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10. Was Lars Roderik sah.

Eine unzeitige Geburt ist besser als er …

Wer vor einem ungelösten, psychologischen Rätsel steht und sich außerdem durch die wenig schmeichelhaften Bemerkungen eines jungen Mädchens gereizt fühlt, wird eine unter andern Verhältnissen wenig lobenswerte Neugierde nicht allzustreng beurteilen. Lars Roderik Graberg öffnete ohne weitere Bedenken die innere Thür, die zu Frau Margaretas Schlafkammer führte. Die Angeln mußten gut geschmiert sein; denn auch diese Thür öffnete sich, gerade so wie die äußere, leise, fast unhörbar. Ein heller Schein glänzte dem Eintretenden entgegen. Eine mit einem Reflexionsschein versehene Lampe stand in gerader Linie mit den Schlüssellöchern der beiden Thüren, woraus er sich erklärte, daß ein Lichtstrahl in das dritte Zimmer fallen konnte.

Lars Roderik blieb still in der Thür stehen, und was er sah, nachdem sich seine Augen an das helle Licht gewöhnt hatten, vermehrte noch sein Erstaunen. Er befand sich in einem ziemlich großen Zimmer voll ausgesuchter Möbel, die von kostbarstem Holz gearbeitet waren; der ganze Fußboden war mit einem persischen Teppich bedeckt. Dieses Zimmer war indessen nur halb erhellt, da der Schein der Lampe von einem kleinen Kabinett herrührte, und wie wenn in diesem geheimnisvollen Hause alles allmählich erst an den Tag kommen sollte, so war dieses innerste Kabinett mit seiner reichen Ausstattung würdig, eines Fürsten Schlafzimmer zu bilden. Man sah Draperien von rotem Sammet mit seidenen Fransen, einen mit Perlmutter eingelegten Schreibtisch, eine hohe silberne Lampe und zwei marmorne, trefflich ausgeführte Büsten, welche die Kaiser Napoleon I. und Alexander I. darstellten. Lars Roderik bemerkte, wie trotz all dieses fürstlichen Luxus keine Spur von Gold oder Vergoldung oder nur von gelber Farbe in diesen Zimmern zu entdecken war.

In einem hohen Lehnstuhl am Schreibtisch saß der Kommissär Sten Halm. Er sah bleich und leidend aus, wie wenn er sich nach einer gewaltigen Gemütsbewegung gerade wieder gefaßt hätte. Lisu Halm stand vor ihm, und rieb eifrig die Schläfen des Alten mit einer wohlriechenden Essenz, welche ihren Duft über beide Zimmer verbreitete. Das zitternde Lampenlicht, welches von einem durchsichtigen Schirm mit einem Bilde von Napoleons Grab auf St. Helena gedämpft war, ließ die Gruppe in einem fast magischen Licht erscheinen, und der junge Student entdeckte nun zum erstenmal einen feinen, seelenvollen Ausdruck in dem Gesicht seiner schönen Cousine, das jetzt ganz anders aussah, als da er sie in dem groben Reiseanzug wiedersah, neben einer Mutter, die von der Natur offenbar dazu erschaffen war, in einer Marktboutique zu sitzen.

»Gehts Dir nun besser, Onkel?« fragte das junge Mädchen zärtlich besorgt, indem sie ein weiches, seidenes Kissen unter den zurückgelehnten Kopf des Alten legte.

»Es ist überstanden,« antwortete er, »ich bin jetzt nur noch sehr matt. Der böse Geist ist jetzt von mir gewichen, da mein guter Engel gekommen ist, um mich zu trösten. Magst Du mir etwas vorlesen, Lisu?«

»Was soll ich Onkel vorlesen?«

»Es liegt ein Zeichen in der Bibel, Kind. Schlag da auf und lies.«

»Das sechste Kapitel im Buch des Predigers?«

»Das ist richtig; lies!«

»Es ist ein Unglück, das ich sahe unter der Sonne, und ist gemein bei den Menschen. Einer, dem Gott Reichtum, Güter und Ehre gegeben hat, und mangelt ihm keines, das sein Herz begehret; und Gott ihm doch nicht Macht giebt, desselben zu genießen, sondern ein anderer verzehret es; das ist eitel und eine böse Plage. Wenn er gleich hundert Kinder zeugete, und hätte so langes Leben, daß er viele Jahre überlebte, und seine Seele sättigte sich des Gutes nicht, und bliebe ohne Grab; von dem spreche ich, daß eine unzeitige Geburt besser sei, denn er. Denn in Eitelkeit kommt er …«

»Lies weiter!«

»Denn in Eitelkeit kommt er, und in Finsternis fähret er dahin, und sein Name bleibet in Finsternis bedeckt, wird der Sonne nicht froh, und weiß keine Ruhe, weder hier noch da. Ob er auch zweitausend Jahre lebte, so hat er nimmer keinen guten Mut: kommt es nicht alles an einen Ort?«

