Ludwig Tieck
Ein Tagebuch
Ludwig Tieck

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15.

Heut hat der Maler ein großes Herzeleid erlebt; er hat nämlich einen andern Menschen, auch einen Maler angetroffen, mit dem er Streit und Zank angefangen hat. Ich habe gar nicht geglaubt, daß eine kriegerische Natur in ihm verborgen läge; denn ich habe ihn immer für sehr friedfertig gehalten.

Jener fremde Mensch behauptete nämlich: Pietro Cortona sey einer der größten Maler, die die Welt je hervorgebracht habe; die meisten andern berühmten Meister müßten ihm weit nachstehn; und das war für den Herrn Ferdinand zu schwer zu verdauen. Sie wurden recht grob gegen einander, und beide warfen sich Unwissenheit vor. Ich freue mich sehr darüber, wenn Leute heftig gegen einander werden; denn dann schimmert in unsre feine und überkultivirte Welt gleichsam noch ein Stückchen des goldnen Zeitalters herein, und erinnert uns an die verlorne Freiheit, die jedem erlaubte zu thun, 351 was er nur wollte. Suchen manchmal die Menschen gar das Faustrecht wieder hervor, so wird mir um so wohler; und ich wollte viel darum geben, wenn ich es mit bewirken könnte, daß in unserm Deutschland die edle Boxkunst eingeführt würde.

Es ist gewiß, daß man viel zu viel Politesse gewahr wird, darüber kann der wirkliche Mensch gar nicht zum Vorschein kommen, sondern er ist von Lebensart und Sitten so eingebaut, daß es uns schwer wird, ihn auch nur zu errathen. Deswegen ist uns jetzt die Menschenkenntniß sehr sauer gemacht, und viele Leute haben Recht, wenn sie eine eigne Wissenschaft daraus bilden wollen. Einen großen Nachtheil auf die Sitten hat es gehabt, daß man auch vom Theater die Schlägereien verbannt hat, und sehr wunderlich ist es, daß die Duelle dort noch erlaubt sind. Aber der Mensch ist in allen Dingen inkonsequent, und man sollte sich darüber gar nicht mehr verwundern: denn wahrhaftig, wenn sie konsequent wären, würden sie noch viel närrischer sein. Das was die meisten aus dem Stegreife thun, ist bei weitem noch das beste; es geräth ihnen auch immer am besten.

Der fremde Maler schien Unrecht zu haben; denn Herr Ferdinand machte die meisten Worte. Der andre wurde beinah zum völligen Stillschweigen gebracht, und mehr ist zum Siege der Gegenparthei nicht nothwendig.

Ich schweige gern in jedem Streite gleich still und gönne meinem Gegner den Triumph; denn die Menschen streiten gewöhnlich über das, was sie nicht wissen, wovon sie kein Wort verstehn, da thun sie sich am allerliebsten mit ihren kecksten Behauptungen hervor; 352 und freilich bin ich auch so. Ich bin aber meist selbst davon überzeugt und fange nur einen kleinen Streit an, um ihn gleich wieder fallen zu lassen. Ueberhaupt liebe ich das Schweigen mit Passion, am gewöhnlichsten wenn andre Menschen gern recht viel mit mir sprechen möchten. Es ist mit den Menschen umgekehrt, wie mit den Violinen, diese gewinnen, je mehr man sie ausspielt; ein Mensch aber, der so recht ausgespielt ist, das heißt, der sich recht durch alle nur mögliche Materien durchgesprochen hat (und so weit kommen die meisten schon im 23sten Jahre), ist ein unausstehliches Instrument. Kömmt über einen solchen ein Virtuose oder sogenannter guter Gesellschafter, gebildeter Mann, Mann mit Kenntnissen ausgerüstet u. dergl. und zieht alle Register des Instruments an, um seine Fertigkeit zu zeigen, so entsteht daraus ein Konzert, daß man davon laufen möchte. Wenn es sich thun läßt, laufe ich auch immer unter solchen Umständen davon.

Ich könnte einen Folioband über die Vortrefflichkeit des Schweigens schreiben; wenn ich gern über eine Materie spreche, so ist es über diese, und sie ist für mich auch unerschöpflich. O ihr vortrefflichen Heiligen Ostindiens! die ihr oft in eurer Lebenszeit kein Wort aussprecht, wie weise seyd ihr! Mit Euch muß es sich noch der Mühe verlohnen, sich zu unterhalten. Ihr habt gewiß den guten Ton völlig in Eurer Gewalt, zu Euch möchte ich reisen, um gute Gesellschaft aufzusuchen. 353



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