als einen der kleinen Hafenorte aufzusuchen, in denen sich allerlei Raubgesindel herumzutreiben pflegte. Und damit durfte, wie die Dinge lagen, nicht länger gezögert werden, denn es lag auf der Hand, daß der Herr Minister sich eine andere Kreatur kaufen würde, wenn er, Tejada, nicht bald günstige Nachricht brachte.

Der edle Don war mit höchst unerfreulichen Gedanken belastet und ritt reichlich verdüstert seines Weges, als seine Betrachtungen durch den Anblick eines Reiters unterbrochen wurden, der ihm gemächlichen Trabes entgegenkam. Der Mann ritt ein gutes Pferd und sah stattlich aus.

Tejada hielt und ließ ihn ruhig herankommen. Zu seinem nicht geringen Erstaunen erkannte er in dem Fremden den Flüchtling von Naëva, den der Alguacil so gerne vertraulich gesprochen hätte. Blitzartig schoß ein Gedanke in ihm auf. Bin doch gespannt, ob er mich auch erkennt, dachte er.

Dies schien nicht der Fall zu sein. Der Reiter kam heran, grüßte sehr höflich und fragte: »Habe ich die Ehre, den Herrn dieser Besitzungen vor mir zu sehen?«

Tejada, den Gruß mit gleicher Höflichkeit erwidernd, verneinte. »Nicht doch, Señor«, sagte er, »ich bin nur Gast.«

»Oh! Auf wessen Eigentum befinde ich mich eigentlich?« fragte der Mann. »Ich bin offenbar vom Wege abgekommen.«

»Sie sind hier noch im Bereich der Hazienda Otoño, die dem Señor Vivanda gehört«, antwortete Tejada.

»Da bin ich allerdings noch weit von meinem Ziel.« Der Mann lüftete den Hut und schickte sich an, weiterzureiten.

Tejada, unbeweglich verharrend, sagte: »Hoffentlich haben Sie Ihr flinkes Boot in der Nähe; es würde Ihnen sicherlich nützlich sein, den rechten Weg wiederzufinden.«

Der Mann schrak zusammen und warf Tejada einen finsteren Blick zu. »Was heißt das?« fragte er und tastete nach dem Pistolenhalfter.

Tejada lächelte unentwegt höflich. »Lassen Sie ruhig stecken, Señor«, sagte er; »wenn ich Sie verraten wollte, konnte ich das in Naëva tun, wo Ihnen der Alguacil nahe genug auf den Fersen war.«

»Ich verstehe kein Wort« – aber man sah dem Manne an, daß er sehr wohl verstand; die Überraschung war zu plötzlich gekommen. Er suchte krampfhaft, sich Haltung zu geben. »Ich bin –«, begann er.

»Der Lockvogel der Ehrenmänner, die den Orinoko unsicher machen«, ergänzte Tejada mit unverkennbarem Hohn.

Der Mann erbleichte und tastete wieder nach der Pistole.

Tejada fühlte sich auf der Höhe der Situation. »Seien Sie vorsichtig, Señor«, sagte er, »mit meinesgleichen spaßt man nicht. Der Alguacil, der Pech hatte, Euer Gnaden in Naëva zu verfehlen, befindet sich, wie ich sicher weiß, in der Nähe. Die Pferde der Vaqueros hier herum sind verteufelt schnell, ihre Lanzen spitz und ihre Lassos unfehlbar. Ich kann dem Señor nur empfehlen, sich auf meine Ratschläge zu verlassen.« Dabei grinste er diabolisch.

Der andere aber gewann über seinen Worten die innere Sicherheit zurück; es war klar: der Mann würde ihm nichts tun, aber offenbar wollte er etwas. Was wollte er? Der Reiter nahm die Hand vom Pistolenhalfter; ein öliges Lächeln verzerrte seine Züge. »Ich bin überzeugt, einen Caballero vor mir zu haben«, sagte er, »einen Mann, der einem unschuldig Verfolgten gerne beisteht. Nun, und da, wie man so sagt, eine Hand die andere wäscht, würde ich es mir zur Ehre anrechnen, dem Señor auch meinerseits gefällig zu sein.«

Ausgezeichnet! dachte Tejada, der nun genau dort war, wo er den Mann hin haben wollte. »In der Tat«, sagte er, »der Señor konnte mir sozusagen einen unschätzbaren Gefallen erweisen; ich bin überzeugt, wir werden uns einigen. Ich meinerseits behalte die Kenntnisse, die ich mir über Euer Gnaden Person verschaffen konnte, für mich, und Sie übernehmen es, mir bei der Unschädlichmachung einer höchst gefährlichen Person behilflich zu sein. Ich zweifle nicht, daß Sie unter der Bemannung Ihres Fahrzeuges einen Burschen haben, der sich zur unauffälligen Erledigung so delikater Angelegenheiten eignet.«

»Wenn Euer Gnaden sich etwas deutlicher ausdrücken wollten?« bemerkte der Fremde mit spürbarer Zurückhaltung.

