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Elftes Kapitel.

Firmin fand es an diesem Abend etwas ungemütlich, den fragenden Blicken seiner Ehehälfte stand zu halten, und so nahm er nach dem Nachtessen Stock und Hut, um einen Spaziergang zu machen. Die frische Luft, so hoffte er, würde ihm die trüben Gedanken vertreiben, denn die Besuche seiner Töchter hatten ihn gerade nicht heiter gestimmt.

»Sie sind unersättlich,« überlegte er, »und wenn's so fort geht, werden wir Alten auf dem Stroh enden ...«

Die Aussicht, Großvater zu werden, erwärmte ihm allerdings das Herz, aber eine Gelegenheit, Verluste hereinzubringen, war sie auch nicht. Natürlich mußte er Patengeschenke machen, eine Wärterin bezahlen und die Taufe und Gott weiß, was man noch alles von ihm verlangen würde. Eine verfluchte Geschichte mit dem Geld! Es zerfloß ihm neuerdings unter den Fingern wie Schnee an der Sonne! Nur ein Glück, daß Desiré so anders geartet war als die Schwestern: der war fleißig, umsichtig, sparsam! Dank seiner Arbeitskraft würde das Haus Charmois gewiß die Krise überstehen und neu gekräftigt aufblühen, sobald die Wahl und ihre Folgen vollends überwunden waren. An diesen Sohn zu denken war ein Trost, dem er sich mit erleichtertem Herzen hingab.

Die letzte Abendröte tauchte die blühenden Erdbeerpflanzungen, die viel versprechenden Obstbäume und wogenden Kornfelder in bläuliche Schatten; vom Waldesrand herüber ertönte das Abendlied der Amseln. Firmin war bis an die ersten Häuser von Berrières gelangt und schlug nun einen grasüberwachsenen Fußweg ein, der ihn zur Pappelallee nach Antony führte. Die Dämmerung brach herein, am Himmel flimmerten schon ein paar Sterne, aber es war noch hell genug, um alle Einzelheilen zu unterscheiden, und als Charmois jetzt in die Nähe von Molés Grab kam, sah er einen jungen Mann und ein Mädchen aus dem Schatten der Bäume treten.

»Ein Liebespärchen! Stören wir sie nicht!« dachte er mit Wohlwollen und ging eine kleine Strecke zurück.

Als er sich wieder umdrehte, ward er aus der Ferne Zeuge ihres zärtlichen Abschieds, dann sah er das junge Mädchen die Richtung nach der Waldstraße einschlagen.

»Wenn das nicht Toucheboeufs Nichte ist!« fuhr es ihm durch den Sinn, und diese Vermutung wurde fast zur Gewißheit, als er jetzt in dem Liebhaber, der die Allee heraufkam, seinen leiblichen Sohn erkennen mußte! Ein Irrtum war unmöglich und auch ein Ausweichen, er mußte in den nächsten Sekunden an dem Baum vorüberkommen, hinter den der Vater getreten war, also dem Wolf in den Rachen laufen! In voller Arglosigkeit steckte sich Desiré eine Cigarette an und schritt rüstig aus, bis sich der Vater breitspurig vor ihm aufpflanzte.

»Papa!« entfuhr es ihm in jähem Schreck.

»Jawohl, dein Vater! Und es ist noch besser, er ertappt dich, als daß du vor einem Fremden erröten müßtest.«

»Ich brauche nicht zu erröten,« versetzte Desiré jetzt mit vollkommener Ruhe. »Namentlich nicht vor dir.«

»So! Wahrhaftig!« rief der Rosenzüchter, durch diese Ruhe noch mehr gereizt.

Er faßte Desiré am Arm und zog ihn abseits auf die Wiese hinein.

»Was wir uns zu sagen haben, sagt man sich besser nicht auf der Landstraße,« brummte er zähneknirschend.

Charmois war wütend, vornehmlich über die ihm gewordene Enttäuschung – hatte er doch vorhin noch mit Rührung an seinen Mustersohn, den guten Geist der Familie, gedacht! Dazu kam, daß ihn mit einem dumpfen Gefühl der Beschämung seine Schwäche gegen die Töchter bedrückte – jetzt wollte er seine väterliche Gewalt üben und zeigen!

