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Erstes Kapitel.

Der Juni hatte angefangen und mit ihm in den Gärten des Rosenzüchters Firmin Charmois die Blüte. In mehrfachen Reihen standen die Hochstämmer geradlinig beisammen oder begrenzten die Gartenwege, an deren Winkeln sie niedergehaltene Büsche und geschweifte Beete bildeten; Schlingrosen rankten sich an Bäumen und Mauern empor oder schlangen zierliche Gewinde um den Bogengang des Mittelwegs. Wach geküßt von der Sonne öffneten sich die Blumenkelche in aller Mannigfaltigkeit ihrer Farben von dem Blaßgelb der Marschall Niel bis zum tiefen Schwarzrot der Kaiser von Marokko, dem zarten Rosa der Malmaison bis zum feurigen Scharlach der Jacqueminot, und aus all diesen Kelchen strömten wonnige Düfte, echte Sommerluft in den klaren Morgen hinein, dessen festliche Schönheit der sonntägliche Klang der Kirchenglocken noch erhöhte.

Mit einem gewissen Siegesgefühl durchschritt Firmin Charmois sein Reich, ein Reich der Sonne, der Farbe, des Dufts. Mit kräftigem, rührigem Schritt ging der mittelgroße, vollblütige Mann zwischen seinen Pfleglingen hin. Das gescheite Gesicht mit den dunklen Augen und blühenden Farben, dem breiten wohlwollenden Mund und der eigensinnigen hohen Stirne unter dem dichten, krausen, weißen Haar leuchtete vor Befriedigung. Die Hände in den Taschen seiner bequemen Joppe, schielte er von Zeit zu Zeit wohlgefällig nach dem roten Bändchen, das noch nicht lange sein Knopfloch schmückte, und sah dann wieder auf die lachende Landschaft hinaus, die sein Eigentum umrahmte.

Vom Garten der Chataigneraie überblickte man ganz Saint-Saviol, einen Flecken von etwa achtzehnhundert Seelen, der etwa in der Mitte zwischen Verrières, Chatenay und Antony liegt. Charmois sah über seine Gartenhecken hinweg die Häuser, die sich stufenweise an einem Abhang hinziehen, der sich vielfach zerklüftet zur Straße von Orleans hinabsenkt. Nach rückwärts erblickte man den Saum eines Waldes, wo die Nachtigallen nur noch vereinzelt sangen und aus dessen Dunkel ein Bach, die Vive, hervorquillt, der Saint-Saviol in der Mitte durchschneidet und plätschernd weiterhüpft, um sich in die Bièvre zu stürzen. Zur Rechten, an der Grenze des Horizonts, konnte man das Spitzdach des Kirchturms von Verrières aus dichtem Laubgrün aufragen sehen, zur Linken unterschied man noch die vierfache Ulmenreihe der Straße nach Versailles, weiter unten ragte ein zweiter Kirchturm, der von Antony, über die Gärten empor, die den Ort selbst dem Blick entzogen. Gegenüber, schon jenseits des Bièvrethals und der mit Pappeln besäten Wiesengründe, hob sich das Gelände wieder wellenförmig und bot dem Auge das mannigfaltigste Grün von Klee und Getreide, da und dort von Gehölz unterkrochen und von bläulich schimmerndem Wald umrahmt.

Nur sieben Kilometer von den Befestigungen der Weltstadt und doch ganz auf dem Land! Und was für ein Land, fruchtbar, lachend, ein Ueberschwang von Blüten und Früchten! Aber im Juni muß man es sehen, um seine üppige Schönheit voll zu genießen! Auf dem Abhang des Höhenzugs, der sich von Verrières nach Chatenay und Aulnay hinstreckt, sind Erdbeer-, Johannisbeer- und Himbeerpflanzungen angelegt, die von rotblühendem Klee wie von schimmernden Sammetbändern durchschnitten werden. Rosenhecken fassen die Fußpfade ein, über die Straßengräben hängen sich schlanke, schwankende Gräser, zwischen denen wilder Mohn scharlachrote Tupfen bildet, in den Gärten macht sich die ländliche Pfingstrose breit und in den Baumgütern färben sich die Kirschen. Ueberall zerstreute rote Punkte, die das Grün beleben, freudiger tönen.