»Ich will es kurz machen«, sagte Don Sancho. »Es geht mir darum, den Erben dieser Hazienda, Don Alonzo Vivanda, daran zu hindern, gewisse höchst gefährliche Pläne auszuführen, mit denen er sich trägt.«

»Oh, das wäre der Mann, von dem gegenwärtig soviel geredet wird? Es soll sich, wie man sagt, in Wirklichkeit um ein Mitglied des Hauses d'Alcantara handeln?«

Schwätz nicht soviel, dachte Tejada. Und er entschloß sich, etwas schärfer anzupacken. »Vivanda oder Alcantara«, sagte er, »dies wäre die Aufgabe. Damit wir uns völlig verstehen: Ist der besagte Don Alonzo bis morgen mittag zwölf Uhr nicht unschädlich, so seid sicher, daß Euch der Weg zum Meta verlegt ist und Ihr in der Steppe zu Tode gehetzt werdet. Ist das klar?«

»Euer Gnaden reden mit verblüffender Deutlichkeit.« Der Reiter sah Tejada aus halb verschleierten Augen an. »Ich will mich ebenso kurz fassen: Der besagte junge Mann wird ab morgen zwölf Uhr keiner Menschenseele mehr schaden. Andererseits verlasse ich mich darauf –«

»Es ist mir absolut gleichgültig, worauf Ihr Euch verlaßt« zischte Tejada. »Es hieße mir selbst schaden, wollte ich meinen Teil unseres Vertrages nicht erfüllen. Euer Tun und Lassen interessiert mich nicht im geringsten. Nur, versucht nicht, mich zu täuschen. Ihr glaubtet, klug daran zu tun, als Ihr ein Seitenwasser aufsuchtet; in Wahrheit habt Ihr Euch in eine Art Mausefalle begeben, und es ist in meine Hand gegeben, die Falle zuschnappen zu lassen. Darum noch einmal: Ist Don Alonzo morgen mittag um zwölf nicht beseitigt, dann gehen Correos nach der Mündung des Ocoa ab, die Schiffer auf beiden Seiten des Flusses werden aufgeboten, und keiner von euch erreicht die Insel.«

Die Insel! Der Hund weiß von der Insel! dachte der Pirat. Wer hat da Verrat geübt? Nun, das würde man feststellen, fürs erste galt es, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dieser Don Alonzo war nicht zu retten. »Ihr habt mein Wort, Señor«, sagte er. »Und dürfte ich nun vielleicht erfahren, mit wem ich überhaupt die Ehre habe?«

»Nehmt an, Ihr habt einen alten Soldaten vor Euch, der seine Pflicht getan hat und das Land vor neuen Verwicklungen bewahren möchte«, versetzte Tejada mit Würde.

Der auf dem Pferd verbeugte sich mit ironischer Ergebenheit. »So weiß ich wenigstens, daß ich zu einem guten Werk helfe«, grinste er.

Tejada aber wandte sein Pferd. »Ihr wißt jedenfalls, was Ihr zu tun habt. Adios!« Er lüftete flüchtig den Hut und schickte sich an, zur Hazienda zurückzureiten.

Dem anderen, der ihm eine Weile nachsah, zuckte unwillkürlich wieder die Hand nach dem Pistolenhalfter. Aber er bezwang sich. »Da scheint hohe Politik Im Spiel«; knurrte er, »nun, mir kann es gleich sein. De Valla oder d'Alcantara. Ich wasche meine Hände in Unschuld.« Nachdenklich setzte er seinen Weg fort.


Alonzo stand neben Doña Elvira auf der Veranda. Das Mädchen saß in einem bequemen Sessel und hielt ein Buch in der Hand. »Ich wollte dich schon lange fragen«, sagte sie, »was hältst du eigentlich von diesem Señor Molino?«

»Allerlei, nur nichts Gutes«, erwiderte der junge Mann, »aber warum fragst du?«

»Du wirst mich vielleicht närrisch nennen, aber ich habe Angst vor dem Mann.« Sie sah zu dem vor ihr Stehenden auf. Wenn man sie so sah, war ihr kaum zuzutrauen, daß sie Angst hätte. Sie hatte sich in wenigen Tagen gut erholt und sah frisch und blühend aus.

»Damit tust du ihm wahrscheinlich zu viel Ehre an.« Alonzo schlug mit der Reitgerte, die er in der Hand trug, die Schäfte seiner Stiefel; als er aufsah, stand ein schwaches Lächeln auf seinem Gesicht. »Im übrigen begreife und teile ich deine Antipathie«, fuhr er fort, »es geht nicht nur uns beiden so. In mir ruft die glatte Visage dieses Mannes allerlei dunkle Erinnerungen wach; aber ich kann mich täuschen.«

»Du solltest vorsichtig sein.« Über Elviras frisches Gesicht zog ein flüchtiger Schatten. »Ist es so ausgeschlossen, daß der Mann ein Spion ist?« Sie zögerte. »Ich weiß doch, daß du von allerlei Gefahren umgeben bist«, fügte sie nach einer Weile leise hinzu.

Alonzo winkte ab. »Überschätze das nicht«, sagte er leichthin, »dein Vater und dein Onkel sind überängstlich. Ich gebe zu, nicht ganz ohne Grund, aber du kannst überzeugt sein, daß ich schon selbst auf mich aufpasse. Ich habe ganz andere Gefahren heil überstanden. – Übrigens kommt da mein Pferd.« Draußen näherte sich ein Peon mit einem gesattelten Tier.

»Oh, du willst reiten? Jetzt in der Mittagshitze?«

»Nicht weit. Ich reite nur die Felder ab, um ein bißchen nach dem Stand der Arbeit zu sehen. Zwei Aufseher sind krank, und der Administrator kann nicht überall sein. Wenn dein Vater sich erhebt, sage ihm, daß ich ausgeritten sei. Übrigens bin ich bald zurück.« Er reichte dem Mädchen die Hand, stieg die Stufen der Veranda hinab und schwang sich in den Sattel.

