Franz Treller
Der Gefangene der Aimaràs
Franz Treller

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Naëva

In der kleinen Stadt Naëva fand alljährlich, nachdem die Regenzeit vorüber war, ein großer Markt statt, der die Menschen von weit her anlockte. Da kamen die Hazienderos von den Flüssen, die Llaneros aus der Steppe, die Ackerbauern und Viehzüchter aus den Bergen, ja selbst die Indianer der Anden und der Ebene zusammen, um zu kaufen und zu verkaufen, Geschäfte zu besprechen und zu erledigen und Neuigkeiten aus dem Lande zu erfahren.

Selbstverständlich fehlten auch Händler aller Art nicht, die den Landleuten und Indianern ihre mannigfachen Waren anboten, von der Kugelbüchse bis zum Kinderspielzeug, oder Käufe mit ihnen abschlossen.

Dieser Zusammenfluß verschiedenartigster Menschen aus allen Teilen des Landes nahm in der Regel den Charakter eines Volksfestes an. Neben derben Vergnügungen aller Art wurden dann auch Wettrennen, Preisschießen und sonstige Wettkämpfe veranstaltet.

Señor Vivanda pflegte regelmäßig auf dem Markt in Naëva zu erscheinen. Für diesmal hatte er darauf verzichtet und seinen Administrator und Alonzo mit der Durchführung der Geschäfte und der Vertretung der Familie beauftragt. Er hatte Alonzo schon wiederholt mit nach Naëva genommen, um ihn in größerem Kreis bekannt zu machen, und der junge Mann hatte dort unter zahllosen Altersgenossen trotz seines zurückhaltenden Wesens manchen guten Kameraden gewonnen.

Für dieses Jahr hatte Vincente Vivanda auf die Reise nach Naëva für seine Person verzichtet, weil er beabsichtigte, mit seiner Tochter die Berge aufzusuchen. Elvira, die in Erinnerung an das Erlebnis mit dem Jaguar jahrelang auf diesen Ausflug verzichtet hatte, war in diesem Jahr selbst an den Vater herangetreten; sie wollte die Anden wiedersehen. Alonzo hätte sie am liebsten begleitet, doch Vivanda hatte ihm vorgestellt, daß seine Anwesenheit in Naëva um so wichtiger sei, als langsam der Tag herannahe, wo der Kampf um seine ererbten Rechte aufgenommen werden müsse. Es schien notwendig, die Bekanntschaft mit den Bewohnern der Berge und der Ebene zu vertiefen. Die Brüder Vivanda wußten wohl, daß Alonzo nicht ohne weiteres der Mann war, sich Freundschaft und Wohlwollen zu erwerben, obwohl er durch seine ganze Persönlichkeit alle Voraussetzungen mitbrachte, sich die Herzen der Menschen zu gewinnen. So sollte Alonzo also als Vertreter des Hauses Vivanda auf der Versammlung der einflußreichsten Grundbesitzer des Departements erscheinen und sich später nach den Bergen aufmachen, um dort mit Señor Vivanda und Elvira einige Tage zu verbringen.

Alonzo hatte seinen väterlichen Freunden von seiner Begegnung mit Eugenio de Valla berichtet, auch nicht verschwiegen, daß ihm der junge Mann einen ausgezeichneten Eindruck gemacht habe. Beide Herren waren von diesem Zusammentreffen im höchsten Grade betroffen gewesen, und der Señor hatte mit nachdrücklichem Ernst erklärt, daß ein näherer Verkehr oder gar eine Freundschaft mit dem Sohn des Ministers de Valla für Alonzo unter keinen Umständen in Frage kommen könne. Es sei gut, wenn er vorerst nicht mehr darüber erfahre; die Tatsachen sprächen für sich selbst und würden ihm bald genug bekannt werden. Alonzo hatte sich selbst ja schon Ähnliches gesagt, und es hatte ihm leidgetan, denn dieser junge Mensch, der so ganz anders war als er selbst, hatte in ihm mehr als ein flüchtiges Interesse erweckt.

Einige Tage, nachdem Vincente Vivanda mit seiner Tochter nach den Bergen aufgebrochen war, machte sich Alonzo in Begleitung des Administrators, von einigen Peons der Hazienda gefolgt, auf den Weg nach Naëva.

Das kleine Städtchen, dessen Häuser vorwiegend aus Adobeziegeln errichtet und mit Stroh gedeckt waren, lag eingebettet in das vielfältige Grün von Manga, Ceibabäumen, Palmen und Bananen, am Ufer eines Wasserlaufs. Fern im Westen erhoben sich die höher und höher aufragenden Felsmassive der Anden.

Alonzo fand die Stadt von Fremden überfüllt. Zahllose Gäste, die nicht mehr untergekommen waren, hatten sich in Wagen und roh zusammengeschlagenen Buden niedergelassen. Für ihn war freilich rechtzeitig ein Haus gemietet worden.

Gleich beim Einreiten in den Ort stieß Alonzo auf ein buntes Gewühl. Die reichen Grundbesitzer der Llanos, die Landleute aus den Bergen und die rauhen Montaneros waren da. Kaufleute vom Meta, vom Orinoko und aus den Städten des Nordens, Pferde- und Rinderhirten in ihrer wilden, malerischen Tracht, Indianer aus den Pueblas in den Bergen und von den Flußläufen, die kaufen und verkaufen wollten, Neger und Mulatten, die zu allen Diensten willig waren. Auch Spieler und allerlei Raubgesindel trieben sich herum, denen eine besonders für den Jahrmarkt zusammengestellte berittene Polizei nachdrücklich auf die Finger sah. Ein Leben und Treiben herrschte in Naëva, wie es überall da entsteht, wo Menschen aller Art und Interessen an einem Punkt kurzfristig zusammenströmen.

