Franz Treller
Der Gefangene der Aimaràs
Franz Treller

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Der Rächer

Als Alonzo mit seinen Begleitern im Lager Señor Vivandas eintraf, fand er dort an die sechzig entschlossene und gut ausgerüstete Montaneros vor, die bereit waren, den Zug in die Berge anzutreten, um die geraubte junge Dame zu befreien. Der Vater des Mädchens war völlig gebrochen; augenscheinlich setzte er keine große Hoffnungen in das Unternehmen.

Alonzo tröstete ihn, so gut er es vermochte, vor allem suchte er ihm die Überzeugung beizubringen, daß es die Wilden beim Raub eines Mädchens nur auf Lösegeld abgesehen haben könnten. Ganz wohl war ihm bei dieser Tröstung freilich selber nicht.

Ein älterer erfahrener Bergbewohner, der das Gebirge bis weit hinauf kannte, schüttelte Alonzo besonders herzlich die Hand. Alsdann sagte er, zu dem alten Vivanda gewandt: »Wir haben uns überlegt, Don Vincente, wie wir dir und deiner Tochter am besten helfen können. Es wäre uns wahrscheinlich nichts lieber, als diese Räuber in ihren Bergschluchten zu vertilgen, aber der Versuch wäre von vornherein aussichtslos. Die Banditen wohnen in solch sicheren natürlichen Festungen, daß sie mit Leichtigkeit jedem Angriff spotten. Zudem haben sie deine Tochter als Geisel. Wir müssen versuchen, mit ihnen zu verhandeln.«

Alonzo schaltete sich ein. »Gut«, sagte er, »meinetwegen. Aber der Unterhändler muß dreißig Männer und dreißig Gewehre hinter sich haben. Mit dreißig entschlossenen Männern unternehme ich es, den ganzen Stamm auszurotten.«

Der Montanero schüttelte bedächtig den Kopf. »Große Worte, junger Mann«, sagte er, »du kennst das Gebirge nicht.«

»Ich kenne es und weiß, was ich sage«, versetzte Alonzo.

»Und er ist ein gottbegnadeter Schütze!« rief einer der jungen Männer, die mit Alonzo gekommen waren. »Wir haben es gesehen. Ist es nicht so, Companeros?«

Alle bestätigten, daß sie selten einen so guten Schützen gesehen hätten, selbst unter den Meisterschützen der Berge.

Ein junger Mann kam schnellen Schrittes auf Alonzo zu. »Ist es möglich«, rief er und strahlte über das ganze Gesicht, »ist es denn möglich?«

Vor dem völlig Überraschten stand Antonio, der Mestize, den er vor fünf Jahren aus der Gefangenschaft der Aimaràs befreit hatte, und starrte ihn mit leuchtenden Augen an. »Er ist es, er ist es wirklich!« rief er und wurde ganz blaß vor Freude.

Und auch Alonzo fühlte sich freudig überrascht, einen der Totgeglaubten von damals vor sich zu sehen. Er reichte dem Mestizen die Hand. »Ich bin es, amigo mio«, sagte er, »welches Glück, Euch unter den Lebenden zu wissen. Doch«, setzte er gleich darauf leise hinzu, »sprecht bitte nicht davon, auf welche Weise wir miteinander bekannt wurden.«

»O, Don Alonzo, das hätte ich nicht mehr zu hoffen gewagt«, stammelte der Mischling; »ich habe Euch so lange gesucht. Und Ihr sollt wissen: ich bin auf Leben und Tod Euer Mann! – Companeros!« rief er, sich an die Umstehenden wendend, »wenn einer uns gegen die Mörder in den Bergen zu führen vermag, dann ist es Don Alonzo hier, ich weiß es aus Erfahrung, und ich folge ihm bedingungslos, wohin er uns führt.«

Der Mestize, bekannt als geübter Bergsteiger und Jäger, erfreute sich in weiten Kreisen großer Beliebtheit; sein Wort wog hier schwer. Der ältere Mann, der vorher Zweifel geäußert und der Unterhaltung zwischen Alonzo und dem Mestizen aufmerksam gelauscht hatte und der wußte, daß Antonio durch die Tapferkeit und Klugheit eines bei den Aimaràs gefangen gehaltenen weißen Jungen gerettet worden war, streifte den jungen Vivanda nun mit einem nachdenklichen Blick. »Gut«, sagte er, »wenn Antonio Minas das sagt, bin auch ich bereit, Don Alonzo zu folgen.«

»Wir gehen alle mit«, riefen die anderen.

Man hatte eben begonnen, sich über die zunächst zu unternehmenden Schritte zu unterhalten, als zwei Reiter auf die Versammelten zukamen. Der erste der beiden, ein älterer Herr in leichtem Sommeranzug, der nichts von einem Jäger oder Landmann an sich hatte, schien in heftiger Erregung. Sein Begleiter war ein Peon.

»Ich suche Señor Vivanda«, sagte mit bebender Stimme der Herr. Der Haziendero ging ihm entgegen und nannte seinen Namen.

»Oh, wie gut, daß ich Sie treffe, Señor«, begann der Fremde. »Ich bin Professor Pinola aus Bogotá und befinde mich zur Zeit als Forscher in den Bergen. Ich habe von Eurem Unglück gehört und ich habe – oh, es ist entsetzlich – das gleiche Unglück zu beklagen. Das jüngste Mitglied meiner Expedition, Don Eugenio de Valla, ist uns von Wilden in die Berge entführt worden. Mein Gott, Señor! Sie können nicht ahnen, in welcher Verfassung ich bin. Der junge Herr ist der Sohn des Ministers. Er ist mir von seinem Vater anvertraut worden. Ich muß ihn wohlbehalten zurückhaben. Sie lassen selbst Ihre Tochter suchen, o lassen Sie uns unsere Anstrengungen vereinen. Der Vater Don Eugenios wird zweifellos jedes geforderte Lösegeld für seinen Sohn zahlen und jeden reich belohnen, der an der Befreiung des Entführten mitwirkt.«

Über die schmerzdurchfurchten Züge Vincente de Vivandas flog ein düsterer Schatten: Der Sohn de Vallas in den Händen der Aimaràs? War die ewige Vergeltung schon auf dem Wege?

Auch Alonzo war tief erblaßt. Wie stets im Zusammenhang mit Eugenio de Valla wurde er von widerspruchsvollen Gefühlen bewegt und hin und hergerissen. Aber sogleich stellte er jeden persönlichen Gedanken und jedes persönliche Gefühl zurück; selbstverständlich mußte auch Eugenio de Valla aus der Hand der Wilden befreit werden. »Wann geschah der Raub?« wandte er sich an den Professor. »Und woher wissen Sie, daß Aimaràs ihn geraubt haben?«

»O Señor«, erwiderte der Gelehrte, »Don Eugenio ist ein eifriger Entomologe. Als er vor drei Tagen nicht zum Lager zurückkam, suchten wir ihn mit Hilfe der indianischen Jäger, die wir bei uns hatten, denn wir fürchteten, daß er sich verirrt habe oder daß ihm ein Unfall zugestoßen sei. Wir suchten vergeblich, erfuhren aber durch einen Eingeborenen, daß berittene Indios einen jungen Weißen, dessen Beschreibung auf Don Eugenio paßte, in die Berge geführt hätten. Und nun hörte ich gestern von der Entführung der Doña Elvira. Also bitte, lassen Sie uns vereint handeln, um die Gefangenen zu befreien. Kein Preis ist zu hoch dafür, und keine Mühe darf gescheut werden.«

Die Montaneros hörten mit wachsendem Grimm den Bericht. Seit Jahren hatten die gefürchteten Räuber nicht mehr von sich reden gemacht; plötzlich waren kurz hintereinander wieder zwei Menschen Ihr Opfer geworden. Der allgemeine Zorn machte sich in heftigen Drohungen Luft.

