Ludwig Tieck
Ein Tagebuch
Ludwig Tieck

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12.

O mir ist es sehr schlecht gegangen, und ich bin noch in Verzweiflung darüber. Wie schlägt es unsre besten Kräfte nieder, wenn unser gute Wille von den gefühllosen Menschen so sehr verkannt wird! Ich glaube wirklich, daß keine ächte Sympathie mehr in der Welt zu haben ist, obgleich so wenig ausgebraucht wird.

331 Ich war heut, wie ich es mit mir verabredet hatte, bei dem Manne, der mir Rath ertheilen sollte. Es war ein alter höflicher Herr, der mir selber die Thür aufmachte, als ich klingelte, woraus ich den Schluß zog, daß er eben nicht sehr beschäftigt sein müßte. Wir setzten uns. Ich trug ihm vor, daß ich so frei wäre, mir seinen Rath zu erbitten. Er wurde von Minute zu Minute höflicher und dienstfertiger, und ich hatte es mir schon lange ausgemacht, daß man alten Leuten eine große Freude damit macht, wenn man sich bei ihnen Raths erholt. Nun rückte ich nach und nach mit meinem Gesuch hervor, und der alte Mann wurde sehr ernsthaft. Ich trug ihm vor, wie es mir jetzt ungemein auf Narren ankomme, daß ich mich sonst zwar oft in Geldnoth, aber nie in dergleichen Verlegenheit befunden, er sei ansäßig und ein Landeskind, ob er mir nicht einige der hauptsächlichsten nachweisen könne. Ich sagte alles dies mit der größten Bescheidenheit, ohne Anmaßung, mit höflichem Ernst und mit einer Verbindlichkeit, die seinem Dienste, den er mir erweisen sollte, gleichsam zuvor eilte.

Mein Gesuch war geendigt. Es erfolgte eine Pause. Meine Erwartung war gespannt.

Mein Herr, fing der Mann an, indem er das Alter auf seinem Gesichte sehr geltend machte, ich weiß nicht, wie ich zu der Ehre komme, daß Sie sich unterfangen, mir derlei Spaß vorzutragen. Ich bin Rath in dieser Stadt und habe mich in den Wissenschaften etwas umgesehn, und soll Ihnen mit diesen Qualitäten Narren nachweisen? Sie kommen vielleicht eben erst von der Universität, und sind gesonnen, witzig zu sein: aber mein 332 bester junger Herr, so müssen Sie wenigstens unter den Leuten einen Unterschied machen lernen.

Ich fiel aus den Wolken. Ich betheuerte ihm bei allen Heiligen, es sei mein Ernst, ich hätte nur unglücklicherweise das Testament nicht bei mir, aber ich wollte mein Gesuch schriftlich von mir stellen, und er könne es alsdann als ein Dokument auf dem Rathhause niederlegen: aber mit dem allen richtete ich gar nichts aus, sondern er zog bald die Manschetten weiter vor, bald nahm er eine auf dem Tische liegende Zeitung in die Hand, so daß ich wohl einsah, er könne von meiner Noth durchaus nicht gerührt werden, und diese Bemerkung rührte mich desto mehr. Ich fing sogar an zu schwören, weil ich dachte, er möchte vielleicht ein Liebhaber davon sein; ich sagte ihm von meiner Liebe, und daß mich Narren zum höchsten Ziele meines Glückes führen könnten, aber nichts wollte bei ihm etwas verfangen. Er schien es ordentlich darauf angelegt zu haben, unerbittlich zu bleiben, und die Bearbeitung seiner Leidenschaften mißlang mir gänzlich. Ich setzte wirklich noch einmal an und suchte die mir in den Weg gelegten poetischen Schwierigkeiten zu überwinden, aber vergebens; es erfolgte nichts, als die mehr spitze als witzige Antwort, daß es schiene, als brauche ich nicht lange zu suchen, weil ich an mir selber ein so kostbares Exemplar besitze. Weiter war weder Witz noch Rath aus ihm herauszubringen.