Alonzo wurde gleich bei seinem Einreiten von einer Schar junger Männer, Söhnen von Hazienderos der Llanos, begrüßt, und auch mancher graubärtige Vaquero zog vor ihm den Hut. Mehrere junge Männer begleiteten den Ankömmling nach seinem Quartier und überschütteten ihn mit Fragen und Mitteilungen.

»Wo ist Señor Vivanda?«

»Und Doña Elvira?«

»Weißt du schon, daß wir um die Wette reiten wollen? Don Sylvio hat einen silbernen Becher ausgesetzt.«

»Du reitest doch mit?«

»Die Montaneros, die ja nicht reiten können, wollen ein Schießen veranstalten.«

So kreuzten sich Fragen und Neuigkeiten; der schweigsame und zurückhaltende Alonzo mußte Rede und Antwort stehen, ob er wollte oder nicht. Ja, es interessiere ihn. Nein, Doña Elvira komme nicht, sie weile in den Bergen. Mit ihrem Vater, ja. Gewiß, er werde am Wettrennen teilnehmen, selbstverständlich.

Sie kamen an einer überfüllten Posada vorbei. Es standen viele Menschen davor, schwatzend und lachend und Neuigkeiten austauschend. Mitten unter ihnen stand der ehrenwerte Haziendero Molino alias Sancho Tejada. Ja, er war doch nach Naëva gekommen. Es würde gut sein, hatte er sich überlegt. Gott und die Welt kamen hier zusammen, und er hatte noch immer keine Spur von dem jungen d'Alcantara. Hier, wo so viele Menschen zusammenströmten, war vielleicht etwas zu erfahren. – Hinter Tejada stand Juan, sein Peon, alias Maxtla. Er sah den jungen Alonzo inmitten seiner Kameraden, und in seinen dunklen Augen leuchtete es auf. Für den Bruchteil einer Sekunde nur, niemand nahm es wahr. Es war einer dieser stumpfsinnigen Indios, der dort stand, ein Peon, ein Nichts.

Aber auch Señor Tejada hatte den hochgewachsenen, schlanken jungen Mann mit dem stolzen, verschlossenen Gesicht gesehen. »Wer war das?« fragte er einen neben ihm stehenden Vaquero.

»Der Señorito de Vivanda, Señor«, antwortete der Mann, »einer der reichsten Erben des Landes.«

»Gutes Blut«, stellte Tejada fest, »ein echter Caballero.«

Maxtlas dunkle Augen folgten Alonzo, so lange er ihn zu erblicken vermochte.

Als Alonzo am Nachmittag sein Quartier verließ, um einige Besuche bei angesehenen Großgrundbesitzern zu machen, wurde er angesprochen, kaum daß er die Straße betreten hatte. »Don Alonzo! Welche Freude!« sagte eine freudig erregte Stimme. Vor dem Angesprochenen stand Eugenio de Valla. Alonzo, von widerstreitendsten Empfindungen durchzuckt, trat unwillkürlich einen Schritt zurück; er zwang sich zu kühler, gelassener Höflichkeit. »Schön, daß ich Euch wohlbehalten vor mir sehe, Señor«, sagte er.

Der andere mochte eine herzlichere Begrüßung erwartet haben; Alonzo fühlte sich von einem leicht befremdeten Blick getroffen. ,.Ich war traurig damals, Euch nicht mehr vorzufinden«, sagte der Sohn des Ministers, »und ich habe fortgesetzt darüber nachgedacht, was ich tun könnte, Euch eine Freude zu machen.«

»Überschätzt doch eine Selbstverständlichkeit nicht so«, wehrte Alonzo ab; »jeder Mensch hätte Euch in solcher Lage geholfen.«

»Ja, das mag wohl sein«, stammelte Eugenio, der über der kühlen Reserve seines Gegenübers immer mehr an Sicherheit verlor. »Ich bin auf dem Weg in die Anden«, setzte er nach einer Weile hinzu, »ich will meine Studien wieder aufnehmen. Señor Pinola, in dessen Begleitung ich mich befinde, wollte schon heute abend weiterreisen, aber nun« – er zögerte etwas und sah Alonzo dann mit einem offenen Blick in die Augen – »nun möchte ich ihn überreden, noch etwas länger in Naëva zu bleiben.«

Alonzo hatte sich vollkommen in der Gewalt. Es ist schade, dachte er, es ist jammerschade, aber es darf nicht sein. »Hoffentlich nicht meinetwegen, Señor«, versetzte er, immer mit der gleichen kühlen Gelassenheit, »ich bin nämlich während meiner kurzen Anwesenheit hier so in Anspruch genommen, daß es mir unmöglich sein wird, Euch etwas von meiner Zeit zu widmen.«

So also war das. Was hieß das nur? Eugenio de Valla begriff die jäh verwandelte Haltung des jungen Mannes, in dem er einen Freund gewonnen zu haben glaubte, in keiner Weise. Aber auch er war ein Spanier, auch er war empfindlich. Sein gutes, offenes Gesicht verschloß sich. »Das ist bedauerlich, Señor«, sagte er knapp, nun auch auf die vertrauliche Anredeform verzichtend, »ich werde Euch jedenfalls nicht vergessen und hoffe, Euch meinen Dank für Eure Hilfe in großer Not eines Tages abstatten zu können.« Damit verneigte er sich kurz und war gleich darauf in der auf und ab wogenden Menge untergetaucht.