»Verlaßt Euch darauf, Señor, daß alles geschehen wird, was überhaupt geschehen kann«, sagte Vincente de Vivanda zu dem Professor; »diese Männer hier sind entschlossen, alles Mögliche zu unternehmen, um mein Kind zu retten. Sie werden selbstverständlich auch nach Don Eugenio forschen.«

Der völlig verzweifelte und ratlose Professor hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Hilf- und ratlos blickte er um sich, und sein Auge fiel auf Alonzo. »Dies ist Euer Sohn, Señor?« fragte er.

»Ja, Herr Professor, das ist mein Sohn, Don Alonzo«, versetzte Vivanda.

»O Señor, Sie ahnen nicht« – der Professor streckte Alonzo beide Hände entgegen – »dieser junge Caballero hat Don Eugenio schon einmal das Leben gerettet; sein Name ist in unser Herz geschrieben. Wenn Sie wüßten, Señorito«, – er wandte sich unmittelbar an Alonzo – »wenn Sie wüßten, wie sehr Eugenio Sie liebt, Sie würden stolz darauf sein. O, ich bin sicher. Sie werden ihn auch jetzt nicht verlassen.«

»Wir werden tun, was wir können«, sagte Alonzo warm, »verlassen Sie sich darauf, Señor.«

Rasch wurde nun beschlossen, daß unter Alonzos und des alten Jägers Führung die dreißig besten Bergsteiger und Schützen in die Berge ziehen sollten, um die Gefangenen durch Lösegeld, mit List oder Gewalt zu befreien. Die Leute wurden ausgewählt und rasch alle Vorbereitungen für den gefährlichen Zug getroffen. Bald darauf ritten zweiunddreißig entschlossene und wohlausgerüstete Männer auf guten Maultieren die Schluchten hinan; es waren nur Montaneros.

Allen voran ritt Geronimo Corazon, der Jäger. Etwas hinter den anderen ritten Alonzo und Antonio, der Mestize, der sich noch immer vor Freude nicht zu fassen wußte.

»Glaubt nicht, Don Alonzo, daß wir Euch damals verlassen haben«, sagte er. »Wir haben lange im Nebel auf Euch gewartet, mußten aber schließlich aufbrechen, um nicht doch noch in die Hände der Wilden zu fallen. Unsere Tiere führten uns sicher durch den Nebel. Ob wir verfolgt wurden, weiß ich nicht, wir haben nichts davon bemerkt. Am dritten Tage trafen wir auf Leute, die Chinarinde suchten, und wir waren gerettet.«

»Und Euer Gefährte«, fragte Alonzo, »wo steckt er jetzt?«

»Oh, Don Fernando? Er machte sich nur Euretwegen große Sorge, sonst war er stets guter Laune. Seitdem wir uns damals trennten, habe ich nichts mehr von ihm gehört. Er war der Sohn eines großen Mannes und wird jetzt vermutlich selber ein großer Mann sein.«

Alonzo erzählte, warum er seinerzeit nicht in der Lage war, den verabredeten Ort des Zusammentreffens aufzusuchen; der Mestize lauschte staunend. »Ach, ich bin glücklich, Euch wohlbehalten wiederzusehen«, sagte er; »ich begreife nur nicht, daß ich nie etwas von Euch hörte, da ich doch gar nicht so weit ab von den Llanos wohne.«

»Das ist eine sonderbare Sache«, versetzte Alonzo; »ich kann Euch im Augenblick noch nichts darüber sagen. Aber es sind Gründe vorhanden, meine Gefangenschaft bei den Aimaràs vorerst noch zu verschweigen. Deshalb gab ich Euch vorher einen Wink, nicht darüber zu sprechen und bitte Euch, es auch jetzt noch nicht zu tun.«

»Oh, ich schweige wie ein Grab«, versicherte Antonio Minas. »Aber eine unbändige Freude würde es mir bereiten, wenn ich jetzt in Eurer Gesellschaft den Roten die Angst vergelten könnte, die ich damals ausgestanden habe.«


Es wurde ein anstrengender Ritt für Mensch und Tier. Die Kordilleren haben ihre Tücken. Gegen Abend des dritten Tages hatte die kleine Schar eine Höhe erreicht, zu der außer Alonzo und Antonio bisher nur der Jäger Geronimo gelangt war. Der war bis hierher der Führer gewesen. Als er nun, nachdem sie ein kleines Tal durchritten hatten, nach links abbiegen wollte, ritt Alonzo an ihn heran und sagte: »Wir müssen nach rechts, Don Geronimo, wenn wir das Dorf der Aimaràs erreichen wollen.«

»Rechts gibt es keinen Weg, Señor«, versetzte der Montanero.

»Verlaßt Euch darauf, daß es ihn gibt«, antwortete Alonzo. »Dort«, und er deutete nach links, »kommt man ins Hochgebirge, aber nicht zu den Aimaràs.«

Geronimo sah ihn erstaunt an. »Da wäre ich doch begierig.«

Alonzo zeigte nach rechts: »Seht Ihr dort, neben jenem Felszacken die Gentiansträucher? Dort führt der Weg zu den Aimaràdörfern.«

Der Alte sah ihn zweifelnd an. »Wenn Ihr recht hättet, dann wüßtet Ihr mehr vom Hochgebirge als irgend ein anderer«, sagte er.

»Ich habe hier einen Teil meiner Jugendjahre zugebracht«, sagte Alonzo ruhig. »Ihr dürft mir aufs Wort glauben.«

»Ihr habt – hier oben?« Geronimo streifte ihn mit einem scheuen Blick. »Das ist merkwürdig«, sagte er.

Alonzo blieb unentwegt sachlich. »Wir sind bis jetzt von den Aimaràs sicherlich nicht entdeckt«, sagte er. »Sie haben sich selbstverständlich mit ihrer Beute sofort in ihre Felshöhlen zurückgezogen, fürchten vermutlich auch keine Verfolgung, denn sie wissen, daß niemand außer ihnen die Zugänge kennt. Nun, ich kenne sie. Von hier an beginnt für uns die Gefahr, entdeckt zu werden. Von jetzt an sind Wachen aufgestellt, und Ihr werdet bald sehen, wie leicht die Schluchten zu verteidigen sind. Laßt unsere Männer lagern. Freilich dürfen auf keinen Fall Feuer angezündet werden. Dann kommt mit mir, ich will Euch den Weg zeigen.«

Die Montaneros lagerten sich, versorgten ihre Tiere und holten ihren Mundvorrat hervor. Die Luft war noch mild; sie konnten das Feuer entbehren.

Alonzo winkte Antonio heran, und mit diesem und Geronimo ging er zu den Gentianbüschen hinüber. Zu seinem maßlosen Erstaunen erkannte der alte erfahrene Jäger, daß hier ein Pfad in die Berge begann, gangbar für Maultiere.

»Die Sonne sinkt«, sagte Alonzo, »heute ist nichts mehr zu tun, morgen sehen wir weiter. Nur List kann uns zum Ziele führen.«

Sie begaben sich zu den anderen zurück, und bald lagen alle bis auf zwei, die als Wachen aufgestellt waren, in tiefem Schlaf.

Es war noch dunkel, als sich Alonzo schon wieder erhob und nach kurzer Verständigung mit den Wächtern der Schlucht zuschritt, in der er gleich darauf verschwand. Die Schlucht erweiterte sich bald; schroff ragten zur Linken und Rechten steile Felswände empor. Ein nur dem geübten Auge erkennbarer Felspfad führte auf der rechten Seite nach oben. Ihn schritt Alonzo hinan, immer höher und höher. Der Pfad war schmal, er gab eben Raum für ein Maultier; rechts war die senkrecht ansteigende Wand, links gähnte der Abgrund.

Gewandt und sicher schritt Alonzo bergan. Endlich hielt er und betrachtete die Felswand zu seiner Rechten, dann ging er vorsichtig noch einige Schritte weiter. Schattenhaft zeigte sich dem Auge eine nach oben führende Rinne. Behende und mit unendlicher Vorsicht folgte der Kletterer ihr und gelangte schließlich auf die Höhe.

