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Siebzehntes Kapitel.

Als Desiré gegen Mittag nach Hause kam, fand er den Vater noch im Eßzimmer. Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, saß er auf demselben Fleck, stumpfsinnig vor sich hin starrend; wie von einem Alp gequält, blätterte er mechanisch in den Rechnungen, die ihm Vigneron gegeben hatte. Er bemerkte den Eintritt des Sohnes kaum, dieser aber erschrak furchtbar über das Aussehen des Vaters.

»Was hast du, Papa?« fragte er, ihm die Hand auf die Schulter legend. »Bist du krank?«

»Ach, du bist's!« murmelte Firmin zusammenschreckend. »Ja, mir ist sehr elend, da und da«, er legte die Hand an Brust und Stirne, »schmerzt's mich ... sie haben mich gemordet!«

»Wer?«

»Deine Schwestern! Ach, diese Elenden!«

Und nun begann er zu erzählen, was sich diesen Vormittag zugetragen hatte, und steigerte sich dabei wieder in höchste Aufregung.

»Ach, mir war, als ob eine Kloake geleert und ich damit bespritzt würde!« rief er außer sich. »Ich bin vergiftet!«

»Papa, Papa, so beruhige dich doch!« bat Desiré, die eigene Empörung niederkämpfend. »Sie sind beide schlecht, ich bin mir darüber längst klar ... suche sie zu vergessen – dein Sohn bleibt dir, auf meine Liebe darfst du bauen. Wir werden miteinander weiter leben und arbeiten, unser Geschäft wieder in die Höhe bringen ...«

»Nein,« seufzte Charmois, wieder in tiefe Erschöpfung verfallend, »es ist aus, ich habe keine Kraft mehr, ich bin fertig. Sie haben mich umgebracht, moralisch und geschäftlich ... Florence hat Schulden gemacht, die ich zu bezahlen versprach, die andre fordert Ausbezahlung ihres Pflichtteils, sie wird mich pfänden lassen. Ihnen ist's gleichgültig, ob ich auf dem Stroh verende und mir auch ... ich will nur Ruhe haben. Ich will zum Notar gehen und die Liquidation anmelden: die Chataigneraie, die Baumschulen, alle Immobilien und Mobilien sollen unter den Hammer kommen ... wird sich ja nett machen die Anzeige ... der Bürgermeister ...«

Schluchzen erstickte seine Stimme. Auch Desiré hatte Thränen in den Augen, aber er nahm sich zusammen, schloß den Vater in die Arme und küßte ihn auf beide Wangen.

»Nein, Papa! So darf man die Flinte nicht ins Korn werfen! Wie kannst du nur so kleinmütig sein? Bei deiner Thatkraft, deinem erfinderischen Geist ...«

»Alles dahin! Sie haben mir alles genommen.«

»Und ich werde dir's zurückgeben! Bin ich nicht auch noch da und kann ich dir nicht beistehen? Ueberdies weiß ich einen Ausweg ... kein Zollbreit Erde soll verkauft werden ...«

Da kam das Dienstmädchen herein, um den Tisch zu decken. Natürlich hatte sie am Morgen genug gehört, um vor Neugierde beinah zu platzen und ihre Herrschaft mit der Frechheit anzustarren, die jeder Dienstbote hervorkehrt, wenn er Unheil wittert. Schweigend setzten sich die beiden Männer einander gegenüber, doch den Artischoken, den weichen Eiern und dem kalten Braten, woraus das Frühstück bestand, widerfuhr wenig Ehre. Dem einen hatten die erschütternden Auftritte des Morgens den Appetit verdorben, dein andern schnürte die Angst vor dem, was er zu sagen hatte, den Hals zu. Seit gestern abend bereitete Desiré sich ja darauf vor. Im ersten Augenblick hatte es ihm geschienen, als ob die traurigen Vorgänge von heute früh ihm den Sieg erleichtern würden, weil sie die Not vergrößerten und die Rettung um so wünschenswerter machten. Aber je näher die Auseinandersetzung rückte, um so mehr bangte ihm davor. Mit innerem Schauder fragte er sich, wie der stolze, eigensinnige Mann seine Vorschläge aufnehmen würde, und die Gewißheit, daß er dem Vater neue Pein zufügen müsse, schnitt ihm ins Herz.