Von all den Ortschaften an diesem gesegneten Hügelrücken ist Saint-Saviol die ländlichste. Man widmet sich dort ausschließlich der Gemüse- und Rosenzucht. Jahrelang wohnten überhaupt nur Gärtner, Baumzüchter und Tagelöhner im Flecken, seit aber mehr Bahnzüge nach Limours fahren und ein Omnibus die Bewohner von Saint-Saviol in zehn Minuten nach der Eisenbahnstation Antony befördert, haben sich auch Pariser Familien dort angesiedelt, kleine Kaufleute und Beamte, die aus Sparsamkeits- und Gesundheitsrücksichten gern auf dem Land wohnen. Dem Bach entlang sind bescheidene Landhäuser mit Gärten entstanden, wo man sein Gelüste nach Landleben befriedigen kann, ohne seine Kasse zu schädigen, und so sind ganz allmählich neue Elemente in diese fleißige, seßhafte, altväterische Bevölkerung gedrungen. Heute hat Saint-Saviol schon einen Beigeschmack von Parisertum, und zwei Gesellschaftskreise stehen sich schroff gegenüber; der ganz am Boden haftende, mißtrauische, dem Neuen abholde der Altansässigen und der unternehmungslustige, beweglichere, Neuerungen und Verbesserungen heischende der Zugezogenen.

Firmin Charmois, ein Sohn des Bodens, der ihm jetzt teilweise zu eigen gehörte, stand naturgemäß an der Spitze der Einheimischen und teilte deren besonnene Anschauungen wie den Hang, das Hergebrachte zu erhalten. Sein ganzes Leben war in enger Zusammengehörigkeit mit der heimischen Scholle verflossen. Gleich nach der Schule war er als Gärtnerjunge bei dem Baumzüchter Lanteleme eingetreten, dem Vater des Gregor Lanteleme, der jetzt als Rosenzüchter mit ihm in Wettbewerb stand. Von seiner ersten Jugend an hatte Charmois durch zähen Fleiß, Liebe zu seinem Handwerk, Geschmack und scharfe Beobachtungsgabe für die Lebensbedingungen seiner Pfleglinge Aufmerksamkeit erregt und nach vierjähriger Lehrzeit hatte ihm der alte Lanteleme die Leitung seiner Baumschule anvertraut. Allein Charmois war nicht lange in dieser Stellung geblieben. Kaum hatte er ein bißchen Geld erspart gehabt, so hatte er zwei Hektar Land in der Nähe von Saint-Saviol gepachtet und sich auf die Rosenzucht verlegt. Ein scharfer Blick, eine geschickte Hand im Okulieren trugen ihm schon im zweiten Jahr Ergebnisse ein, die alle Erfolge andrer Gärtner ausstachen. Mit vierundzwanzig Jahren heiratete er dann ein Bauernmädchen, Namens Regine Boncorps, und kaufte das Gütchen, das den Namen Chataigneraie führte, wo er nun sein Unternehmen kühner verfolgen und weiter ausdehnen konnte.

Damit begann eine harte, entbehrungsreiche Arbeitszeit, aber Regine war eine gute Genossin. Als emsige Arbeiterin und sparsame Hausfrau wußte sie ihres Mannes Rührigkeit und Findigkeit zu schätzen und trat ihm darin, wie eine Tagelöhnerin arbeitend, zur Seite. Zweimal in der Woche stand sie vor dem ersten Hahnenschrei auf, um bei jedem Wetter nach Paris zu wandern und abgeschnittene Blumen sowie Rosenstöcke auf den Markt zu bringen. Hart gegen sich wie gegen andre, ließ sie sich durch nichts, auch nicht durch Geburt und Pflege ihrer Kinder in der Arbeit stören. Vierzehn Tage nach der Niederkunft nahm sie das Neugeborene mit sich in den Garten, stellte die Wiege in den Schatten der Himbeersträucher und unterbrach ihre Arbeit nur, um ihm die Brust zu reichen. Trotzdem drei Kinder zur Welt kamen, hatten die fleißigen Leute nicht nur ihr Auskommen, sondern konnten bald mit ihren Ersparnissen Gewächshäuser anlegen zur Erzielung früher Rosen, Trauben und Pfirsiche. Dank der gemeinsamen Arbeit, der Vereinigung geistiger und körperlicher Tüchtigkeit, kamen sie vorwärts und die Chataigneraie gewann von Jahr zu Jahr an Umfang und Ruf. Die Gartenbesitzer wußten Firmin Charmois' tadellose Lieferungen zu schätzen, Ausstellungen trugen seinen Namen durch ganz Europa, Bestellungen und Auszeichnungen flogen ihm zu. Jetzt hatte die Gedeihlichkeit seines Geschäfts ihren Höhepunkt erreicht. Auf der letzten Ausstellung war die »Kollektion Charmois« als außer Wettbewerb bezeichnet worden, die stolze Theerose, die er Regine Charmois getauft hatte, war das allgemeine Entzücken gewesen, die Preisrichter hatten ihm einstimmig die goldene Medaille zuerkannt und der Staat hatte ihm das rote Band der Ehrenlegion verliehen.