»Du hast also die Beziehungen zu Sabine nicht abgebrochen?« hob er an.

»Nein, denn mein Gefühl hat sich nicht geändert.«

»Auch ein Standpunkt! Schämst du dich nicht, der Welt das Schauspiel zu geben, daß mein Sohn mit der Nichte meines Todfeindes eine Liebschaft unterhält?«

»Erstlich hüten wir uns sehr wohl, ein Schauspiel zu geben! Wir treffen uns von Zeit zu Zeit heimlich, niemand weiß darum ... wenn du uns nicht belauscht hättest ...«

»Ist mir nicht eingefallen, euch zu belauschen, der reine Zufall hat mich hergeführt. Uebrigens wäre es nur mein gutes Recht gewesen, denn hatte ich dir nicht verboten, Toucheboeufs Nichte je wiederzusehen?«

»Ja, Vater, das hast du,« versetzte Desiré gelassen. »Ich habe dir aber kein Versprechen gegeben, nur still geschwiegen dazu, weil ich dir in der Wahlaufregung nicht noch mehr Aerger bereiten wollte. Nun du Sieger geblieben, wirst du wohl Großmut üben, wirft die Gereiztheit gegen Toucheboeuf überwunden haben ...«

»Du findest es also ganz natürlich, in die Familie des Schurken einzutreten, der deinen Vater durch den Schmutz gezogen hat? Darin sind wir sehr verschiedener Meinung ... Toucheboeuf ist nach wie vor mein Feind, ich halte mein Verbot ausrecht.«

»Und ich kann dir nicht gehorchen! Was hat unsre Liebe mit Wahlhändeln zu schaffen! Ich habe Sabine geliebt, als Toucheboeuf noch dein Freund war, ich liebe sie heute noch ebenso ...«

»Aber ich verbiete dir eben, sie zu lieben!«

»Papa – du hast uns oft von deiner glücklichen Bräutigamszeit erzählt – wenn dir damals jemand verboten hätte, Regine Boncorps zu lieben, was würdest du ihm geantwortet haben?«

»Das ist ein andrer Fall! Der alte Boncorps stand sehr gut mit meinen Eltern ...«

»Aber die Liebe richtet sich nicht nach den Gefühlen der Eltern! Ich kenne dich und ich weiß, daß du ihm geantwortet hättest, eine ehrliche Liebe lasse sich nicht aus dem Herzen schneiden, wie ein wilder Trieb vom Rosenstamm, und daß du an deiner Regine festgehalten hättest!«

Tiefe Stille trat ein; es war so dunkel, daß die beiden Männer ihre Züge nicht mehr unterscheiden konnten; ihre Schritte hallten dumpf auf dem feuchten Wiesengrund.

»Das ist dein letztes Wort?« fragte der Vater mit erstickter Stimme.

»Ja, Vater.«

In Charmois tobte ein wilder Kampf. Die Ruhe und Hartnäckigkeit des Sohnes reizten ihn zum Aeußersten, er wollte in diesem Fall seine Macht behaupten und zögerte doch, eines jener Worte zu sprechen, die zwei bis dahin eng verbundene Herzen scheiden. In der Stille dieser lauwarmen Frühlingsnacht klang menschlicher Hader doppelt häßlich. Aber wieder das Familienhaupt sein, das sich an der Nase herumführen läßt? Das hatten seine Töchter genugsam besorgt, sein einziger Sohn, sein rechter Arm, sollte der ihrem Beispiel des Ungehorsams, der Auflehnung folgen? Nein!

Heiß stieg ihm wieder der Zorn zu Kopf. Einer verliebten Laune wegen wollte sein Trost, sein Benjamin, ins Feindeslager übergehen! Das war in seinen Augen ein Verrat, ein Verrat, der ihm noch unendlich weher that als der des Schwiegersohnes! Sie standen jetzt vor der dunklen Chataigneraie, wo nur aus dem ehelichen Schlafgemach noch ein Licht schimmerte. Charmois faßte das Ergebnis seiner schmerzlichen Gedanken in die heiser hervorgestoßenen Worte zusammen: »Deinem Eigensinn setze ich den meinigen entgegen, dann werden wir ja sehen – ich werde Mittel finden, eine Heirat zu verhindern, die ich sowohl für eine Schlechtigkeit als für eine Dummheit hielte!«

Damit riß er das Gartenthor auf und trat ins Haus, unbekümmert, ob der Sohn ihm folge.

