Ludwig Tieck
Ein Tagebuch
Ludwig Tieck

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17.

O unglückliches Schicksal! o verdammtes goldnes Zeitalter!

Ich möchte rasend werden, wenigstens närrisch. Wer weiß, ob ich's nicht schon bin!

Heute könnte ich in unaufhörlichen Ausrufungen schreiben; denn ich bin noch an keinem Tage meines Lebens so verdrüßlich gewesen, als eben heute.

Die Sonne ging so freundlich auf, ich dachte nichts weniger, als daß mir so ein verdammter Streich arriviren könnte. Aber just darum ist er mir gewiß arrivirt, weil ich an nichts weniger dachte!

Aller Trost, alle Philosophie verläßt mich.

Statt den Endzweck meiner Reise zu erfüllen, verwickele ich mich ohne alle Noth in alberne Abentheuer. Ich komme immer später zu meiner Geliebten zurück, ich verliere immer mehr Zeit, und noch obendrein –

Nein, es ist gar nicht auszusprechen!

O warum reiste ich aus? O warum nahm ich nicht ein Barometer oder Thermometer mit, der es mir jedesmal nachgewiesen hätte, wenn ich mich in der Nähe eines Narren befand. Sie sind bei Gott gar nicht von den übrigen ordentlichen Menschen zu unterscheiden. Ich ließe mich gern in diesen Freimäurer-Orden aufnehmen, um nachher nur die Meister vom Stuhl zu erkennen. – Aber das strenge Verhängniß nimmt mir die Bissen von dem Munde weg: und nicht allein das, es giebt mir nachher noch einen Schlag auf den Mund.

Ich bin jetzt ohne allen Scherz; denn meine Wunde schmerzt mich empfindlich. Ich habe nämlich ein Duell 358 gehabt, und die Spuren des goldnen Zeitalters, das ich neulich so lobte, sind an mir sichtbar genug. Es ist mir durch Fell und Fleisch gedrungen, und nun sitze ich hier und lamentire: und auch damit ist mir nicht einmal geholfen.

Ich begreife auch nicht, wie ich dazu kam; ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie sich der Streit entspann. Genug, es war derselbe Mensch, der mir neulich mit seinen politischen Grundsätzen so aufgefallen war. Er wollte heut verreisen, und ist nun auch schon wirklich fort. Wir kamen heut Mittag zusammen und er sprach wieder über die Art, wie er Europa eingerichtet wissen wollte. Ich gab ihm Recht, um seine ganze Meinung zu hören, und die kam nun wirklich erst recht umständlich an's Tageslicht. Mir war immer, als hörte ich den Gott Jouem aus meinem Simplicissimo reden. Kurz, ich wollte mein Tagebuch dann auch nicht ganz umsonst und pur zu meinem Besten geschrieben haben; ich holte es von meinem Zimmer, und las diesem Politiker mit ironischer Ernsthaftigkeit die ganze abgeschriebene Stelle vor. Er blieb ganz gleichmüthig; aber einige anwesende Personen, die uns zugehört hatten, lachten laut. Darüber wurde er böse, und es fiel ihm ein, ich könnte ihn wohl gar foppen. Vorher hatte er dem Jupiter in allen Dingen Recht gegeben und gemeint, der Kerl verstehe schon ein Ding einzurichten, wie es sich gehöre; jetzt aber schalt er ihn für einen unwissenden Esel, für einen Charlatan in der Politik, für einen Ignoranten, der den Henker von den jetzigen Aspecten verstünde. Er glaubte damit die übrigen von ihrem Lachen zu kuriren und sich zu ihrer Partei zu schlagen; ja um alles gut zu machen, wandte er selbst ein kleines 359 Gelächter daran, und sah sich dann mit einiger Zuversicht wieder um.

Ich ließ es mir einfallen, Jupiters Ehre zu vertheidigen und zu behaupten, er sei ein guter Politiker, und seine Idee mit dem unverwundbaren streitbaren Helden sei vortrefflich. Die Herren lachten von neuem, und der Mann, der Europa umarbeiten wollte, kam von neuem in Verlegenheit. Er half sich endlich auf dem kürzesten Wege: er wurde grob. Es ist wahr, es giebt kein unfehlbareres Mittel, sich aus der Verlegenheit zu ziehn, als dieses; denn gewöhnlich geräth überdies noch die Gegenpartei in Verlegenheit. So wäre es mir beinahe ergangen. Da ich aber wahrnahm, daß dieses Hausmittel, welches so vielen Hausvätern beständig zu Gebote steht, sich am Politiker so probat erwies: so kam ich darauf, es in meinen mißlichen Umständen ebenfalls zu versuchen. Er war ein Edelmann: wir forderten uns. Da es schönes Wetter war, gingen wir sogleich vor's Thor. Durch eine sonderbare Wendung erhielt ich eine Blessur am Knie. Mein Gegner reiste nach geendigtem Handel sogleich fort.

Wirklich habe ich mich durch Schreiben einigermaßen getröstet. Es ist ein großes Glück, daß ich noch schreiben kann. Wenn ich die Blessur nun am Arm empfangen hätte.

Freilich bin ich derjenige, der gestern noch dem Schweigen eine so feurige Lobrede hielt. Ich bin derjenige, der jeden Streit sogleich aufgiebt und seinen Gegner immer Recht behalten läßt. Mußte ich mir darum dies Tagebuch anlegen, um mir dadurch eine Wunde zu veranlassen? –

360 Der Chirurgus sagt freilich, sie habe nicht viel zu bedeuten, und ich glaube es auch recht gern. Aber warum ließ ich Simplicissimus den Simplicissimus nicht in Ruhe? Weiß ich denn nicht, daß die Menschen keinen Spaß verstehn, und daß ihnen dieser Genuß wahrscheinlich als ein Theil ihrer himmlischen Freude aufgehoben wird, wenn sie hier unten an der Ernsthaftigkeit gestorben sind? Um diese Freude nun hier zu haben, wäre ich darüber beinahe zu früh in die Himmlische versetzt worden. Was hätte Emilie dann wohl zu meiner allzugroßen Spaßhaftigkeit gesagt?

Alle Menschen trösten mich. Das ist mir in meiner Situation auch sehr fatal.



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