Als er durch einen Zufall hörte, daß ich ein Edelmann sei, bat er mich wieder um Verzeihung, und das ärgerte mich mehr als seine Beleidigung; doch ließ ich ihm klugerweise davon nichts merken, sondern lenkte das 333 Gespräch auf die Literatur. Ich hatte ihm damit einen großen Gefallen gethan, denn er wurde nun ganz zutraulich, was ich nach dem vorhergehenden nie erwartet hätte. Er war ein großer Bewunderer unserer neuen deutschen Schriftsteller, besonders liebte er einen gewissen La Fontaine, dessen Witz und Humor ihn entzückte. Ich warf ihm ein, und that, als wenn ich dessen Schriften gelesen hätte, er schiene mir doch für einen Romandichter die Menschen so wie die Menschheit zu genau zu kennen: das sei nicht des Mannes Sache, antwortete der Bewunderer, und dieser Vorwurf sei im höchsten Grade ungerecht, so wie der, daß er die Alten oder Göthe nachzuahmen suche, er ahme höchstens sich selber nach, und das sei ihm erlaubt, weil er ein braver Mann sei, und weil das den Leser eben erst mit seinen Vortrefflichkeiten recht bekannt mache, wenn er sie in jedem neuen Buche wieder anträfe. Uebrigens seien diese Bücher vielleicht kein Futter für jenes unbekannte Thier, welches man kurzweg die Nachwelt zu nennen pflege; denn er, so wie das übrige gegenwärtige Zeitalter, äßen die etwanigen Kerne heraus, und sie schmeckten ihnen. – Ich erfuhr bei der Gelegenheit, daß dieser Mann an den Apollo und die Musen durchaus nicht glaube, sondern dergleichen unter die Fabeln der Vorzeit zu setzen pflegte, ja daß er die ganze Vorwelt so betrachtete und hinter sich legte, wie Kaufleute auf ihrem Ladentische die eingekommenen falschen Münzen zu nageln pflegen.

Was wohl aus unsrer jetzigen Gegenwart würde, fragte ich ihn, wenn hundert Jahre verflossen wären? – Er besann sich ein Weilchen und sagte dann: Liebster Freund, lassen Sie uns nur für die jetzige Zeit 334 handeln, denken und empfinden; es wird nachher wahrscheinlich auch Leute geben, die für ihre Gegenwart diese Mühe übernehmen werden. So gescheidt, wie wir jetzt sind, sind jene schwerlich; denn wir leben schon im Abfall der Zeiten und müssen schon zu den Brosamen in den Körben unsre Zuflucht nehmen, die die Siebentausend in der Wüsten übrig gelassen haben; die Zukunft muß vielleicht gar die Körbe anfressen.

Dergleichen Prophezeiungen hatte ich in diesem Manne durchaus nicht gesucht, daher verwunderte ich mich einigermaßen. Er schien es mit Vergnügen zu bemerken, und fuhr daher fort: er sei noch einer von dem alten bessern Geschlecht und habe Ballast genug bei sich, um von den jetzigen Wellen und Winden nicht umgeworfen zu werden, er sehe lieber etwas Solides für eine solche luftige leere Mahlzeit an, die in Engels Philosophen für die Welt der Sache so angemessen geschildert sei, als daß er ein einzigesmal die windigen Speisen für wirkliche in den Mund nehme; so befinde er sich wohl und sicher, und könne gleichsam die übrigen verspotten und beinahe über sie lachen, doch sei er im Grunde dazu wieder zu verständig.

Ich hörte mit einer Andacht zu, als wenn der delphische Apoll zu mir gesprochen hätte, und im Grunde war es mehr, denn jener hat vielleicht nie existirt. Ich empfahl mich endlich und nahm mir vor, nie jemand in meiner Bedrängniß um Rath zu fragen, um nicht für witzig zu gelten und nach und nach die ganze Menschheit gegen mich zu empören. –

Ich bin also nunmehr eben so weit, als ich war, – und doch ist man in einer Sache weit genug, wenn man 335 nur nicht zurückkömmt. Das wäre nun gar schlimm, wenn ich mich nach einigen Wochen hinter meinem jetzigen Anfange befände; und wer kann mir dafür stehn, daß es nicht so kommen wird?

Der Weg zur Tugend ist steil, das ist wahr, aber ich geh' jetzt auch auf keinem Blumenpfade.



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