Zerrissene Felsen, Steinbrocken und Büsche zeigten sich seinem Blick; schon begann die Nacht langsam zu weichen. Er ging noch einige hundert Schritt weiter und ließ sich dann hinter einem Busch nieder, der am Fuß des Felsens emporschoß. Hier wartete er geduldig.

Die Sterne erblaßten, im Osten wurde es hell. Rötliche Strahlen, am Himmelsbogen aufschießend, verkündeten das Nahen der Sonne. Schon schimmerten die Häupter der fernen Bergriesen in zauberhafter Glut, von wehenden Nebelschleiern umflattert. Und endlich stieg am Horizont der purpurne Sonnenball aus dem Nichts, und eine Flut von Licht ergoß sich über Felsen, Wälder und Berge, alles ringsum zu neuem Leben weckend.

Alonzo sah das alles, und es blieb nicht ohne Eindruck auf ihn. Aber eine noch zauberhaftere Schönheit hätte nicht vermocht, ihn von seiner Aufgabe abzulenken. Vorsichtig durchforschte sein scharfes Auge die Felsen; er wußte, hier wurde von den Aimaràs in Zeiten der Gefahr eine Wache aufgestellt. Sollte er sich täuschen, sollte der Zugang zum Dorf an dieser Stelle unbewacht bleiben? Mit ruhiger Geduld wartete Alonzo, einem Jäger gleich, der auf dem Anstand sitzt. Und seine Geduld wurde belohnt.

Ein leichtes Geräusch ließ ihn aufhorchen; er wußte, er hatte richtig gerechnet. Ein bewaffneter Aimarà kam anscheinend völlig sorglos daher, er warf einen flüchtigen Blick auf den Felspfad und ließ sich dann nieder, entnahm seiner Tasche Maisbrot und begann in Seelenruhe zu essen. Es war ein noch junger Mann, und Alonzo glaubte, ihn zu erkennen.

Der Mann saß kaum hundert Schritte entfernt; ein Schuß hätte seinem Leben leicht ein Ende gemacht. Aber Alonzo wollte nicht schießen; es schien ihm, wachsamen Feinden gegenüber, zu gefährlich. Der Wächter mußte unschädlich gemacht werden, doch wollte Alonzo nur im äußersten Notfall die Waffen gegen jüngere Leute erheben, die an dem Tod seiner Angehörigen persönlich unschuldig waren.

Nun erkannte er auch den Wächter. Es war Junma, ein junger Mann, mit dem er früher oft gespielt hatte. Geräuschlos verließ er seinen Busch, und Schritt vor Schritt, Büsche und Felsbrocken zur Deckung ausnützend, näherte er sich von hinten dem Indianer. Der war ganz sorglos und seiner Mahlzeit hingegeben.

Bis auf drei Schritte war Alonzo hinter ihn gelangt. Nun zog er die Machete; das Leben des Wilden hing an einem Haar, denn Alonzo war entschlossen, die Waffe zu gebrauchen, ehe er sein Opfer entfliehen oder auch nur schreien ließ.

Vorsichtig richtete er sich auf – ein Sprung nach vorwärts, und mit der Linken des Mannes Hals umklammernd, warf er den gänzlich Überraschten zu Boden. In der Aimaràsprache flüsterte er dem unter ihm Liegenden zu: »Keinen Laut, oder meine Machete macht dich stumm!« Der Mann lag regungslos auf dem Rücken, die Hand seines Gegners an der Kehle, die blitzende Machete vor den Augen; erschrocken blickte er in Alonzos Gesicht.

Der lockerte ein wenig den Griff seiner Hand und ließ den Mann Atem holen, ohne freilich die Machete aus der Nähe seiner Kehle zu entfernen.

»Techpo!« murmelte der Aimarà, und sein braunes Gesicht drückte Ratlosigkeit und Entsetzen aus.

»O, Junma kennt mich noch? Das ist gut. Junma weiß, daß ich sein Freund bin.«

»Hat der Erdgeist dich zurückgeführt?« flüsterte der Aimarà.

Alonzo lachte. »Nein, der Windgott hat mich gerettet. Junma sieht, daß die Götter der Aimaràs mir wohlwollen«, fuhr er fort, »sie haben mich jetzt in die Berge zurückgeführt. Leider weiß ich nicht, ob Junma noch mein Freund ist, deshalb muß ich ihn binden. Es wird ihm aber kein Leid geschehen, wenn er ruhig ist.«

Der abergläubische Wilde, der sich weder Alonzos Verschwinden vor fünf Jahren noch sein jetziges plötzliches Wiederauftauchen zu erklären vermochte, dachte gar nicht an Widerstand; er ließ sich ruhig binden; in seinen Augen, die sich am Gesicht des jungen Weißen festzusaugen schienen, stand das nackte Grauen.

»Wo hast du dein Maultier. Junma?« fragte Alonzo.

»Es grast im Tal.«

»Gib keinen Laut von dir, Junma, ich würde dich nur sehr ungern töten«, warnte der Weiße. Er nahm die gegen den Felsen gelehnte Büchse des Aimaràs an sich und stieg ins Tal hinab. Er fand das gesattelte Maultier und führte es auf den Felsenpfad bis jenseits der Rinne, in der er hinaufgeklettert war. Umkehren konnte das Tier nicht, dafür war der Pfad zu schmal! Alonzo ließ es also stehen, ging wieder hinauf und fand den Gefangenen ruhig in seinen Banden liegen.

»Was willst du, Techpo?« fragte der junge Wilde. »Ich habe dir nie etwas getan!«

»Nein, Junma, das hast du nicht, und auch dir wird jetzt nichts geschehen. Ich bin nur gekommen, das weiße Mädchen zu holen, das ihr geraubt habt – es ist meine Schwester –, und den jungen Blanco, den eure Leute fortgeführt haben.«

Junmas Gesicht verriet heftiges Erstaunen.

»Haben die Aimaràs den jungen Weißen schon getötet?« fragte Alonzo.

»Nein.«

»Gut. Das Mädchen werden sie ja wohl gegen blankes Silber hergeben. Es nützt ihnen nichts.«

»Guati will das Mädchen zu seinem Weibe machen«, sagte der Aimarà.

Alonzo erschrak bis ins Herz hinein, aber kein Zug in seinem Gesicht verriet, was er empfand.

»Junma muß mit mir zu meinen Freunden gehen«, sagte er, »er würde den Seinen sonst verraten, daß ich da bin.«

Der Aimarà blieb stumm. Alonzo löste die Bande seiner Füße, half ihm auf die Beine und legte ihm die Schlinge des Lassos um den Hals. »Komm«, sagte er, »und keinen Laut. Bei deinem Leben.« Sie gingen, der Aimarà voran, nun beide die Rinne hinab bis zu der Felskante. Das Maultier stand noch da, wo es Alonzo gelassen hatte.

Der Aufforderung des Weißen folgend, hieß Junma es vorwärtsgehen; kurze Zeit später standen sie mit dem Maultier unter den Montaneros. Jetzt erst schien der Bann von dem Aimarà genommen; als er die weißen Männer erblickte, flammte wilder Haß in seinen Augen auf. Alonzo gewahrte es wohl.

Er sagte den Freunden, daß er in der Person des Aimarà einen gefährlichen Wächter unschädlich gemacht habe, und daß Doña Elvira und Don Eugenio im Dorf der Indianer weilten. Er ließ Junma auch die Füße wieder binden und übergab ihn der Aufsicht zweier Leute. Er schärfte den Männern ein, daß diese Wilden über eine außerordentliche Schlauheit verfügten und daß der Gefangene unter keinen Umständen entweichen dürfe, da dies gleichbedeutend mit dem Scheitern der Expedition wäre und große Gefahren über sie alle brächte.

