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11. Sten Halms Lebensgeschichte.

Ich sah über seinem Haupt denselben schrecklichen goldenen Schein …

Nach dem erschütternden Bekenntnis, wie wir es am Schluß des vorhergehenden Kapitels erzählt haben, saß der alte Mann lange schweigend mit halbgeschlossenen Augen da, und seine erschrockene Hörerin hatte nicht den Mut, ihn zu stören. Eine Uhr im Kabinett schlug zwei, und unterbrach dadurch die geheimnisvolle Stille. Lars Roderik, der auf seinem unbemerkten Platz geblieben war und, um es etwas bequemer zu haben, sich auf einen Mahagoni-Lehnsessel niedergelassen hatte, wußte nicht recht, was er von dem innern Zusammenhang dieser mystischen Geschichte denken sollte. Es schien ihm am natürlichsten, den Grund für diese vermeintliche Geschichte und die Versuchungen eines bösen Geistes in einer krankhaften Überreizung des Nervensystems zu suchen; dieselbe, so meinte er, habe fixe Ideen erzeugt und die Phantasie habe ihnen später eine äußere Existenz gegeben, wodurch diese beiden unglücklichen Menschen, Vater und Sohn, an den Rand des Wahnsinns gebracht wären. Aber wenn er es dann wieder hörte, wie der Alte mit einer so gewissen Überzeugung von diesen seltsamen Geschichten sprach und in allem andern einen so klaren, oft so scharfen Verstand an den Tag legte, so mußte Lars Roderik es doch einräumen, daß diese unglücklichen Geschichten, von denen man im übrigen ja denken konnte, was man wollte, jedenfalls für ihre beklagenswerten Opfer volle und schreckliche Realität gehabt hatten.

Der Alte strich sich dann mit der Hand über die Stirn, wie wenn er seine verwirrten Gedanken wieder auf den rechten Weg zurückführen wollte, und setzte seine Geschichte, wie folgt, fort:

»Als mein Vater starb, war ich schon lange auf Reisen im Ausland gewesen und hatte in einem berühmten Hause zu Madrid die Handelswissenschaft erlernt. Ich kannte damals noch nicht den wahren Grund für die Schwermut meines Vaters; ich erfuhr denselben erst mehrere Jahre später. Meines Vaters seltsame Launen schrieb ich auf Rechnung von Grübeleien, die selbst bei denen nicht ungewöhnlich sind, welche dazu keinerlei Grund haben, und ich kann nicht gerade behaupten, daß mich sein Tod sehr betrübte, denn er war ein strenger und in meinen Augen viel zu sparsamer Vater gewesen. Ich erbte ein bedeutendes Vermögen und hob es, sobald ich mündig geworden war, unter dem Vorwand, mit dem französischen Handelshause in Kompanie zu treten, aber in Wahrheit, um nach Paris zu reisen und dort in kurzer Zeit das ganze große Vermögen durchzubringen.

Es war im Jahre 1793, zur Zeit der berüchtigten Schreckensperiode, da das edelste Blut Frankreichs in Strömen unter der Guillotine floß, und die wahnsinnigste Gotteslästerung als Zeichen einer guten Erziehung und einer vorurteilsfreien Lebensanschauung angesehen wurde. Glaube nicht, daß man sich weniger amüsierte, weil man jeden Tag nur einige Schritte vom Schaffott entfernt war! im Gegenteil, je weniger man hoffen durfte, den folgenden Morgen zu erleben, um so mehr wollte man den flüchtigen Augenblick genießen. Ich hatte aus meinem väterlichen Hause keinen Glauben mit mir auf die Reisen in fremde Länder genommen, ich betete nicht einmal den Mammon an, und ward daher eine leichte Beute der Irrtümer jener Zeit. Mein Herz verhärtete sich nur noch durch den täglichen Anblick so vieler Schreckensscenen; ja, mein Kind, auch ich huldigte der traurigen Lebensweisheit: »Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.« Aber während ich nun diese Lehre in die Praxis umsetzte, sah ich plötzlich, daß es mit meinem Reichtum, den ich für ganz unerschöpflich gehalten hatte, am Ende war, und ich ward gezwungen, bei Nacht und Nebel die große Stadt zu verlassen, und alle ihre verführerischen Vergnügungen, alle ihre munteren Gesellschaften und leichtfertigen Sirenen zu opfern, um nicht einer Menge erbitterter Kreditoren in die Hände zu fallen.

