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Fünftes Kapitel.

Zwei Monate verstrichen und die Kirmes stand vor der Thür. Da der persönliche Schutzheilige von Saint-Saviol nur eine lokale Größe war, hatte man von alters her seine Ehrung auf den Marientag am fünfzehnten August verlegt; sie währte, mit dem Jahrmarkt verbunden, volle drei Wochen und verlieh dem Platz der Quinconces ein ganz verändertes Aussehen. Längs der Lindenreihe wurden Buden aufgeschlagen; eine Lebzelterei, ein Karussell, ein paar Schießstände, eine Riesenschaukel, ein Menschenfresser, zwei oder drei Glücksräder, das waren die sehr bescheidenen Genüsse, die hier geboten wurden. Die aus Paris Zugezogenen gönnten diesem harmlosen Fest denn auch kaum einen Blick und trugen ihre Mißachtung der Vorbereitungen dazu offen zur Schau, die Einwohner von Saint-Saviol aber, die nicht verwöhnt waren, freuten sich darauf, unterhielten sich vorzüglich und fanden es alljährlich »besonders gelungen«. Abend für Abend umlagerten Kinder, junge Burschen und Mädchen das Karussell und berauschten sich an der Tanzmusik und den schwindelnden Drehungen; das Geknatter von den Schießständen, das Gequiekse der Schaukel, das Geschrei der Ausrufer, alles erfüllte den Schatten der Linden mit Lust und Leben und erregte die Wonne der ländlichen Bevölkerung. Am Sonntag war natürlich das Gewühle und Gedränge am tollsten; Freunde und Verwandte aus der Umgegend kamen zu Besuch, und die fremden Gesichter erhöhten die Feststimmung. Konfetti wurden verkauft und das Fest zum Kampfplatz; die Fußgänger bewarfen die Reiter der hölzernen Pferde und aus der schwirrenden Scheibe flogen bunte Wolken von Tragantkügelchen, Haare, Hüte und Kleider der Umstehenden bepudernd, helles Gelächter, schrilles Gekreisch, flatternde Papierschnitzel erfüllten die Luft, bis um zehn Uhr Böllerschüsse die Eröffnung des »Balls« verkündigten. Bei der Einmündung der Kirchstraße stand zwischen hohen Masten mit bunten Wimpeln, von farbigen Lämpchen eingefaßt, das Zelt Collet, über dessen Eingang in Gasflämmchen die Aufschrift »Ball« erstrahlte und wohin alle Welt stürmisch drängte.

Am zweiten Sonntag faßte das geräumige Zelt gegen elf Uhr kaum mehr die Menge seiner Gäste. Rings im Kreis liefen Bänke, wo dicht gedrängt die Ballmütter und andre Zuschauer saßen, in der Mitte war die kreisrunde Musiktribüne und unermüdlich folgten sich die Tänze. Da man für jeden Tanz einzeln bezahlte, lag es im Vorteil der Unternehmer, daß sie sich rasch folgten, und die Tanzenden hatten nicht Zeit, zwischen den Touren aufzuatmen. Die jungen Mädchen und Frauen in hellen Sommerkleidern, meist ohne Hüte, trugen frische Blumen angesteckt, war doch für die meisten dieses Fest die einzige Gelegenheit im Jahr, wo man sich putzen und gefallen konnte, und jede wollte dazu ein neues Kleid haben. Zu den Hübschesten gehörte Sabine Panvert, nicht weil sie großen Staat gemacht hätte, sondern weil sie Geschmack hatte und gut gewachsen war. Ein silberner Kamm hielt das reiche, hoch aufgesteckte Haar fest, der Ausschnitt einer Bluse aus weicher weißer Seide ließ den schlanken biegsamen Hals frei und ein gestreifter hellblauer Rock umfloß die Gestalt in reichen Falten. Sie trug kein Schmuckstück, aber im Gürtel herrliche blaßgelbe Rosen, Desirés Gabe.

Dieser selbst, den ein gutsitzendes schwarzes Jackett vortrefflich kleidete, ließ kein Auge von der Geliebten und tanzte unaufhörlich mit ihr. Jetzt stimmte das Orchester zu einem neuen Walzer; beim ersten Ton legte Desiré den Arm um Sabine und sie glitten in wiegendem Schritt dahin, Vögeln gleich, die schon die Schwingen lüpfen, um sich über die Erde zu erheben. Sie tanzten beide gut und waren so aufeinander eingeübt, daß nur ein Wille beide Gestalten zu bewegen schien. Sabine lehnte, von Melodie und Bewegung gewiegt, in einem ihr noch unbewußten Wonnegefühl im Arm ihres Tänzers; ihr Köpfchen neigte sich auf seine Schulter, ein weicher zärtlicher Schimmer verklärte ihre Augen und die halb geöffneten Lippen ließen die weißen Zähne hervorleuchten.

»Wenn Sie wüßten, wie hübsch Sie sind!« flüsterte Desiré, sie leise an sich drückend.