Mit Geronimo, dem Mestizen und einigen der älteren Montaneros beriet er nun, was weiter zu tun sei. Zur maßlosen Verblüffung seiner Zuhörer, die mit Ausnahme Antonios nicht begriffen, woher er seine Kenntnisse habe, entwickelte er die Anlage des Indianerdorfes. Er sagte ihnen, daß das Tal der Aimaràs drei Zugänge habe, deren einer unmittelbar vor ihnen läge und durch Bewaffnete besetzt sei. Der zweite Zugang öffnete sich nach Norden hin; von ihm aus seien die höher gelegenen Niederlassungen der Aimaràs zu erreichen. Der dritte führe nur in die unfruchtbaren, eisigen Höhen der Gebirgswelt, in der Flüchtlinge rettungslos zugrunde gehen müßten. Diesen Ausweg würden die Aimaràs zweifellos nur im äußersten Notfall wählen.

Er sagte ihnen, daß die Aimaràs über etwa hundert bewaffnete Männer verfügten. Um sie in Schach zu halten und die Wilden zur Herausgabe ihrer Gefangenen zu zwingen, schlug er vor, die beiden Ausgänge des Tales, den vor ihnen liegenden und den nördlichen, zu besetzen. Einige Schützen würden hier genügen, den Weg zu verteidigen. Er erbot sich weiter, die geübtesten Bergsteiger auf gefährlichen Wegen zum nördlichen Ausgang zu führen und dann das vor ihnen liegende Wächterhaus in Besitz zu nehmen. Alles Weitere müsse den Umständen überlassen bleiben. Am Tage wolle er die jungen Männer nach Norden führen, bei Nacht das Wächterhaus überraschen. Gegen Abend sollte Geronimo auf dem vor ihnen liegenden Pfad langsam emporrücken bis zu einem Bach; dort solle er das Weitere erwarten.

Die Zuhörer waren von diesen genaueste Ortskenntnis verratenden Ausführungen völlig verblüfft, aber Alonzo hatte so sicher und so überzeugend gesprochen, daß sich weder Einspruch noch Frage hervorwagten. Alle fügten sich schweigend; zehn junge Männer wurden bestimmt, die Alonzo begleiten sollten, während Don Geronimo den Befehl über die anderen übernahm. Antonio blieb bei ihm.

Alsdann hieß Alonzo den gefangenen Aimarà sich seiner Kleider zu entledigen und zog sie an, ließ den Gefesselten in seinen Poncho hüllen und überzeugte sich, daß seine Fesseln unlösbar waren. Daraufhin verabschiedete er sich von Geronimo und den anderen und schritt mit zehn kräftigen jungen Männern in die Schlucht hinein und den Felspfad hinan. Er führte sie über schwer zu ersteigende Felsen im Halbkreis um das Tal herum, bis sie nach mühevoller Wanderung den Eingang im Norden erreichten. Hier lagerten sie sich an versteckter und gut gesicherter Stelle. Geduldig erwarteten sie hier den Einbruch der Nacht.

Alonzo verteilte seine Gefährten dann an geschützten Stellen, von wo aus sie den Paß zu bestreichen vermochten, und schärfte ihnen ein, vorzudringen, sobald sie schießen hörten. Im übrigen müsse er ihnen für diesen Fall überlassen, nach den Umständen zu handeln.

Als es völlig dunkel war, nahm er die Büchse und schritt in den Kleidern Junmas, des Gefangenen, tiefer in das Tal hinein, getreu den eigenartigen Gang der Indios nachahmend.

Es begegnete ihm niemand; die Aimaràs suchten mit Einbruch der Nacht ihre Häuser auf.

Alonzo kannte jeden Fußbreit der Niederlassung; er fand sich ohne weiteres zurecht, denn nichts hatte sich während seiner Abwesenheit verändert. Seine Gedanken galten vor allem Elvira. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte er sie im Hause des Kaziken zu suchen; er mußte versuchen, in das Gebäude zu kommen, das er ja bis in den kleinsten Winkel in Erinnerung hatte.

Während er, vorsichtig lauernd, durch die nächtlichen Straßen ging, wachten Erinnerungen auf; er gedachte der langen, furchtbaren Jahre, die er, ein Gefangener, gewaltsam von seiner Welt Getrennter, in dieser abgeschlossenen Einsamkeit verbracht hatte. Und der Haß wollte hoch in ihm, der Haß und der Rachedurst. Er bezwang das Gefühl. Es ging jetzt darum, zwei andere, darunter das Mädchen, das er wie eine Schwester liebte, vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren. Nur ruhigste Kaltblütigkeit, gespannteste Aufmerksamkeit konnte zum Ziele führen. Oh, er wußte sich zu beherrschen. Er hatte von den Indios gelernt, er war den Aimaràs immer noch gewachsen. Er ging an dem Corral vorüber, der die Pferde und Maultiere des Dorfes umschloß. Er kehrte um und betrat die Einfriedung. Die Tiere mit sanften Schmeichelworten beruhigend, sah er sich um und fand ein kräftiges noch gesatteltes Maultier; das führte er vorsichtig heraus.

Er war kaum draußen, als er aus der Dunkelheit heraus eine Stimme vernahm. »Wo willst du hin?« fragte sie leise. »Zu den Wächtern im Osten«, antwortete Alonzo im Aimaràdialekt ebenso leise, »der Kazike befiehlt es.« Er führte das Tier an einigen Häusern vorbei und band es in der Nähe des Kazikenhauses an einen Baum. Wurde es hier gesehen, so konnte es doch keinen Verdacht erregen, denn in dieses Haus kehrten oft Boten ein.

Im Dunkel der Hecken und Büsche schlich er sich zum Eingang des Gartens, die blanke Machete in der Hand. Im Hause war Licht; er trat an eines der verhangenen Fenster und lauschte. Da vernahm er die Stimme des Kaziken.

»Törichte Worte, Guati«, sprach Tucumaxtli, in zorniger Stimmung, »das weiße Mädchen würde uns viel Gold einbringen.« Und er hörte Guati in verbissenem Trotz antworten: »Das weiße Mädchen wird Guatis Weib, oder – stirbt! Mit dem weißen Mann mache, was du willst«, fuhr die Stimme fort, »verkaufe ihn oder opfere ihn den Göttern. Das Mädchen ist meine Beute und bleibt mein.«

»Es ist nicht gut«, sagte Tucumaxtli nach einer Weile, und in seinen Worten war ein dunkles Raunen. »Die Unsichtbaren zürnen; seit fünf Sommern gaben sie keinen Weißen in unsere Hand. Sie wollen kein Opfer mehr. Aber sie werden noch mehr zürnen, wenn der Sohn des Kaziken eine Weiße zum Weibe nimmt!«

Guati stieß ein kurzes Lachen aus. »Warum sollen sie zürnen?« sagte er. »Sie gaben das weiße Mädchen in Guatis Hand. Das Mädchen wird Guatis Weib.«

»Du hast Techpo in der Stadt der Weißen gesehen. Er wird kommen und das Mädchen holen.«

»Ich glaube nicht mehr, daß es Techpo war. Der Weiße in der Stadt sah ihm ähnlich. Techpo hat der Erdgeist verschlungen.«

»Der Raub des weißen Mädchens wird alle Weißen gegen uns ergrimmen. Guati war töricht. Er dachte nur an sich und nicht an sein Volk.«

Und wieder das kurze Lachen: »Die Weißen mögen kommen. Sie werden ihre Knochen in den Bergen lassen!«

Eine Zeitlang vernahm Alonzo nichts; die Stille war beklemmend. Der junge Mann hörte den rasenden Schlag seines Herzens. Er preßte die Hand gegen die Brust. »Ruhig«, flüsterte er, »nur ruhig bleiben jetzt!«

Dann ward die nun müde klingende Stimme des Kaziken wieder vernehmbar: »Wo ist der weiße Mann? Bei den Priestern?«

Und Guatis Antwort: »Er liegt in der Hütte Huaxtlas. Die Priester hatten Scheu, ihn dem Tempel anzuvertrauen.«

Ein Geräusch war hinter dem Fenster; dann noch einmal Tucumaxtlis Stimme: »Wir reden morgen weiter. Die Götter werden gute Träume senden.«

Der junge Mann barg sich tief im Schatten der Wand; im Haus erklangen Schritte. Wahrscheinlich suchte Guati sein Lager auf. Wo war Elvira? – Vorsichtig umschlich Alonzo das Haus, lauschte immer wieder angestrengt, aber kein Laut ward drinnen vernehmbar.