Alonzo sah ihm nach; ihm war gar nicht wohl zumute. »Das alles ist widerlich«, murmelte er vor sich hin; »es wird höchste Zeit, daß Klarheit in diese Dinge kommt. Diesem Burschen tue ich unrecht, das ist zweifellos; ist sein Vater ein Schurke, so ahnt er es nicht. Er weiß nichts von den Menschen und nichts von der Welt.« Ein warmes Gefühl wallte in ihm hoch. Man müßte ihn vor dem Zugriff der Welt behüten, dachte er; es möchte sich lohnen.

Aber konnte man das überhaupt? De Valla! dachte er, er heißt de Valla! Es hat keinen Sinn.

Er setzte seinen Weg fort, machte die Besuche, die er sich vorgenommen hatte, erzählte und ließ sich erzählen und bekam allerlei zu hören. Er stellte fest, daß Abneigung und Haß gegen die herrschende Regierung allgemein waren, daß nur die Furcht vor einem neuerlich ausbrechenden Bürgerkrieg die besten Männer abhielt, sich offen gegen diese Regierung zu wenden, die die Entwicklung des Landes hemmte und jede freiheitliche Regung mit brutaler Gewalt unterdrückte. Es wurde oft, und nicht eben mit guten Worten, von de Valla, dem Vater, gesprochen. Auch seine dunkle Vergangenheit, seine geschickte Mantelträgerei und seine Bedenkenlosigkeit in der Wahl der Mittel fanden immer wieder Erwähnung. Er vernahm aber auch, daß der Minister sich auf eine zahlreiche Anhängerschaft, insbesondere unter der indianischen Bevölkerung des Landes, stützen konnte und daß auch einflußreiche Kreise der weißen Bevölkerung fest zu ihm hielten.

Man sprach Alonzo gegenüber ganz offen über diese Dinge, galt der junge Mann doch als Vetter oder naher Verwandter und jedenfalls als Erbe der Brüder Vivanda, deren entschiedene Gegnerschaft zu de Valla allgemein bekannt war.

Der Abend sah die kleine Stadt in bunter Bewegung. Die Nacht war lau. Häuser und Posaden waren hell erleuchtet, die Menschen standen und saßen auf den Straßen, schwätzten und sangen zur Gitarre ihre Lieder. Auch das Lager, das sich außerhalb der Stadt gebildet hatte, strahlte in hellem Licht. Es waren vor allem Farbige und kleine Besitzer, die sich hier niedergelassen hatten.

Alonzo hatte es hinausgetrieben; er schritt gedankenvoll durch die Lagergassen und besah sich das bunte, erregende Treiben. Vor den Zelten waren die Händler noch immer bemüht, ihre Waren anzupreisen. Hier in dem äußersten Ring, zwischen den Zelten, war die Beleuchtung nur schwach. Hier und da warf ein am Boden brennendes Feuer sein zuckendes Licht in die Nacht.

Während Alonzo in der Nähe eines solchen Feuers stand, hörte er plötzlich hinter sich Worte der Aimaràsprache. Das traf ihn wie ein Blitz; er mußte sich zusammennehmen, um nicht jäh herumzufahren. Als er sich, selbst in den Schatten tretend, langsam umwandte, sah er vor sich das vom Feuer hell beleuchtete Gesicht Guatis, und dicht daneben das dunkle, zerfurchte Antlitz Tucumaxtlis, des Kaziken. Beide Aimaràs trugen die einfache Tracht der ringsum wohnenden friedlichen Indianer.

Alonzos Hand zuckte unwillkürlich nach der Waffe – die er nicht trug. Es stieg blutrot in ihm hoch und schwamm vor seinen Augen wie Nebel. Er fühlte das brennende Bedürfnis, dem Kaziken an die Kehle zu fahren. Aber er bezwang sich. Da traf ihn für den Bruchteil einer Sekunde ein aufflammender Blick aus den Augen Guatis. Im gleichen Augenblick kam singend und johlend eine Schar betrunkener Neger vorbei; die Umherstehenden wichen zurück, dadurch entstand Verwirrung. Als Ruhe eintrat, war von den beiden Aimaràs nichts mehr zu erblicken.

Der junge Mann beschloß, sofort den obersten Alguacil der Marktpolizei aufzusuchen, obgleich er sich sagte, daß es völlig sinnlos sein würde, in der Dunkelheit der Nacht nach den Aimaràs zu suchen. Außerdem – was konnte er gegen sie sagen, wenn er sich und sein Anliegen nicht vorzeitig verraten wollte? Trotzdem, die Meldung würde er machen; die Aimaràs waren als räuberisch bekannt, die Polizei konnte sie hier inmitten des Marktgetriebes nicht dulden.

Während er, mit solchen Überlegungen beschäftigt, zwischen dunklen Bäumen der Stadt zuschritt, drangen plötzlich die melodischen Töne eines einfachen Liedes an sein Ohr, wie es die Maultiertreiber singen, wenn sie mit ihren Tieren die Llanos durchziehen. Er fühlte sich, unwillkürlich lauschend, sonderbar angeweht von diesen Tönen. Das Lied hatte er oft gehört, wann – wann? Es mußte endlos zurückliegen. Irgendwann, als er ein Kind war. Er blieb stehen und sann der Melodie nach und den Erinnerungen, die sie weckte.

