Ludwig Tieck
Ein Tagebuch
Ludwig Tieck

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3.

Wenn ein höherer Geist mich an diesen Bruchstücken meiner Gedanken schreiben sähe, so müßte ich ihm doch als ein wunderliches Naturspiel erscheinen. Es verlohnt sich überhaupt schon deswegen mit der Zeit einmal als Geist zu avanciren, damit man es an sich selbst erlebt, wie ihnen die Menschen vorkommen. Sie können ihnen aber unmöglich seltsamer erscheinen, als wie wir jetzt reciproce von jenen Geistern denken.

Im Grunde moquirt sich jede Kreatur über die andre; unsre Verehrung ist oft eigentliche Verachtung, ohne daß wir es wissen; ja, wenn der Wolf das Schaaf zerreißt, so ist das nur eine etwas andre Art, sich über das Schaaf aufzuhalten. So ist mir auch immer der Heringsfang, eben auch wie die Eroberung von Peru, vorgekommen. Die sogenannte Unmenschlichkeit ist nichts, als ein einseitiger Hang zur Satyre.

Daß ich dies alles festiglich glaube, wollte ich wohl mit meinem Petschafte bestätigen, wenn es nöthig wäre. 298 Wenn ich Leser hätte, so würden aber die meisten alles für Spaß halten.

Hätte man doch nur wenigstens das ausgemacht, in wie fern der Spaß der eigentliche wahre Ernst ist. Ich habe wenigstens so ein paar Gedanken darüber, und daher würde ich leicht daran glauben, aber ich fürchte nur, daß noch eine ziemliche Zeit vergehn wird, ehe dieser Satz allgemein verständlich ist. Allgemein, das heißt, nicht allgemein, denn etwas allgemein verständliches kann es gar nicht geben.

Aber wie kömmt das? – O wenn ich mir alle närrischen Fragen beantworten wollte, so hätte ich viel zu thun, vollends wenn sich die Antwort, wie hier, von selbst versteht.

Wenn ein höherer Geist also sich den Spaß machte, (denn diese werden doch wenigstens spaßen, da wir Menschen uns so wenig mit Ernst auf diese Beschäftigung legen,) mir von diesem Augenblicke an eine Menge merkwürdiger und seltsamer Begebenheiten zuzuschicken! Ich weiß es nicht einmal, ob ich mich darauf freuen könnte. Während der Verwickelung verliert man im Leben jedesmal den Verstand, wenigstens den Verstand, den man vorher und nachher hat; in nichts haben daher die Romanschreiber so gegen die Natur gesündigt, als wenn sie ihre Helden in den Begebenheiten ganz unverändert lassen, so daß sie und ihre Situationen immer von einander getrennt bleiben. Es ist vielleicht deswegen schwer, einen sogenannten unvollkommenen Charakter gut zu schildern, weil die meisten Schilderer selber an einem zu unvollkommenen Charakter laboriren.

Es ist fatal, daß ich mir allerhand will einfallen 299 lassen, aber es fällt mir immer gerade das ein, was ich gar nicht brauchen kann. Ich freue mich sehr darüber, daß ich nicht in der verdammten Situation bin, ein zusammenhängendes Buch zu schreiben.

So oft ich eine wunderbare Lebensgeschichte las, war mir immer der Moment besonders merkwürdig, in dem das Seltsame seinen Anfang nahm; dann dacht' ich mir den Menschen hinzu, der nun kein Wort davon wußte, und der die erste Begebenheit mit einer gleichgültigen Hand auffing. Nur konnt' ich mich mehrmal Tage lang ängstigen, daß es mit mir auch losgehn würde; kam dann vollends ein Brief, oder ein unerwarteter Besuch, so war die Sache für mich schon so gut, wie ausgemacht. Wenn ich nur nicht wieder in diese Krankheit verfalle.

Beiläufig! ich möchte das meiste in der Welt auf Krankheiten reduziren. Die Menschen, die ausgezeichnetes Glück oder Unglück haben, sind nur auf verschiedene Art krank. Aus keinem andern Grunde haben wir ja mit den Dummköpfen Mitleid, als weil wir ihre Krankheit einsehn, ja haben wir nicht auch einen gewissen Abscheu gegen die Verständigen? dies ist offenbar nichts anders, als die Furcht, angesteckt zu werden. Ein Mensch, der weite Reisen macht, ist ein Kranker, einer, dem viele wunderbare Begebenheiten begegnen, leidet nur an einer Krankheit. Von den religiösen Schwärmern geben die vernünftigsten und unparadoxesten Leser meinen Satz zu, so wie von allen Schwärmern, von den Poeten, Humoristen. Wer bleibt nun noch übrig, als die kalten vernünftigen Leute? Sie sind aber auch nur krank; der Beweis ist mir nur zu weitläuftig. Mit einem Worte, es giebt keinen einzigen Gesunden 300 unter uns, und das ist für diesen denkbaren Gesunden auch sehr gut, denn wir andern würden ihn mit Kuriren zu Tode martern.

Man sagt immer, es spiegelt sich ein großer Geist im Baue unsrer Welt ab. Das ist aber nicht wahr; denn der Satz widerspricht sich selber. Der Geist könnte unmöglich groß sein, der sich wie ein manierirter Dichter in einem so fehlerhaften Kunstwerke, als diese Welt ist, durchschimmern ließe; es folgt schon daraus ganz klar, daß ich mir in meiner eignen Seele, ohne Welt, einen noch größern Geist denken kann, und der Geist ist immer noch klein, dessen Größe wir groß nennen. Der Einfältigere ist hier der Wahrheit offenbar, wie vielmehr der Größe etwas näher, der gar keinen Zusammenhang wahrnimmt. – Auf die Art wäre auch zum Exempel Shakspears Geist größer, weil ihn noch gar zu wenige Leser aus dem Baue seiner Welt wahrgenommen haben: und das ist mir selber zu paradox.

Alles dies ist aber nur wahr, nachdem man es versteht. Da ich aber nur für mich selber schreibe, schaden mir wahrscheinlich ein Paar gefährliche Sätze nicht.



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