Regine, die eben im Begriff war, zu Bett zu gehen, erschrak nicht wenig über den roten Kopf und die rollenden Augen, womit ihr Mann hereinkam.

»Mein Gott, Firmin, wie siehst du aus!« rief sie. »Was gibt's denn schon wieder?«

»Nichts Gutes!« brummte er, Hut und Ueberzieher auf einen Stuhl schleudernd. »Ich mache eben die Entdeckung, daß dein Herr Sohn die Liebschaft mit Toucheboeufs Nichte fortsetzt, und zur Rede gestellt, gibt er mir die Antwort, das Mädchen gefalle ihm und sie und keine andre wolle er zur Frau ... Hol's der Teufel! So lang ich lebe, wird er sie nicht kriegen.«

Stöhnend und brummend legte er sich zu Bett und that, um Fragen und Einwänden zu entgehen, als ob er schliefe. Aber der Schlaf wollte lang nicht kommen; erst als er ein Mittel gefunden zu haben glaubte, die Fäden zwischen Desiré und Sabine kurzweg abzuschneiden, schlummerte er ein wenig ein, um schon beim ersten Morgengrauen wieder hell wach zu sein. Sachte und vorsichtig schlüpfte er in seine Kleider, um Regine nicht zu wecken, und schlich sich dann hinaus.

Kaum färbte die erste Morgenröte den Himmel, da und dort stimmte ein Vogel sein Jubellied an. Die Luft war übermäßig warm und gewitterig, die Rosen hauchten berauschende Düfte aus. Einen Augenblick lockte es Firmin, sein Reich in diesem Morgenschimmer zu durchschreiten, aber die Möglichkeit, Desiré im Garten zu treffen, vertrieb ihn aus der Chataigneraie. Unschlüssig blieb er noch eine Weile am Ausgang stehen, dann wandte er sich links den Hügel hinab.

Seit die neue Gemeinderegierung am Ruder war, die vermutlich im Mai endgültig über die von den Ingenieuren vorgeschlagene Straßenlinie beschließen würde, kam Toucheboeuf gar nicht mehr aus seinem Himbeerwald heraus. Jetzt, da er eine gewaltsame Enteignung voraussah, arbeitete er aus Leibeskräften daran, den Wert seines Grundstücks noch wesentlich zu erhöhen, ja, er ließ zu dem Zweck sogar ein Treibhaus dort bauen! Charmois konnte demnach mit Bestimmtheit darauf rechnen, ihn jetzt schon hier zu treffen, und kaum, daß er auf den abschüssigen Feldweg eingebogen war, erblickte er eine nagelneue kleine Mauer, die das für die Erbreiterung nötige Grundstück quer durchschnitt. Schon erhob sich auf dem nach Morgen gerichteten Mäuerchen das eiserne Gerüst für die Gewächshausverglasung und, hell von der Morgensonne beschienen, stand Toucheboeuf davor. Die Augen mit der Hand beschattend, schien er Umschau zu halten, ob seine minder eifrigen Arbeiter noch nicht kämen.

Charmois und er hatten sich seit dem Wahltag nicht mehr gesehen und es war kein leichter Entschluß für Firmin, das Wort an den ›Todfeind‹ zu richten. Toucheboeuf sah ihn kommen, stehen bleiben und dann blickten sie sich eine Weile verlegen und verdrossen an.

»Aha, Herr Bürgermeister,« grüßte Toucheboeuf jetzt höhnisch, »du willst wohl deine Straße abstecken? Eilt nicht so sehr, mein Alter, da fließt noch mancher Tropfen Wasser in die Biövre, bis ihr den ersten Spatenstich machen könnt! Du siehst, eure Pläne machen mir so wenig Kummer, daß ich noch baue ...«

»Weil du dir einbildest, wir müßten dir dein Gewächshaus abkaufen! Auf den Leim wird die Kommission nicht kriechen, Verehrtester! Man wird sich hüten, ein Gebäude zu bezahlen, das eigens dazu errichtet wird, um uns zu chikanieren.