Da tauchte, schattenhaft gleitend, eine dunkle Gestalt vor ihm auf, eine Stimme flüsterte in gebrochenem Spanisch: »Kennt der Señorito das Lied?«

Alonzo, heftig erschrocken, fuhr zurück. »Wer bist du, Mann?«

»Dein Vater, Don Pedro, hat mir viel Gutes getan, Don Alonzo«, flüsterte der Mann, fraglos ein Indianer. »Maxtla wollte wissen, ob du es bist. Er weiß es. Nenne deinen Namen hier nicht, Don Alonzo. Du hast Feinde hier. Unter den Weißen. Hüte dich vor dem Mann mit dem Raubvogelgesicht!«

Fackeln näherten sich, lachende Stimmen ertönten. »Maxtla«, hauchte Alonzo und lauschte dem Klang des Wortes nach, »Maxtla, warte! Bleibe doch!« Aber der Indio war schon in die Dunkelheit zurückgetaucht; nicht einmal sein Gesicht hatte Alonzo gesehen. »Was war das?«, flüsterte er vor sich hin, »was war das?«

Eine helle Stimme riß ihn aus seinem Sinnen. »Seht, da steht Don Alonzo und treibt Astronomie!« sagte die Stimme. »Wir suchen dich, Hermano, komm mit, wir wollen uns eine vergnügte Nacht machen!« Es waren ein paar bekannte Burschen, von fackeltragenden Peons begleitet.

Alonzo hatte gar keine Neigung, der Einladung zu folgen, doch konnte er nach Lage der Dinge nicht gut ablehnen und ließ sich also mitziehen. Insgeheim hoffte er, den beiden Aimaràs noch einmal zu begegnen. Die Burschen suchten eine im Feld errichtete Tienda auf, wo der an den Abhängen der Kordilleren gewachsene Wein ausgeschenkt wurde. Auf dem Wege dorthin begegneten sie dem Administrator Señor Vivandas, einem erfahrenen älteren Manne, der hoch im Vertrauen seines Chefs stand. Alonzo nahm ihn beiseite, besprach einige gleichgültige Dinge mit ihm und äußerte dann nebenher: »Wenn ich einige von den Montaneros recht verstanden habe, treiben sich unter den Indios hier auch einige der Räuber aus den Anden herum. Sollte man die Polizei nicht davon verständigen?«

»Aimaràs meinen Sie?« fragte der Administrator. »Oh, die sind jedes Jahr hier, sie kaufen Waffen und Munition und sind im übrigen ungefährlich.«

»Glauben Sie wirklich? Ich hörte, es sollten gefährliche Bandidos darunter sein.«

»Nun ja. Sie bestehlen zuweilen die angesiedelten Indios und auch die Montaneros von Zeit zu Zeit. Was soll man tun? Sie sind nur schwer von den Indios reducidos zu unterscheiden, wenn sie spanisch sprechen, und übrigens fürchten sich die christlichen Indianer, sie anzuzeigen, um sich nicht ihrer Rache auszusetzen.«

»Aber ermorden sie nicht auch von Zeit zu Zeit Weiße?«

Der Administrator zuckte die Achseln. »In der einsamen Bergwildnis möchte ich keinem von ihnen begegnen«, sagte er; »hier unten werden sie sich hüten, etwas anzustellen. Sie erledigen in der Regel ihre Einkäufe und verschwinden schweigend, wie sie gekommen sind. Es wäre auch völlig vergeblich, ihrer habhaft werden zu wollen, und gelänge es wirklich, so wäre ein Gerichtsverfahren gegen sie noch schwieriger. Waren wirklich Aimaràs hier, dann können Sie sicher sein, daß sie sich bereits wieder auf ihren flinken Tieren außerhalb der Stadt befinden.«

Alonzo mußte sich aus eigener Erfahrung sagen, daß der Administrator recht habe und daß jeder Versuch, des Kaziken und seines Sohnes habhaft zu werden, fruchtlos sein würde, wenn sie ihm nicht der Zufall in die Hände spielte. Hatten sie ihn erkannt – und das war ziemlich sicher –, dann waren sie jetzt gewiß schon auf dem Heimweg.

In der luftigen Tienda, die er gleich darauf mit seinen Gefährten betrat, ging es ziemlich hoch her. Sie nahmen an einem der roh gefertigten Tische Platz, und bald herrschte hier eine heiter gelöste Stimmung. Alonzo freilich vermochte seiner ernsten Gedanken nicht Herr zu werden, doch waren die anderen gewöhnt, ihn selten fröhlich zu sehen. Ein buntes Stimmengewirr war in dem niedrigen Raum, alle möglichen Sprachen und Dialekte klangen hier durcheinander. Plötzlich hörte der junge Mann an einem der anderen Tische den Namen seines Vaters nennen. Er wandte sich vorsichtig um, erkannte an jenem Tisch einige Hazienderos, und mitten unter ihnen einen Mann mit einer adlerartigen Physiognomie. Der Mann trug einen Knebelbart und hatte dunkle, stechende Augen. Wo habe ich dieses Gesicht schon gesehen? dachte Alonzo, aber trotz allen Grübelns wollte es ihm nicht einfallen.

