Franz Treller
Der Gefangene der Aimaràs
Franz Treller

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Alonzo d'Alcantara

Vincente de Vivanda war mit einem beträchtlichen Gefolge nach Otoño zurückgekehrt. Den Llaneros, die ihm entgegengeritten waren, hatten sich mehrere angesehene Hazienderos aus den Bergen angeschlossen, und mit diesen kam auch der Mestize Antonio de Minas, dessen Vater ein begüterter und angesehener Mann war und den es nicht zu Hause gehalten hatte.

Der Raub der Señorita hatte ungeheueres Aufsehen erregt. Es war die erste Gewalttat dieser Art seit Jahren. Zwar, das Drama im Tal der drei Quellen war noch keineswegs in Vergessenheit geraten, aber nicht alle, die sich dieses Verbrechens erinnerten, waren überzeugt, daß es sich dabei um einen Überfall der Aimaràs gehandelt habe. Viele waren der Meinung, daß gemietete Bandidos den der republikanischen Partei gefährlichen Mann samt seinen Angehörigen beseitigt hätten.

Nun aber war die unglaubliche Verwegenheit der Wilden des Hochgebirges aller Welt offenbar geworden, und jedermann freute sich der gründlichen Züchtigung, die sie erfahren hatten. Der Name Alonzos war in aller Munde. Von Eugenio de Valla, der sich noch vor dem Aufbruch der Vivandas von diesen getrennt hatte, um nach Bogotá zurückzukehren, sprach man kaum. Der Name de Valla war in den Llanos nicht sehr beliebt.

Als der stattliche Zug sich der Hazienda Otoño näherte, strömte alles, was auf den Besitzungen der Vivandas lebte und arbeitete, herbei, um die aus furchtbarer Gefahr befreite Señorita zu begrüßen: die Vaqueros, die Feldarbeiter, Weiße, Rote und Schwarze. Besonders der Jubel der Farbigen war grenzenlos.

Fassungslos vor Freude hielt der Cura die Nichte in den Armen; er hatte die Erregung noch immer nicht überwunden. Mit einem herzhaften Druck reichte er Alonzo die Hand. »Gott hat dich in unser Haus geführt, mein lieber Sohn«, sagte er, »Ich bin gewiß, er wird dich vor allen Gefahren schützen.«

Die Hazienda beherbergte Hunderte von Gästen; der Abend vereinigte sie alle in dem mit Fackeln und Laternen erleuchteten Park zu einem fröhlichen Festmahl; rings um den eingefriedeten Raum lagen zahllose Indios, um dem seltenen Schauspiel zuzuschauen, und auch für ihre Bewirtung wurde reichlich gesorgt.

Der Name Alonzo klang von Mund zu Mund, und die Erzählungen von den Taten, die er in den Bergen vollbracht, wollten kein Ende nehmen. Der alte Cazador Geronimo besonders wußte sich vor Begeisterung nicht zu fassen. Er war von einem dichten Kreis lauschender Männer umgeben, denen er das in den Hochtälern der Anden bestandene Abenteuer zum besten gab. »Caballeros«, rief er, »seit vielen Jahren lebe und jage ich in den Bergen, in den Bürgerkriegen habe ich gefochten, und mit den Wilden habe ich mich auch nicht zum ersten Mal herumgeschlagen, aber einen so tapferen und kaltblütigen Capitano wie Don Alonzo habe ich noch nicht erlebt. Glaubt mir, Companeros, ohne ihn bleichten unsere Knochen schon in irgendeiner Felsschlucht.«

»Viva, Don Alonzo!« scholl es durch die Nacht. Alonzo hörte dem Lärm und dem Trubel, der um ihn herum veranstaltet wurde, mit reichlich finsterem Gesicht zu; dergleichen behagte ihm gar nicht. Doch war er höflich genug, sich den Begeisterten nicht zu entziehen.

Auf der offenen Veranda saß Doña Elvira mit einigen Damen der Nachbarschaft. Sie hörte dem Jubel rundherum mit schweigsamem Lächeln zu, aber auch ihr wäre es wohl lieber gewesen, wenn man ihre glückliche Rückkehr etwas weniger lärmend gefeiert hätte; die durchlebten Schrecknisse wirkten noch in ihr nach, und beim Gedanken an die wilden grausamen Gesichter der Bergindios schauderte sie noch immer zusammen.

Indessen draußen gefeiert wurde, hatte innerhalb des Hauses Vincente de Vivanda eine entscheidende Unterredung mit seinem Bruder, zu der bald auch einige vertraute Freunde und Antonio Minas zugezogen wurden. Es wurden sehr ernste Dinge besprochen.

Alonzo hatte in jäh ausbrechendem Stolz dem jungen de Valla seinen wahren Namen genannt; es war also nicht mehr nötig, das bisher sorgsam gehütete Geheimnis zu wahren; im Gegenteil, der Kampf mußte aufgenommen werden. Es war an der Zeit. Manche der gänzlich ahnungslosen Freunde hörten hier zum ersten Male von den mutmaßlichen Zusammenhängen sprechen, die zwischen dem Mord im Tal der drei Quellen und dem Staatsminister de Valla bestanden. Alle aber waren der Meinung, daß es nunmehr geboten sei, Namen und Abkunft Alonzos öffentlich bekanntzugeben. Das ganze Land mußte diese Zusammenhänge kennen. Es wurde beschlossen, sogleich zu handeln.