Und doch hatten die fünfunddreißig Jahre harten Kampfs gegen den Wettbewerb dem Sieger mehr Ehre als Reichtum eingetragen. Der Ehrgeiz, der künstlerische Geschmack, der sich in ihm entwickelt hatte, waren dem Geschäftssinn hinderlich gewesen. Er hatte sich viel zu sehr in die Erzielung neuer Spielarten vertieft, um das Handwerkliche seines Berufs gehörig auszunützen, und so erfreute er sich jetzt mit sechzig Jahren wohl eines behaglichen Wohlstands, Reichtümer aber hatte er nicht gesammelt. Außerdem hatte er auf die Erziehung seiner Kinder viel verwendet und gerade auf diesem Gebiet waren ihm die Enttäuschungen nicht erspart geblieben.

Sein Herzenswunsch war es gewesen, beide Töchter an Gärtner zu verheiraten, die sich an seinem Geschäft beteiligt haben würden, aber dafür hatte er sich in der Erziehung vergriffen. In einer Pariser Klosterschule mit Beamten- und Kaufmannstöchtern aufwachsend, hatten Florence wie Leontine das einfache ländliche Leben im Elternhause verachten gelernt, und als es sich um ihre Verheiratung handelte, hatten beide erklärt, daß sie nie und nimmer Gärtnersfrauen würden. Sie wollten »Herren« heiraten, und trotz aller Gegenvorstellungen des Vaters, allen Widerstands der Mutter war Florence die Frau eines Beamten im Ministerium der öffentlichen Arbeiten geworden und Leontine hatte sich einen Lehrer am Lyceum Buffon erwählt. Das einzige, was Vater Charmois durchgesetzt hatte, war, daß beide Familien in Saint-Saviol wohnten.

Sein jüngstes Kind und zugleich sein einziger Sohn entschädigte ihn allerdings reichlich für diese gescheiterten Hoffnungen. Desiré Charmois war ganz nach dem Vater geartet; unter Rosen geboren, hatte er mit der Muttermilch die Liebe zu den Blumen und den Sinn fürs Landleben eingesogen. Obwohl er sich in der Schule durch Fleiß und Begabung auszeichnete, hatte er immer ein stilles Heimweh nach frischer Luft und körperlicher Arbeit in sich herumgetragen und war in den Ferien mit Wonne heimgekehrt. Die Botanik war sein Lieblingsfach geworden und schon als Knabe hatte er sich in die Geheimnisse des Okulierens und Veredelns einweihen lassen. Als es sich dann um die Berufswahl handelte, erklärte er unumwunden, daß ihn die Universität gar nicht locke und daß er viel lieber seines Vaters Schüler und Mitarbeiter werde, als ein Kanzleimensch oder Advokat. Das schmeichelte der Berufseitelkeit des Vaters gar zu sehr, als daß er den Sohn, in dem er sich selbst ein zweites Mal aufleben sah, nicht beim Wort genommen hätte. Mit achtzehn Jahren hatte denn auch Desiré angefangen, in den Gärten seines Vaters in die Lehre zu gehen, und sein klarer, aufgeweckter Kopf kam ihm dabei sehr zu statten. Wie der Vater hatte er Erfindungsgeist, wie dieser die glückliche Hand, die neue Formen und Farben zur Entwicklung brachte.