Es war der Mann, der den Namen seines Vaters genannt haben mußte, denn Alonzo hörte ihn jetzt sagen: »Ich habe unter Don Pedro gedient, Caballeros, damals, als es gegen Venezuela ging. Teufel nochmal! Es war ein glorreicher Capitano! Ein Jammer, daß er ein so frühes Ende finden mußte.«

Alonzo war es, als kröche ihm eine Schlange über den Rücken, aber er zwang sich zu Ruhe und äußerer Gleichgültigkeit. Gespannt lauschte er, ohne es im geringsten zu erraten, was dieser angebliche Kriegskamerad seines Vaters weiter berichten würde.

»Bei uns in Bogotá«, sagte der Mann, »laufen neuerdings Gerüchte um, ein Sohn Don Pedros sei damals den Mördern entgangen. Es wäre nicht auszudenken, aber ich fürchte, es bleibt ein Gerücht.«

Einer der Hazienderos schüttelte ernst den Kopf. »Wer weiß, was da ausgestreut wurde«, sagte er; »wahr ist es sicherlich nicht. Bei dem Gemetzel damals ist niemand entkommen, das ist gewiß.«

»Ein Jammer!« sagte der mit der Raubvogelvisage, »was gäben wir darum, wenn heute, gerade heute ein Nachkomme Don Pedros lebte!«

Die anderen schwiegen düster, aber man sah ihnen an, daß sie ebenso dachten. Auch der Redner versank in Schweigen.

Alonzo aber durchfuhr es wie ein Blitz. Er wußte, wo er das Gesicht dieses Mannes gesehen hatte. Damals, vor nunmehr fünf Jahren, im Wald, kurz bevor er das Tal der drei Quellen betrat. Er sah wieder einen blaugestreiften Poncho durch die Büsche leuchten, als er den schwer verwundeten Gomez im Arm hielt. Kein Zweifel, das war der Mann, der mit hoher Wahrscheinlichkeit den tödlichen Schuß auf Gomez abgefeuert hatte. Allerdings, jener Mann damals hatte einen Vollbart getragen. Trotzdem, Alonzo hatte ein untrügliches Gedächtnis für Physiognomien, das hatte er sich bei den Indios angeeignet, – das war jener Mann! Und wie zur Ergänzung seiner bohrenden Gedanken hörte er die Stimme des Indios raunen: "Hüte dich vor dem Mann mit dem Raubvogelgesicht!"

Weshalb sprach dieser Mann hier von seinem Vater? Alonzo kannte die eigentlichen Gefahren nicht, vor denen die Brüder Vivanda ihn immer wieder nachdrücklich gewarnt hatten, aber er wußte, daß etwas in der Dunkelheit lauerte, bereit, ihn zu vernichten. Er wußte, daß es notwendig war, seine Abkunft zu verbergen; die Äußerungen dieses Mannes verstärkten sein immer waches Mißtrauen. Er wandte sich seinen Gefährten zu, hörte auf ihr Geschwätz und sprach auch mit ihnen, derweilen er unverwandt nach dem anderen Tisch hinüberlauschte. Aber dort fiel nun kein verfängliches Wort mehr. Aber mit unerschütterlicher Sicherheit wußte er, daß der Mann mit dem Knebelbart derjenige war, dessen Gesicht er zwischen den Bäumen erblickt hatte, als der Schuß auf Gomez gefallen war. Er beschloß, ein wachsames Auge auf den Mann zu haben. Nach einiger Zeit brach die Gesellschaft der jungen Leute auf, und auch Alonzo begab sich in sein Quartier.


Tags darauf fand das Wettrennen statt, an dem praktisch nur die Söhne reicher Hazienderos teilnehmen konnten, weil nur auf den großen Gütern Rassepferde gezüchtet wurden. Dieses Rennen bedeutete für die jungen Leute stets ein besonderes Vergnügen, da es ihnen Gelegenheit gab, vor den Señoras und Señoritas ihre Reitkünste zu zeigen.

Nun bestand seit undenkbaren Zeiten der Brauch, die Landleute aus den Bergen, von denen man wußte, daß sie sowohl hinsichtlich ihres Pferdematerials als auch ihrer Reitkünste mit den Llaneros nicht konkurrieren konnten, zu diesem Rennen einzuladen. Die Einladung wurde stets abgelehnt, aber gleichzeitig mit einer Einladung zum Wettschießen beantwortet, wobei die Montaneros sehr wohl wußten, daß die Bewohner der Ebene dabei den kürzeren ziehen würden. Und auch diese Einladung wurde stets höflich abgelehnt. Der uralte Brauch beeinträchtigte die fröhliche Geselligkeit in keiner Weise.

Die Reiterspiele begannen. Für die Damen und die älteren Herren waren im Schatten hochragender Bäume bequeme Sitzgelegenheiten errichtet worden; die ganze Bevölkerung des Lagers war versammelt.

Eröffnet wurden die Spiele mit einem Ringstechen, darauf folgten allerlei Reiterkunststückchen, wobei vor allem staunenswerte Leistungen im Lassowurf gezeigt wurden. An all diesen Dingen beteiligte Alonzo sich nicht; er hatte im vergangenen Jahr verschiedene Preise davongetragen. Dagegen hatte er für das Reiten auf ungesattelten Pferden, den Glanzpunkt des Festes, seine Beteiligung zugesagt und zu diesem Zweck einen von ihm selbst zugerittenen Fuchs mitgebracht.

Siebzehn junge Leute aus angesehenen Familien, alles vorzügliche Reiter auf edlen Pferden, nahmen an der Veranstaltung teil. Die Aufgabe bestand darin, die rauhe, ungeebnete Bahn entlangzusprengen, einen Pfahl zu umkreisen und zurückzujagen. Das Ziel befand sich vor der Damentribüne.