»Ich floh; ohne zu wissen, wohin. Ich war des Lebens überdrüssig, aber »das große Unbekannte jenseit des Grabes« schreckte mich von der Sünde des Selbstmordes zurück. Es war um die Zeit, als die französische Armee dreizehn Armeen auf einmal ins Feld führte. Als der Morgen graute, befand ich mich in einer kleinen Stadt, aus der eine Schar junger Freiwilliger unter den Klängen der Marseillaise auszog, um sich mit dem Corps Pichegrus zu vereinigen. Mein Entschluß war gefaßt, ich ging in den Dienst der Republik und kämpfte in zwölf blutigen Jahren, zuerst unter Pichegru, später unter Bonaparte in Holland, Deutschland, Italien und Ägypten, bis ich in der Schlacht bei Austerlitz durch einen Säbelhieb am Kopf schwer verwundet ward und im Jahre 1806 meinen Abschied als Major erhielt. Während dieser zwölf Jahre hatte ich in der Schule des großen Napoleon einen Gott kennen lernen, für den ich lebte und kämpfte: die Ehre, aber ich wars nicht allein; die ganze französische Armee betete im Rausch ihrer Siege denselben Moloch an, obgleich derselbe Tausende und Abertausende in seinem feurigen Schlund verschlang. O, es war doch ein schöner Gott, mit hoher Stirn und edler Haltung. Mein Herz wird noch warm, wenns daran denkt. Schade, schade, daß er so blutig und so selbstsüchtig war! Der Gott, den ich später anbetete, war ein Ungeheuer von viel niedrigerer Art, aber, wenn es möglich wäre, noch selbstsüchtiger und seelenmörderischer.«

Hier trat wieder eine Pause ein, worauf der Alte fortfuhr:

»Warum sollte ich Dir die Wahrheit verbergen, – obgleich Du sie nicht ganz verstehen kannst? Nachdem ich meinen Abschied erhalten hatte, trieb ich mich einige Jahre mit einer kleinen Pension herum und wurde, weniger aus Neigung als aus Mangel an Beschäftigung, Spieler. Das forderte kein Blut, aber, glaubs mir, es mordete die Seele mit größerer Grausamkeit als das Schwert. Das Glück wechselte, und schließlich hatte ich meinen letzten Heller verloren. Da erinnerte ich mich meiner reichen Verwandten in Finnland und kehrte nach der Heimat zurück. Meine Mutter und mein jüngerer Bruder hatten unser Geschäft fortgesetzt und zahlten mir mein väterliches Erbe aus, mit welchem ich wieder wie zuvor spekulierte. Aber ich war zu stolz, um mit Teer und Holz zu handeln, ich wollte Millionen haben, spielte am Roulette des Hazardtisches – und verlor. Du hast vielleicht von einer Ladung Silber gehört und von einem Schiff, das in den Grund gebohrt ward …?«

Lisu schwieg. Sie wagte es nicht auszusprechen, daß ihr diese häßliche Geschichte nicht unbekannt war.

»Siehst Du,« fuhr der Alte schwermütig fort, »man kann der Ehre gedient haben und sich doch so tief unter die einfachsten Begriffe eines unwissenden Bauern von Ehre und Gewissen erniedrigen. Als das geschah, war ich schon in die Macht meines zweiten Gottes, des Mammon, gekommen. Ich habe ihn erst am Spieltisch kennen gelernt, aber von da streckte er auch seine Hände nach mir aus und ergriff mich unwiderstehlich wie ein Schicksal. Nach meinen mißlungenen Handelsspekulationen reiste ich wieder ins Ausland und trieb mich vier Jahre als Spieler von Profession umher. Ich war nun vorsichtiger geworden, berechnete mehr und gewann mehr – gewann sehr viel! Ich betete den Zufall an, in meinem einsamen Zimmer fiel ich auf meine Kniee und bat die Glücksgöttin um ihren Segen … o der menschlichen Erbärmlichkeit! ich glaubte nicht an Gott, aber ich glaubte, wie alle Atheisten, an glückliche und unglückliche Vorbedeutungen, an all die Albernheiten, die der Aberglaube je ersonnen hat; ich glaubte vor allem an Glück und Unglück im Spiel. Ich punktierte und machte Aufzeichnungen, ich träumte und glaubte schließlich, ich hätte den Schlüssel zu der Kunst, immer zu gewinnen, gefunden. Aber sie betrog mich trotzdem wieder, die falsche Göttin, der ich diente. Während einer einzigen Nacht in Krakau verlor ich alles, was ich in den vorhergehenden Jahren gewonnen hatte, und wollte, da ich nur einen Gulden noch in der Tasche hatte, mein elendes Leben in der Weichsel enden, die schwarz und unheimlich unter den Fenstern des Spielhauses hinströmte.