Das Haus hatte noch ein paar kleine Räume unter dem Dach; in einem schien Licht zu brennen. Der junge Mann sah sich um. Unweit stand eine hohe, schlanke Fichte; er kletterte an ihren Ästen empor. Das Gemach unter dem Dach war erleuchtet, das Fenster aber mit einem Vorhang verhangen. Er lauschte und spähte vergebens. Schon wollte er wieder hinabsteigen, da wurde drinnen der Vorhang gelüftet; er konnte einen Blick in die Kammer werfen. Ein altes Indianerweib erschien für einen Augenblick im Fensterrahmen und ließ dann den Vorhang wieder fallen. Der Lauscher hatte im Hintergrund des Raumes einen nicht näher zu deutenden Schatten bemerkt, aber er wußte plötzlich: Elvira war hinter diesem Fenster; sein Gefühl sagte es ihm.

Einen Augenblick überlegte er, dann ahmte er täuschend den Ruf der Bergeule nach. Eine dumme Spielerei, eine Spekulation auf den Aberglauben, denn er kannte die Indios doch. Er wußte, daß dieses Tier ihnen unheimlich war, sie mit abergläubischer Scheu erfüllte. Es war damit zu rechnen, daß kein Indio sich der Gegend nähern würde, aus der der Unglücksruf erklungen war. Behende kletterte er wieder hinab.

Er überzeugte sich unten, daß das Maultier noch an seinem Platz war, und wartete geduldig, bis alle Lichter in den Häusern erloschen waren. Er sann und sann währenddessen, auf welche Weise er sich Elvira nähern könnte, wie er es anstellen sollte, sie unbemerkt aus dem Haus des Kaziken herauszubringen.

Die Schwierigkeit bestand nicht darin, in das Haus und auch in das obere Stockwerk zu gelangen; das war ohne weiteres möglich. Doch fürchtete er das Geschrei des alten Weibes, das vermutlich der Gefangenen als Wächterin beigegeben war. Er dachte auch an Eugenio; auch ihn wollte er befreien, sobald nur erst Elvira in Sicherheit war. Er sann und sann und die Nacht rückte vor; er sah es an den Sternen.

Und dann kam ihm der entscheidende Einfall: Er würde das Tempelhorn ertönen lassen; alle Männer würden auf das Signal hin aus den Häusern stürzen. Er beschloß, dem Gedanken unverzüglich die Tat folgen zu lassen. In hastigen Sprüngen, an Hecken und Zäunen geduckt, eilte er zum Tempel, dessen pyramidenartig aufragender Bau bald schattenhaft vor ihm lag. Er wußte genau, wo das Horn hing. Mit wenigen Sprüngen war er auf der Terrasse, tastete die Nische ab und hielt das Hörn in der Hand. Einen Augenblick zauderte er noch. Er täuschte sich nicht über die Gefahren, die er nun selbst heraufbeschwor; trotzdem: es war am besten so. Er setzte das Horn an den Mund, blies mit aller Kraft seiner Lungen hinein, und der dumpfe, markerschütternde Ton hallte durch die Nacht und weckte das Echo der Schluchten.

Und noch ein zweites Mal ließ er den gellenden Warnruf erschallen, dann war er, das Horn fallen lassend, mit wenigen Sprüngen von der Terrasse herunter, erreichte den mächtigen Eibenbusch und sank lautlos zur Erde.

Es vergingen kaum Minuten, da wurde es lebendig in den Häusern. Lichter flammten auf, Stimmen ertönten, Schritte klangen auf. Alonzo wußte: alle würden zum Tempel eilen, um dort zu hören, woher die Gefahr drohte. Außer sich, am meisten überrascht, eilten die Priester aus ihren nahegelegenen Häusern herbei. Wer hatte es gewagt, das Horn des Unheils zu berühren?

Einem Schatten gleich glitt Alonzo durch die Nacht; sobald Schritte aufklangen, warf er sich nieder. Er erkannte Tucumaxtlis Stimme, der eilig von seinem Hause herankam, er vernahm die Stimme Guatis, der aufgeregt auf seinen Vater einsprach. Lautlos schlich er zu dem verlassenen Haus. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß das Maultier noch immer an seinem Platz war, hastete er durch den Haupteingang in das Haus und die Treppe hinauf. Einen Augenblick mußte er suchen, aber dann sah er Licht durch eine Türritze fallen. Er öffnete sie lautlos, schlug den Vorhang beiseite und sah im düsteren Licht der Kienfackel Elvira.

Das Mädchen lag auf einem aus Decken und Fellen geschichteten Lager in der äußersten Ecke; sie hatte den Kopf in den Händen, und ein Zittern lief durch ihren Leib. Am offenen Fenster, sich hinauslehnend, stand das Indioweib.

Mit einem Sprung stand Alonzo hinter der Alten; die fuhr herum, sah einen jungen hochgewachsenen Aimaràkrieger vor sich und fuhr entsetzt zurück. »Techpo!« stammelte sie verstört. Aus der Ecke kam ein Geräusch. Das Mädchen hatte sich aufgerichtet. Aus weit geöffneten, flackernden Augen starrte es auf die Szene. Ihre Lippen bewegten sich, als wolle sie einen Namen formen.

»Nieder, Catha!« zischte Alonzo, den dürren Arm des alten Weibes umklammernd, »keinen Laut – bei deinem Leben!« Die Alte sank zusammen; fassungslos, aus stieren Augen sah sie auf die Erscheinung. Denn Techpo war doch tot, so lange schon. Der Erdgeist hatte ihn geholt vor fünf Sommern.

Mit wenigen kunstgerechten Griffen fesselte Alonzo die Alte, die das starr vor Entsetzen geschehen ließ, zwang ihr einen zusammengeknüllten Lappen in den Mund und wandte sich nun erst Elvira zu, die inzwischen begriffen hatte, was da geschah. Doch hatte das gänzlich Unerwartete ihr nahezu die Fassung geraubt. Sie zitterte am ganzen Leibe und war weiß wie eine Tote. Nur ihre Augen brannten in dem blassen Gesicht. »Alonzo«, flüsterte sie tonlos, »Alonzo, bist du es denn wirklich?«

»Komm!« raunte Alonzo, riß den Vorhang von der Tür, hüllte das Mädchen darin ein, nahm es auf seine Arme und trug es hinab. Draußen war irgendwo Lärm und Getöse, Geschrei und Geklirr. Zuckende Lichtbündel flammten in der Ferne. Aber vor dem Hause des Kaziken war alles dunkel und still. Alonzo hob das Mädchen auf das Maultier, schwang sich hinter ihr auf und flüsterte dem Tier beruhigend zu.

Wohin aber nun? Schon näherten sich aufgeregte Stimmen in der Ferne. Er hatte erst zum nördlichen Ausgang gewollt, aber er sagte sich nun, da er vor der Entscheidung stand, da es um alles ging, daß der Weg über die Felsen für das zarte Mädchen nicht passierbar sei. Er mußte zum Wächterhaus im Westen; der Kampf dort mußte gegebenenfalls aufgenommen und bestanden werden; es gab keinen anderen Weg. Er ließ das Tier laufen; niemand begegnete ihnen.