Bei diesem Wort konnte das junge Mädchen nicht weiter lesen, die Thränen erstickten ihre Stimme. Der Alte sah sie wehmütig an. »Auch sie!« sagte er bei sich selber. »Das ist doch fast zu schwer!«

»Warum weinst Du, Kind?« fuhr er nach einer Pause fort. »Meinst Du, daß diese Worte wie glühende Kohlen auf das Herz des alten, geizigen Wucherers fallen? Und doch habe ich absichtlich diese und ähnliche Worte der heiligen Schrift gewählt; sie sind mein tägliches Brot, sie schlagen mich wie mit Peitschen und sind zugleich wie ein köstlicher Balsam in den Wunden. Trockne Deine Thränen, und höre mich an. Soll ich Dir einiges aus der Geschichte meines Lebens erzählen?«

Lisu schwieg. Lars Roderik, der sich schon zu schämen anfing, daß er lauschte, und gerade vortreten wollte, schloß ganz recht, daß ihm dies die Lösung eines Rätsels rauben würde, nach welcher es ihn schon lange gebrannt hatte, und er blieb unbemerkt auf seinem Platze.

»Du schweigst?« fuhr der alte Mann fort. »Du hast mich niemals nach meinem vergangenen Leben gefragt, und freilich, es wäre besser für Dich, wenn Du niemals erführest, wie tief ein armer Mensch fallen kann. Aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß auch Du mich verachten solltest wie alle andern. Verabscheue mich, Kind, ich habe nichts Besseres verdient, aber verachte mich nicht, Lisu, verachte mich nicht! Mein Gott, ich muß doch ein einziges menschliches Herz haben, das es weiß, nicht nur was ich gesündigt, sondern auch, was ich gelitten habe.«

»Kann es Onkel eine Erleichterung sein, wenn er mir sein Herz aufschließt, dann will ichs gern hören,« antwortete Lisu demütig.

»Ja, mein Kind, ich will mir denken, Du wärest mein Beichtvater. Die Liebe denkt nichts Arges; Du bist die reine Quelle, in die ich meine sündigen Thränen fließen lassen will. Aber verachte mich nicht! Alle, alle mögen es thun, nur Du nicht, nur Du nicht! Setze Dich hier auf den Schemel zu meinen Füßen, und sieh mich nicht an, sonst würde ich nicht erzählen können, es würde mich vernichten. So, ja, so ists recht. Nun höre eines Missethäters Beichte!«

Der Kommissär erzählte langsam und sich öfters unterbrechend:

»Mein Vater, Dein Großvater, war einer von den Klugen dieser Welt, aber trotzdem keiner von den schlechtesten, vielmehr hatte er in seiner Jugend ein gutes Herz. Aber nachdem er sich durch weise Sparsamkeit heraufgearbeitet hatte, wurde er hochmütig und meinte, er verdanke alles, was er erreicht habe, einzig und allein sich selber, und keinem andern. Da sandte Gott zu seiner Besserung die Tage, die ihm nicht gefielen, und er ward ärmer als der ärmste, aber das machte ihn nicht besser, sondern nur schlechter und schlechter. Da kam eines Tages der Versucher zu ihm und sagte: »alles, was Du verloren hast und mehr noch, kann ich Dir geben; sag nur, was Du haben willst.« Mein Vater antwortete: »Ich will Gold haben.« – »Nichts anderes?« erwiderte der Versucher höhnisch. »Du sollst haben, was Du verlangst, aber nur unter einer Bedingung.« – »Und die wäre?« fragte mein Vater. Der Versucher sagte: »Versprich mir, daß Du mir, wann ich auch komme, geben willst, was Du nächst dem Golde am höchsten in der Welt liebst.« Meinem Vater schauderte, aber da er einen brennenden Durst nach Gold hatte und seine verlorenen Güter so gern wieder gewonnen hätte, auch meinte, es gäbe nichts auf Erden, was er so sehr liebe wie das gelbe Metall, ging er auf die Bedingung des Versuchers ein. Von dem Augenblick wandte sich das Glück, und nach wenigen Jahren kam mein Vater von der größten Armut zu einem so großen Reichtum, wie man hier bei uns im Norden wohl kaum für möglich gehalten hätte.

