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Achtes Kapitel.

Adeline Nivards Haus war von einem Pariser Bauunternehmer gebaut worden, der sich sehr gefreut hatte, einen Käufer dafür zu finden. Es war außen und innen mehr pomphaft als geschmackvoll. Majoliken in schreienden Farben umrahmten an der Vorderseite Fenster und Thüren, Treppenhaus und Flur wiesen im Verein mit billigen Glasgemälden denselben Schmuck auf, in allen Zimmern waren Spiegel mit überladenen Goldrahmen angebracht, und schreiend bunte Tapeten, die einem in den Augen weh thaten, bedeckten die Wände.

Gerade dieser zweifelhafte Geschmack und die unechte, aufdringliche Pracht hatten Adeline Nivard gefesselt, außerdem hatte das große Baumgut mit den Erdbeerbeeten sie gereizt. Auf dem Land aufgewachsen, hatte sie Freude am Obstbau, leitete und überwachte alles selbst und wußte ihre Ernte sehr vorteilhaft auf dem Markt in Paris zu verwerten, denn Geld war ihr von jeher nächst dem Vergnügen das Höchste gewesen und der Leichtsinn hatte sie nie gehindert, praktisch zu sein.

Sie hatte sich das Erdgeschoß mit dem Hausrat des verstorbenen Notars, ihres »Wohlthäters«, eingerichtet. Da sie große Angst vor Einbrechern hatte und das Haus für sie allein wirklich zu groß gewesen wäre, hatte sie den ersten Stock vermietet, und zwar an Herrn und Frau Vigneron. Auch Florence war von der schreienden Eleganz dieser Wohnung entzückt und fand sie obendrein günstig gelegen – so einsam, daß sie Besuche empfangen, ein und aus gehen konnte, ohne von einer Nachbarschaft beobachtet zu werden, auch war der Mietzins mäßig. Uebrigens fühlten sich die Beamtenfrau und Adeline Nivard merkwürdig zu einander hingezogen. Die Aeltere fühlte mit sicherem Instinkt die Vergnügungs- und Putzgier, gewisse gefährliche Anlagen bei Florence heraus, und die junge Frau witterte halb unbewußt bei dieser Dame von fraglicher Vergangenheit Verständnis und im Notfall willigen Beistand. So hatten sie sich rasch gefunden und verkehrten aufs vertraulichste.

Erfrischt und erhoben von dieser Begegnung mit ihrer Nichte betrat Adeline ihr einsames Speisezimmer, wo ein behagliches Feuer Brannte und der Tisch unter der vernickelten Hängelampe zierlich gedeckt war. Langsam verzehrte sie ihre einfache, aber sorgfältig und kräftig bereitete Mahlzeit – des Notars berühmte Köchin war ihr und seinem Vermögen treu geblieben – und bei einem Gläschen Anisette, das immer den Beschluß bildete, überdachte die Tante alle wahrscheinlichen Folgen ihrer Entdeckung.

Liebesgeschichten waren ihr von vornherein angenehm; war sie auch jetzt auf Erinnerungen angewiesen, so kaute sie diese zähe Kruste am liebsten im Bratenduft glücklicherer Leute und stets fühlte sie sich vom Anblick eines zärtlichen Paares angenehm erregt. Außerdem konnte sie ja ihrem Schwager keinen größeren Possen spielen, als wenn sie sich dieser Liebenden annahm! Die Heirat zwischen Sabine und dem jungen Rosenzüchter zu stände zu bringen, war ein gutes Werk und zugleich eine Rache an Toucheboeuf. Nicht ihre einzige! Die Teilnahme, die ihr der hübsche Bursche einflößte, machte sie auch geneigt, zu seines Vaters Gunsten in die Wahl einzugreifen. Fräulein Nivard verkehrte freundlich und vertraulich mit den kleinen Leuten, mit Krämern und Handwerkern, wußte daher über die Stimmung im Ort trefflich Bescheid und hatte längst gemerkt, daß der vielgerühmte Einfluß des reichen Toucheboeuf nicht tief wurzelte. Man fürchtete ihn und hütete sich deshalb vor offenem Widerspruch, insgeheim aber verachtete man seine schnöde Selbstsucht und selbst solche, die als Schuldner oder Arbeiter von ihm abhängig waren, würden die Gelegenheit, ihm hinterrücks einen Possen zu spielen, mit Vergnügen ergreifen.

