Ludwig Tieck
Ein Tagebuch
Ludwig Tieck

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6.

Zuweiten kann ich mich auf manche Wörter nicht besinnen, und das kostet mich denn mehr Nachdenken und Mühe, als wenn ich eine Menge von Schlüssen ausarbeiten muß. – Das Schließen ist meiner Seele überhaupt das leichteste, es ist nur das Unglück dabei, es führt zu nichts Rechtem.

Worauf ich mich heut gern besinnen wollte, war der Pietro de Cortona, der die schönen Kinder gemalt hat, die so überaus kindisch sind. Ich hätte nur dürfen ein Buch nachschlagen, allein das war zu umständlich, und so hab' ich mich denn darüber den ganzen Tag gequält. Ich habe einen guten Freund, der auch ein Maler ist, und der nicht viel von ihm hält; er hat viele Ursachen dazu, ich habe sie aber noch gar nicht umständlich wissen mögen. Aber nächstens will ich 319 weitläuftig mit ihm darüber sprechen, denn im Grunde bin ich neugierig darauf, was er gegen ihn hat.

Er ist jetzt todt, der gute Mann, und eins seiner Hauptverbrechen ist, daß seine Gewänder selten etwas taugen. Dieser Maler, mein Freund, und der noch lebt, heißt mit seinem Vornamen Ferdinand, ein Name, der zum Schreiben etwas zu lang ist. Ich weiß nicht, ob er wird unsterblich werden, er malt fast lauter Porträts, denn unser Zeitalter verlangt fast nur dergleichen. Er scheint es selbst nicht recht zu glauben, aber vielleicht ist das nur verstellte Bescheidenheit.

Ich kenne nichts Erbärmlichers, als die Bescheidenheit der meisten Menschen, und dabei weiß ich nicht einmal, ob die meinige etwas taugt. Bei den übrigen glaub' ich fast immer zu bemerken, daß es die unverschämteste Eitelkeit ist, die sie mit der Musik der Bescheidenheit akkompagniren, um sich einen noch größern Werth zu geben. Bei dem Maler ist es wohl nicht ganz so, aber er geht doch oft von der Blödigkeit zur stolzen Zuversicht über.

Ich will vielleicht einmal Reisen mit ihm anstellen, um die berühmtesten Gallerien anzusehn, denn ich möchte herzlich gern ein Kenner werden, und zwar so schnell als möglich. Ich sehe alles Gemalte mit so dummen Augen an, daß ich mich wahrlich vor mir selber schäme.

Dieser Maler Ferdinand ist darin ein sehr närrischer Mensch, daß er ein großer Enthusiast ist; ich glaube nicht, daß ich es werden kann. Man müßte einmal aus Neugier einen Versuch anstellen: aber es kann sehr schief ablaufen, es kann auf eine Art gerathen, die wahrhaft jämmerlich ist.

Wenn ich die Leute eintheilen wollte, so würde ich 320 sie in mich, in Emilien und die übrigen theilen. Die letzte Rubrik ist freilich etwas groß, aber ich könnte mir doch nicht anders helfen, denn Ich wäre ich selber, Emilie das Wesen, das dieses Ich zu dem ich selber macht, und dann kömmt drittens die Zugabe; ohne Emilien würde ich mich gewiß unter die übrigen verlaufen, und in Einer Rücksicht wäre das vortheilhafter und bequemer, denn es gäbe dann nur Eine Klasse; diese Eine Klasse wäre aber wahrhaftig gar nichts werth.

Ich seh es mir selber zuweilen an, daß ich ein ausgemachter Menschenfeind bin. Es soll nicht gut sein, man sagt es wenigstens allgemein. Es ist aber mit mir nicht zu ändern. – Und warum wäre es nicht zu ändern? – Ich dürfte ja nur ein paar Dutzend ungemein edle und große Menschen kennen lernen. – Aber da liegt eben der Hund begraben.

Ich hätte auch sagen können: da liegt der Haase im Pfeffer, aber die Redensart kam mir zu beißend vor; die andre ist aber auch nicht der Sache recht angemessen. Solcher Styl, wie ich ihn hier schreibe, ist überhaupt nur in einem Tagebuche erlaubt, das man zu seiner Besserung niederschreibt; der edle Zweck muß hier die unedlen Ausdrücke wieder gut machen.

Der Maler soll Emilien malen, aber dazu ist er gewiß zu ungeschickt: denn wer als ich versteht die ganze Holdseligkeit dieses Angesichts? und es nun vollends zu kopiren! 321



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