Firmin fühlte sich jetzt erst ganz gehoben und sicher durch die Gewißheit, daß sein Sohn das Haus Charmois erhalten und erweitern werde. Alle vergangene Mühsal, alle Mißstimmungen wurden darüber vergessen, und an diesem strahlend schönen Junimorgen voll Sonnenglanz und Glockenklang erfüllte ihn nur das Bewußtsein, wie schön das Leben sei, und daß es sogar noch mehr Glück für ihn in Bereitschaft haben könnte. Saint-Saviol war nämlich sehr stolz, einen Ritter der Ehrenlegion zu seinen Honoratioren zu zählen, und man munkelte schon davon, ihn bei der bevorstehenden Bürgermeisterwahl als Bewerber aufzustellen. Heute war die Familie zu Gast geladen, um seine Auszeichnungen gemeinsam zu feiern, und der Himmel hatte ihm einen Sohn geschenkt, der ihn verstand und in seine Fußstapfen treten wollte.

Mit einemmal tauchte dieser Sohn, aus dem Gewächshaus tretend, zwischen den Rosenbüschen auf.

»Guten Morgen, Papa!« rief ihm der vierundzwanzigjährige schlanke Jüngling, der den Vater überragte, von der Mutter die dunkelblauen Augen, von ihm die feine Nase, die eigenwillige Stirne, das krause Haar und die Beweglichkeit geerbt hatte, schon von weitem zu.

»Guten Morgen, Junge! Aber, aber – noch im Arbeitskittel, während die Schwestern und Schwäger demnächst im schönsten Wichs anrücken werden!«

»Wahrhaftig!« gab Desiré lachend zu. »Ich habe mich bei den Rosen verspätet, aber ich komme schon noch in meinen Bratenrock ... erst muß ich dir eine Neuigkeit melden!«

»Gut oder schlecht?«

»Gut! Versteht sich! Du erinnerst dich der Rose, die ein englischer Reisender von China mitgebracht hat?«

»Die ›Kapitän Fertune‹ meinst du? Sehr schön, blaß Aprikosenfarbe, leider haben wir sie nicht ...«

»Wir haben sie aber doch!« fiel ihm der Sohn triumphierend ins Wort. »Ich habe mir voriges Jahr ein paar Augen davon verschafft und vierjährige Wildlinge damit okuliert. Die meisten sind eingegangen, aber ein Auge ist schön angewachsen. Der Schoß hat im Frühjahr kräftige Zweige getrieben, dann Knospen und heute früh hat sich eine voll entwickelte Rose geöffnet, richtiger Aprikosenton mit blaßgrünem Kelch und einem Streifen Karminrot am Rand der Blätter, also eine ganz unverkennbare und doch selbständige Spielart der Kapitän Fertune ...«

»Donnerwetter! Das muß ich mir gleich selbst ansehen!«

»Nein, Papa, die kommt zum Nachtisch, zum feierlichen Trinkspruch auf dein Ordensband!«

»Brav, mein Junge!« sagte der Vater gerührt. »Wenn's aber eine neue Spielart ist, haben wir auch das Recht, sie einzuführen und ihr den Namen zu geben ...«

»Den wüßt' ich schon,« versetzte Desiré errötend. »Mit deiner Erlaubnis möchte ich sie die schöne Sabine taufen!«

»Sabine? Heißt nicht die Nichte des alten Toucheboeuf Sabine? So, so, du Schlingel, die steckt dir im Kopf?«

»Ja, Vater, ich liebe sie und wenn sie mich haben will, möchte ich sie heiraten ... mit deiner Zustimmung natürlich.«

»Hm ... ein niedliches Ding ist's ... wird von ihrem Onkel eine hübsche Mitgift bekommen ... ist häuslich erzogen und hat keine Angst, sich die Händchen zu verderben, wenn sie etwas angreift ... Toucheboeuf und ich, nun wir sind ja hie und da verschiedener Meinung ... er ist mir zu engherzig, aber schließlich könnte man sich schon verständigen und wir beide miteinander könnten viel für die Gemeinde ausrichten ...«

Firmin Charmois hatte die Gewohnheit, laut zu denken, und der Sohn hörte ihm in diesem Fall mit wahrer Andacht zu. Jetzt ließen sich Stimmen vom Garteneingang her vernehmen und der Vater sagte rasch: »Da sind sie ja ... Kein Wort davon vor den Schwestern, Junge, sie sind arge Plaudertaschen! Wir besprechen die Sache nachher mit der Mutter ... wenn wir allein sind!«


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