Ebenso wußte Adeline, daß sich seit einiger Zeit in Saint-Saviol eine fortschrittslustige Partei entwickelte, wesentlich aus Zugezogenen bestehend, die das Bürgerrecht erworben hatten. Sie bestand aus Buchhandlungsgehilfen, Fabrikanten, Kaufleuten, Graveuren, Werkmeistern, umtriebigen, geweckten Leuten, die den Tag in Paris zubrachten und abends aus der Werkstatt, der Schul- oder Schreibstube allerhand Unabhängigkeits- und Fortschrittsgedanken mit heimbrachten, und damit nach und nach bei den ansässigen Krämern und Gärtnern auch Boden fanden. Man verspottete die ansässige Bevölkerung wegen ihrer Zurückgebliebenheit, ihrer blinden Unterwerfung unter ein paar veraltete und verrostete Größen, die das Regiment führten; man munterte sie auf, Neuerungen einzuführen, das Joch von vier oder fünf Dorftyrannen abzuschütteln, die nur aus Eigennutz alles beim alten lassen wollten. Die Neuerer trafen sich im ›Blumenkorb‹, dem Nebenbuhler des Café Munerel, und hatten einen Musikverein ›Die Harmonie von Saint-Saviol‹ gegründet. Das war ein Mittel, die Herzen zu gewinnen, und unter dem Deckmantel der Proben konnte auch Politik getrieben werden. Schon bereitete man einen oppositionellen Wahlzettel vor, aber es fehlte dafür an einer Persönlichkeit, die man obenan setzen und durch die man bei den Gegnern eine Spaltung hervorrufen könnte. Adeline war durch den Wirt vom ›Blumenkorb‹, dem sie Geld vorgestreckt hatte, genau über diese Vorgänge unterrichtet und nun kam ihr beim letzten Tropfen Anisette plötzlich eine Erleuchtung, die ihr solche Freude machte, daß sie sich schleunigst zu Bett legte, um die Ausführung des Einfalls in voller Ruhe und Bequemlichkeit zu bedenken.

Am andern Morgen ging sie, sobald Vigneron das Haus verlassen hatte, zu Florence hinauf. Sie traf die junge Frau im Mieder und Unterrock vor ihrem Spiegel, wie sie mit den runden bloßen Armen eben den dicken roten Haarknoten aufsteckte. Nach einem hastigen Frühstück mit ihrem Mann wollte sie einen heimlichen Ausflug nach Paris unternehmen.

»Kleine,« rief Adeline, sich vom Treppensteigen außer Atem auf den einzigen Sitz niederlassend, der nicht mit Kleidungsstücken belegt war, »machen Sie sich nur schnell fertig!«

»Warum? Es eilt gar nicht. Der Pariser Zug geht erst elf Uhr fünfundvierzig von Antony ab.«

»Ach, Sie wollen nach Paris? Das werden Sie wohl aufschieben, wenn Sie mich gehört haben.«

»Wieso?« fragte Florence etwas beunruhigt.