»Nur ein Glück, daß andre Leute die Gesetze auch kennen! Die Enteignung kann nicht vorgenommen werden, ehe die Notwendigkeit dieser Straße im öffentlichen Interesse nachgewiesen ist ... und wir werden beweisen, daß außer ein paar armen Taglöhnern kein Mensch etwas davon hat.«

»So, das werdet ihr beweisen! Versucht's nur – ihr werdet schön ankommen bei der Präfektur!«

»Oho! Man hat da noch allerlei Mittelchen! Wenn der Präfekt uns kein Gehör schenkt, gehen wir zum Minister, setzen die Abgeordneten, die Kammer in Bewegung ... wir werden dir mehr Prügel ins Rad werfen, als du Pfähle in deinem Garten hast. Wer weiß, ob du nicht mitsamt deinem zusammengelesenen Gemeinderat den Hals darüber brichst! Es ist noch nicht aller Tage Abend!«

Das war etwas mehr, als ein Bürgermeister sich sagen zu lassen braucht, und Charmois wurde dadurch in die richtige Stimmung versetzt, dem Gegner den Dorn ins Fleisch zu drücken.

»Statt solche Spitzfindigkeiten auszuhecken, höre lieber einen guten Rat an – ich bin eigens deshalb so früh ausgestanden.«

»Gott, wie rührend von dir! Nicht zu glauben! Nun, so pack ihn aus, deinen guten Rat – ich bin ganz Ohr!«

»Statt Gift und Galle zu speien über eine Straße, die man auch ohne deine Erlaubnis ausführen wird, thätest du besser, in deinem eigenen Haus nach dem Rechten zu sehen!«

Toucheboeuf warf einen scharfen, spähenden Blick auf den Sprecher, stellte sich aber gleichgültig und unbesorgt.

»So, was ist denn da viel zu sehen? Brennt's etwa?«

»Ja, es brennt – frag nur deine Nichte!«

»Meine Nichte! Was hast denn du mit meiner Nichte zu schaffen, wenn ich fragen darf?«

Er zuckte verächtlich die Achseln und fuhr mit überlegenem Hohn fort: »Du bildest dir etwa ein, sie kümmere sich noch um deinen Waschlappen von Sohn? Da kannst du ruhig sein! Sabine hat zum Glück Besseres zu thun und lacht dich mitsamt deinem Bengel aus!«

»Ob sie mich auslacht, weiß ich nicht, aber daß sie meinem Sohn nachläuft, weiß ich, und wenn du nicht immer in deinen Himbeeren herumwirtschaftetest, könntest du's auch wissen ... sie läuft ihm nach und gibt ihm jede Woche ein Stelldichein auf freiem Feld.«

Der Getreidehändler war sehr bleich geworden: seine Augen funkelten.

»Das ist nicht wahr!« rief er.

»Im Ableugnen von Thatsachen bist du ja bekanntlich groß, trotzdem habe ich die beiden gestern abend bei Molés Grab ertappt, und wenn du das Geschnäbel gesehen hättest, würdest du nicht behaupten, daß Sabine meinen Sohn lächerlich finde!«

Toucheboeuf starrte den Rosenzüchter aus weit aufgerissenen Augen an. Er kannte ihn ja viel zu genau, um an der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit des einstigen Freundes zu zweifeln. Unwillkürlich ballte er die Fäuste und biß sich auf die blutlosen Lippen.

»Mir ist die Geschichte auch in den Magen gefahren,« fuhr Charmois fort, »denn ich will diese Heirat gerade so wenig wie du. Statt also andern Leuten Prügel ins Rad zu werfen, sorge lieber, daß diese Liebschaft aufhört, es ist höchste Zeit! Meinem Desiré habe ich gehörig den Kopf gewaschen, aber Mann ist Mann, und du weißt ja, es heißt: ›Nehmt eure Hennen in acht, mein Hahn ist los!‹ So, nun weißt du, woran du bist, und kannst dich danach einrichten – guten Morgen!«

Damit kehrte ihm Charmois den Rücken und ging nach Hause.


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