Firmin konnte keinen Bissen hinunterbringen, aber er trank hastig, um die ausgetrocknete Kehle anzufeuchten. Mit leerem Blick schweiften seine Augen durchs Zimmer, bis sie zufällig an einem Aquarell hafteten, das Desirés Schöpfung »Die schöne Sabine« darstellte. Da stand plötzlich jener Sonntag vor ihm, wo man an diesem selben Tisch seinen Orden gefeiert hatte, er sah die mit Blumen geschmückte Tafel, die schäumenden Sektgläser, den strahlenden Blick seiner Frau, als Desiré mit der neuen Rose zu ihm getreten war. Die Augen wurden ihm feucht und Desiré, der dem Blick des Vaters gefolgt war, konnte wohl erraten, was sein Herz bewegte. Schweigend waren sie vereint in wortloser Trauer, dann mieden sich ihre Blicke wieder ängstlich. Jetzt kam der Kaffee auf den Tisch, und damit waren sie von der Neugier des aufwartenden Mädchens befreit.

»Du sprachst vorhin von einer möglichen Lösung der Schwierigkeiten,« begann Charmois. »Ach, mein Junge, ich fürchte, das sind trügerische Hoffnungen! Aber einerlei, in meiner Lage wäre es unrecht, nicht nach jedem Strohhalm zu greifen – laß mich also hören, was du vorhast?«

»Gern, Papa, aber, bitte, höre mich ruhig an, stoße dich nicht an Einzelheiten, die dir etwa widerwärtig sein mögen.«

»Hm! Du bist ja sehr vorsichtig! So unvernünftig bin ich doch nicht, nur meinem Geschmack folgen zu wollen! Vorausgesetzt, daß dein Plan ausführbar und ehrenhaft ist, werde ich meine persönlichen Neigungen gern hintansetzen.«

»Es handelt sich nämlich ... auf die Gefahr hin, dich zu betrüben, muß ich dir offen und ehrlich bekennen ...«

»Du hast Sabine wiedergesehen?« herrschte ihn Charmois mit verdüsterter Miene an.

»Ja, Vater.«

Um Firmins Lippen zuckte es schmerzlich.

»Auch du, auch du verrätst mich!« murmelte er.

»Ich beschwöre dich, Papa, laß dir nur sagen, wie alles kam! Seit einem Jahr habe ich das Gebot der Mutter heilig gehalten; was es mich auch kosten mochte, ich vermied jede Gelegenheit, die wiederzusehen, die ich geliebt hatte und ... die ich noch liebe! Ach, Vater, man kann seinen Gefühlen Gewalt anthun, kann sie in sich verschließen, aber ändern, aus dem Herzen reißen kann man sie nicht!«

Der Vater nickte mit einem tiefen Seufzer, und Desiré schilderte nun den Zufall, der gestern ein Wiedersehen herbeigeführt hatte.

»Ich habe ihr offen gesagt, was mich ferngehalten hatte,« fuhr er fort, »und sie hat mir erklärt, weshalb sie Toucheboeufs Haus verlassen und sich zu ihrer Tante flüchten mußte. So sehr auch ich dagegen war, Vater, sie hatte zwingende Gründe! Und dann sind wir uns der alten Liebe wieder bewußt geworden.«

»Und habt den grausamen Vater verwünscht, der sich zwischen euch stellt!«

»Nein, Vater, ich habe dir nichts zur Last gelegt, sondern alles auf unsre geschäftliche Lage geschoben. Ich habe ihr vorgestellt, was uns seit einem Jahr betroffen hat, der große Hagelschaden, Mutters Tod, und ihr auseinandergesetzt, daß ich beim jetzigen Stand der Verhältnisse nicht an eine Heirat denken könne.«

»Das hat gerade noch gefehlt!« rief Charmois erbittert. »Diesem Mädchen, diesem Mädchen unsre bedrängte Lage anzuvertrauen, daß morgen ganz Saint-Saviol weiß ...«

»Ich habe keine Geheimnisse vor Sabine und sie hat keine vor mir. Daß sie nicht darüber spricht, ist selbstverständlich, nur ...«

»Nun, was nur?«

»Wir glaubten ohne Zeugen zu sein, aber ihre Tante hat alles mitangehört ...«

»Nun hat sich's vollends! Da bist du in eine Falle gegangen, Unglücksmensch!«

»Ob zum Glück oder Unglück wird sich zeigen, Papa!« versetzte Desiré. »Fräulein Nivard hat ein weiches Herz, unser Jammer hat sie gerührt und sie hat mir ganz aus freien Stücken Anerbietungen gemacht, die ich dir übermitteln soll.«

»Wahrhaftig? Nun, da bin ich wirklich gespannt!«

»Sabine ist ihre einzige Erbin und Fräulein Nivard will ihr, wenn wir uns heiraten, sofort eine Mitgift ausbezahlen, die hinreichen würde, dem Geschäft aufzuhelfen, die Gläubiger zu befriedigen und meinen Schwestern ihr Muttergut herauszuzahlen.«

»Ha, ha!« stieß Firmin zwischen den Zähnen heraus. Dann stand er auf, steckte die Hände in die Hosentaschen und ging mit großen Schritten im Zimmer hin und her.