»Mein liebes Kind – liegt Ihnen viel an der Gunst Ihres Vaters?«

»Ganz gewiß und gegenwärtig mehr als je! Diese unausstehliche Leontine hat ihn vollständig in ihren Klauen, ich dagegen werde auf die Seite gedrückt und sie stiehlt ihm das Geld aus der Tasche, dem armen Papa.«

»So steht's? Nun, dem kann abgeholfen werden! Ihr Papa will Bürgermeister werden, nicht wahr? Mein Schwager, mit dem er sich überworfen hat, ist sein erbitterter Gegner, er setzt Himmel und Hölle in Bewegung und ... Charmois' Verwandte, Marius Lavaur und Gemahlin, stehen im Dienst seiner Partei!«

»Ach, diese Leontine!« rief Florence mit einer Entrüstung, die nicht ganz so echt war, wie die Genugtuung über diese Nachricht. »Das sieht der wieder ähnlich! Ein Judas in der Familie, der Vater und Mutter um Geld verschachern würde! Sie wissen es ganz gewiß?«

»Ich habe Beweise! Sagen Sie es Ihrem Vater, damit er auf seiner Hut ist. Sagen Sie ihm auch, er solle sich mit mir ins Vernehmen setzen, ich werde ihm Beweise liefern und einen verständigen Rat obendrein. Machen Sie, daß Sie hinkommen und bestellen Sie ihm, daß ich zu seiner Verfügung stehe und jeden Abend zu Hause bin. Er kann ja kommen, wenn's dunkel ist, um seinen guten Ruf zu schonen, aber er soll kommen!«

»Danke, danke,« sagte Florence, hastig die letzte Hand an ihren Haarbau legend. »Ich weiß ja, daß man bei Ihnen immer guten Rat findet ... o, bitte, helfen Sie mir ein wenig ...«

Willig diente Fräulein Nivard der jungen Frau als Zofe, erging sich in Entzücken über ihre weiße Haut, küßte ihren Nacken, während sie ihr das Kleid überwarf, knöpfte ihr die Stiefel zu, half ihr den Hut aufsetzen und begleitete sie bis an die Hausthüre, wo sie mit einer Umarmung schieden.

In der Chataigneraie traf Florence ihren Vater im Gewächshaus, Rosentriebe untersuchend. Sie hatte sich unterwegs einen wahrhaft tragischen Verzweiflungsausdruck beigelegt, so daß Charmois bei ihrem Anblick erschrak und sie, eine neue Geldnot vermutend, sehr zurückhaltend empfing.

»Ach, mein armer Vater!« rief sie, sich leidenschaftlich an seine Brust werfend. »Ich bin außer mir! Nie würde ich so etwas von Leontine gedacht haben! Stell dir nur vor ... Sie und ihr Mann stehen auf Toucheboeufs Seite! Du hast Verräter unter den eigenen Kindern!«

Charmois war bei der ersten Mitteilung sehr blaß geworden; es war ihm gewesen, als ob sein Herz stillstünde. Jetzt stieg ihm das Blut heftig zu Kopf.

»Das ist eine Verleumdung!« rief er heftig. »Einer solchen Handlungsweise ist Leontine nie und nimmer fähig! Du weißt es wohl von der Nivard? Wie kann man nur einer Person von ihrem Ruf Glauben schenken!«

»So dachte ich zuerst auch, aber die Anklage ist so gewichtig und wurde mit solcher Bestimmtheit erhoben, daß ich es doch für nötig hielt, dich gleich davon zu benachrichtigen. Uebrigens mag ja Fräulein Nivard manches auf dem Gewissen haben, aber bösartig ist sie nicht, und sie scheint über Toucheboeufs Umtriebe sehr genau unterrichtet zu sein ...«

»Derartige Anklagen muß man beweisen können!«

»Das will Fräulein Adeline! Sie bittet dich, zu ihr zu kommen, damit sie dir die Beweise vorlegen könne.«

»Das ist mir in den Tod zuwider! Beziehungen anknüpfen mit einer Person von solcher Vergangenheit!«

»Die Vergangenheit ist vergangen und jetzt führt sie ein tadelloses Leben ... sonst hätte ich ja meinen Mann gewiß nicht veranlaßt, die Wohnung zu nehmen! Außerdem weißt du, Papa, wenn man den Zweck will, darf man nicht zu heikel sein in der Wahl der Mittel! Du willst Bürgermeister werden ... deine Gegner sind voll Tücke und scheuen vor keinem Mittel zurück!«

»Diese ganze Wahlmacherei ist mir zum Ekel!« sagte Charmois, sich matt auf ein Mäuerchen setzend.