»Alonzo«, flüsterte es vor ihm, »Alonzo! Daß du da bist!« »Still, Elvira. Ich rette dich. Du bist schon gerettet. Nur still!« Sie durchritten das Dorf; er kannte den Weg. An einer dunklen Stelle hielt er an, hob Elvira herab, trug sie durch eine schwarz gähnende Schlucht über Felsgeröll und betrat mir ihr die Höhle, in der er einst mit Don Fernando und dem Mestizen Antonio geweilt hatte. »Warte hier, Elvira«, flüsterte er, »du bist ganz sicher: niemand findet dich hier. Ich hole dich bald.«

»O, Alonzo, komm bald, komm bald, ich vergehe sonst vor Angst!« stammelte das Mädchen.

Er preßte ihre Hand. »Verlaß dich auf mich«, flüsterte er. »Du bist schon gerettet. Ich hole dich. Ich bin bald wieder da.« Und fort eilte er; es war keine Zeit mehr zu verlieren, denn die schützende Nacht nahte sich bereits ihrem Ende.

Als er den Hohlweg betrat, sah er eine dunkle Gestalt neben dem Maultier stehen. »Wer bist du? Was tust du hier?« fragte eine rauhe Stimme in der Aimaràsprache.

Nur sekundenlang zögerte Alonzo; nein, es gab keine Wahl, er durfte nun nichts mehr gefährden. Blitzschnell fuhr seine Machete in des Mannes Brust; lautlos brach er zusammen. Alonzo schwang sich auf sein Tier und ritt in rasender Eile weiter. Er näherte sich dem Wächterhaus. Er wußte: waren die Aimarà ihrer alten Gewohnheit treu geblieben, dann waren dort jetzt, nachdem er einen Mann ausgeschaltet hatte, noch zwei Wächter. Sie mußten beseitigt werden, um den Weg für die Freunde frei zu machen. Er hoffte zwar, daß Antonio, der den Weg ja kannte, die Dunkelheit benutzt haben möchte, um weiter vorzudringen, aber er hatte keine Gewißheit. Zudem fürchtete er das Zusammentreffen mit den Aimaràs nicht, doch ging es ihm gegen die Natur, unvorbereitete Feinde zu überfallen. Gleichwohl mußte es sein; Elviras Leben stand auf dem Spiel.

Da war das Wächterhaus; es sah im Dunkeln aus wie eine Ruine. Seine Konturen standen scharf vor dem sich mählich aufhellenden Hintergrund. In vollem Lauf seines Maultieres jagte Alonzo nach Botenart heran; aus der Felsspalte traten zwei Männer, schattenhaft wahrzunehmen.

»Ho – ah«? schallte es ihm entgegen.

»Bote des Kaziken!« rief Alonzo.

Ein älterer Mann mit finsterem Gesicht trat ihm entgegen; Alonzo kannte es gut. Oh, er kannte es, es gehörte zu den unvergessenen Gesichtern. Es gehörte zu einem der Männer, die damals im Tal der drei Quellen dabei gewesen waren. Es gehörte einem Mörder. Er sprang vom Maultier herunter; heiß stieg der Haß in ihm hoch, er fühlte, daß er zitterte. Er trat dicht an den Mann heran; der, ihn urplötzlich erkennend, stieß einen unartikulierten Laut grenzenloser Überraschung aus. »Techpo!« stammelte er dann. Schon saß ihm die Machete im Hals; gurgelnd sank er zu Boden.

Der zweite Aimarà stand ob der überraschenden Vorgänge, ob der plötzlichen Erscheinung des auf geheimnisvolle Weise Verschwundenen, wie versteinert. Doch als sich Alonzo ihm jetzt zuwandte, riß er die Büchse hoch. Alonzo schlug sie zur Seite, aber, in den Felsen widerhallend, entlud sich der Schuß. Fernes Rufen antwortete dem Echo.

Alonzo stieß einen gellenden Schrei aus und warf sich so plötzlich auf den überraschten und im Augenblick wehrlosen Wilden, einen noch jungen Mann, daß dieser am Boden lag, ehe er wußte, wie ihm geschah.

»Rühre dich nicht«, raunte Alonzo, »oder meine Machete fährt dir in den Hals.«

Der Indianer war still.

Draußen hörte man den leichten Hufschlag sich schnell nähernder Mulos; gleich darauf standen Geronimo, Antonio und andere der Montaneros neben Alonzo.

»Dem Kerl eine Kugel durch die Schläfe!« sagte der Jäger.

»Nein, binden! Der Mann ist mein Gefangener!« erwiderte Alonzo.

Der Aimaràkrieger wurde gefesselt.

Und abermals ließ sich Hufschlag vernehmen; diesmal von der Dorfseite her.

»Deckt euch! Feuert, sobald sie auftauchen!« befahl Alonzo.

Die Dämmerung war da; deutlich sah man Reiter heranstürmen, deren dunkles Haar wild um die Köpfe flatterte. Auf hundert Schritt ließ man sie herankommen.

»Feuer!« kommandierte Alonzo.

Die Büchsen krachten; gellende Schmerzensschreie hallten in den Hohlweg wider, Menschen und Tiere wälzten sich auf dem Boden.

Und abermals: Feuer!«

Wieder entluden sich die Gewehre, aber schon hatten sich die überraschten Aimaràs zur Flucht gewandt; nur noch von fernher vernahm man den Hufschlag ihrer Tiere.

Die Montaneros jubelten Alonzo zu. Antonio drückte ihm die Hand und sagte leise: »Das hier war die verhängnisvolle Stelle.«

Alonzo nickte stumm. »Elvira ist in Sicherheit«, sagte er dann, »aber Señor de Valla muß noch befreit werden. Du kennst die Örtlichkeit hier, Antonio«, wandte er sich an den Mestizen, »was rätst du zu tun?«

»Wir können nicht ohne ihn gehen«, sagte Antonio.

»Nein, nein, gewiß nicht!« riefen die anderen.

»Also rücken wir vor«, entschied Alonzo. »Sind wir im Dorf, werden unsere Freunde von Norden her angreifen, und die Aimaràs befinden sich zwischen zwei Feuern.«

»Vorwärts!« rief der alte Geronimo.

Alonzo hielt es für nötig, daß drei gute Büchsenschützen auf alle Fälle im Wächterhaus zurückblieben. Drei der älteren Männer wurden bestimmt. Die anderen zogen weiter die Schlucht entlang dem Dorfe zu, nachdem sie einige tote Maultiere und mehrere gefallene Aimaràs beiseitegeräumt hatten.

Alonzo ritt als letzter. Er hatte einen der drei, die im Wächterhaus zurückbleiben sollten, mitgenommen. Sie langten an der Höhle an, er holte Elvira aus ihrem Versteck und übergab sie dem Mann. Sorgfältig gegen die Morgenkälte in eine Decke gehüllt, wurde sie auf ein Maultier gesetzt. Das Mädchen war nun völlig gefaßt. Als sie indessen feststellen mußte, daß Alonzo sich erneut in Gefahr begeben wollte, brach sie in fassungsloses Weinen aus. Der Jüngling beruhigte sie, so gut er vermochte. »Es muß sein«, flüsterte er. »Wir sind bald zurück.« Und riß sich los, den Vorausgerittenen nachsprengend.

Während der Montanero das Mädchen nach dem Wächterhaus brachte, trabte Alonzo mit den anderen auf das Dorf zu. Als sie sich der Stelle näherten, wo der Hohlweg in das Tal auslief, ließ der junge Mann halten. Er erkletterte den Felsen zur Linken und ließ einen der anderen rechts des Weges emporsteigen. Sie gewahrten keinen der Feinde, sahen nur Weiber und Kinder bei den Häusern, die angstvoll und verwirrt umherliefen, saßen auf und ritten geschlossen in das Tal.