Die schlanken Reiter auf den wundervollen Pferden boten ein prachtvolles Bild. Auf das Startzeichen hin sprengten sie gleichzeitig los. Das Gelände war ungünstig, zeigte Büsche und Vertiefungen, die Hauptschwierigkeit aber bestand darin, den fest eingerammten Pfahl zu umkreisen.

Drei Pferde stürzten bereits vorher; zwei Reiter wurden abgeworfen, ehe nur der erste den Pfahl erreichte. Als dieser die Wendung eben mit großer Eleganz vollführt hatte, prallten die drei Nächstfolgenden dort so hart aufeinander, daß einer das Rennen aufgeben mußte und das Pferd eines anderen zu Boden geworfen wurde. Die Nächsten kamen ziemlich glatt herum, Alonzo als letzter.

Kaum aber hatte dieser den Pfahl hinter sich, da beugte er sich über die Kruppe seines Pferdes, flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr und begann nun überhaupt erst, seine Kraft zu entfalten. Vor ihm stürzten Reiter, Pferde strauchelten und blieben zurück. Noch liefen sieben Pferde vor ihm. In Sekunden hatte er vier überholt und hatte nunmehr nur noch die drei besten Reiter vor sich. Die Aufregung der Zuschauer war unbeschreiblich, als die vier sich jetzt auf ungefähr gleicher Höhe dem Ziel näherten.

Allen voran war der junge Leon Castillo auf seinem Rappen, in weitem Umkreis als der beste Reiter bekannt. Alonzo aber begann nun seine ganze Kunst zu entfalten, in einigen Sprüngen nahm sein Fuchs zwei der Vorreiter, vierhundert Schritt waren es noch bis zum Ziel, zwanzig Schritt vor ihm ritt Leon Castillo.

Eine kleine muldenartige Vertiefung liegt vor den Reitern. Castillos Rappe, dem sein Reiter nicht rechtzeitig die Sporen gegeben, gerät mit den Vorderhufen hinein; wie ein Pfeil schießt der Fuchs an ihm vorbei. Unter dem tobenden Viva! der Zuschauer und dem begeisterten Tücherschwenken der Señoritas geht er zwei Pferdelängen vor dem Rappen durchs Ziel.

Doña Juana Mendoza überreicht dem stürmisch bejubelten Sieger einen Lorbeerkranz und dem jungen Castillo einen schön verzierten silbernen Becher.

»Das nächste Mal mache ich's, Don Alonzo!« sagte Leon Castillo.

»Ich bin überzeugt«, entgegnete Alonzo, »es war ein Zufall, daß ich als erster durchs Ziel ging.«

Und freundschaftlich schütteln sich beide Sieger die Hände.

Nicht lange danach nahte sich eine Deputation der Montaneros und lud die Señores und Señoritas als Zuschauer beim Wettschießen ein. Wer sich selbst mit der Büchse versuchen wolle, sei herzlich willkommen.

Es wußten nur wenige, daß Alonzo Vivanda ein Meister der Büchse war. Diejenigen, die darum wußten, redeten ihm eifrig zu, und da er Wert darauf legte, sich auch unter den Bergbewohnern Freunde zu schaffen, entschloß er sich, die Einladung anzunehmen. Die Bereitschaft erregte nicht geringes Staunen. Seit Jahren hatte es kein Llanero mehr gewagt, es mit den Schützen der Berge aufzunehmen. Doch wurde der Señor de Vivanda selbstverständlich mit großer Herzlichkeit willkommen geheißen.

Alonzo ließ sich Büchse und Kugelbeutel holen und begab sich, von seinen Gefährten begleitet und mit dem Gefolge einer stattlichen Anzahl Hazienderos und ihrer Damen, zu den Schießständen.

Hier war das Vorschießen bereits beendet. Mehr als hundert Schützen hatten auf hundert Schritt Entfernung nach der Scheibe geschossen. Elf von ihnen hatten die für das eigentliche Schießen vorgesehene Bedingung, von sechs Schüssen dreimal das Zentrum zu treffen, erfüllt. Alonzo mußte, um teilnehmen zu können, die Bedingung nachträglich erfüllen.

Die Ordner und Richter am Schießplatz empfingen den jungen Haziendero mit einem Lächeln; die Niederlage des Llaneros schon beim Vorschießen schien ihnen sicher. Die Nachricht, daß der Sieger im Pferderennen sich auch beim Schießen beteiligen werde, hatte sich mit Windeseile verbreitet; scharenweise waren die Menschen zu den Schießständen geströmt. Unter ihnen befand sich auch Sancho Tejada, von seinem Peon begleitet. Alonzo wurde mit den Bedingungen des Wettkampfes bekanntgemacht. Er durfte sechsmal nach der hundert Schritt entfernten Scheibe schießen. Traf er dreimal das Zentrum, durfte er als Zwölfter an der Hauptentscheidung teilnehmen. Die elf bereits Ausgewählten begrüßten den neuen Bewerber mit leicht ironischer Höflichkeit und dankten ihm für die Ehre, sich mit ihnen messen zu wollen.

Alonzo, mit gleicher Höflichkeit dankend, lud seine Büchse. Er wolle sein Bestes tun, sich solch ausgezeichneten Schützen gewachsen zu zeigen, sagte er.

Er hob die Büchse, zielte kurz und schoß. Zentrum! zeigten die Beobachter an.