»Mir auch, Papa, und ich würde mich gewiß nicht hineinmischen, wenn ich nicht Gefahren für deine Stellung wahrnähme ... ich bin ja nicht wie meine Schwester ... Dein Vorteil geht mir über alles und ich will, daß du Bürgermeister wirst!«

»Du bist ein gutes Kind,« sagte Charmois, sie gerührt in seine Arme ziehend, »und ich bin dir herzlich dankbar ... aber Leontine! Wenn es wahr wäre! Ein Kind, das ich erzogen, verwöhnt, verhätschelt habe, im Bund mit meinem Todfeind!«

»Ich bleibe dir ja, Papa, ich habe dich lieb!«

Sie schmiegte sich an ihn und überhäufte ihn mit Liebkosungen. Die feuchtwarme Gewächshausluft, der Duft der ersten Marschall Niel-Rosen, diese Zärtlichkeit, alles zehrte an seiner Widerstandskraft.

»Geh zu Adeline,« bat Florence schmeichelnd. »Glaub mir, sie haßt ihren Schwager und spürt deshalb seinem Treiben bis ins kleinste nach! Es braucht ja niemand darum zu wissen ... sie ist jeden Abend zu Hause, du kannst ganz spät kommen.«

»In Gottes Namen denn! Wenigstens habe ich dann Gewißheit! Sag ihr, sie möge mich morgen nach dem Abendbrot erwarten.«

»Nun bist du ein verständiges Väterchen! Du wirst es gewiß nicht bereuen ... sie ist klug und haßt Toucheboeuf. Nur noch einen Kuß, dann muß ich fort, sonst verfehle ich den Zug.«

In ihrer Kleidertasche kramend, rief sie plötzlich erschrocken: »Jetzt habe ich in der Eile meine Börse zu Haus gelassen und habe doch so viel Besorgungen zu machen in Paris ... Holen kann ich sie nicht mehr, sonst wird's zu spät ... wie ärgerlich!«

»Brauchst du viel Geld?«

»Nein, höchstens vierzig Franken.«

Mit einem Seufzer griff Charmois in die Westentasche.

»Da hast du sie, vergiß nicht, sie mir zurückzugeben!«

»Versteht sich, Väterchen, danke schön!«

Sie schüttelte ein paar welke Blätter von ihrem Rocksaum und eilte hastig, wie sie gekommen war, davon.

Am Abend darauf, bei trübem, stürmischem Wetter, begab sich Firmin Charmois nach acht Uhr richtig zu Adeline Nivard. Er hatte den Ueberzieher fest zugeknöpft und den Rockkragen aufgeschlagen, daß er sein Gesicht zur Hälfte verdeckte; dem soliden Ehemann, der er immer gewesen war, widerstrebte es im Innersten, eine Person aufzusuchen, deren jetziger Wohlstand einer so unlauteren Quelle entströmte, und mit höchstem Unbehagen zog er die Klingel an ihrer Vorthüre.

Adeline selbst öffnete; die Lampe in der Hand, empfing sie ihn in würdevoller Haltung und führte ihn in ein kleines Empfangszimmer mit niederen weichen Polstersitzen, dessen Wände mit Photographien nach Bildern erotischen Inhalts geschmückt waren. Sie selbst hatte allerdings für diesen Anlaß ein sehr philisterhaftes schwarzes Kleid angelegt und war bis auf ein Zwinkern im Auge, das Charmois peinlich berührte, eitel Hausfrauenwürde.

»Darf ich bitten, Herr Charmois! Wir sind ganz ungestört, mein Dienstmädchen habe ich ausgeschickt ... bitte, legen Sie ab!«

Charmois wäre lieber äußerlich und innerlich zugeknöpft geblieben, aber der Raum war derart überheizt, daß er ihr aus Angst vor Erkältung wohl oder übel willfahren mußte.