In wilder Verzweiflung stürzte ich hinaus, um meinen Vorsatz auszuführen, da begegnete mir in der Thür ein kleiner alter Mann, der wie ein polnischer Jude gekleidet war. Seine dunkeln, tiefliegenden Augen schienen mich zu durchbohren, und ein höhnisches Lächeln spielte um seine dünnen Lippen. Ich hatte ihn öfter am Spieltisch gesehen und meinte bemerkt zu haben, daß ich in seiner Nähe meistens gewann. »Wohin?« fragte er gleichgültig. Ich hatte nicht den Mut, ihm zu antworten. »Sie haben verloren,« sagte er kalt. »Sie sind ein Narr und verstehen nicht, zu gewinnen.« »Es ist unmöglich,« antwortete ich, »ich habe alle Chancen des Spieles berechnet, und doch …« – »Und doch haben Sie eins vergessen,« fuhr er höhnisch fort. »Wer ein Ziel erreichen will, was es auch sein mag, der muß alles dransetzen, sich selber mit Leib und Seele. Und Sie glauben, das Gold allein sei eine Ausnahme, und man könne es mit geteiltem Herzen gewinnen! Gehen Sie, Sie verdienen es nicht, eine Bank zu sprengen?« – »Eine Bank zu sprengen?« wiederholte ich zitternd. »Und was muß ich denn thun, um das zu erreichen?« – »Nichts anderes,« antwortete der Jude, »als alle andere Liebe verschwören und keine andere im Herzen behalten als die Liebe zum Golde, taub und blind gegen alles sein, was nicht direkt oder indirekt zu diesem Ziele führt, kurz nur dafür leben und sterben. Können Sie das?« – »Ja,« rief ich, »Sie haben recht; ich kann es, und ich verspreche es, wenn Sie mir nur den Weg zum Ziele zeigen wollen!«

Wieder lachte der kleine Mann so spöttisch, daß mir das Blut in meinen Adern erstarrte. »Gehen Sie hin und spielen Sie,« sagte er; »halten Sie sechsmal auf Schwarz und dann jedes drittemal auf Rot. Das weitere ergiebt sich von selber.« – »Aber,« wandte ich niedergeschlagen ein, denn mein Stolz rang vergebens mit meiner Verzweiflung, »ich habe nicht mehr als einen einzigen Gulden.« – »Das ist genug,« sagte der Mann, »thun Sie, wie ich gesagt.«

In fieberhafter Unruhe kehrte ich an den Spieltisch zurück und hielt meinen letzten Gulden auf Schwarz. Er gewann. Ich ließ ihn liegen, hielt wieder auf Schwarz und gewann wieder. Nun hatte ich vier Gulden; ich ließ ihn immer liegen, und jedesmal verdoppelte sich der Gewinn. Nach den sechs ersten Malen hatte ich schon vierundsechzig Gulden, und nun fing ich nach meines Lehrers Anweisung an, jedes dritte Mal auf Rot zu halten. Ich gewann beständig, der Einsatz verdoppelte sich immer. Von hundert wuchs er auf tausend, von tausend auf zehntausend, von zehntausend auf hunderttausend. Es lag zu der Zeit französisches Militär in Krakau, man hatte Kontributionen ausgeschrieben, und Gold war im Überfluß da. Mein beständiges Glück ärgerte die Franzosen; sie verdoppelten den Einsatz, ebenso wie ich und – verloren. Am hitzigsten war ein junger Lieutenant; ich kannte ihn gut, er war ein Sohn meines ehemaligen besten Freundes und Kriegskameraden von Marengo, der mir dort sein Pferd lieh und von den Östreichern erschossen ward. Mir ahnte, daß der junge Mann die Kompanie-Kasse in Verwahrung habe. Wieder und wieder schwebte ein Wort der Warnung auf meinen Lippen: »Hüte Dich, junger Mann, ich muß gewinnen; Du stürzest Dich ins Verderben!« Aber ich dachte an die Bedingung des Juden, ich schwieg, und es kam so, wie ich es vorausgesehen hatte. Der junge Spieler verlor alles … Du verstehst nicht, mein Kind, was das bedeutet. Aber ich gewann mehr und mehr, ich sprengte die Bank, man holte mehr Gold, und wieder sprengte ich die Bank. Das Spiel endigte erst, als keiner außer mir noch einen Dukaten hatte, und als ich einen raschen Überschlag meines Gewinnes machte, fand sichs, daß die Summe ungefähr eine Million betrug …

Diese Menge Goldes und all die Banknoten konnte ich nicht gleich mit mir nehmen und mußte daher bis zum Morgen bleiben. Es kam kein Schlaf in meine Augen. Ich rechnete und rechnete. Während ich noch rechnete, graute der Morgen, und ich sah, wie man gerade unter meinem Fenster eine Leiche aus dem Strom zog. Eine schreckliche Ahnung durchzuckte mich, ich öffnete das Fenster, wandte den Blick von meinen Goldhaufen fort und erkannte die Züge des jungen Spielers wieder. – So hatte ich den Sohn meines Freundes und meines Retters, den ich hätte warnen können und doch nicht gewarnt hatte, selber gemordet! die aufgehende Sonne schien auf sein schönes, schwarzes Haar und auf sein bleiches Gesicht – ein kalter Schauer fuhr durch meinen ganzen Körper, denn ich sah … gerechter Himmel! … ich sah um sein Haupt denselben schrecklichen goldenen Schein, der meinen Vater verfolgt, – der ihn so grenzenlos unglücklich gemacht und ihn schließlich getötet hatte …«


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