Er ritt an den weit vom Hause abgelegenen, sich endlos dehnenden Tabakfeldern entlang; weit und breit war hier kein Mensch, still und verlassen lag das Land, kein Luftzug regte sich. Plötzlich kam es dem Reiter vor, als hätten sich die Wipfel einiger Tabakstauden bewegt. Da steckt das Wildzeug wieder im Tabak, dachte er gerade, da sah er zwischen den Stauden den langsam auftauchenden Kopf eines Mannes und den Lauf eines Gewehres, dessen Mündung gerade auf ihn gerichtet war. Blitzartig warf er sich über den Kopf seines Pferdes, da glaubte er hinter dem Mann etwas Metallisches aufblitzen zu sehen. Gleich darauf waren Mann und Büchse verschwunden. Die Tabakstauden bewegten sich heftiger. Dann war alles still.

Das alles hatte den Bruchteil einer Sekunde gewährt; Alonzo, von den Vorgängen überrascht, war kaum zur Besinnung gekommen. Nun aber zog er die Pistole aus dem Sattelhalfter und sprengte auf das Tabakfeld los. Ein Indio trat zwischen den Stauden hervor; er wischte mit einem Tabakblatt Blut von seiner blanken Machete. Alonzo erkannte den Peon seines mißtrauisch beobachteten Gastes. »Was machst du da? Was ist da vorgegangen?« fragte er scharf.

Der Indio kam heran. »Man wollte Don Alonzo schießen. Ich nicht leiden; er tot«, sagte er ruhig.

»Was erzählst du da?« Aber Alonzo hatte ja selbst gesehen: den Kopf des Mannes, den erhobenen Büchsenlauf, die blitzende Machete. Ein Schuß, aus dieser Entfernung abgegeben, hätte mit unfehlbarer Sicherheit den Tod bedeutet. Wer war der Indio, der den Anschlag verhindert hatte? Wie kam der Mann dazu? »Wer bist du?« fragte er bemüht, seine Erregung zu verbergen.

Auf dem sonst so stumpfsinnigen Gesicht des Indianers erschien ein weiches Lächeln; zwei Hundeaugen blickten den Reiter an. »Señorito kennen noch Lied von armen Indio, ihn selbst kennen nicht mehr« sagte er. »Maxtla nicht dulden, daß Don Pedros Sohn Leid geschieht.«

Wirre Gedanken durchzogen Alonzos Kopf. »Du warst der Warner in Naëva?« fragte er leise. Der Indio nickte.

»Ich weiß, ich weiß jetzt.« Ein Lächeln des Begreifens überzog die ernsten Züge des jungen Reiters. »Du warst der Maultiertreiber, der mich als Kind so oft auf seinen Tieren reiten ließ? Du bist mit meinem Vater in den Krieg gezogen?«

Der Indio strahlte. »Señorito reiten gern auf Maxtlas Tieren!«

»Maxtla! Du heißt Maxtla. Und du hast über mich gewacht, ohne daß ich es wußte. Ohne dich wäre ich jetzt ein toter Mann. Wahrhaftig, mein Freund, das werde ich dir niemals vergessen. Weißt du, wer mir da nach dem Leben trachtete?«

»Maxtla weiß. Ein Mann aus Bogotá, ein Freund von Señor de Valla. Böser Mensch das, ganz böser Mensch. Er glauben: sehr klug. Maxtla klüger!«

»Wahrhaftig, das hast du bewiesen. Weißt du den Namen des Mannes?«

»Ignacio de Caldas. Maxtla kennen ihn gut.«

»Und er ist tot?«

»Er ganz tot!« Die Züge des Indianers verhärteten sich. Alonzo stieg vom Pferde und betrat schweigend das Tabakfeld. Bald darauf stand er vor der Leiche des jungen Mannes, neben dem die noch gespannte Büchse am Boden lag. Er warf einen Blick auf das Gesicht des Toten und ging zurück. Unwillkürlich schauderte ihn. Offensichtlich hatte er die Gefahren doch unterschätzt, die ihn bedrohten.

Er reichte dem Indio die Hand. »Ich danke dir, Maxtla«, sagte er. »Und ich werde dich noch gut brauchen können. Aber du bist der Peon dieses Señor Molino?«

Der Indio nickte. »Ja, aber er nicht Molino, er Tejada. Sancho Tejada, Bandido. Ich ihm nachgeschickt. Und er gern gegangen, um Señorito zu schützen.«

»Das wird ja immer interessanter.« Tejada hieß dieser Mann. Tejada? Aber der Name sagte ihm nichts. »Komm, Maxtla«, sagte Alonzo, »setz dich einen Augenblick zu mir. Erzähle mir, was du weißt. Und sprich ruhig in deiner Muttersprache, ich verstehe sie gut.« Sie setzten sich im Schatten einer Platane.

Der Indianer, glücklich, in seiner eigenen Sprache reden zu können, sprudelte nun heraus, was er wußte. Er erzählte zunächst von vergangenen Zeiten. Wie er als Jüngling von den Bergen heruntergekommen sei, um als Maultiertreiber sein Brot zu verdienen. Wie Don Pedro ihn eines Tages krank am Wege aufgelesen und ihn seinen Leuten zur Pflege übergeben habe. Wie er als junger Maultiertreiber öfter nach Bogotá gekommen sei und das Haus seines Wohltäters besucht habe. Wie er schließlich mit Don Pedro in den Krieg gezogen sei. Im Gefecht habe ihm sein Capitano einmal das Leben gerettet, und seitdem sei er dem Hause d'Alcantara verschworen.