Da knallten Büchsen vom Norden her. Dort schien bereits ein Gefecht im Gange. Die Sache war die, daß die Wilden völlig verwirrt waren. Tucumaxtli hatte zwanzig Krieger nach dem Wächterhaus gesandt. Als die, stark dezimiert, von Todesangst gehetzt, zurückkamen und die Nachricht verbreiteten, daß das Wächterhaus im Besitz zahlloser Weißer sei, machte sich wilde Panik breit und alles strömte dem nördlichen Ausgang zu. Jetzt erst erfuhr Guati, das Haus des Kaziken betretend, von der gebundenen Alten, daß Techpo dagewesen sei und die Gefangene entführt habe.

Doch schon kamen auch Aimaràs vom Nordtor zurück; die Büchsen der dort im Hinterhalt liegenden Montaneros hatten sie blutig zurückgeschlagen.

Als nun Alonzo mit den Seinen aus der Schlucht herankam, war die Verwirrung grenzenlos. Und doch hatten nicht alle Aimaràs den Kopf verloren. Die erfahrensten Krieger hatten bald erkannt, daß die Gesamtzahl der Weißen nur klein sei, und so schickten sie sich an, Widerstand zu leisten. Bald blitzten hinter Hecken und Häusern die Büchsen auf, so daß auch die Montaneros gezwungen waren, Deckung zu suchen.

Alonzo stieg nicht von seinem Tier. Stolz, Grimm und Verachtung im Antlitz, sah er auf die Stätte, die ihn so lange gefangengehalten hatte. Er wußte nur: der Tag der Vergeltung war gekommen; als Sieger war er eingezogen in das Tal, das ihn als Sklaven beherbergt hatte. Er bot dem Feinde die Stirn. Mit weithin hallender Stimme rief er in der Sprache der Aimaràs, deren Kleidung er trug: »Techpo ist da! Denkt an das Tal der drei Quellen!« Wütendes Geheul antwortete ihm, Büchsen krachten und Kugeln umflogen ihn. Er sprang ab und gesellte sich den zu Fuß kämpfenden Montaneros zu.

Die der Zahl nach ja erheblich überlegenen Aimaràs wehrten sich sehr nachdrücklich; zwei junge Montaneros waren bereits verwundet. Sie kauerten hinter Felsen und schossen, luden und schossen. Ein paar junge Männer eilten zu Alonzo und reichten ihm ihre Büchsen. »Schieß du, Alonzo, wir wollen laden«, sagten sie. Und nun traf jede Kugel.

Da, gänzlich unerwartet, sprangen die Aimaràs auf, sich durch Büsche, Hecken und gefallene Maultiere so gut wie möglich deckend, und eilten, den Kampf aufgebend, dem dritten, in die vereisten Regionen der Höhe führenden Dorfausgang zu. Ein Ruf des Entsetzens ward bei den Montaneros laut: sie sahen, zwischen den Davonjagenden saß, auf einem Maultier festgebunden, Eugenio de Valla.

Alonzo durchzuckte es heiß: Lieber Gott, daß er im Eifer des Kampfes daran nicht gedacht hatte! »Vorwärts!« brüllt er, »rettet Don Eugenio!« Und die Büchse schwingend, blind gegen jede Gefahr, sprang er auf. Er wußte: gewannen die Aimaràs die Felsenhöhen, war eine Verfolgung, eine Rettung des Gefangenen unmöglich; der Eingang zur Schlucht war spielend zu verteidigen. »Vorwärts!« brüllte er abermals. Die Montaneros folgten ihm. Auch die im Norden fechtende Abteilung näherte sich jetzt. Doch auch die Indianer bewegten sich in großer Eile auf das Felsentor zu, das ihnen Rettung bot.

Es war eine wilde, gespenstige Szene. Alle sahen sie den Gebundenen, der inmitten der Räuber davongeführt wurde.

»Schießt auf die Maultiere!« rief Alonzo. »Nur auf die Maultiere!«

Die Kugeln der unentwegt schießenden und ladenden und wieder schießenden Montaneros schlugen zwischen den ohnehin verwirrten und geängstigten Tieren ein; Verwirrung entstand, viele stürzten. Einige Aimaràs liefen zu Fuß den Felsen entgegen.

Schon war der atemlose Alonzo heran. Da sah er, wie sich eine Schulter, ein Arm, eine blitzende Machete über Eugenio hob. Er stand, schoß, der Arm sank herab. Die Wilden jagten davon, das Maultier, das Don Eugenio trug, brach zusammen.

Die erbitterten Montaneros drangen vor. Schon war Alonzo dem unter dem Maultier liegenden Gefangenen nahe, da sah er Guati, der, sich umwendend, stehen geblieben war und jetzt mit haßverzerrtem Gesicht seine Büchse auf ihn abfeuerte. Die Kugel fehlte, Guati zog die Machete und eilte auf den hilflos Liegenden zu.

Alonzo, heranstürzend, stieß ihm den Büchsenkolben gegen den Leib; der Indio taumelte, gleich darauf umklammerten ihn Alonzos Arme.

Aber Guati war stark, stark und gewandt, und er kämpfte, er wußte es wohl, um sein Leben. Die beiden Gegner, ineinander verbissen, wälzten sich am Boden; mit ungeheurer Anstrengung gelang es Alonzo schließlich, seinen rechten Arm aus der Umschlingung des unter ihm liegenden Wilden zu lösen; er versetzte ihm einen wuchtigen Faustschlag zwischen die Augen; Guati fiel um wie ein Klotz.

Alonzo hielt die wütenden Montaneros fast gewaltsam zurück; er befahl, den Bewußtlosen zu binden. Und so groß war die Achtung, die der junge Caballero seinen Gefährten einflößte, daß sie selbst in diesem Augenblick äußerster Erregung gehorchten. Gleich darauf lag Guati in unzerreißbaren Banden am Boden.

Hochaufgerichtet, einen Zug stolzer Verachtung im Gesicht, stand Alonzo d'Alcantara auf dem Boden, wo er dereinst geknechtet worden war, und überblickte das Schlachtfeld. Die Aimaràs flohen, ringsumher lagen ihre Toten, das Raubnest war zerschlagen, der Mord an den drei Quellen, der Mord an seinen Eltern und Geschwistern war gesühnt.

Leider hatten auch zwei junge Montaneros das Leben geben müssen, viele andere waren verwundet. Unverletzt, aber totenbleich und an allen Gliedern zitternd, bar jeder Fassung, stand Eugenio de Valla vor seinem Retter. Er vermochte noch nicht zu sprechen; er faßte kaum, was da geschehen war. Er erlebte noch einmal das Grauen der vergangenen Stunden. Aber dann erkannte er ihn, seinen Retter, und in seinen matten Augen leuchtete es auf. »Alonzo«, stammelte er, »Alonzo!« Und plötzlich schoß brennende Röte in sein Gesicht. »Ruhen Sie, Señor«, sagte Alonzo, den Befreiten mit einem ernsten Blick streifend, »wir sprechen uns später.« Und er wandte sich ab und dem Mestizen Antonio zu, der glückstrahlend vor ihm stand; er drückte ihm stumm die Hand.

An eine Gartenwand gelehnt, saß finsteren, aber ruhigen Angesichts Tucumaxtli, der Kazike. Alonzos Schuß hatte ihm die Schulter zerschmettert, als er die Machete hob, um Eugenio zu töten; eine weitere Kugel hatte ihn im Rücken getroffen; er rang bereits mit dem Tode.

Alonzo, um den sich alle seine Waffengefährten gesammelt hatten, wandte sich dem Hockenden zu. »Du kennst mich, Kazike?« fragte er.

Ein dunkler, schon halb verschleierter Blick traf ihn. »Natter!« zischte der Wilde.

»Höre zu, Kazike«, sagte Alonzo. »Dort drüben liegt gefesselt Guati, dein Sohn. Du wirst bald vor dem höchsten Richter stehen, aber Guati kann weiterleben, wenn du sagst, hier vor diesen weißen Männern, wie du mich einst in deine Gewalt gebracht hast.«

Ein Aufblitzen finsteren Hasses war die Antwort.

