Ludwig Tieck
Ein Tagebuch
Ludwig Tieck

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2.

Das war es, was ich gestern vergessen hatte. Ich könnte nämlich aus meinen Bekenntnissen einen stehenden Artikel in einem der zu häufigen Journale machen. Es muß mir doch gewiß mit der Zeit irgend etwas begegnen, da ich eine so große Sehnsucht darnach empfinde: so lernte mich denn die lesende Welt bald kennen, und man würde immer eben so neugierig auf mich sein, wie auf die politischen Begebenheiten. Ich könnte auch meine Gesinnungen in einer ordentlichen Zeitung verarbeiten, das sollte mir niemand wehren; ich könnte mich ja als einen Spiegel aufstellen, nach dem die Deutschen sich besserten. Auf irgend eine Art muß man doch seinem Vaterlande nützlich sein, und bis jetzt hab' ich den Weg dazu noch immer nicht finden können. Es ist gar zu schwer, unserm sogenannten Vaterlande beizukommen, und wer nicht recht damit umzugehn weiß, verdirbt am Ende mehr, als er gut machen kann.

Ich war heut bei dem Fräulein Sternheim. Es kann wohl schwerlich anders sein, als daß ich sie liebe. Wenn man sich bei dem Worte nur mehr denken könnte! Aber auf der andern Seite, warum will 295 man sich bei allen Sachen etwas denken? Es ist die Schwachheit des Menschen, daß, weil er einmal gewisse sogenannte Gedanken im Kopfe hat, er diese Gedanken auf alles Mögliche anwenden will. Ich denke, diese Krankheit soll sich bei mir mit den Jahren ganz verlieren; denn bei den meisten alten Leuten treffe ich sie in einem weit schwächern Grade an. So giebt es Leute im Amt, die nie über ihr Amt nachgedacht haben, und sie verwalten es doch unvergleichlich; wie sehr sich unsre Prediger des Denkens entwöhnen, brauche ich kaum anzuführen, aber was das seltsamste ist, die eigentlichen Denker von Profession, und die deswegen angestellt und besoldet sind, damit sie denken sollen, auch diese vergessen sich am Ende.

Höchst lächerlich ist es, daß ich alles so niederschreibe, als wenn ich für einen Leser schriebe. Mit welchem unbekannten Er redest du unbekanntes Ich? Das Jämmerlichste an uns Menschen ist offenbar, daß wir alles förmlich treiben, sogar jeden Spaß, sogar in der Narrheit sind wir methodisch. So ist ein Sterblicher nicht im Stande, sich ein lumpiges Tagebuch anzulegen, ohne es sogleich auszuarbeiten; wenn wir wollen spazieren gehn, legen wir uns mühsam Gärten an und quälen uns mehr, als wir spazieren gehn; wenn wir einen Einfall haben, so währt es nicht lange, so ist ein ganzes System hinangewachsen, ja der Satan fügt es oft so, daß wir unsern ganzen Witz anwenden, um uns selber dumm zu machen. Es ist eine närrische Inkonsequenz! Aber ist es nicht wahr, daß wir am inkonsequentesten sind, wenn wir am meisten konsequent sind? Es ist sehr gut, daß ich nur für meinen eigenen Verstand schreibe, denn sonst müßte ich diesen Satz vielleicht 296 erklären, das heißt. nicht eigentlich erklären, sondern ihn nur einfältiger machen. – Ich wollte, es gäbe einige Bücher, die ganz so widersprechend geschrieben wären, als es diese wenige Zeilen zu sein scheinen.

Um wieder auf die Liebe zu kommen – (warum müssen wir auf alles kommen, warum verbinden wir nicht geradezu Gedanken mit Gedanken und verachten alle Uebergänge?) – so ist es nicht zu läugnen, daß dies Wort sehr gemißbraucht wird. Eigentlich brauchen wir so ziemlich alle Sachen falsch, aber mit unsrer menschlichen Sprache ist es doch am auffallendsten. Wir sind verkehrte Thiere, daß wir ewig unsre Sprache ausbessern und vollkommner machen, um nur im Stande zu sein, sie desto verkehrter anzuwenden.

Das Fräulein wird machen, daß ich ein rechter Narr werde. Man kann nicht alberner sein, als ich in ihrer Gegenwart bin, und doch bin ich gern in ihrer Gegenwart. Ich fürchte, daß ich sie liebe, ich fürchte noch mehr, daß sie mich lieben könnte, und doch wünsche ich nichts auf der Welt so eifrig. Zum neuen Jahre könnte mir ein Engel kein angenehmeres Präsent machen, als ihre Liebe.

Ich habe mich schon oft über den Stoicismus der deutschen Sprache geärgert. Angenehm, annehmlich. So sprechen wir gewöhnlich von den Gütern, die unser höchstes Glück sind. –

Ob die Menschen wohl in Masse klüger werden? Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht, aber mir ist nichts Gründliches und Befriedigendes darüber eingefallen. So geht es mir oft, wenn ich ein höfliches Bittschreiben an mich ergehn lasse, ich möchte mich doch über dies und jenes aufklären: auf meine tiefsinnige 297 Frage kömmt dann gewöhnlich eine kahle erbärmliche Antwort, die nicht einmal eine zweite Frage ist, worin der Briefsteller doch meistentheils thut, als wenn er mir unbeschreibliche Aufschlüsse gäbe. Man kann nicht mehr vexirt werden, als es mir von mir selber widerfährt.

Ich glaube, daß noch Niemand so schön gewesen ist und so liebenswürdig, als das Fräulein; sie heißt Emilie, und das scheint mir auch der schönste Name zu sein. Sie spielt unvergleichlich auf dem Flügel, sie singt auch dazu, mit einem Wort, sie ist vortrefflich.



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