Die Männer betraten den Park, und Señor Vivanda, von seinem Bruder, dem Cura, begleitet, rief Alonzo zu sich. »Die Stunde ist gekommen, Alonzo«, sagte er, »die Leute müssen nunmehr erfahren, wer du bist. Es ist dir recht?«

»Ja«, erwiderte der und sah dem Señor ruhig ins Gesicht. »Es ist gut so. Sie sollen es erfahren.«

Vivanda verschaffte sich Gehör und bat seine Gäste, eine sehr ernste und sehr wichtige Mitteilung entgegenzunehmen. »Es ist niemand in diesem Kreise«, begann er, »der nicht von dem furchtbaren Unglück gehört hätte, das vor nunmehr zehn Jahren einen der besten Männer des Landes und die Seinen betraf. Ich spreche von Pedro d'Alcantara, der damals im Tal der drei Quellen ermordet wurde.« Eindringliches Schweigen folgte seinen Worten, Vivanda aber fuhr, mit etwas erhobener Stimme, fort:

»Wir alle glaubten damals, daß kein Mitglied des Hauses d'Alcantara dem Massaker entgangen sei. Wir haben uns geirrt. Don Pedros ältester Sohn, Alonzo d'Alcantara, entging dem Tode und wurde von den Wilden in die Berge verschleppt.«

Und wieder folgte Stille, aber nur fünf Minuten, dann brach ein wildes Gelärm los, Überraschungsrufe wurden laut, alles schrie durcheinander.

Don Vincente verschaffte sich Ruhe und wies auf einen neben ihm stehenden jungen Mann. »Dies ist Antonio de Minas, der Sohn des Alkalden von Albumarge«, sagte er. »Er wird euch erzählen, wie und unter welchen Umständen er Alonzo d'Alcantara traf.«

Der Mestize begann unverzüglich zu sprechen. Er berichtete, wie er vor fünf Jahren von den Aimaràs überfallen und verschleppt worden sei, um als Opfer des Aberglaubens unter den Schlachtmessern fanatisierter Priester zu sterben. Er und ein junger Caballero aus dem Norden namens Don Fernando. Er erzählte von dem gleichfalls seit Jahren gefangenen weißen Jungen, der kaum noch des Spanischen mächtig gewesen und der ihn und Don Fernando auf Grund seiner genauen Kenntnis der Örtlichkeit und der Sitten und Gebräuche der Aimaràs unter Einsatz des eigenen Lebens gerettet habe. »Dort steht jener Junge von damals, heute ein Mann«, rief er und wies auf den im Hintergrund verharrenden Alonzo, »Und nun werdet ihr begreifen, warum er Mittel und Möglichkeiten fand, Doña Elvira und den jungen de Valla aus den unzugänglichen Schluchten des Hochgebirges herauszuholen, eine Tat, die kein anderer hätte vollbringen können. Vor unseren Ohren hat der sterbende Kazike der Aimaràs bei seinen Göttern geschworen, daß er diesen selben jungen Mann vor zehn Jahren als einzigen Überlebenden aus dem Tal der drei Quellen davongeführt habe.«

Der Mestize schwieg; die leidenschaftliche Erregung seiner Zuhörer war über seinem Bericht von Minute zu Minute gestiegen. Nunmehr aber nahm Vincente de Vivanda wieder das Wort. Er berichtete, wie und unter welchen Umständen Alonzo vor fünf Jahren zu ihnen gekommen sei und daß schon damals der sterbende Gomez seine Identität bezeugt und verbürgt habe.

»Wir hatten Gründe«, schloß Señor de Vivanda, »den Namen d'Alcantara geheim zu halten. Er hätte in einer Zeit der Zerrissenheit und des wilden Parteigetriebes seinem Träger verhängnisvoll werden können. Diese Gründe aber bestehen nun nicht mehr. Hier, meine Freunde, steht Alonzo d'Alcantara, der Sohn des von euch allen verehrten Don Pedro. Er hat unter Einsatz des eigenen Lebens dem Sohn des Ministers de Valla das Leben gerettet und hat sich dadurch dessen Dankbarkeit und Freundschaft erworben.«

»Was Minister! Was de Valla!« brüllten die Männer. »Heil, Alonzo d'Alcantara!«

»Viva Don Alonzo! Salve sea d'Alcantara!« tönte es zum nächtlichen Himmel. Die Begeisterung der Südländer wollte kein Ende finden. Man drängte sich um Alonzo herum, schüttelte ihm die Hand und versicherte ihn unwandelbarer Treue und Anhänglichkeit.

»Brauchst du Arme, Don Alonzo«, schrie ein wettergebräunter Llanero, »dann rufe uns. Wir steigen in den Sattel und greifen zur Lanze, wenn du befiehlst!«

»Und wir zur Büchse, Capitano!« rief es aus den Reihen der Montaneros. »Du brauchst nur zu rufen, und wir alle sind da!«

Alonzo, sehr blaß, aber mit leuchtenden Augen und einem Herzen, dessen harten Schlag er im Halse spürte, drückte Hand um Hand.

»Freunde«, sagte er, »Freunde, ich danke euch. Ich gehöre zu euch.«

Elvira, die von diesen Zusammenhängen zum ersten Male erfuhr, stand blaß auf der Veranda, und ihre Hand krampfte sich um das Geländer.

Der Cura aber führte Alonzo zur Seite und legte ihm den Arm um die Schulter. »Bändige den Dämon«, flüsterte er ihm zu, »bändige den Dämon in deiner Brust, mein Junge!« Alonzo sah ihm mit einem stillen Blick in die Augen und drückte herzhaft die Hand des alten Mannes.


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