»Oh, Señorito«, fuhr er fort, »ich weiß nicht, warum die Blancos mit einander streiten; es ist mir gleichgültig. Ich war im Norden bei meinem Regiment, als Don Pedro nach Süden ging und mit den Seinen ermordet wurde. Hätte ich gewußt, daß der Señorito bei den Aimaràs, ich hätte ihn herausgeholt, aber ich wußte es nicht.

Ich kam nach Bogotá zurück und suchte das Haus auf, in dem die gewohnt hatten, die gut gegen mich waren. Ich sah die Señora und die Señoritas und Señoritos durch das Haus gehen, wenn ich still in meiner Ecke saß. Aber sie waren alle tot. Dein Oheim mußte fortgehen, und Señor de Valla kam. Ich blieb im Haus. Die Leute sprachen schlecht von dem neuen Señor, Weiße und Rote, sie sprachen allerlei und auch von dem Mord im Tal der drei Quellen. Da blieb ich erst recht, denn sprachen sie wahr, dann mußte de Valla von Maxtlas Hand sterben.«

Er berichtete weiter, wie er durch den Minister zuerst vernommen habe, daß ein Sohn Don Pedros am Leben sei und wie de Valla zunächst Tejada und dann ihn abgesandt habe. In Naëva hatte er dann sogleich den Sohn seines Capitano erkannt.

»Was meinst du«, fragte Alonzo, der den Erzählungen des Peons mit steigender Anteilnahme gefolgt war, »steckt Tejada auch hinter dem soeben vereitelten Mordanschlag?« Er glaube das nicht, entgegnete Maxtla. Seiner Meinung nach habe Caldas ohne Wissen Tejadas und gänzlich unabhängig von diesem gehandelt. Er erzählte Alonzo auch von dem Boot und dem Neger auf dem Ocoa.

»Und würdest du mit Tejada umgegangen sei wie mit dem, der da drüben im Tabakfeld liegt, wenn er die Hand gegen mich erhoben hätte?«

Ein grimmiges Lächeln erschien als einzige Antwort in des Indios Gesicht. »Der Coyote war Lugarteniente unter deinem Vater«, sagte er nach einer Weile. »Er hat Maxtla geschlagen. Ein Chibcha vergißt das nicht. Aber ich habe ihn erst zehn Jahre später im Haus deiner Eltern in Bogotá wiedergesehen.«

Alonzo erhob sich. »Das alles muß sofort Don Vincente erfahren«, sagte er, »komme mir nach, Maxtla, ich reite voraus.« Er rief sein Pferd, schwang sich auf und ritt den Wohngebäuden zu. Er traf den alten Herrn in seinem Arbeitszimmer zusammen mit dem Cura und berichtete kurz, was geschehen war und was er von dem Indio erfahren hatte. Auch sagte er ihnen jetzt, daß er Tejada, alias Molino, nunmehr mit Sicherheit für den Mörder Gomez' halte.

Die beiden Herren wußten vor Entsetzen zunächst nicht, was sie sagen sollten. Es dauerte lange, bis sie ihre Fassung wiedergewonnen hatten. »Da hilft nun alles nichts«, sagte Alonzo, »gegen Schüsse aus dem Hinterhalt ist jedermann wehrlos.« Da es außer Maxtla keinen Zeugen der Vorgänge Im Tabakfeld gab, beschloß man, einstweilen darüber zu schweigen, vor allem auch Elvira gegenüber.

»Aber warum sagtest du nicht, daß du diesen Tejada in solchem Verdacht hattest?« fragte Don Vincente.

»Wie konnte ich denn?« Alonzo zuckte die Achseln. »Ich hatte ja keinerlei Beweise und war nicht einmal sicher. Blaugestreifte Ponchos tragen schließlich noch mehr Leute, und das Gesicht hatte ich damals nur ganz flüchtig gesehen. Außerdem sind Jahre darüber vergangen. Im übrigen« – er lächelte – »ihm gegenüber war ich schon auf der Hut. Ich habe unter den Indianern gelernt, nur zu sprechen, wenn ich muß.«


Maxtla saß nach seiner Gewohnheit in der Nähe der Ställe und rauchte, als Tejada herangeritten kam. Der Indio erhob sich, um ihm das Pferd abzunehmen.

»Sattle dein Mulo und hole dann meinen Mantelsack; wir verlassen Otoño«, sagte Don Sancho kurz.

In den Augen des Peons blitzte es kurz auf; er entfernte sich schweigend. Tejada aber betrat das Haus und erkundigte sich, ob Don Vincente und Seine Hochwürden, der Cura, zu sprechen seien. Minuten später stand er beiden gegenüber. Auch Alonzo war zugegen.

Der Gast stutzte ob der ernsten Gesichter, die ihm entgegensahen; er witterte Unheil. Doch sagte er mit der vollendeten Höflichkeit, die er nun schon fast wie ein passendes Gewand trug: »Die Herren verzeihen, wenn ich von raschem Entschluß bin. Ich habe zweifellos die liebenswürdige Gastfreundschaft dieses Hauses schon zu lange in Anspruch genommen. Und damit mich mein Entschluß nicht doch noch wieder reue, möchte ich sogleich reiten. Ich komme also, um Ihnen meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen und mich zugleich zu verabschieden.«

»Haben Sie eine besondere Veranlassung, so schnell aufzubrechen?« fragte Don Vincente und sah dem vor ihm Stehenden mit scharfem Blick in die Augen.

Der stutzte abermals. »Wie meinen Señor das?« fragte er.