»Nicht so laut!« gab sie ihm leise zurück. »Nehmen Sie sich in acht! Frau Vigneron sieht uns nach ... sie ärgert sich so wie so, daß ich tanze und sie bei den Müttern sitzt ... Sie sollten Ihre Schwester zur nächsten Tour holen!«

»Nein, ich tanze mit Ihnen, bis Sie meiner überdrüssig sind!«

»Die Aermste! Dann wird sie heute nicht zum Tanzen kommen!« sagte Sabine mit leisem Auflachen.

Toucheboeuf war mit seiner Spielgesellschaft vom Café herübergekommen und sah sich nach seiner Nichte um. Im Vorübergehen streifte er das junge Paar und nickte ihnen freundlich zu.

»Guten Abend, Kinder! Wollt ihr nichts essen?«

»Danke, wir tanzen lieber,« erwiderte Sabine fröhlich.

»Wie ihr wollt! Seid nur vergnügt.«

Er selbst trat an den Schenktisch, wo seine Freunde schon standen, ließ sich ein Glas Bier geben und stieß mit ihnen an. In dem Augenblick trat Prosper Vigneron, von seiner Frau herkommend, auf die kleine Gruppe zu. Der Herr Kanzleidirektor sah für seine Mittel auffallend menschlich und leutselig aus.

»Sieh einer den Leisetreter an,« bemerkte der Apotheker Blouet. »Den Hut schief und ordentlich schelmisch ... hat wohl etwas im Kopf ... nehmen Sie auch ein Glas Bier, Herr Direktor?«

»Danke, ich genieße nie etwas zwischen den Mahlzeiten,« versetzte der Beamte mit Würde, blieb aber doch bei der Gesellschaft und blinzelte den Getreidehändler aufmunternd an.

»Nun, Herr Vigneron, Sie sind ja recht aufgeräumt heute abend?« sagte Toucheboeuf spöttisch. »Angenehme Ereignisse im Ministerium? Bekommen wohl auch das rote Band, wie der Schwiegerpapa?«

»Nein, davon ist nicht die Rede ... wenn Sie sich aber so für amtliche Angelegenheiten interessieren, kann ich Ihnen eine Neuigkeit verraten ... die Straße am Abhang von Saussaies beschäftigt uns sehr.«

»So so!« sagte Toucheboeuf, die Ohren spitzend. »Haben die Ingenieure ihre ungeschickte Linie fallen lassen?«

»Daß ich nicht wüßte!« versetzte Vigneron mit seinem meckernden Lachen. »Die Sache scheint im Gegenteil im besten Gang zu sein.«

»Dann darf die Gemeinde gehörig in die Tasche greifen,« erklärte Toucheboeuf. »Der Eigensinn der Herren Ingenieure wird sie teuer zu stehen kommen, denn wir Grundbesitzer werden uns den Boden mit Gold aufwiegen lassen.«

»Das ist durchaus nicht der Fall! Ich wenigstens kenne einen, und zwar einen von den Meistbeteiligten, der sein Grundstück unentgeltlich abtritt.«

»Da bin ich aber doch neugierig, wie dieser weiße Rabe heißt,« sagte Toucheboeuf kichernd.

»Mein Gott, das kann ich Ihnen schon sagen,« versetzte Vigneron harmlos. »Dieser eine ist mein Schwiegervater und seinem Beispiel wollen mehrere folgen.«

»Firmin Charmois! Wenn er Ihnen das gesagt hat, hat er Ihnen einen netten Bären aufgebunden!«

»Ich weiß es nicht von ihm, sondern amtlich.«

Jetzt wurde auch Toucheboeuf unruhig; er biß sich auf die Lippen und seine Augen funkelten.

»Amtlich ... wieso ... wie meinen Sie das?«

»Sehr einfach! Ich habe den Brief in Händen gehabt, worin Firmin Charmois den nötigen Teil seines Grundstücks unentgeltlich anbietet unter der Bedingung, daß der Straßenbau gleich im Frühling in Angriff genommen werde. Ich bin sogar beauftragt, Bericht darüber zu erstatten. Ein Irrtum ist also ausgeschlossen, Herr Toucheboeuf!«

»Hol's der Teufel!« knirschte Toucheboeuf, die Hand schwer auf den Schenktisch fallen lassend, daß die Gläser klirrten.

Mit bleichem Gesicht drückte er seinen Hut auf den Kopf und stürmte, die Freunde betroffen stehen lassend, nach der andern Seite des Saals, wo Sabine tanzte.

Es war eine Quadrille, und als sie sich von einer tiefen Verbeugung aufrichtete, sah sie gerade in das verzerrte Gesicht ihres Onkels.

»Wo ist dein Mantel?« herrschte er sie an.