»Nehmen Sie Cognac oder Johannisbeerlikör?« fragte sie, auf ein Likörservice deutend, das auf dem Spieltisch stand.

»Ich danke für beides.«

»Schade ... kommen wir also gleich zur Sache und sprechen wir offen miteinander. Ich sehe Ihnen an, daß Sie ein Vorurteil gegen mich haben ... mit Unrecht, denn ich bin ehrlich gewillt, Ihnen behilflich zu sein. Frau Vigneron hat Ihnen wohl gesagt, weshalb ich diese Unterredung gewünscht habe?«

»Ja, Fräulein Nivard. Sie hat mir von einer Anklage erzählt, die Sie gegen meine Tochter und ihren Mann erheben, an deren Nichtigkeit ich jedoch nicht glauben kann.«

»Leider ist sie richtig! Der Professor verbringt seit Wochen all seine Abende im Café Munerel, wo mein Schwager den Befehl über Ihre Gegner führt, und wo von nichts andern die Rede ist, als den Mitteln, Sie aus dem Sattel zu heben. Lavaur ist, und zwar auf Anraten seiner Frau, geradezu Wahlagent für Toucheboeuf.«

Charmois senkte den Kopf und biß sich auf die Lippen. Dieser Verrat des eigenen Kindes that ihm unsäglich weh; er mußte sich zusammennehmen, um seinen Schmerz nicht laut werden zu lassen. Adeline sah es wohl und fühlte sich von Mitleid bewegt.

»Ja, es ist hart,« fuhr sie fort. »Aber es bleibt Ihnen ja noch eine Tochter, die mit ganzem Herzen an Ihnen hängt, das muß Ihr Trost sein! Ich sehe Florence täglich, und niemand weiß besser als ich, daß ihr Vater ihr Abgott ist ... und deshalb könnte ich mich auch entschließen, in Dinge einzugreifen, die mich ja im Grund nichts angehen. Wenden wir uns also wieder Ihrer Wahl zu ... wie weit sind Sie damit gekommen? Während Ihre Gegner wie Ameisen den Boden durchwühlen, scheinen Sie mir etwas unthätig zu sein, Herr Charmois?«

Firmin richtete sich auf.

»Ich fürchte sie nicht, Fräulein Nivard!« versetzte er mit großem Selbstgefühl. »Meine Mitbürger kennen mich; bei der letzten Gemeinderatswahl hatte ich mit vierhundert die höchste Stimmenzahl, davon wird mir keine fehlen, eher werden neue hinzukommen. Wozu also Wahlumtriebe? Ich bin meiner Sache sicher!«

»So? Da sind Sie abermals im Irrtum ... entschuldigen Sie meine Offenheit! Es mag ja sein, daß Toucheboeuf weniger Freunde hat, aber er ist gewitzter und umsichtiger als Sie. Nehmen wir an, Sie werden in den Gemeinderat gewählt, was beweist das? Ihre Gegner kommen auch hinein, und wenn's an die Bürgermeisterwahl geht, haben sie die Mehrheit und nehmen den, der ihnen paßt, das heißt also Toucheboeuf. Sie sind dann einfach auf die Seite geschoben ...«

»Das werden sie nicht wagen!« rief Charmois stolz und ungläubig, innerlich aber doch schon etwas erschüttert.

»Jawohl, die werden sich genieren! Sie wollen Toucheboeuf zum Bürgermeister haben und Ihr Austritt aus dem Gemeinderat ist ihr Ziel. Den werden Sie dann auch wohl oder übel erklären müssen.«

Firmin war sehr nachdenklich geworden. Das hatte er nicht vorausgesehen! In seiner Gewißheit, fast einstimmig gewählt zu werden, nahm er an, daß der Gemeinderat sich dem Volkswillen fügen müsse, und hatte es für seiner unwürdig gehalten, bei den Kollegen Schritte zu thun, während Toucheboeuf Mann für Mann auf seine Seite zog.