»Sollte man es vielleicht an der schuldigen Aufmerksamkeit Ihnen gegenüber haben fehlen lassen?«

»Oh, keineswegs. Im Gegenteil!« Der Bandit ereiferte sich. »Otoños Gastfreundschaft wird von mir nie vergessen werden. Aber – verzeihen Sie bitte – ich bin ein unruhiger Geselle, sehr lange halte ich es an einem Ort nicht aus; es steckt immer noch etwas vom Soldaten in mir. Ich bin zu dem Entschluß gekommen, das Land weiter nördlich auf meine Zwecke hin zu untersuchen.«

Die Herren Vivanda verneigten sich. Die dargebotene Hand des Gastes sahen sie nicht.

»Alonzo, gib dem Herrn das Geleit«, sagte Don Vincente.

Tejada verbeugte sich. »Señores, noch einmal meinen verbindlichsten Dank und eine Empfehlung an Doña Elvira.« Von heftiger innerer Unruhe erfaßt, ging Tejada aus dem Zimmer, von Alonzo gefolgt, der sein "indianisches Gesicht" aufgesetzt hatte, wie seine Freunde seine undurchdringliche Miene zu nennen pflegten.

»Einen Augenblick«, sagte Tejada draußen, »ich will nur noch einen Blick in mein Zimmer werfen und sehen, ob mein Peon nichts vergessen hat.« Alonzo ging schweigend hinaus.

Vor dem Hause stand Maxtla mit Tejadas gesatteltem Pferd und seinem Maultier. »Du wirst ihn begleiten?« fragte Alonzo leise.

»Maxtla muß wachen; er kommt bald zurück«, antwortete ebenso leise der Indianer. Tejada kam aus dem Haus. Er verzichtete vorsichtigerweise darauf, dem Señorito die Hand zu reichen. »Nun, Don Alonzo«, rief er nur, in dem er sich in den Sattel schwang, »ich hoffe auf ein glückliches Wiedersehen in Bogotá.«

Mit todernstem Gesicht antwortete Alonzo, ihn starr anblickend: »Empfehlen Sie mich jedenfalls Señor Tejada, und sagen Sie ihm, daß ich nur sehr selten mit der Büchse fehle, wie vor fünf Jahren im Tal der drei Quellen.«

Der Bandido wurde fahl im Gesicht wie eine gekalkte Wand; seine Hand tastete unwillkürlich nach der Doppelpistole im Halfter. »Wie, Señor?« stammelte er schließlich, »ich verstehe Sie nicht.«

»Meine Worte sind auch nur Señor Tejada verständlich«, erwiderte Alonzo.

Der Reiter, offensichtlich völlig verwirrt und nahe daran, seine Fassung zu verlieren, griff nach den Zügeln. »Adio, Señor«, murmelte er, flackernde Angst in den Augen.

Alonzo lüftete grüßend den Hut, und der Bandido sprengte davon, als säße ihm der Teufel im Nacken. Mit einem seltsamen Lächeln im Gesicht folgte ihm sein Peon.

Was war das? dachte Tejada, während er durch die Landschaft jagte, um alles in der Welt, was war das? Es scheint, ich habe in der Höhle eines Jaguar gesteckt. Woher weiß dieser Kerl, wer ich bin? Was weiß er von dem Tal der drei Quellen? Wer hat hier geschwatzt? Wer kennt mich hier? Vor fünf Jahren ist dieser Bursche wieder aufgetaucht. War er etwa der Kerl, der damals den Schuß abfeuerte als ich Gomez – –? Nun, Gott sei Dank, daß ich aus dieser Nachbarschaft fortkomme. Das ist unheimlich. Aber warte, Bursche, lange wirst du es nicht mehr treiben, wenn der Mann von der Pirateninsel sein Wort hält!

Er hatte es so eilig, daß der Peon auf seinem Maultier kaum zu folgen vermochte. Bald nach Dunkelwerden erreichten sie die Posada, in der sie gewohnt hatten, bevor sie Otoño aufsuchten. Völlig erschöpft stieg Tejada vom Pferd.


Auf Otoño beriet man unterdessen, ob es nicht ratsam sein möchte, den Neger ausfindig zu machen, der auf Caldas warten sollte. Freilich schien dies bei der in jenen Landstrichen hereinbrechenden Dunkelheit kein einfaches Unternehmen. Er werde das selbst übernehmen, sagte Alonzo. Dem wurde von Seiten der beiden alten Herren lebhaft widersprochen. Alonzo dürfe sich keinesfalls mehr in Gefahr begeben, meinten sie, die jüngsten Ereignisse hätten ja zur Genüge bewiesen, womit er zu rechnen habe.

Alonzo lachte nur. »Wenn es danach ginge, dürfte ich keinen Schritt mehr vor das Haus tun«, sagte er. »Wollt ihr mich nicht gleich in einen Glaskasten stecken?« Er glaube übrigens nicht, daß ihm im Augenblick noch Gefahr drohe, setzte er, ernster werdend, hinzu. Der eine Mörder sei beseitigt – man möge ihn übrigens mit einbrechender Nacht durch einige vertraute Leute aus dem Feld herausholen und begraben lassen – Tejada sei fort und der wachsame Maxtla bei ihm; von dort sei also auch nichts zu befürchten. Im übrigen möge man ihn doch nicht unterschätzen. Er habe zu lange unter Wilden gelebt, um fortan nicht äußerste Wachsamkeit zu üben.