»Und du hast natürlich mit beiden Händen zugegriffen?«

»Nein, ich habe nur gesagt, daß ich dir den Plan vorlegen wolle. Das ist jetzt geschehen und ich erwarte deine Antwort.«

Mit blaurotem Gesicht und großen, starren Pupillen pflanzte sich Charmois vor dem Sohn auf.

»Meine Antwort? Die sollst du haben und kannst sie der wohlthätigen Dame wörtlich bestellen! Lieber würde ich Steine klopfen oder betteln gehen, als meinem Geschäft mit dem Geld einer Dirne aufhelfen! Gerechter Gott! Muß es dahin kommen, daß Firmin Charmois' Sohn mir einen solchen Vorschlag übermittelt! Mir meine Zustimmung abkaufen lassen! Als Betriebskapital Dirnengeld! Nein, ich danke! Jetzt kennst du meine Meinung, jetzt kannst du mit deinem eigenen Gewissen zu Rate gehen.«

»Vater, ich glaube, daß ein Mensch von sechsundzwanzig Jahren heiraten kann, wie er will, vorausgesetzt, daß er auch die Verantwortlichkeit für diesen Schritt auf sich nimmt, darüber könnte ich mit meinem Gewissen leicht ins reine kommen, mein Herz aber ist zwischen dir und Sabine geteilt und möchte euch beide umfassen dürfen ... Wenn du solche Bedenken hast gegen den Ursprung ihrer Mitgift, so laß mich das Haus samt allen Verpflichtungen übernehmen. Dagegen kann sich dein Zartgefühl doch nicht auflehnen?«

»Dem deinigen macht es wohl nichts aus? Du hast ja alle Vorurteile gründlich abgestreift! Das Mädchen muß dich behext haben!«

»Durch ihre Schönheit, ja, und ihre Güte ...«

»Und Tugend wohl auch? Tugend muß unter Fräulein Nivards Schutz besonders gedeihen! Laß jetzt das Gerede – meine Schwiegertochter wird sie niemals! Diese Heirat unterbleibt ...«

Desiré sah den Vater forschend an, und da er ihm vom Gesicht ablas, daß weder eigener Vorteil noch Liebe zum Sohn diesen Eigensinn brechen würden, beschloß er, den stärksten Hebel anzusetzen, den er sich für den äußersten Fall aufgespart hatte.

»Und sie wird doch vollzogen werden, diese Heirat,« entgegnete er, »und zwar auf deinen Befehl ... sobald du alles wissen wirst!«

»Ist das noch nicht alles?« stöhnte der bedrängte Mann.

»Ja, nicht nur die Liebe, auch die Ehre gebietet mir, Sabine zu heiraten – ich bin es ihr schuldig geworden, Vater.«

Wie gebrochen sank der alte Mann auf einen Stuhl. Desiré hatte sich nicht verrechnet; der Ehrenmann, der Charmois durch und durch war, konnte eine solche Schuld des Sohnes nicht ungetilgt lassen.

»Also dahin ist es gekommen! So gründlich hat dich das Ehrgefühl verlassen ... ja, da hast du allerdings recht, daß jeder Widerstand vergebens ist. Was deine Schwestern der Welt zu reden geben, genügt, ein dritter Skandal und zwar der schlimmste von allen, weil dich als Mann eine viel größere Verantwortlichkeit trifft, darf nicht dazu kommen. – Ach, unsre Kinder! – Geh, geh, verkündige Fräulein Nivards Nichte, daß sich dein Vater einer Wiederherstellung ihrer Ehre nicht widersetze ...«

»Du willigst ein, Papa?« rief Desiré, in der Selbstsucht seiner Liebe die stumme Qual des Vaters übersehend.

»Ich willige ein.«

»Dank, hab Dank! Du bist ebenso gut als gerecht! Jetzt muß ich schnell zu Sabine, um sie aus der Spannung zu erlösen! Papa – laß dir erst einen Kuß geben!«

»Nein! Geh!«

Er stieß den Sohn von sich und dieser ging halb siegesfroh, halb von Gewissenspein erfüllt, während Charmois das Gesicht von neuem in die Hände vergrub und leise vor sich hin murmelte: »Jetzt habe ich niemand, nichts mehr auf der Welt.«


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