»Daran mag ja manches Wahre sein, aber was jetzt beginnen?« brummte er vor sich hin.

»Das ist doch sonnenklar! Sie müssen alles daransetzen, daß Ihre Gegner überhaupt nicht in den Gemeinderat kommen ... Sie müssen auf einen Wahlzettel kommen, der jene ausschließt.«

»Hm! Dazu müßte man andre Bewerber und dazu noch aussichtsreiche zur Verfügung haben ...«

»Die hat man! Sie haben wohl von der gegnerischen Partei gehört, die alle alten Zöpfe, Toucheboeuf an der Spitze, vom Rathaus wegbringen möchte? Sie besteht aus rührigen, unternehmenden Leuten, zum Beispiel dem Doktor Jourd'heuil, einem jungen Arzt, der sich hier gesetzt hat, dem Graveur Loyer, der Vorstand der Harmonie ist, dem Unternehmer Saintot, dem Architekten Despaquis ...«

»Lauter Leute, die hier keinen Einfluß, keine Wurzel haben,« sagte Charmois wegwerfend.

»Wenn Sie auf ihre Seite treten, ihnen Ihren Namen leihen, werden sie schon Wurzel schlagen! Ihre Wähler werden auch die ihrigen werden, die Liste, wo Ihr Name an der Spitze steht, wird durchgehen und mein Schwager und seine Anhänger sind gestürzt. Dann regieren Sie als Bürgermeister mit einem neuen Gemeinderat, der Ihnen allein sein Dasein zu danken hat!«

Charmois erhob zwar noch einige Einwände, aber er war viel zu verständig, um das Treffende in Adelines Worten zu verkennen. Ihre Sachkenntnis und Besonnenheit erregten seine Bewunderung, ohne daß er sich klar gemacht hätte, daß in diesem Fall der Haß alle Geistesfähigkeiten schärfte.

»Ich werde mir die Sache überlegen,« sagte er, schon mehr als halbwegs ihrem Plan zugeneigt, »und jedenfalls bin ich Ihnen aufrichtig dankbar für Ihre Teilnahme. Es ist mir fast unerklärlich, was Sie bewegt, mir in dieser Weise ...«

»Das will ich Ihnen sagen! Einmal hasse ich meinen Schwager Toucheboeuf gründlich, und dann hab' ich Ihre Tochter gern und interessiere mich für Ihren Sohn ... Desiré gefällt mir und ich bilde mir ein, was ich für Sie thue, werde auch ihm zu gute kommen ...«

»Ach!« sagte Firmin mit einem Seufzer. »Darin könnten Sie sich täuschen! Der arme Junge hat sein Herz an Toucheboeufs Nichte gehängt, und ich fürchte sehr, daß diese Wahlgeschichten seine Hoffnungen zum Scheitern bringen werden. Ich habe kein Glück mit meinen Kindern! Die Tochter verrät mich, vielleicht wird der Sohn es mir nachtragen, wenn seine Heirat sich zerschlägt ... und das alles wegen dieser Wahl! Und diese Unruhe, diese Widerwärtigkeiten ... ich habe mitunter die größte Lust, den Karren stehen zu lassen!«

»Aha! Sie möchten den Pfannkuchen backen, ohne Eier zu zerschlagen!« sagte Adeline mit gutmütigem Lachen, indem sie ihm in seinen Ueberzieher half und ihm vertraulich auf die Schulter klopfte. »Das bringt nun einmal keiner fertig, mein lieber Herr Charmois, aber geben Sie mir nur morgen Nachricht, daß ich Sie mit dem Doktor Jourd'heuil bekannt machen darf! Und über Ihren Jungen seien Sie ganz ruhig ... weder er noch Sabine sind dazu angethan, sich müßig zu Tod zu grämen, und für ein rechtschaffenes Liebespaar thut der liebe Gott schon etwas Uebriges!«


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