»Nimm dir wenigstens drei unserer besten Leute mit«, sagte Don Vincente.

Alonzo nickte. »Das kann nichts schaden, und ich will es tun.« Er ging hinaus und suchte sich die drei Indios selber heraus. Er befahl ihnen, sich Büchsen geben zu lassen, nahm selbst Gewehr und Lasso, und bald darauf ritten alle vier dem Waldsaum entgegen. An der Mündung des Pfades angelangt, sagte Alonzo seinen Begleitern, daß es darum gehe, einen spitzbübischen Neger auf dem Fluß zu fangen. Er wies die Männer an, ihm in hundert Schritt Abstand zu folgen. Er fürchtete, daß die Indios sich nicht geräuschlos bewegen möchten, und es kam ihm darauf an, lautlos am Ufer aufzutauchen und den Neger überraschend vor der Büchse zu haben, bevor er noch das offene Wasser gewinnen könne. Dann konnten seine Begleiter ihn binden und fortführen.

Die Pferde wurden angebunden, und Alonzo glitt geräuschlos in das Dunkel des Waldes; die Schatten der Nacht begannen schon zu fallen. Eben wollten seine Leute ihm nachschleichen, als der dumpfe Hall eines Büchsenschusses an ihr Ohr schlug. Sie glaubten, einen schwachen Hilferuf zu vernehmen; erschrocken standen sie still. Doch währte ihr Zögern nur Sekunden, dann brachen sie, die schußfertigen Büchsen in der Hand, durch das Gebüsch.

Tiefes Schweigen umgab sie, nirgendwo regte sich etwas, nur ein Vogel zwitscherte in den Bäumen. Sie kamen an das Schilf, gingen vorsichtig gebückt auf das Wasser zu. Kein Boot, kein Neger war zu erblicken, aber auch von dem Señorito keine Spur. Sie riefen; ihre Stimmen hallten durch die Dunkelheit, aber es kam kein Echo. Verzweifelt sahen sie sich an. Was war geschehen?

Sie gingen in den Wald, untersuchten zur Rechten und Linken des Pfades jeden Fußbreit Boden; sie fanden nichts.

Die Nacht brach herein; trostlos, im Innersten erschüttert, schlichen die Indios nach der Hazienda zurück. Als sie an den Waldsaum kamen, hörten sie ein Pferd wiehern. Einer der Männer ging dem Laut nach und brachte Caldas' Roß mit sich. Es war kein Zweifel mehr: Don Alonzo war geraubt oder – getötet worden.

Mit maßlosem Entsetzen vernahmen die Herren de Vivanda den Bericht der Männer, denen die Tränen über die Wangen liefen, ein bei Indios wahrhaft erstaunlicher Anblick. Der Cura brach in die Knie; seine Hände verkrampften sich im Gebet. Don Vincente faßte sich schneller. Klagen und Jammern hatte jetzt keinen Sinn. Es mußte etwas geschehen und das sofort. Es schien klar: der Mörder, den sein Schicksal dank Maxtlas Fürsorge so schnell ereilt hatte, war nicht allein gewesen. Die Feinde Alonzos mußten auf dem Rücken des einsam dahinströmenden Ocoa gekommen sein, wie wahrscheinlich auch Caldas, der sich das Pferd irgendwo am Ufer verschafft haben mochte.

»Geh zu Elvira und unterrichte sie«, sagte Don Vincente. »Ich will das Land und die Flußufer alarmieren.« Während der ganz gebrochene Priester die Nichte aufsuchte, ließ Vincente die Glocke läuten, deren Ton die Arbeiter nach dem Herrenhaus rief, und gleichzeitig die Feuer entzünden, die die Vaqueros aus den Llanos herbeibefahlen. Der Majordomo ließ Pferde und Maultiere bereitstellen. Don Vincente trat zwischen die schnell versammelten Leute und sagte ihnen, was geschehen war. Ein dumpfer Laut des Schreckens erhob sich. Der Haziendero erzählte nun auch von dem während des Tages vereitelten Mordversuch und gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß die Mörder den Ocoa heraufgekommen sein müßten. Es gelte, unverzüglich alle zur Aufklärung der mysteriösen Vorgänge erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.

Ein Teil der berittenen Leute nahm bald darauf den Weg am Flußufer entlang, mit dem besonderen Auftrag, an jeder Hazienda, bei jedem Flußübergang das geheimnisvolle Verschwinden Don Alonzos bekannt zu machen und die Bevölkerung auf die Anwesenheit von Flußpiraten hinzuweisen. Die andere Hälfte ging mit dem gleichen Auftrag in die Llanos, um auch hier die Bewohner zu Wachsamkeit und Beistand aufzurufen.

Es lag der Gedanke nahe, daß der so plötzlich abgereiste Tejada mit dieser neuen Gewalttat in Verbindung stand. Don Vincente, der im weiteren Umkreis die polizeiliche Gewalt auszuüben hatte, fertigte einen Haftbefehl gegen ihn aus und sandte den Majordomo, einen entschlossenen Mann, mit einigen sicheren Leuten dem Abgereisten nach. Er unterrichtete ihn auch von dem Verhältnis, in dem der Peon Maxtla zu dem Bandido stehe und daß der Verschwundene dem Indio das Leben verdanke. Der Majordomo machte sich sofort auf den Weg.

Die Sonne war eben aufgegangen, da war Don Vincente bereits mit einigen zuverlässigen Leuten im Uferwald, um nach Spuren Alonzos zu suchen, fortgesetzt von der schrecklichen Vorstellung geängstigt, irgendwo auf seinen Leichnam zu stoßen. Aber auch diese Nachforschungen verliefen völlig ergebnislos. Don Alonzo blieb verschwunden, als habe ihn der Waldboden aufgesaugt.