Das erregte nicht geringes Aufsehen, hatten doch alle gesehen, daß der Schütze kaum gezielt hatte. Doch der trat bereits wieder mit der geladenen Büchse an. Er hob sie und schoß. Zentrum! tönte es von der Scheibe herüber. Die allgemeine Aufregung stieg. Ein Llanero, der so schoß? Das konnte kein Zufall sein.

Der dritte Schuß fiel, und wieder hatte Alonzo kaum gezielt. Zentrum! zeigte die Scheibe an.

Die Llaneros wußten sich nicht zu lassen vor Freude, und die Montaneros zeigten ernste Gesichter. Das war ja ein Schütze ersten Ranges, dieser junge Llanero!

Sancho Tejada machte ein sehr nachdenkliches Gesicht. »Das ist ja sonderbar«, murmelte er vor sich hin. »Wo hat der Bursche das gelernt? In den Llanos gewiß nicht; so schießt man nur in den Bergen.« Die funkelnden Blicke seines Peons gewahrte er nicht. Da Alonzo die Vorbedingungen zum Wettkampf erfüllt hatte, rüsteten sich nun die zwölf Schützen zu der eigentlichen Aufgabe. Jeder Schütze hatte drei Schüsse. Es gab bald ausgezeichnete Ergebnisse, trotzdem traf nur einer von zehn einmal das Zentrum. Dreihundert Schritt sind, wenn man frei aus der Hand schießen soll, eine bedeutende Entfernung.

Christiano Montez und Alonzo de Vivanda waren als letzte übrig geblieben. Don Christiano galt bisher unbestritten als der beste Schütze auf ähnlichen Veranstaltungen. Alonzo hatte von den anderen erfahren, daß dessen Braut anwesend sei, in der Hoffnung, ihn als Sieger begrüßen zu können. Auf Alonzos Vorschlag hin vereinbarten beide, daß nicht jeder seine drei Schuß hintereinander abgeben sollte, sondern daß sie Schuß um Schuß abwechselnd feuern wollten.

Don Christiano begann; er zielte sehr sorgfältig. Zentrum! wurde von der Scheibe gemeldet. Lauter Jubel erhob sich bei den Montaneros.

Auch Alonzo Vivanda schien diesmal sehr genau und sorgfältig zu zielen. Der Schuß fiel und – Zentrum! meldete die Scheibe. Eine lebhafte Bewegung entstand. Das waren zwei Schützen!

Christiano Montez aber schoß auch zum zweiten Mal Zentrum. Das sollte ihm einer nachmachen! Die Montaneros tobten vor Begeisterung. Lächelnd trat Alonzo vor, und auch seine Kugel saß wieder mitten im Ziel. Lautlose Stille antwortete. Das hatte niemand erwartet. Die Freunde Alonzos waren so erregt, daß sie darüber das Trampeln und Klatschen vergaßen.

Als Don Christiano zum dritten Mal vortrat und die Büchse hob, zitterte seine Hand; er zielte sehr lange. Und er hatte einen ausgezeichneten Schuß zu verzeichnen. Zehn Ringe! meldete die Scheibe.

Alonzo trat vor, und nun hätte man eine Stecknadel fallen hören können; die Menschen wagten kaum zu atmen. Der Schütze, dessen Hand mit der Büchse verwachsen schien, zielte diesmal noch sorgfältiger. Der Schuß krachte und – neun Ringe! wurde gemeldet. Die Kugel saß haarscharf neben der Don Christianos.

Der Montanero war damit Sieger. Alonzo war der erste, der ihm mit liebenswürdigem Lächeln gratulierte. Christianos Gesicht war dunkelrot angelaufen; er schüttelte den Kopf. »Ihr habt mich geschont, Ihr habt absichtlich schlechter geschossen«, stammelte er.

»Ich werde mich hüten, einen solchen Schützen zu schonen«, lächelte Alonzo. »Beruhigt Euch, Señor, der Preis ist ehrlich verdient. Ich bin stolz darauf, ihn dem besten Schützen der Berge beinahe streitig gemacht zu haben.«

Die liebenswürdige Bescheidenheit gewann ihm im Sturm alle Herzen, denn da waren noch mehr Leute, die aus dem sorgfältigen Zielen und dem Sitz der Kugel schlossen, daß Alonzo den Rivalen nicht des Preises berauben wollte. Christiano Montez erhielt die prachtvolle Büchse ausgehändigt, die als Preis ausgesetzt war, und beide Schützen wurden mit Lobsprüchen überhäuft. Grenzenlose Freude und maßloser Jubel herrschte bei den Llaneros, die bisher noch nicht erlebt hatten, daß einer der Ihren beim Schießwettbewerb beinahe gesiegt hätte. Die Montaneros, ordentliche Männer, denen der Neid fremd war, hießen Alonzo in ihrer Mitte herzlich willkommen und wetteiferten untereinander, ihm Liebenswürdigkeiten zu erweisen. Sancho Tejada aber schüttelte um noch vieles nachdenklicher den Kopf, Wer hat dem Burschen das Schießen beigebracht? fragte er sich. Es war offensichtlich, daß hier ein Geheimnis obwaltete, das er gerne enträtselt hätte.

Alonzo de Vivanda saß im Kreise heiter beschwingter Menschen. Um ihn herum ertönten zur Gitarrenmusik fröhliche Lieder; zahllose Paare drehten sich im Tanz. Selbst die sonst so trübselig und stumpfsinnig dreinschauenden Indios schienen von dem festlichem Treiben angesteckt; als man sie mit Fleisch und Schokolade bewirtete, tauten sie vollends auf.