Bald darauf verheiratete er sich, und seine Frau schenkte ihm einen Sohn, den er sich sehr gewünscht und den er herzlich lieb hatte. Mein Vater hatte damals schon das schreckliche Gelübde vergessen oder that wenigstens, als ob er es vergessen habe und sprach nur sehr verächtlich von dem Versucher als von einem alten Zauberer, der ihn einmal betrogen habe. Man weiß ja von derartigem nie recht, was es ist: es kann ein böser Gedanke sein, der ein sündliches Herz erfüllt und wie mit Menschenzungen spricht. Aber als der Knabe getauft wurde, sahen die Anwesenden, wie mein Vater plötzlich leichenblaß ward und sich bemühte, etwas wegzubringen, was auf dem Kopf des Knaben war. Da es ihm nicht gelang, kam er ganz außer sich, und bat die Umherstehenden, sie möchten ihm helfen, den goldenen Schleier zu entfernen, der sich um den Kopf des Knaben gelegt habe, so daß das Taufwasser denselben nicht berühren könnte. Meine Mutter und alle andern suchten ihn davon zu überzeugen, daß es eine Augenverblendung sei, die von der Morgensonne komme, die gerade durch die gemalten Kirchenfenster auf das Kind herabscheine, aber mein Vater blieb bei seinem Glauben, daß der Versucher seinen Erstgeborenen gefordert habe, und das Wasser der heiligen Taufe den Knaben nicht habe berühren können. Von der Stunde an ward mein Vater schwermütig und es kam ein solches Grauen vor allem Gold und allem Gelben über ihn, daß er es nicht sehen konnte, ohne in Raserei zu verfallen. Da aber der sündliche Geiz trotzdem seine Seele immer wieder auf böse Wege führte, geschah es, daß dasselbe Gold, welches er haßte und verabscheute, ihm zugleich lieber ward als alles andere, obgleich er es niemals anzusehen oder mit bloßer Hand anzufassen wagte. Ja, schrecklich, wenn das, was des Menschen Herz höchstes Verlangen ist, zur selben Zeit seinen tiefsten Abscheu hervorruft. Aber so ists immer mit den Götzen, die wir uns machen; sie haben alle eine Krone auf dem Kopfe, nach der wir begierig unsre Hände ausstrecken, und einen Stachel im Schwanz, der uns verwundet und uns zur Verzweiflung bringt.«

»Sah Großvater auch noch später etwas, was ihm solchen Schrecken verursachte wie am Tauftage?« fragte Lisa scheu.

»Das war so eine eigene Sache,« fuhr der Alte fort. »Wenn Dein Großvater mit der ganzen Kraft seiner Seele bei seiner Arbeit war und nur daran dachte, wie er Geld verdienen könne, dann hatte er einigermaßen Ruhe und sah kein Gesicht, nur daß er, wie gesagt, kein Gold sehen konnte. Aber sobald er seine Gedanken und seine Liebe auf etwas anderes richtete, ob auf Gott oder auf Menschen, kam das Gespenst wieder. Hast Du schon von dem alten heidnischen König gelesen, der die Götter bat, es möchte alles, was er anrührte, sich in Gold verwandeln?«

»Ich habe davon gelesen. Es heißt, daß schließlich auch alle Speisen in seinen Händen zu Gold wurden.«

»So weit kam es nun wohl nicht mit Deinem Großvater, aber ähnlich wars doch. Ging er zur Kirche und suchte andächtig seine Augen auf den Altar, den Prediger oder das Gesangbuch zu richten, so schien ihm alles wie vergoldet zu sein. Tröstete er seine Frau, herzte er seine Kinder, oder sah er irgend einen Menschen nur freundlich oder barmherzig an, gleich sah er über denselben einen goldenen Schein, der ihn wegtrieb. Alles, was er liebte oder nur gern hatte – das Zimmer, in dem er sich aufhielt, die Kleider, die ihm am besten zu passen schienen, der Hund, der seine Hand leckte, das Pferd, mit welchem er an den Winterabenden am liebsten fuhr – über dem allen breitete sich jener entsetzliche, bleiche goldene Schleier aus, den er bei der Taufe seines erstgeborenen Sohnes über dessen Haupt gesehen hatte. Denke Dir, Kind, welch furchtbare Qualen solch ein Mensch leiden mußte! Und niemand konnte ihm helfen. Oft wollte er in seiner Verzweiflung alles, was er hatte, den Armen schenken, aber er konnte es nicht; er war wie mit Ketten der Finsternis an das gebunden, was der Fluch seines Lebens war. Deshalb zog Dein Großvater sich von Gott und Menschen zurück, ward mit jedem Tage schwermütiger, aber auch geiziger, und zuletzt starb er in einem Anfall von Raserei, als er einige Dukaten sah, die in seinem Zimmer auf die Erde gefallen waren und auf die sein Auge fiel, als unerwartet Licht ins Zimmer kam.«

Hier schwieg der Alte. Die Erzählung hatte ihn offenbar angegriffen. Einige Minuten später fragte er plötzlich: »Verstehst Du mich nun?«

»Ich verstehe noch nicht, wie meines unglücklichen Großvaters Schicksal mit dem meines Onkels zusammenhängt,« antwortete Lisu mit niedergeschlagenen Augen.

»Ein Wort wird genügen, um Dir alles zu sagen. Dieser erstgeborene Sohn, den der Versucher haben wollte, und über dessen Kopf mein Vater zum erstenmal den goldenen Schein sah, der ihn später verfolgte, dieser Mensch, der von der Geburt an das schreckliche Kainszeichen des Goldes an seiner Stirn trug – der war ich!«


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