Sancho Tejada wäre, seiner Neigung folgend, am liebsten Tag und Nacht geritten, um die Gegend von Ocoa hinter sich zu bringen; Don Alonzos Abschiedsworte hatten einen nachhaltigen Schrecken in ihm ausgelöst. Wenn er gleichwohl noch zögerte, so deshalb, weil er gern mit sicherem Ergebnis nach Bogotá zurückgekehrt wäre. So widerwärtig ihm die Verzögerung war, beschloß er deshalb doch, abzuwarten, ob der von ihm gedungene Pirat seinen Auftrag fristgemäß ausführen würde.

Die Posada, in der er nun zum zweiten Male wohnte, war sehr günstig gelegen, um Neuigkeiten von Otoño zu erfahren. Tejada, mißmutig und fiebernd vor innerer Unruhe, saß auf der Veranda, jeden Augenblick fluchtbereit, als in vollem Rosseslauf ein junger Llanero herangejagt kam.

»Don Jaquino«, rief der Mann schon von weitem dem Posadero zu, der in der Haustür lehnte, »ein furchtbares Unglück ist geschehen. Don Alonzo ist ermordet worden!«

Tejada erhob sich; ihm war, als habe er Blei in den Adern. Der in der Ecke kauernde Maxtla wurde aschfahl; in seinen aufflammenden Augen stand eine gefährliche Drohung.

»Was ist geschehen?« schrie der Posadero entsetzt. »Es ist doch nicht möglich!«

»Ja, ja, ermordet!« rief der Llanero. »Es ist schreckliche Wahrheit. Die Peons und Vaqueros jagen bereits durch das Land und verkünden es. Ich bin gleich davongejagt, um die Neuigkeit weiterzutragen.«

Tejada hatte sich erhoben. Wie er so dastand, machte auch er den Eindruck eines tödlich Überraschten. In seinem Kopf jagten sich die widerstreitendsten Empfindungen: Es ist vollbracht! Er hat Wort gehalten! Fort von hier, auf der Stelle fort! Sie kennen dort meinen Namen! Er zwang sich zur Ruhe. Mit fast tonloser Stimme sagte er: »Nun, es wäre schrecklich, Mann, wenn du die Wahrheit sagst. Ich kann es noch nicht fassen. Ich komme ja von Otoño. Gestern mittag erst habe ich mich von Don Alonzo verabschiedet.« Ruhe! dachte er, Ruhe! Ich muß auf der Stelle weg! »Wie entsetzlich für meine Freunde, die Herren Vivanda«, sagte er. »Und welch ein Verhängnis, daß ich nicht einmal mehr die Zeit habe, zurückzureiten, um sie zu trösten. Ich muß leider unverzüglich nach Bogotá.«

In der Verwirrung und Aufregung, die die Nachricht hervorgerufen hatte, achtete kaum jemand auf ihn. Er zahlte seine Zeche, rief seinen Peon, bestieg sein Pferd und gab ihm die Sporen. »So, Carlos de Valla«, sagte er im Abreiten vor sich hin, »jetzt schuldest du mir noch viertausend Pesos. Und, wahrhaftig, es ist wenig genug.« Hätte er in diesem Augenblick das Gesicht seines hinter ihm reitenden Peons gesehen, dessen dunkle Augen in verzehrendem Haß brannten, er hätte jetzt kaum an seine viertausend Pesos gedacht.

Der Indianer war innerlich völlig verstört. Er zweifelte keinen Augenblick an der Richtigkeit der durch den Llanero überbrachten Nachricht. Und er machte sich bittere Vorwürfe, den jungen Herrn aus den Augen gelassen zu haben. Auch den Señor Tejada hatte er zeitweise unbeobachtet gelassen. Was immer auch geschehen sein mochte, Maxtla zweifelte nicht daran, daß der Anstifter des Verbrechens vor ihm ritt. Nun, dessen Geschick war erfüllt.

Der Weg, auf dem sie ritten, war einsam; einige Gehöfte grenzten den Horizont nach verschiedenen Seiten ein; auf Leguas weit erhob sich kein Haus. Maxtla löste den Lasso vom Gurt und machte ihn wurfbereit.

Tejada wurde in dem Maße, in dem sie sich von Otoño entfernten, immer ruhiger. Er lächelte schließlich bereits selbstzufrieden vor sich hin, als ihn ein von hinten mit großer Geschicklichkeit geworfener Lasso umschlang und aus dem Sattel riß; bevor er auch nur zu denken vermochte, stürzte er ziemlich unsanft zu Boden.

Betäubt von der jähen Unterbrechung seiner Zukunftsträume, seiner Sinne kaum mächtig, lag er da. Der Lasso schnürte Ihm die Arme fest an den Leib. Die Augen öffnend, sah er zu seinem maßlosen Staunen über sich Maxtlas verzerrtes Gesicht. Der Indio hatte die blanke Machete in der Faust. Er nahm nun das Doppelpistol aus Tejadas Tasche, das Messer aus dessen Gürtel und warf beides fort. Dann band er dem Entsetzten die Hände.

Tejada, langsam aus seinem Schreck erwachend, fragte, indessen seine Augen angstvoll die des Indios suchten: »Was heißt das denn, Juan? Willst du mich berauben? Ich will dir geben, was du willst, aber binde mich los.«

»Maxtla ist kein Dieb«, antwortete finster der Indianer.