Die ausgelassene Stimmung wurde plötzlich gestört, als in der Ferne ein Reiter sichtbar wurde, der mit der letzten Kraft seines Pferdes, im Sattel wankend, in aller Eile den Festplatz zu erreichen strebte. Das konnte nichts Gutes zu bedeuten haben; alles sprang auf, wirre Rufe tönten durcheinander:

»Seht da! Was bedeutet das?«

»Ein zuschanden gerittenes Pferd!«

»Der Mann wankt ja, kann sich kaum noch im Sattel halten.«

Der Tanz wurde unterbrochen, die Gitarren schwiegen; aller Augen waren auf den Reiter gerichtet, der allem Anschein nach vom Gebirge kam. Dicht vor den Zelten brach das Pferd des Reiters zusammen; der Mann kam glücklich aus dem Sattel, er hinkte heran. Alonzo aber war blaß geworden; er kannte den Mann. Es war einer der Peons Señor Vivandas, einer von denen, die den Herrn in die Berge begleitet hatten.

»Don Alonzo!« rief der Mann, »Don Sebastian!« Letzteres galt dem Administrator, der nun ebenfalls herankam.

»Mann, was gibt's? Rede doch!«Aber der Peon konnte zunächst vor Erschöpfung nicht sprechen. Alonzo war um ihn bemüht; der Administrator war blaß wie die Wand.

Man gab dem Reiter Wein zu trinken; er erholte sich bald. Unter dem atemlosen Schweigen der Versammelten berichtete er, die Señorita Elvira habe, im Schütze eines Jägers der Hazienda, einen Spaziergang in den Wald gemacht. Plötzlich seien sie von Indianern überfallen worden; der Jäger habe sich mit dem Mut der Verzweiflung gewehrt und eine schwere Verwundung davongetragen, Doña Elvira aber sei von den Banditen davongeführt worden. Don Alonzo, der Administrator und die in Naëva versammelten Vaqueros sollten unverzüglich zu Señor Vivanda kommen, der krank daniederliege.

Lähmendes Entsetzen breitete sich über die festliche Versammlung.

»Das waren die Aimaràs!« rief ein junger Montanero; »es wird höchste Zeit, daß mit den Räubern aufgeräumt wird!«

Der Administrator wußte sein Entsetzen kaum zu verbergen, seinen Zorn kaum zu meistern, Alonzos Antlitz glich einer Maske; kein Muskel regte sich darin.

»Wann geschah der Überfall?« fragte er sachlich.

»Vorgestern abend.«

»Gut.« Er wandte sich dem Administrator zu. »Nehmen Sie sich des Burschen an, Don Sebastian«, sagte er, »lassen Sie mir den Rappen satteln und die Vaqueros aufsitzen, Mundvorrat und Munition nehmen; wir reiten unverzüglich.«

Der Administrator ging eilig zur Stadt zurück, um die erforderlichen Anstalten zu treffen.

»Wir begleiten dich, Don Alonzo«, riefen die jungen Männer aus den Llanos, »wir holen die Señorita zurück.«

»Ich danke euch«, – Alonzo schüttelte den Kopf – »ich danke euch herzlich für eure Bereitschaft, aber es hat keinen Sinn. Ihr seid die Berge und Felsen, die kalte Höhenluft nicht gewöhnt und würdet bald unterliegen.«

»Nimm uns mit, Don Alonzo«, rief Christiano Montez. »Wir kennen die Berge und haben schon lange ein Wort mit dem Raubgesindel dort oben reden wollen. Wer ist dabei, Companeros?«

An die dreißig Leute, junge, wetterbraune Gestalten, drängten sich herbei und erklärten ihre Bereitwilligkeit, sich an dem Zug zu beteiligen.

Alonzos Antlitz leuchtete auf. »Ich nehme euer Anerbieten dankbar an«, sagte er. »Nur Bergbewohner können in jenen Schluchten mit den schlauen Wilden kämpfen. Also laßt uns satteln und reiten; es ist keine Stunde zu verlieren.« Augenblicklich begaben sich die Montaneros zu ihren Pferden, um alles für die Fahrt vorzubereiten. Alonzo aber ging zur Stadt zurück und fand vor seinem Quartier den Administrator und die Vaqueros zum Abreiten fertig. Er ging in sein Zimmer, kleidete sich in seinen Jagdanzug, nahm Kugelbeutel und Pulverhorn an sich, steckte die Machete in den Gürtel, warf den Poncho um, nahm die Büchse und erschien bereits nach wenigen Minuten wieder zwischen seinen Leuten.

Draußen fand er alle Freunde aus den Llanos und die älteren Hazienderos, die noch ganz erschüttert von dem Gehörten waren. Alle begleiteten die Reiter zur Stadt hinaus. Auf dem Festplatz fand Alonzo eine kleine Schar Montaneros bereits im Sattel.

»Wer von den Señores kennt den nächsten und besten Weg zum rauschenden Wasser?« fragte er. Es war dies der Name eines Baches, der in einzelnen Fällen aus den Felsen in die Ebene einbrach. Ein junger Mann meldete sich.

»Führen Sie uns, Señor«, sagte Alonzo.

Unter den guten Wünschen aller Anwesenden ritt Alonzo mit seinen Gefährten davon. Bald sank die Sonne über den Bergen, und dunkle Nacht entzog die Reiter den Zurückbleibenden.


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