»Dort auf der Bank ... hinter dir ... aber was ist denn?«

Ohne Antwort ging er hin, holte den Mantel, warf ihn dem jungen Mädchen um die Schultern und sagte gebieterisch: »So und jetzt rasch nach Hause!«

»Aber, Onkel ...«

»Kein Aber ... wir gehen.«

»Ja, was ist denn? Ist dir nicht wohl?«

»Doch ... ich will nur fort ... komm!«

Während dieser hastigen Zwiesprache mußten die Tanzenden natürlich innehalten, und da ihnen Toucheboeufs Benehmen unverständlich war, murrten sie gegen diese Störung ihres Vergnügens, so daß Desiré sich ins Mittel legen wollte.

»Herr Toucheboeuf, unser Gegenüber wird ungeduldig ... lassen Sie uns wenigstens diese Tour ausführen ...«

»Sabine hat genug getanzt, besonders mit dir!«

»Herr Toucheboeuf ...« stammelte der junge Mann, zu Tod erschrocken, »wie kommen Sie dazu, mich zu beleidigen?«

»Wie ich dazu komme? Das frage deinen Vater, der kann es dir erklären!«

Damit kehrte er ihm den Rücken, faßte Sabine am Arm und zog sie aus dem Zelt.

Mit ein paar Schritten waren sie in ihrer Wohnung. Toucheboeuf schloß auf und warf die Hausthür heftig hinter sich und der Nichte zu. Dann steckte er eine bereitstehende Kerze an, öffnete die Flurthür, ließ Sabine vorangehen, schloß sorgfältig ab und folgte ihr ins Wohnzimmer. Das Dienstmädchen war schon zu Bett gegangen, das Haus ganz still; schweigend zündete Toucheboeuf die Hängelampe an, bot seiner Nichte den Leuchter hin und befahl: »Geh zu Bett!«

Aber Sabine, die sich indessen ihres Mantels entledigt hatte, warf den Kopf zurück, sah ihm unerschrocken ins Gesicht und erklärte mit fester Stimme: »Nicht eh' du mir gesagt hast, was dieser Auftritt vor aller Welt zu bedeuten hat.«

»Ach so, du verlangst Gründe! Nun, du sollst sie haben! Ich habe dich nach Hause gebracht, weil du genug und übergenug mit dem jungen Charmois getanzt hattest, und dich nicht weiter mit ihm einlassen sollst. Begreifst du das?«

»Nein! Du hattest nichts dagegen, daß er mich auf den Ball führte; vor einer halben Stunde erst hast du uns zugerufen, wir sollten recht vergnügt sein, und gleich darauf fährst du wie eine Wetterwolke auf uns los, beleidigst meinen Tänzer und sagst mir, ich dürfe mich nicht mit ihm einlassen. Da du keine Wetterfahne bist, sondern ein Mann, der aus Gründen zu handeln pflegt, so bitte ich um Aufklärung über diese.«

»Die soll dir werden! Der alte Charmois hat mich aufs gemeinste hintergangen, und jede Beziehung zwischen dir und dem Sohn dieses Tropfs soll ein Ende haben!«

Sabine schwieg betroffen; da mußte ein sehr ernstes Zerwürfnis eingetreten sein. Mit geballten Fäusten und vorgestrecktem Kopf, wie ein Stier, der den Feind auf die Hörner nehmen will, lief Toucheboeuf jetzt im Zimmer hin und her und machte seiner Entrüstung Luft.

»Ja,« brüllte er, »wie ein Schurke hat sich dieser Scheinheilige aufgeführt! Das nennt sich einen anständigen Menschen, das läßt sich noch für Rechtlichkeit und Uneigennützigkeit anstaunen und schämt sich nicht, sein Wort, nein, Eide zu brechen! Während ich ihm meine Bundesgenossenschaft antrug, hat er wie ein Maulwurf die Erde durchwühlt, um meinen Plan zum Einsturz zu bringen! Vertraut habe ich dem Kerl ... aber er soll es büßen ... Eloi Toucheboeuf ist nicht der Mann, den man ungestraft hintergeht! Diesem Blumenhändler ist das Leben ein wenig zu leicht gemacht worden ... er soll die Dornen an seinen Rosen kennen lernen ... ich werde sie ihm gehörig ins Fleisch drücken ...«

Jetzt fuhr er auf die Nichte los und packte sie derb am Handgelenk.

»Vor allen Dingen hat das Geschwätz und Gegirre mit Desiré ein Ende! Ich verbiete dir, mit ihm zu sprechen, ihn zu treffen, wo es auch sei ... zwischen uns und den Charmois gähnt jetzt ein Abgrund, in den ich den Herrn Rosenzüchter dieser Tage stürzen werde und worin er sich den Hals brechen kann!«

Damit zerrte er das junge Mädchen gewaltsam vor den Spiegel am Pfeiler, und als sie fassungslos auf ihr eigenes aschfahl gewordenes Gesicht starrte, setzte Toucheboeuf hinzu: »Sieh dich nur genau an! So wahr du dein Bild im Spiegel erblickst, so wahr wirst du für jeden Ungehorsam gegen mich grausam bestraft werden ... Wage es nicht, dich zwischen mich und meine Rache stellen zu wollen, und wenn du es doch thust ... so hüte dich! Jetzt weißt du, woran du bist, und kannst gehen!«


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