»Aber was willst du dann? Willst du mich etwa ermorden? Was habe ich dir getan?«

»Später töten, nicht jetzt«, sagte der Indio kurz. »Du nicht mehr an armen Indio denken, den du als Teniente vor den Soldados geschlagen. Maxtla nichts vergessen.«

Er ist irr, dachte Tejada, er hat den Verstand verloren! Wie hätte der vornehme Caballero sich auch daran erinnern sollen, daß er vor Jahren, als er als Offizier unter d'Alcantara diente, einen Indio geprügelt hatte? Er hatte mehr Indios geprügelt damals, und einer sah aus wie der andere. »Ich verstehe dich nicht«, stammelte er. »Was willst du von mir?«

»Wirst schon alles noch verstehen«, knurrte Maxtla. »Bist von Excellenza ausgesandt, Don Alonzo zu töten. Maxtla ist ausgeschickt, um Don Sancho die Machete durch die Kehle zu ziehen.« Er grinste wie ein Teufel.

Wahnsinn in den Augen, sah der Bandido ihn an. Sollte es möglich sein? Sollte der schurkische de Valla diesen Burschen gedungen haben, um ihn, Tejada, nach vollbrachter Tat umzubringen? Es wäre ungeheuerlich, aber Tejada, der seinen Herrn und Meister zu kennen glaubte, sah ein, daß es möglich war.

Maxtla untersuchte sorgfältig Tejadas Taschen, er nahm ihm die Brieftasche und einen Beutel mit Geld und steckte beides in seine Ledertasche. Der Indianer hätte Tejada am liebsten gleich in der Posada verhaftet, aber er kannte die rechtlose Stellung eines Indios einem Weißen gegenüber und hatte gefürchtet, daß man dort Partei für den Caballero und gegen ihn genommen haben würde; so hatte er gewartet, bis er mit ihm allein war. Er holte jetzt Tejadas Pferd herbei, befahl dem Gefesselten, aufzusteigen und half ihm in den Sattel, nachdem er ihn von dem Lasso befreit hatte. Dann band er ihm die Füße unter dem Bauch des Pferdes zusammen.

Es ist also nicht auf meine sofortige Ermordung abgesehen, dachte der Gebundene und begann neue Hoffnung zu schöpfen. Maxtla legte seinen Lasso um den Hals des Pferdes, bestieg sein Maultier und schlug wieder den Weg nach der Posada ein.

»Wohin führst du mich?« fragte Tejada zitternd.

»Du alles erfahren. Galgen hier wie in Bogotá«, antwortete der Indio.

Das ängstlich folgende Pferd an der Fangschnur, galoppierte er auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren. Tejada, der in seinem wüsten Leben schon manche Gefahr bestanden hatte, gewann Zeit zur Überlegung, er hoffte auf baldige Begegnung mit Weißen. Dabei zermarterte er sein Hirn: wer war dieser Indio und was wollte er von ihm? Wessen konnte er ihn überhaupt beschuldigen? Einem Indio gegenüber hat ein Weißer immer recht. Ihm wäre bange gewesen, hätte Maxtla ihn in die Steppe geführt; da er den Weg zu bewohnten Stätten einschlug, war noch nicht alles verloren. Im äußersten Fall mußte Frechheit weiterhelfen.

Sie waren noch nicht sehr lange geritten, als ihnen vier Reiter entgegenkamen; es waren der Majordomo der Hazienda Otoño und drei Vaqueros.

»Sieh da, du hast ihn ja schon, mein braver Junge!« rief der Majordomo schon von weitem. Gleich darauf hielt er vor den beiden.

»Welch ein Glück, daß Sie kommen, Señor«, sagte Tejada, und die Empörung blitzte aus seinen Augen. »Dieser schamlose Indio hat mich auf dem Weg heimtückisch überfallen und beraubt. Ich stelle mich unter Ihren Schutz. Lassen Sie mich losbinden.«

Der Majordomo maß ihn mit kühlem Blick. »Später, Señor«, versetzte er. »Zunächst habe ich einen Haftbefehl gegen Sie zu vollstrecken, ausgestellt auf Sancho Tejada, genannt Molino, von dem Alkalden dieses Territorio und zwar wegen dringenden Verdachtes, die Ermordung Alonzo d'Alcantaras veranlaßt zu haben. Im Namen des Gesetzes: Sie sind mein Gefangener.«

Tejada war zumute, als habe ihn ein Hammer auf den Kopf getroffen. Dennoch spielte er nicht ungeschickt den Überraschten und Empörten; die Verzweiflung spornte die Kräfte seines Geistes. »Das ist ein entsetzlicher Irrtum, Señor«, rief er. »Verhaften Sie lieber diesen Räuber, der mich auf offener Straße angefallen hat.«

»Nimm ihn, Majordomo, und bewache ihn gut«, sagte Maxtla. »Er ist ein Mörder, auf den in Bogotá ohnehin der Strick wartet. Hier hast du, was ich ihm abgenommen habe.« Und übergab dem Haushofmeister Brieftasche und Geldbeutel des Verhafteten. »Ich muß eilig fort«, sagte er.

»Wohin willst du?«

»Nach Otoño. Die Mörder Don Alonzos sollen sich hüten. Sie sollen sterben wie der erste, der den Señorito zu töten versuchte.« Damit gab der Indio seinem Maultier die Sporen und sprengte in wilder Hast davon. Der Majordomo folgte langsamer mit dem Gefangenen.


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