»Du kannst auch schweigen, Kazike. Dein Sohn Guati wird dann am Halse aufgehängt werden. Er wird am Baum hängen, bis die Geier sein Fleisch fressen.« Der junge Mann ließ keinen Blick von dem Sterbenden.

Der begann plötzlich zu zittern; sein Gesicht wurde fahl. »Guati wird leben?« flüsterte er.

»Er wird leben, wenn er bei seinen Göttern schwört, nie wieder die Hand gegen einen Weißen zu erheben.«

Der Kazike richtete sich etwas höher; er ächzte: »Tucumaxtli will reden.«

Alonzo bat alle Umstehenden, den Worten des sterbenden Häuptlings sehr aufmerksam zu lauschen; es komme ihm darauf an, daß sie das Gehörte jederzeit bezeugen könnten. »Ihr habt euch alle gewundert, daß ich mit der Örtlichkeit hier so vertraut war«, sagte er. »Nun, ich habe fünf Jahre als Gefangener dieser Wilden hier gelebt, bis ich vor fünf Jahren, zusammen mit Don Antonio, diesem Tal entfloh.«

»Bis Don Alonzo mich vor einem grauenvollen Tode rettete«, rief der Mestize. »Wenn schon gesprochen werden soll, dann so, wie es wirklich war.«

»Sprich!«, wandte Alonzo sich an den Kaziken.

Mit matter, oft versagender Stimme sprach der in holprigem Spanisch, aber allen verständlich:

»Tucumaxtli geht zu seinen Vätern. Es ist gut. Guati soll leben. Zehn Sonnen sind vergangen, da kam Gomez, der Goldsucher, zu mir. Ich solle einen großen spanischen Caudillo gefangennehmen und in die Berge führen, sagte er. Er gab mir Gold, und meine Krieger lauerten auf den Mann. Der Zorn kam über sie, und sie erschlugen die Weißen. Männer, Frauen und Kinder, bis auf den da«, – er wies auf Alonzo. »Den brachte ich hierher in die Berge und zog ihn auf. Ich wollte, daß die Weißen mir eines Tages viel Gold für ihn geben sollten, wenn er ihnen gefährlich würde, als der Sohn des großen Caudillo. Ich habe einen Panther mit mir geführt. Er hat mich und die Meinen zerrissen. Vor fünf Jahren ist er entflohen, um heute zurückzukehren. Tucumaxtli schwört bei seinen Göttern: er hat die Wahrheit gesagt.«

»Er hat die Wahrheit gesagt«, sprach ihm Alonzo nach; er flüsterte es fast. Aber dann hob er den Kopf und sah sich mit freiem und stolzem Blick im Kreis der Gefährten um. »Bewahrt, was ihr gehört habt, in euren Herzen, bis die Stunde kommt, wo ich euer Zeugnis brauche«, sagte er.

Alle gelobten es. Tucumaxtli aber hauchte bald darauf seinen letzten Seufzer aus.

Nach den furchtbaren Anstrengungen der letzten Stunden bedurften die Montaneros der Ruhe. Sie fanden genügend Nahrungsmittel, auch Futter für die Tiere und Wasser, und rüsteten sich, die Nacht in dem Aimaràdorf zu verbringen. Auch Maultiere und Pferde fingen sie noch genügend ein, um die Schar derer, die über die Felsen geklettert waren, beritten zu machen. Die Verwundeten, deren Verletzungen in der Hauptsache glücklicherweise leicht waren, wurden sorgsam behandelt und gepflegt, die beiden Toten unter einer ragenden Fichte zur Ruhe gebettet. Alonzo aber entfernte sich, nachdem all dies getan, um seiner inneren Erregung Herr zu werden.

Erst nach längerer Zeit kam er zurück, sah nach den Verwundeten und nach Eugenio, der sich schon recht gut erholt hatte. Seine stürmischen Dankesbezeugungen lehnte er ernst, aber freundlich ab und entschuldigte sich damit, daß er zu seiner Schwester reiten wolle, die sicherlich sorgenvoll auf ihn warte.

Für den nächsten Morgen wurde der Rückmarsch bestimmt.

Elvira fand er im Wächterhaus ruhiger und gefaßter vor, als er erwartet hatte. Das tapfere Mädchen hatte die ausgestandenen Schrecken überwunden; in ihren Augen, als er sie herzhaft begrüßte, leuchtete es warm. Er ließ den noch immer gefangenen Junma befreien und in die Berge gehen. Dann warf er selbst die Indianertracht ab und zog seine eigenen Kleider wieder an. Er sorgte für Elviras ungestörte Nachtruhe und sank schließlich selbst in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Als er mit Sonnenaufgang erwachte, machte er sich auf den Weg nach dem Dorf. Er fand Tempel und Häuser in lodernden Flammen. Die Montaneros, entschlossen, das finstere Raubnest für immer zu zerstören, hatten sie angezündet. Nachdem er eine sanfte Mula für Elvira ausgesucht hatte, ließ er Guati vor sich führen, ihn in der Weise seines Volkes schwören, Frieden mit den Weißen zu halten, und gab ihn dann frei.

Gemeinsam ritten sie zum Wächterhaus, setzten Elvira auf die für sie bereitgehaltene Mula und traten den Heimweg nach den Llanos an. Einen Boten, der Señor Vivanda die Rettung seiner Tochter melden sollte, hatte Alonzo vorausgeschickt. Langsamer, der Verwundeten und Elviras wegen, folgte der Zug.

Am dritten Tage trafen sie auf eine starke Schar Bergbewohner, die auf dem Wege waren, ihnen zu Hilfe zu eilen. Mit Jubel nahmen die Männer die Nachricht von dem bestandenen Kampf auf und wandten ihre Reittiere wieder abwärts. Nicht lange danach traf die Kolonne auf Vincente de Vivanda, um den sich zahlreiche Llaneros gesammelt hatten. Alonzo legte Elvira in die Arme des fassungslos schluchzenden Vaters. Auch Professor Pinola war da; er bekam einen Weinkrampf, als er seinen Pflegebefohlenen wohlbehalten wiedersah.

Señor Vivanda belohnte die Montaneros mit fürstlicher Freigebigkeit und versprach, für die Gefallenen Messen lesen zu lassen. Antonio Minas war nicht von Alonzos Seite zu bringen. Der kluge Halbindianer hatte wohl erkannt, daß Alonzos Zukunft von Unheil bedroht war; als er sich schließlich von ihm verabschieden mußte, um heimwärts zu ziehen, sagte er: »Wenn Ihr mich jemals braucht, Don Alonzo, dann ruft mich, und ich bin mit allem, was ich habe, zur Stelle.« Ähnliche Versicherungen erhielt der junge Mann noch von vielen Seiten.

Während des ganzen langen Rittes hatte sich Alonzo von Eugenio de Valla ferngehalten. Als ihre Wege sich schließlich trennten, hielt der seine Hand mit krampfhaftem Druck und sah ihm fest in die Augen. »Zum zweiten Mal«, sagte er, »zum zweiten Mal und diesmal unter furchtbaren Umständen, habt Ihr mich gerettet. Und doch – – was ist da, was ich nicht begreife? Wollt Ihr nicht sprechen? Ich gehöre Euch für das Leben, Don Alonzo, und Ihr – –«. Schmerz und Ratlosigkeit standen in seinen Augen.

Alonzo befreite seine Hand; über sein stolzes, verschlossenes Gesicht glitt ein flüchtiger Schatten; seine Stimme klang brüchig. Er sagte: »Was ich für Euch tat, Don Eugenio, war Menschenpflicht. Nicht mehr. Es bedarf keines Dankes. Aber sagt Eurem Vater, wenn Ihr ihn wiederseht, daß Alonzo d'Alcantara Euch gerettet hat, Alonzo d'Alcantara, der Sohn Don Pedros!«

Er riß sich los und folgte den bereits Vorangerittenen.

Halb betäubt, nichts begreifend, sah Eugenio de Valla ihm nach.


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